Nach Gutachtertermin DRV

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lt.cable
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Nach Gutachtertermin DRV

Beitrag von lt.cable »

Hallo, alle miteinander!

Nun musste ich auch für die DRV im Rahmen eines Antrags auf Erwerbsminderungsrente zum Gutachter. Die Kurzfassung zum Vorlauf: Biografie mit mehreren langen Zeiten ohne Arbeit, einer abgeschlossenen Ausbildung nach der Schule (schon lange her und heute praktisch wertlos) und einem langen Studium, das krankheitsbedingt immer mehr ins Chaos abgeglitten ist und zu keinem greifbaren Ergebnis geführt hat. Dann noch fast zweieinhalb Jahre Call-Center. Danach war ich fertig mit der Welt und der letzte Rest an Lebenswillen entschwunden. Ab dann Akku defekt. Ich komme zwischen den Episoden gar nicht mehr richtig auf die Beine, wie früher noch. Seither viel Schwere und Erschöpfung im Körper, nichts macht mehr Spaß. Konzentrationsfähigkeit beeinträchtigt, schnell kopflos. Stimmung im Dauertief. Wenig Stressresistenz. Sozialer Rückzug und ein ausgeprägtes Misstrauen gegenüber Menschen. Sich in andere einfühlen, angemessen reagieren fällt mir schwer. Erst Jobcenter, dann Sozialamt.

Nach einer Zeit der Ruhe beim Jobcenter ab Ende 2021 plötzlich (ohne Veränderung der Situation) gesteigertes Interesse. Einladungsterror, kurz getaktet. Drohen mit Maßnahmen zu meiner Erziehung. Für jeden Scheiß bin ich dann zuletzt zu zweit von denen in die Mangel genommen worden. Selbst um mir einen Umschlag zu überreichen, in dem ich die Unterlagen für die angeregte Begutachtung durch den Ärztlichen Dienst der BA einreichen sollte, bin ich extra eingeladen worden. Zu zwei Personen. Es hat nicht viel gefehlt und ich wäre handgreiflich geworden. In dieser Zeit (und das wussten die Vögel) hat nämlich auch mein Vater massiv gesundheitlich abgebaut (wie sich später herausstellte: Herzinsuffizienz, Diabetes Typ 2 und COPD). Aus dem Krankenhaus kam er als klapperdürres Männchen und sein Hilfebedarf war (von Baden, teils Anziehen über Medikamenteneinnahme bis Mahlzeiten) deutlich. Heute ist es körperlich wenig besser, aber insbesondere seine Psyche ist immer noch schwer angeschlagen. Ich bin 42 Jahre alt und wohne noch mit meinen Eltern in einer Wohnung.

Immerhin ergab die Begutachtung durch die BA: Nichts geht mehr. Leistungsfähig unter drei Stunden täglich für mindestens sechs Monate oder länger. Nachbegutachtung in ein bis zwei Jahren empfohlen. Ich empfand das zwar als einen Segen, aber nicht so, als würde mir da etwas geschenkt. Selbst war ich ohnehin geschlaucht, der Herbst und Winter sind für mich stets eine wirklich knüppelharte Zeit, und dann noch dieser Bedrängungsterror durch das Jobcenter plus die fast unmögliche Aufgabe, einen unwilligen Schwerkranken zum Arzt zu bekommen. So gelangte ich jedenfalls ans Sozialamt und nach dem Durchkämpfen meiner Ansprüche dort (Hilfe zum Lebensunterhalt, aber durch einen bestehenden Minijob und ohne Mietkosten bin ich recht billig) war eine Forderung, der ich nachkommen musste, das Stellen eines Antrags auf Erwerbsminderungsrente bei der DRV.

