Eine lange Geschichte der Schatten

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Deichbrise
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Eine lange Geschichte der Schatten

Beitrag von Deichbrise »

Hallo zusammen,

ich bin ein Neuzugang aus dem Norden Niedersachsens. Depression. Ein Wort, das mich mein halbes Leben wie ein immerwährender Schatten begleitet hat, ohne dass ich es wusste oder auch nur ahnte.

Schon als Kind wurden mir von meinen Eltern Glaubenssätze wie „man muss sich durchbeißen“, „man wirft nicht so schnell die Flinte ins Korn“, „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“ und – der Klassiker schlechthin – „nun reiße dich gefälligst mal zusammen“ vermittelt.
Als ich mit 17 Jahren eine Ausbildung als Werbekauffrau begann, haben mir genau diese Glaubensgrundsätze vermutlich meine erste schwere Episode beschert. Diese wurde nie diagnostiziert. Denn damals – ich bin inzwischen 50 Jahre alt – gab es „so etwas“ wie das Krankheitsbild Depression einfach nicht. Ich wurde innerhalb meiner Ausbildung schwerst gebosst. Für quasi alles war ich entweder zu dumm, zu blöd (mehr als nur einmal wurde ich als „dumme Kuh“ beschimpft) oder unfähig. Hilfe bekam ich keine. Auch nicht von meinen Eltern.

Nach etwa 1,5 Jahren Ausbildungszeit begann ich mich zu verändern. Ich funktionierte nur noch. Es war wie …. Ja, wie in einem Hamsterrad, aus dem ich nicht mehr herauskam. Alles war nur grau. Wie tot. Und so fühlte ich mich. Alles prallte an mir ab. Selbst die Beschimpfungen. Nicht einmal weinen konnte ich mehr. Es war, als ob sämtliches Leben aus mir herausgezogen worden wäre. Wie ein Roboter ging ich durch die Tage. Alles war nur noch egal. Bis ich eines Abends zusammengebrochen bin.

Stundenlang habe ich in meinem Zimmer (damals wohnte ich noch bei meinen Eltern) geweint und konnte nicht mehr aufhören. Ich wollte, dass alles ein Ende hat. Ich wusste, dass ich nicht mehr konnte. Nicht eine Minute mehr. Ich wollte meinem Leben ein Ende setzen, weil ich alles nicht mehr ertrug. Ich wusste, dass meine Mutter Schlaftabletten hatte und habe mir alle Riegel geschnappt, derer ich habhaft werden konnte. Dass diese Tabletten lediglich nur minimal stärker als Baldrian waren, war mir nicht bewusst. Ich habe alle genommen. Ich wollte nur noch schlafen, schlafen, schlafen und nie wieder in dieses Grauen zurück.

Ergebnis war, dass ich mich nachts mehrfach übergeben musste und am nächsten Morgen noch da war. Meine Eltern haben das natürlich mitbekommen. Und ich wurde mit einem Donnerwetter in einen weiteren Tag geschickt. Was dieser Blödsinn solle. Warum ich mich nicht EINMAL zusammenreißen könne. Jetzt müssten sie sich auch noch Sorgen darum machen, ob ihre Tochter plemplem werden würde, nur weil sie nicht ihre lächerliche Ausbildung durchsteht. Ich solle doch einfach nur meinen Job machen. Was sie schon alles erlebt und erduldet hätten, dagegen sei mein Leben ein wahres Schlaraffenland. Sei doch alles nicht so schlimm und ich solle mich doch nicht so anstellen, sondern härter im Nehmen werden.

Und genau das sorgte dafür, dass ich genau DIESEN Satz zu meinem Lebensmotto machte. Es ist doch alles nicht so schlimm und ich muss einfach nur stärker werden. Hart im Nehmen werden.

Was dies mit mir gemacht hat, weiß bis heute nur meine eigene Familie – also mein Mann und meine Kinder. Ich habe jahrelang wie eine Maschine funktioniert. Keine Hürde war zu hoch, keine Belastung zu schwer. Immer fröhlich. Immer da. Ich galt immer als selbstbewusste, starke Persönlichkeit. Dabei war/bin ich das Gegenteil. Wieviele depressive Episoden ich in diesen Jahren gehabt haben mag, kann ich nicht abschätzen. Weil ich nie zum Arzt gegangen bin. Es waren jedoch zahlreiche. Das ist mir jetzt bewusst.

