Guter Rat ist teuer

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bergischlaender
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Guter Rat ist teuer

Beitrag von bergischlaender »

Hallo zusammen,

ich habe mich dann auch mal überwunden und mich hier angemeldet in der Hoffnung evtl. ein paar Tipps zu bekommen, da ich irgendwie nicht mehr weiter weiß.

Kurz zu mir: Ich bin 47, arbeite seit 12 Jahren bei einem Bauträger als Assistent der Geschäftsführung/Buchhaltung (habe also einen geregelten Tagesablauf)

Ich kämpfe seit Jahren mit Depression und Selbsthass. Der Grund liegt zum Teil in meiner Kindheit und zum Teil auch in der Jugend, soweit bin ich zumindest schon.
Ich habe 2 Therapien sowie 1 Klinikaufenthalt hinter mir. Nichts davon hat wirklich geholfen.

Ich denke ständig, dass mich draußen alle immer anschauen als ob ich vom anderen Stern komme. In Gesellschaft, egal ob beim Dartverein (wo ich bis vor ein paar Jahren im Vorstand war) oder bei Freunden/Bekannten, denke ich immer, dass die froh sind wenn ich wieder weg bin.
Ich kann mich unmöglich im Spiegel o. ä. ansehen, habe da sofort einen Fluchtgedanken und ich bekomme zu viel. Früher bin ich Stundenlang weggelaufen, wenn jemand ein Foto machen wollte, dass ist heute zumindest ein wenig besser geworden auch wenn ich das nicht immer mag.
Ich habe Angst etwas auszuprobieren, weil ich versagen und mich zum Depp machen könnte. Ich will nicht im Mittelpunkt stehen, egal ob Positiv oder Negativ. Deswegen bin ich an meinem Geburtstag auch meist weg, nicht das ich davon ausgehe, dass mich irgendwer besuchen käme. Wenn man mir gratuliert, dann nervt mich das irgendwie.
Mir fällt es sehr schwer zu glauben, dass es jemanden gibt der mich wirklich leiden kann, geschweige denn liebt bzw. lieb hat.
Dazu kommen diverse Krankheiten wie Diabetes (ohne Medikamente), Knorpelschaden (durch Fahrradfahren halbwegs im Griff), Brille, Probleme mit 1 Ohr, Apnoe etc. wodurch ich mich sehr minderwertig fühle.

Dies ist meine Sicht auf mich. Das Problem ist, dass es quasi egal ist, wen man fragt, alle genau das Gegenteil über mich sagen. Selbst der Therapeut, bei dem ich gerade auf der Warteliste stehe, meinte, dass ich sehr selbstbewusst wirke dabei bin ich dies, abgesehen von meinem Job und Thema "PC", überhaupt nicht.

Ich kann das aber nicht nachvollziehen. Ich würde das so gerne verstehen, auch sehen können aber irgendwie geht das nicht.

Wirklich Freude habe ich schon lange nicht mehr empfunden. Wann ich das letzte Mal herzlich gelacht habe, weiß ich nicht. Wie sich "glücklich sein" anfühlt weiß ich überhaupt nicht.

Ich habe schon einiges gelesen zu dem Thema. Habe auch mal ein "Glückstagebuch" angefangen aber beim Thema "Highlights des Tages" aufschreiben, war dann bei mir Ende. Ich musste mir da immer einen abbrechen und Dinge aufschreiben die eigentlich keine Highlights waren. Oft liest man davon, sich abends hinzusetzen und aufzuschreiben wie der Tag so war oder seine Probleme aufschreibt. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass dies irgendwas hilft.

Ich bin gerade dabei meine Stieftochter, welche ich mit groß gezogen habe, zu verlieren wegen meiner Probleme. Und wir waren vor ein paar Jahren unzertrennlich (freundschaftlich). Das ich durch meine Probleme schon diverse Beziehungen in den Sand gesetzt habe, verwundert vermutlich niemand. Auch aktuell bin ich wieder dabei eine tolle Frau dadurch zu verlieren.

Ich weiß aktuell wirklich nicht mehr weiter. Ich habe keine Gedanken an Suizid aber aktuell sehr stark an Rückzug von allem, um niemandem mehr eine Last zu sein.