Das habe ich dann getan und nun war kürzlich der Termin beim Gutachter, nachdem zuvor ein Befundbericht bei meinem behandelnden Psychiater eingeholt worden ist. Ich muss sagen, dass dieser Gutachtertermin eine der schrägsten Sachen gewesen ist, die ich seit langer Zeit erlebt habe. Deshalb möchte ich hier einfach davon berichten. Vielleicht haben andere etwas beizutragen, was mir die Einordnung dieses Erlebnisses erleichtert.

Schon beim Betreten des Hausflurs, erst recht der Praxis, fühlte ich mich, als wäre ich in eine Zeitblase aus der Vergangenheit eingetreten. Interieur, Möbel, Bodenbeläge wie aus einer fernen Vergangenheit. Der Gutachter war allein und schleppte sich am Rollator an die Tür und bewältigte mit diesem auch sämtliche andere Wege in meiner Anwesenheit. Nach dem Ausfüllen einer Ankreuzliste mit Beschwerden innerhalb der letzten zwei Jahre, deren Sinn ich nicht so richtig verstanden habe, lief dann das Gespräch in der Grundstruktur so ab, dass der Mann am Computer einen vorgefertigten Lückentext mit meinen Antworten auf seine Fragen auszufüllen schien.

Dabei ging es kaum darum, wie mich meine Beschwerden früher in Schule, Ausbildung, Studium beeinträchtigt haben oder aktuell im Alltag und Berufsleben (immerhin bin ich ja noch geringfügig tätig) beeinträchtigen. Das wollte der Ärztliche Dienst der BA zuvor möglichst ausführlich wissen und für eine Entscheidung in der Sache sollten das doch gerade wichtige Punkte sein. Die Geschichte mit dem Vater wurde abgehandelt als "ganz normale Hausarbeit, die wohl jedem von uns zufällt." Verbunden mit der Andeutung, ich wolle ihn damit in irgendeiner Weise manipulieren. Viel mehr hat in interessiert, ob und weshalb ich der Meinung wäre, eine Depression zu haben. Ich habe das nie für eine Meinungsfrage gehalten, denn immerhin sind diesbezüglich ja nach fachlichen Kriterien von qualifizierten Fachleuten Diagnosen getroffen worden. Wie es mir geht und ging weiß ich auch. Mehrfach in die Akutklinik eingerückt bin ich auch nicht, weil mir gerade langweilig gewesen ist. Über zwanzig Jahre bin ich mit der Krankheit dabei. Dann noch biographische Sachen von Lebenslauf über Kindheit bis Geschwister, Alter und Berufe der Eltern, Führerschein, Anzahl der geführten Beziehungen, soziale Kontakte, Hobbys. Vorgeschichte psychischer Krankheiten in der Familie. Andere Erkrankungen meinerseits. Welche Medikamente ich nehme und ob auch schon mal Psychotherapie zum Einsatz gekommen wäre. Was anders sein müsste, damit sich bei mir was verändert. Ob mir mein Minijob gefällt und wie ich mir die Zukunft vorstelle. Als ich ansetzte, dass ich z. B. bei meinem Vater mehr Hilfebedarf kommen sehe und mir das Angst macht, fühlte er sich wieder manipuliert. Da habe ich die ganze Zukunftsfrage einfach sein lassen.

Es war schlicht skurril bis grotesk. Er würde alles noch an diesem Tag fertig machen und der DRV zuleiten. Über den Inhalt oder seine Tendenz dürfe er mir nichts sagen (nachvollziehbar), aber was die DRV daraus mache, müsste man dann sehen. Dann noch irgendwas von wegen Persönlichkeitsstörung, Perfektionismus und Tick am Auge. Kontrollzwänge? Die Medikation wäre seiner Meinung nach okay. Mich würde er gerne in einer Tagesklinik sehen, damit ich mal wieder Feedback bekäme. Dass ich da natürlich im Zusammenhang mit den stationären Aufenthalten im Anschluss auch schon mehrfach gewesen bin: geschenkt! Ich kann mich irren, aber auf mich machte der Gutachter weder einen sonderlich gut vorbereiteten noch besonders interessierten Eindruck.