Nun ein wichtiger Zeitsprung ins Jetzt, der mir erst klar gemacht hat, WAS eigentlich nicht stimmt:

Nach 12 Jahren in meinem bisherigen Unternehmen, welches von Schließung bedroht ist, habe ich im Februar einen neuen Job angetreten. Und: Es funktionierte rein gar nichts. Weder die Erwartungen meines Arbeitgebers noch meine als Arbeitnehmerin stimmten überein. Es gab so gut wie keine Einarbeitung, obwohl ich fachfremd und dies auch Allen bekannt war. Und dann der Umgang dort … die Atmosphäre …. Es war wie eine Zeitreise in meine Ausbildung. Alles war schlagartig wieder da.

Jeden einzelnen Tag bin ich mit Bauchschmerzen zur Arbeit. Mich sogar mehrfach übergeben, bevor ich losfuhr. Stand zitternd vor der Eingangstür. Konnte mich nicht mehr konzentrieren, machte Fehler über Fehler. Ich konnte nicht mehr schlafen. Wachte nachts mit Herzrasen auf. Und … verlor mich wieder.

Mit dem Unterschied, dass ich dieses Mal liebende Menschen bei mir habe. Freunde und meine Familie haben mir immer wieder gesagt, dass ich da raus muss. Das mir das nicht gut tut. Dass ich mich verändert habe. Abwesend, abweisend sei. All das habe ich ignoriert, es auf den Jobwechsel geschoben. Phrasenschweine eingeworfen wie z.B. Aller Anfang ist nunmal schwer. Ich beiße mich da schon durch. Das wird schon. Habt Geduld. Bald sitze ich im Sattel.

Doch es zogen sich die Schatten über mir zusammen. Ich habe meine Freude verloren. Alles ist nur noch grau und belanglos. Und ich bin zutiefst erschöpft, funktioniere nur wie ein Roboter. Mein Lächler ist komplett außer Betrieb. Auf Drängen meiner Familie bin ich schließlich bei unserem Hausarzt gelandet. Und bin, bevor ich auch nur den ersten Satz herausbekam, mental völlig zusammengebrochen. Habe minutenlang nur geweint. Mein Arzt hat mich sofort aus dem Verkehr gezogen und mir dringend angeraten, auf sog. Ärztlichen Rat zu kündigen, was ich schlussendlich auch getan habe.

Im Jetzt:

Ich stecke nun in dem uns allen bekannten Brunnenloch fest. Du siehst zwar oben irgendwo schemenhaft das Licht, aber dir fehlt die Kraft, zu dem Seil zu greifen, was neben dir hängt. Oder die Sprossen der Leiter zu erklimmen, die direkt danebensteht.

Jeder einzelne Tag ist eine Herausforderung. Selbst das Aufstehen aus dem Bett erscheint wie eine unüberwindliche Hürde. Jede kleinste Tätigkeit kostet Kraft. Ich igle mich ein, habe an nichts Interesse, bin komplett appetitlos, habe Schulter- und Magenschmerzen, kann nicht mehr schlafen. Das Schlimmste: Gründonnerstag musste auch noch unser Hund überraschend eingeschläfert werden, was mich nun völlig aus der Bahn geworfen hat. Ich fühle mich so, als ob ich ein leeres Gefäß wäre. Kraft, Energie, positive Gedanken …. Alles ist fort. Ich bin nur noch eine Hülle.

Das einzige, was mich derzeit noch erreicht, ist die Sorge um meine Familie. Wie soll es weitergehen? Da ich momentan krankgeschrieben bin, kann ich mich nicht arbeitslos melden. Mitte April endet jedoch meine Kündigungsfrist. Danach werde ich wohl ins Krankengeld fallen. Damit kenne ich mich aber nicht aus. Ich hoffe, ich bekomme dazu noch Aufklärung durch meinen Arzt. Auch spüre ich genau, wie meine Kinder, mein Mann unter meiner Krankheit leiden. Sie aber auch nicht verstehen. Sie können nicht nachvollziehen, dass ich eben nicht mal eben lachen kann. Abschalten kann. Mich freuen kann.

Entschuldigt, dass es so lang geworden ist. Aber damit ihr verstehen könnt, musste ich ausholen und bedanke mich bei jedem Einzelnen von euch, der es bis hierhin ausgehalten hat.