Vielleicht ist ja jemand hier, der ähnliches hat/hatte und kann mir evtl. irgendwelche Tipps geben, wie man da nachhaltig wieder raus kommen könnte, sofern dies überhaupt möglich ist.

bergischlaender
Ephemera
Beiträge: 78
Registriert: 10. Jan 2022, 19:31

Re: Guter Rat ist teuer

Beitrag von Ephemera »

Hallo,

darf ich fragen mit welchen Diagnosen Du aus Therapien und Klinik gegangen bist?
Das klingt mir im ersten Lesen sehr nach ängstlich-vermeidender/selbstunsicherer Persönlichkeitsstörung.
Ich habe das - und finde mich in Deinem Text sehr wieder.
Und ja, man kann das haben und nach außen einen völlig anderen Eindruck machen - es kostet nur enorm viel Kraft und fühlt sich an, als schlüpfe man in eine Rolle.
Und bringt oft Depressionen mit.

Wurde auf Sozialphobie/ selbstunsichere Störung hin behandelt?
Wenn das der Kern des Problems ist - die Ursache von Depression und den zwischenmenschlichen Schwierigkeiten - dann würde eine störungsspezifische Therapie helfen können.
Schlumpffine
Beiträge: 374
Registriert: 3. Mai 2020, 18:29

Re: Guter Rat ist teuer

Beitrag von Schlumpffine »

:hello: Hallo bergischlaender,
herzlich willkommen im Forum.Mit deiner Anmeldung hast du eine gute und wichtige Entscheidung getroffen.
Viele hier im Forum haben ähnliche Erfahrungen gemacht, die du in deinem Post benannt hast.
Es ist aber ABSOLUT notwendig, sich über deine Erkrankung Sachkundig zu informieren.
Ein Zielführenden Austausch über Erfahrungen/Meinungen kann den Leidensdruck erheblich mildern.
Sehr viele Betroffene haben die Vorstellung, eine Therapie oder einen Klinikaufenthalt "heilt" die Erkrankung und der Leidensdruck ist "weg"- Frei nach dem Motto "Doc, gib mir eine Pille, damit ich gesund werde".
Das ist leider nicht der Fall. Es gibt leider keine gute Fee, die einmal mit dem Zauberstab wedelt und alles ist gut.
Aber es gibt Mittel und Wege, das zu ändern.Diese liegen in Dir selbst.
Wir alle bewerten UNSERE und die Tätigkeiten/Meinungen anderer Personen tagtäglich. Diese Bewertungen zu hinterfragen, auf "Richtigkeit" zu prüfen und ggf. zu ändern ist ein erster Schritt. Gleichzeitig ist es unheimlich schwer, die eigenen Bewertungen zu erkennen und ggf. zu verwerfen.
Schau mal auf Youtube nach folgenden Beiträgen: Schulz von Thun- das innere Team,VierOhrenModell(Nachrichtenquadrat);ABC Methode nach Albert Ellis oder Schematherapie.
Nocheinmal: Ja, es gibt vielfältige Hilfe. DU MUSST SIE NUR NUTZEN und deine eigenen Bewertungen hinterfragen.
Du kannst gerne eine PN schicken.
Gruß
schl :hello:
Auch der weiteste Weg beginnt mit einem ersten Schritt. Konfuzius
Worte haben die Macht zu zerstören und zu heilen. Wenn Worte sowohl wahr als auch freundlich sind, können sie unsere Welt verändern. “~ Buddha
bergischlaender
Beiträge: 4
Registriert: 9. Feb 2024, 14:26

Re: Guter Rat ist teuer

Beitrag von bergischlaender »

Ephemera hat geschrieben: 20. Feb 2024, 18:04 Hallo,

darf ich fragen mit welchen Diagnosen Du aus Therapien und Klinik gegangen bist?
Ich bin von der 1. Therapie (ca. 2005-2008) in die Klinik (4-5 Wochen) gegangen. Dies war aber unabhängig voneinander und freiwillig. Die Therapie habe ich nach der Klinik nicht weiter besucht. Von 2019-2021 hatte ich die letzte Therapie. Behandelt wurde immer auf Depression, Verhaltenstherapie.
Ephemera hat geschrieben: 20. Feb 2024, 18:04Das klingt mir im ersten Lesen sehr nach ängstlich-vermeidender/selbstunsicherer Persönlichkeitsstörung.
Ja Angst habe ich oft. Auch sehr viel unnötige und überflüssige. Ich habe jetzt nicht zwingend Angst rauszugehen. Ich gehe einkaufen etc. Es ist aber dieses Gefühl ständig verurteilt zu werden. Am schlimmsten ist es im Geiste von Leuten verurteilt zu werden, zu denen man seit Jahren keinen Kontakt mehr hat.