Ich stelle mich auf alles von Reha bis Widerspruch nach Ablehnungsbescheid ein. Mal sehen, was dann die Einsicht in die entscheidungsrelevanten Unterlagen ergibt. Immer noch mehr in die Mangel nehmen und Bedrängen führt doch eher zu noch mehr Misstrauen und Rückzug als zu vorzeigbaren Erfolgen. Micht hat diese Vorgehensweise über die Jahre bloß immer weniger erreichbar für äußeres Feedback gemacht.

Es grüßt

lt.cable
Zuletzt geändert von lt.cable am 23. Jun 2023, 19:20, insgesamt 1-mal geändert.
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Niri
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Re: Nach Gutachtertermin DRV

Beitrag von Niri »

Hallo,

vielen Dank für deinen Beitrag!
Ich hab vor kurzem selbst EM Rente beantragt und bin sehr gespannt, wie das weitergeht, was alles auf mich zukommt.
Wär schön, wenn du berichtest wie es bei dir weitergeht, es läuft glaub ich sehr, sehr unterschiedlich ab.
Hattest du schon eine Ablehnung, oder wurdest du gleich zum Gutachter eingeladen?

Sei lieb gegrüßt
Niri
lt.cable
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Re: Nach Gutachtertermin DRV

Beitrag von lt.cable »

Hallo, Niri!

Ein Bescheid war vorher nicht ergangen. Der Gutachtertermin war also bevor eine erste Entscheidung herbeigeführt wird. Vielen Dank für deine Antwort und alles Gute für dich und deinen weiteren Weg mit der Rente!

Zu der Sache, ob ich meinen würde eine Depression zu haben, fiel mir noch was ein. Als der Gutachter seine gewünschte Antwort nicht erhielt, unterbrach er mich immer wieder sofort und gipfelte in einer Formulierung seiner Frage mit den Antwortmöglichkeiten ja oder nein. So sei das doch eine schöne, offene Frage. Es mag sein, dass ich da in der Schule schlecht aufgepasst habe, aber ich halte so ein "Angebot" für eine mindestens geschlossene Frage, wenn nicht gar eine Suggestivfrage. Denn welche andere Antwort als ja werden Betroffene in dieser Situation wohl geben?

Es grüßt

lt.cable
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Niri
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Re: Nach Gutachtertermin DRV

Beitrag von Niri »

Hallo lt.cable,

ich hab im Kinder-und Jugendhilfebereich gearbeitet und hatte da immer wieder mit Begutachtungen und gutachtern und Gutachterinnen zu tun.
Das ist zwar eine ganz andere Thematik als im Renten-/medizinischen Bereich, aber wir hatten n icht selten mit äußerst kuriosen Menschen und auch Vorgehensweisen zu tun.......im Gegensatz dazu aber immer wieder mit fachlicher Kompetenz und Empathie.....

Die Bandbreite ist riesengroß und du hattest es deinen Beschreibungen nach anscheinend mit einem Exemplar ganz weit auf der einen Seite zu tun.
Bin gespannt, wie das Gutachten ausfällt.

Alles Gute dir
Niri
SonneundDunkenheit
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Re: Nach Gutachtertermin DRV

Beitrag von SonneundDunkenheit »

Hallo lt.cable,

das klingt wie aus einem schlechten Film, was du beschrieben hast.

Ich würde mich persönlich nicht am Rollator oder der Ausstattung stören. Ich weiß, dass es viel zu wenig Gutachter gibt. Sie werden nicht sonderlich gut bezahlt und Psychiater/ Arbeitsmediziner/..., die in Kliniken, eigener Praxis oder wo auch immer arbeiten, sind immer selterner an einer Gutachtertätigkeit interessiert. Muss man halt wollen diese Art von Arbeit.
Ein Psychiater im Ruhestand ist also nicht selten noch als Gutachter tätig und solange er kognitiv fit ist, ist dem auch nichts entgegen zu setzen. Er hat in seinem Leben viele Menschen gesehen und sollte erfahren, zugewandt und abgeklärt sein.