Ich bin so dankbar, nicht allein zu sein.
SonneundDunkenheit
Beiträge: 706
Registriert: 25. Jul 2021, 09:24

Re: Eine lange Geschichte der Schatten

Beitrag von SonneundDunkenheit »

Hallo Deichbriese,
du bist nicht allein und deine Geschichte holt bei mir Erinnerungen hoch.
Wir dürfen in etwa gleich alt sein. Ich war mit knapp 50 zum ersten Mal bei einer Psychiaterin (weiß aber dass ich als Kind schon depressiv war, aber eben auch hochfunktional) und habe kurze Zeit später eine Therapie begonnen, die noch immer (4,5 Jahre mittlerweile) andauert. Anfangs ging es mir wie dir... nichts ging und zwar über viele viele Monate. Mit Hilfe der Therapeutin konnte ich die Situation annehmen (nicht immer, aber immer öfter) und stolz auf das zuvor Erbrachte sein.
Gut, dass dein Hausarzt schnell reagiert hat. Vielleicht kann er dir helfen schnell einen Facharzt zu finden, um zu klären ob dir Medikamente helfen (ich konnte nicht davon profitieren) oder eine Therapie sinnvoll sind.
Mein Mann und meine Kinder haben eine Weile gebraucht, um die Diagnosen zu verstehen und einzuordnen. Anfangs war da nur Angst und Hilflosigkeit.. mir ging es wirklich dreckig, die Fassade ist komplett eingebrochen. Ich hatte das Glück, dass meine Therapeutin zwei Termine gemeinsam mit meinem Mann und den Kindern durchgeführt hat. Da konnte jeder seine Ängste, Sorgen und Wünsche anbringen....hat uns am Ende allen geholfen.
Kämpfe nicht gegen die Müdigkeit! Ich musste auch erst lernen, dass es okay ist sich eine Zeitlang nur treiben zu lassen, nichts auf die Reihe zu bekommen.... Essen war schon ein Kraftakt.
Ich kenne deine finanzielle Situation nicht, aber ich konnte zunächst gut mit dem Krankengeld leben.
Wenn du ein wenig Licht im Brunnen siehst, dann finde ich das schon eine gute Richtung. Mach dir bewusst, was du trotz deiner beschwerlichen Kindheit und Jugend alles geschafft hast, wie du permanent über deine Grenzen gegangen bist, dein Akku permanent entladen hast....der Körper rächt sich und will jetzt endlich gehört und "gepflegt" werden.
Ich wünsche dir alles Gute auf deinem Weg. Er wird lang werden und oft wirst du nicht wissen was nach dem nächsten Abzweig kommt, aber mit Unterstützung wirst du deine Richtung hoffentlich finden.
Liebe Grüße von SonneundDunkelheit
Reziprok
Beiträge: 192
Registriert: 9. Mär 2023, 07:51

Re: Eine lange Geschichte der Schatten

Beitrag von Reziprok »

Hi Deichbrise,

Deine Geschichte hat mich in gewisser Weise an meine Geschichte erinnert, allerdings mit z. B. dem Unterschied, dass meine Eltern mich nie mit Sprüchen wie "Nun reiße Dich doch mal zusammen!" o. ä. zum Durchhalten ermahnt haben.

Nein, während meines Arbeitslebens habe ich 3 Psychotherapien absolviert, und nach dem Ende meines frühzeitig abgebrochenen, letzten Arbeitsverhältnisses habe ich dann meine 4. Psychotherapie gemacht.

Das letzte Arbeitsverhältnis habe ich wegen ähnlicher Symptome, wie Du sie hattest - Bauchschmerzen, Schlafstörungen, Dauerstress + Null Einarbeitung im neuen Job, in dem ich außerdem offiziell auch noch zwei unterschiedliche, aber miteinander verwandte Arbeitsstellen gleichzeitig ausüben sollte + mit einem direkten Vorgesetzten, der mir schon nach der 1. Woche in der Firma indirekt klarmachte, dass er mich los werden will - beendet, das heißt, ich habe den Chef dieser Firma nach zwei Monaten der Betriebszugehörigkeit darum gebeten mir zu kündigen.

Das hat er auch getan, hat mich sogar 1 Monat länger beschäftigt (freigestellt bezahlt) als er eigentlich hätte tun müssen gemäß Arbeitsvertrag. Ach ja, die Probezeit in dieser damaligen Firma betrug nicht nur für mich 12 Monate, auch das hatte mich zusätzlich (zu) stark unter Druck gesetzt.

Komme jetzt bitte aber nicht auf die Idee, Deine(n) Chef/in zu bitten, er/sie möge Dir innerhalb der Probezeit kündigen. Denn dann würdest Du Deinen möglichen Anspruch auf Krankengeld eventuell verlieren und deswegen nach Ende Deines Arbeitsverhältnisses direkt ins Arbeitslosengeld I und dann ggf. entsprechend früher ins Bürgergeld fallen.

Du brauchst erst einmal ausreichend viel Zeit um psychisch gesehen wieder in einen einigermaßen funktionsfähigen Zustand zu kommen. Und das ist zurzeit das Allerwichtigste.