Ich habe das - und finde mich in Deinem Text sehr wieder.
Ephemera hat geschrieben: 20. Feb 2024, 18:04Und ja, man kann das haben und nach außen einen völlig anderen Eindruck machen - es kostet nur enorm viel Kraft und fühlt sich an, als schlüpfe man in eine Rolle.
Ja solche Leute kenne ich auch. Ich verstelle mich allerdings nicht. Meine Freundin sagt, es würde daran liegen, dass ich groß und breit bin, aufrecht gehe und meine Probleme so gut beschreiben kann. Ich gehe offen damit um, dass ich der Meinung bin, dass mich einfach niemand leiden kann und die Leute ohne mich besser dran sind. Ähnlich hat es auch der Therapeut gesagt.
Ephemera hat geschrieben: 20. Feb 2024, 18:04Wurde auf Sozialphobie/ selbstunsichere Störung hin behandelt?
Wenn das der Kern des Problems ist - die Ursache von Depression und den zwischenmenschlichen Schwierigkeiten - dann würde eine störungsspezifische Therapie helfen können.
Darauf wurde nicht behandelt. Ich weiß auch nicht ob Sozialphobie wirklich ein Problem ist, ich schätze aber nicht. Es ist einfach das Gefühl, dass ich nirgendwo gewollt bin, auch wenn die Leute was anderes sagen. Aus diesem Grund ziehe ich mich oft zurück, insb. wenn ich irgendwo eingeladen bin.
Ephemera
Beiträge: 78
Registriert: 10. Jan 2022, 19:31

Re: Guter Rat ist teuer

Beitrag von Ephemera »

Lies Dir mal das durch. Die selbstunsichere PS zeigt sich anders als eine Sozialphobie:

1. Die Betroffenen vermeiden aus Angst vor Kritik, Missbilligung oder Zurückweisung berufliche Aktivitäten, die engere zwischenmenschliche Kontakte mit sich bringen.
2. Sie lassen sich nur widerwillig mit Menschen ein, wenn sie nicht sicher sind, dass sie gemocht werden.
3. Sie verhalten sich aus Angst, beschämt oder lächerlich gemacht zu werden, auch in intimen Beziehungen zurückhaltend.
4. Sie sind stark von der Angst eingenommen, in sozialen Situationen kritisiert oder abgelehnt zu werden.
5. Aufgrund der Gefühle der eigenen Unzulänglichkeit sind sie in neuen zwischenmenschlichen Situationen gehemmt.
6. Sie halten sich für gesellschaftlich unbeholfen, persönlich unattraktiv und unterlegen gegenüber anderen Menschen.
7. Sie vermeiden persönliche Risiken und neue Unternehmungen, weil diese sich als beschämend erweisen könnten.

Hier ist ein längerer Text:
https://www.therapie.de/psyche/info/ind ... icherheit/

Eine Behandlung auf Depression alleine ändert nicht das Grundproblem. Vielleicht lohnt es sich, in die Richtung zu „forschen“.

Versteh mich nicht falsch, ich möchte Dir die Diagnose nicht einreden. Aber so viele Aussagen in Deinem ersten Post könnten von mir sein, dass es schon fast gruselig ist.
bergischlaender
Beiträge: 4
Registriert: 9. Feb 2024, 14:26

Re: Guter Rat ist teuer

Beitrag von bergischlaender »

Danke dir.

Das habe ich so nicht erwartet. Das hat auch keine Therapie im Ansatz in Betracht gezogen. Wurde nie drüber geredet.

Aber was da beschrieben wird passt schon heftig...