Was du so beschrieben hast, weicht von meinen eigenen Erfahrungen weit ab. Meine Begutachtung erfolgte er erst im Widerspruchsverfahren. Zuvor wurde mein Rentenantrag nicht sachgerecht bearbeitet (es wurden keine Stellungnahmen der angegebenen Ärzte eingeholt, nichts geprüft...) Die Ablehung erfolgte wenige Wochen nach Antragstellung und fusste auf der Begründung, dass ich aktuell arbeite (hatte zu dem Zeitpunkt ein Wiedereingliederung versucht) und damit beweisen würde, erwerbsfähig zu sein. Die lange AU, die vielfälltigen Erkrankungen meinerseits spielten absolut keine Rolle. Mein ursprünglicher Wunsch war damals eine halbe Rente anerkannt zu bekommen. Das habe ich im Antrag auch formuliert.

Ich wurde im Rahmen des Widerspruchsverfahrens von einer Psychiaterin mit Spezialisierung Traumatherapie begutachtet, die Chefin einer Rehaklinik ist. Das hatte mich anfangs sehr verunsichert und ich befürchtete, dass ihr Gutachten im Ergebnis zunächst eine psychosomatische Reha vorschlägt (zu diesem Zeitpunkt und auch danach war ich in keiner solcher Reha oder LTA Maßnahme). Ich habe Einschränkungen/ Erkrankungen aus mehreren Fachgebieten und die Psyche ist nur 1/3.
In der Begutachtung ging es vordergründig um die Traumafolgen im Alltag, was mich wie triggert. Die DRV hatte der Gutachterin mehrere konkrete Fragen zur Überprüfung gegeben. Sie sollte im persönlichen Kontakt feststellen, ob die Aussagen aus einem Klinikbericht "der Realität" entsprechen. Arbeit war auch bei mir in der Begutachtung nicht wirklich Thema. Ich musste allerdings zur Begutachtung sehr sehr viele ausgefüllte Fragebögen mitbringen (hatte ich ca. 1,5 Wochen vor dem Termin mit der Post erhalten). Im Rahmen der Begutachtung hat die Gutachterin einen Teil davon überflogen und zum Teil vertiefende Fragen gestellt. Ich war sehr angespannt und sehr zurückhaltend. Meine Antworten waren eher kurz und oft leise und unsicher....einfach der Thematik geschuldet. Ich wurde anfangs darauf hingewiesen, dass ich meine eigenen Grenzen unbedingt wahren sollte und wenn es zu viel werden sollte, dies auch zu kommunizieren. Am Ende erfolgte eine kurze Untersuchung (Reflexe u.ä.).
Das Gutachten habe ich nach Abschluss des Rentenverfahrens angefordert. Es ist kein Hexenwerk und systematisch werden Annamnese, schulischer, beruflicher.... Werdegang dargestellt. Letztlich erfolgt die Analyse dessen was gesundheitlich nicht möglich ist und wird in Vergleich zu den allgemeinen Anforderungen des Arbeitsmarktes gestellt, wobei noch einmal unterschieden wurde, ob man für den zuletzt ausgeübten Beruf noch ausreichend belastbar ist und ob eventuell andere Tätigkeiten infrage kommen. Der Gutachter schätzt ein, ob eine medizinische oder berufliche Maßnahme innerhalb von 6 Monaten eine Besserung erzielen könnte und für wie lange gegebenenfalls aus seiner Sich das Leistungsvermögen aufgehoben ist. Ich fand das Gutachten sehr aufschlussreich zumal ich im beruflichen Kontext selbst Gutachten für meine Teilnehmer schreiben musste. Ist schon ein Unterschied auf welcher Seite des Tisches man sitzt.

Ein Gutachter muss sich der Tragweite seines Gutachten bewusst sein und auch damit rechnen, dass es angefochten wird, seine Kompetenzen angezweifelt werden in der nächsten Instanz. Er sollte also sachlich, fachlich korrekt arbeiten.