Wenn Du Krankengeld beziehst, wird Deine Krankenkasse Dir sicherlich irgendwann die Teilnahme an einer medizinischen Reha ("Kur") vorschlagen. In so einer Reha-Klinik war ich damals ein paar Monate nach dem Ende meines letzten Arbeitsverhältnisses auch, und die medizinische Reha in dieser Reha-Klinik für Psychotherapie und Psychosomatik hat mir sehr gut getan.

Dies alles geschah Anfang der 2010er Jahre. Danach habe ich mehrere Jahre lang versucht, über die Teilnahme an mehreren beruflichen Reha-Maßnahmen wieder zurück ins sozialversicherungspflichtige Arbeitsleben zu kommen, was mir aber letztendlich nicht gelungen ist. Deswegen bin ich jetzt seit einigen Jahren frühverrentet, ich bin also offiziell erwerbsgemindert und beziehe eine Erwerbsminderungsrente.

Aber zur Frühverrentung muss es in Deinem Fall überhaupt nicht kommen. Lasse Dich nicht entmutigen, erhole/stabilisiere Dich erst einmal so gut wie möglich, und schaue danach weiter, was die erneute Teilnahme am Arbeitsleben betrifft.

LG + alles Gute

Reziprok
Deichbrise
Beiträge: 2
Registriert: 3. Apr 2024, 12:59

Re: Eine lange Geschichte der Schatten

Beitrag von Deichbrise »

Hallo ihr beiden,

ich danke euch erst einmal herzlich, dass ihr mich gelesen und mir auch eure Geschichte erzählt habt und natürlich für eure Anteilnahme. @Reziprok: Du, ich habe ja bereits letzte Woche auf ärztlichen Rat hin gekündigt. Mit meiner Krankenkasse habe ich heute früh extra wegen deinem HInweis telefoniert, ob ich in dieser Situation überhaupt Anspruch auf Krankengeld habe, zumal ich mich mit AU ja auch nicht arbeitslos melden kann und dies wurde mir bestätigt. Einen Antrag hierzu soll ich in den nächsten Tagen per Post bekommen. Daher DANKE, dass du mich noch darauf hingewiesen hast.

Heute war ich wieder bei meinem Arzt und dieser hat mich nun erstmal für weitere vier Wochen krank geschrieben. Und diese vier Wochen möchte er mir unbedingt zunächst geben, bevor wir weitere "Geschütze" in Form einer therapeutischen Behandlung mit ggf. zusätzlichen Medikamenten auffahren. Ich soll nun mir möglichst viel Gutes tun, soweit es möglich ist und ganz besonders viel rausgehen, insbesondere, wenn die Sonne scheint. Er erklärte mir, dass das natürliche Vitamin D der Sonne den Serotonin-Spiegel anregt und dies solle ich unbedingt ausnutzen. Auch sagte er mir, dass es völlig normal sei, dass ich so erschöpft bin und nahezu alles ein Kraftakt für mich bedeutet. Dass ich mich auch nicht wundern solle, dass, selbst wenn ich etwas Schönes unternehme, ich nach kurzer Zeit schlapp und erschöpft sei. Auch, dass diese innere Leere und Hoffnungslosigkeit Teil dieser Krankheit ist und nicht ein "Hirngespinst".

Ich bin unheimlich dankbar, einen so guten Arzt zu haben und vertraue nun im ersten Schritt seinem Rat und versuche, dem zu folgen. Aber - es ist alles andere als einfach. Selbst heute morgen sich aufzuraffen, anzuziehen und hinzufahren war für mich unglaublich anstrengend und überfordernd. Am liebsten würde ich mich einfach nur auf der Couch oder im Bett einigeln. Niemanden sehen, mit niemandem sprechen und erst recht nicht über meine Schatten was erzählen. Alles ist blockiert und irgendwie ... stumpf. Ja, dieses Wort trifft es ganz gut. Ich fühle mich völlig stumpf und gefühlsleer.

Liebe Grüße an euch von Deichbrise
Nulllinie
Beiträge: 17
Registriert: 27. Aug 2023, 17:18

Re: Eine lange Geschichte der Schatten

Beitrag von Nulllinie »

Hallo Deichbrise,

Deine Schilderungen kommen mir auch sehr bekannt vor. Nicht genau so, aber strukturell doch gleich. Ich bin noch dabei, die elterlichen Glaubenssätze zu entschlüsseln. Mir würden sie nicht direkt ins Gesicht gesagt, das ging irgendwie subtiler. Aber sie sind da und machten mich zu dem, der ich bin. Voller Fokus auf das Arbeitsleben, finanzielle Sicherheit, Eigenständigkeit ... funktionieren, funktionieren, funktionieren.