Wenn die Therapie mal anfängt, werde ich das mal ansprechen.
Ephemera
Beiträge: 78
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Re: Guter Rat ist teuer

Beitrag von Ephemera »

Zu Beginn einer neuen Therapie sollte ja ohnehin eine Diagnostik erfolgen.
Es gibt zur Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen einen Standardfragebogen mit ca. 100 Aussagen, bei denen man sagen muss ob sie auf einen zutreffen oder nicht - und am Ende ergibt sich dann ein Bild.
Keine Persönlichkeit ist völlig ausgewogen. Aber wenn ein bestimmter Bereich eben sehr deutlich betont ist, gilt es dann als Persönlichkeitsstörung.

Falls darauf nicht getestet werden sollte, würde ich es an Deiner Stelle unbedingt ansprechen und darum bitten.
Ich wurde auch lange „nur“ wegen Depressionen behandelt. Ohne irgendeinen wirklichen Nutzen.
Erst seit das Kernproblem erkannt wurde und ich es für mich auch annehmen konnte - weil es so sehr passt und trifft wie ich denke und fühle - kann es ganz langsam in winzigen Schritten vorwärts gehen.

Denn: auch eine Persönlichkeitsstörung kann sich trotz der gruselig endgültig klingenden Benennung so weit bessern, dass man die Diagnosekriterien nicht mehr erfüllt und ein leichteres Leben führen kann.
Es braucht einen langen Atem und Geduld, denn die Denk- und Verhaltensmuster sitzen extrem fest, weil sie meist seit der Kindheit/Jugend bestehen und sehr „Teil“ vom eigenen Selbst sind.
bergischlaender
Beiträge: 4
Registriert: 9. Feb 2024, 14:26

Re: Guter Rat ist teuer

Beitrag von bergischlaender »

Beim Erstgespräch im November wurde auch "nur" eine mittlere depressive Phase diagnostiziert. Das andere hat noch niemand in Erwägung gezogen. Wobei ich auch dazu sagen muss, dass dies manche Dinge in den letzten 3-4 Jahren echt heftig geworden sind.

Das annehmen ist aber auch nicht so einfach, wenn ich das so sagen kann.
Das ich die Probleme habe, damit komme ich klar aber was diese Probleme bewirken, dass ist das was mir zu schaffen macht. Diese ganzen Gedanken, gerade das mich niemand leiden kann bzw. froh ist wenn ich wieder weg bin und dieses verurteilt werden, die schlauchen und kosten ohne Ende Kraft.

Es gibt Momente wo mir das egal ist aber die sind wirklich sehr selten.

Wenn ich einkaufen gehe, dann "fliege" ich durch den Laden. In der Fußgängerzone bummeln ist ein graus. Nirgends länger bleiben als nötig.
Spazieren im Wald kann ich stundenlang, Fahrradfahren kann ich ebenfalls stundenlang.

Meine Freundin hatte die ganze Klamotte mit ihrem Mann seit Jahren (er sieht es nicht ein das er Probleme hat). Sie hat sich viel damit beschäftigt. Meint immer ich soll mal alles aufschreiben. Probleme, Tagesgeschehen etc. Aber ich kann das irgendwie nicht.
Ich weiß nicht was ich schreiben soll, es fühlt sich auch doof an. Die Gedanken verschwinden dadurch auch nicht aus meinem Kopf.

Durch diese Freundin habe ich Hemden und Pullover "kennengelernt" (bin vorher immer Bandshirts rumgelaufen) und trage die jetzt hin und wieder. Dadurch das niemand was sagt, fällt es mir auch immer leichter. Jeder Kommentar, auch positiv, fühlt sich komisch an. So nach dem Motto "schon wieder aufgefallen".

Wie gehst du denn mit den Problemen um? Kannst auch per PM schreiben, wenn dir das lieber ist.
Ephemera
Beiträge: 78
Registriert: 10. Jan 2022, 19:31

Re: Guter Rat ist teuer

Beitrag von Ephemera »

Hallo,

ich werde Dir bald mal eine PN schicken.
Das ist für mich etwas schwierig, wegen der „Du hast eh nichts hilfreiches zu sagen“-Gedanken…
Da gehen die Probleme schon los 😉

Aber vielleicht hilft es ja auch schon zu wissen, dass es anderen ganz genauso geht. Sie ebenso denken und versuchen daran etwas zu ändern.

Viele Grüße,
Ephemera
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