Auch meine Akkus sind aufgezerrt und nach einer neuen Ladung halten sie auch nicht mehr lange. Woher allerdings der kürzliche Rückfall vor und über Ostern kam, ist mir bislang weiter ein Rätsel.

Diese Geschichten, dass ein Stellenwechsel oft keine Verbesserung mit sich bringt, eher das Gegenteil bewirkt, schreckt mich davor ab, selber in dieser Richtung aktiv zu werden. Vielmehr gilt es, das was man hat, anders zu bewerten. Ja, ist auch nicht alles Gold, was glänzt nach knapp 20 Jahren im gleichen Unternehmen. Aber ich weiß, was ich da kann und was nicht. Fachlich stecke ich tief drin, das müsste ich mir anderswo komplett alles neu erwerben. Und solche Unmenschen wie hier manchmal Chefs und Kollegen geschildert werden, sind meine dann doch nicht. Also doch weiter bis zur Rente im gewohnten Umfeld. Mit Anfang 50 stellt sich da doch irgendwie mir die Sinnfrage ...

Trotzdem bei mir über Wochen und Monate auch diese Kraft- und Antriebslosigkeit. Keine Freude, keine Hoffnung. Mit viel Selbstdisziplin bin ich zum Glück ein gutes Stück "den Brunnen" hoch gekommen. Für mich hilfreich: bessere Schlafhygiene, d.h. früher ins Bett und morgens zur selben Zeit raus, auch wenn ich nicht mag. Wieder mehr Bewegung, die fordert, aber nicht überfordert. Sich zwingen, mal wieder eine Platte aufzulegen oder ins Konzert/Kino zu gehen, auch wenn keiner mitgeht.

Von der Psychiaterin gab es im August 2023 bei meinen ersten Besuch schon die Idee, eine Reha zu beantragen. Also war wieder funktionieren angesagt, diesen Antrag fertig zu machen. Im November (überraschenderweise) gleich eine Zusage und jetzt gehen 5 Monate Wartezeit langsam zu Ende und demnächst start die Reha und nimmt mich so noch mal komplett raus aus allem. Ich bin gespannt, welche Akku Auflader ich dort kennenlernen werde?

Wenn Du irgendwie die Energie aufbringen kannst, Frage bei Ärzten, Krankenkasse und der Rentenversicherung, was Du jetzt tun kannst und welche gesetzlichen Rahmenbedingungen gelten. Gerade an der Schwelle zur Kündigung mit Krankschreibung kann man schnell viel falsch machen. Wir funktionierenden Arbeitnehmer kennen unsere Rechte und Möglichkeiten meist viel zu wenig. Und wir gestehen uns ja auch nicht ein, dass wir wochenlang krankgeschrieben sein dürfen. Zulassen tun wir so was erst, wenn es eigenlich zu spät ist.

Soweit mal.
Die Nulllinie
Senif
Beiträge: 1225
Registriert: 23. Jul 2023, 21:42

Re: Eine lange Geschichte der Schatten

Beitrag von Senif »

hallo,

das mit dem Stellenwechsel und Verbesserung ist ja Einzelfallabhängig. Wenn jetzt jemand gemobbt wird, dann ist wohl Stellenwechsel notwendig z.B. Wenn aber sonst alles eigentlich ok ist (Kritik etc. gibt es überall und ist eigentlich auch nicht schlimm), dann könnte geschaut werden, ob etwas an der Bewertung zu drehen ist.
Ich war irgendwie nie richtig arbeitsfähig, alles war elendig schwer und ich verstand nicht, warum das so ist. Heute weiß ich, dass es nicht an den Jobs lag, sondern an meiner Erkrankung. Das war mir nie so richtig klar gewesen, ich dachte immer, ich bin eine Niete.
Ich habe sehr viel an meinen Bewertungen geändert, und heute versuche ich mit ü40 quasi den Berufseinstieg. Und es läuft ganz anders als früher.

Allerdings wäre ich ohne Medikamente nicht raus gekommen. Ich war lange Zeit gar nicht therapiefähig, so dass die Medis mir überhaupt erstmal ermöglicht haben, an mir zu arbeiten. Und eh ich das richtige gefunden habe, hat auch sehr lang gedauert. Ich möchte euch Mut machen, dass es möglich ist, die Erkrankung hinter sich zu lassen. Bei mir hat es viele Jahre gedauert, nicht bei allen dauert es so lang. Und dennoch geht es mir heute besser und kann wieder Freude empfinden. Für mich das größte Geschenk.

:hello: Senif
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