Ich bin gespannt, wie es bei euch Beiden (Niri eingeschlossen) weitergeht. Selten werden EMR im ersten Anlauf bewilligt. Das ist einfach so und man sollte es nicht persönlich nehmen (natürlich hatte ich an der Ablehung zu knabbern und wollte zunächst nicht in den Widerspruch gehen).
Ich hatte letztlich "Glück" und mir wurde rückwirkend die volle EMR für zunächst 3 Jahre zuerkannt. Ich hoffe, eure Verfahren gehen auch in diese Richtung. Viel Erfolg!
Hier im Forum schwirren ja noch andere offene Verfahren herum; Heiligendamm ist bei der Instanz des Sozialgerichtes, andere Namen sind mir gerade entfallen....überall wird auf einen guten Ausgang gehofft.

Liebe Grüße von SonneundDunkelheit
Ifightdepression79
Beiträge: 299
Registriert: 22. Jul 2022, 13:44

Re: Nach Gutachtertermin DRV

Beitrag von Ifightdepression79 »

lt.cable hat geschrieben: 23. Jun 2023, 18:39 Hallo, alle miteinander!

Nun musste ich auch für die DRV im Rahmen eines Antrags auf Erwerbsminderungsrente zum Gutachter. Die Kurzfassung zum Vorlauf: Biografie mit mehreren langen Zeiten ohne Arbeit, einer abgeschlossenen Ausbildung nach der Schule (schon lange her und heute praktisch wertlos) und einem langen Studium, das krankheitsbedingt immer mehr ins Chaos abgeglitten ist und zu keinem greifbaren Ergebnis geführt hat. Dann noch fast zweieinhalb Jahre Call-Center. Danach war ich fertig mit der Welt und der letzte Rest an Lebenswillen entschwunden. Ab dann Akku defekt. Ich komme zwischen den Episoden gar nicht mehr richtig auf die Beine, wie früher noch. Seither viel Schwere und Erschöpfung im Körper, nichts macht mehr Spaß. Konzentrationsfähigkeit beeinträchtigt, schnell kopflos. Stimmung im Dauertief. Wenig Stressresistenz. Sozialer Rückzug und ein ausgeprägtes Misstrauen gegenüber Menschen. Sich in andere einfühlen, angemessen reagieren fällt mir schwer. Erst Jobcenter, dann Sozialamt.

Nach einer Zeit der Ruhe beim Jobcenter ab Ende 2021 plötzlich (ohne Veränderung der Situation) gesteigertes Interesse. Einladungsterror, kurz getaktet. Drohen mit Maßnahmen zu meiner Erziehung. Für jeden Scheiß bin ich dann zuletzt zu zweit von denen in die Mangel genommen worden. Selbst um mir einen Umschlag zu überreichen, in dem ich die Unterlagen für die angeregte Begutachtung durch den Ärztlichen Dienst der BA einreichen sollte, bin ich extra eingeladen worden. Zu zwei Personen. Es hat nicht viel gefehlt und ich wäre handgreiflich geworden. In dieser Zeit (und das wussten die Vögel) hat nämlich auch mein Vater massiv gesundheitlich abgebaut (wie sich später herausstellte: Herzinsuffizienz, Diabetes Typ 2 und COPD). Aus dem Krankenhaus kam er als klapperdürres Männchen und sein Hilfebedarf war (von Baden, teils Anziehen über Medikamenteneinnahme bis Mahlzeiten) deutlich. Heute ist es körperlich wenig besser, aber insbesondere seine Psyche ist immer noch schwer angeschlagen. Ich bin 42 Jahre alt und wohne noch mit meinen Eltern in einer Wohnung.

Immerhin ergab die Begutachtung durch die BA: Nichts geht mehr. Leistungsfähig unter drei Stunden täglich für mindestens sechs Monate oder länger. Nachbegutachtung in ein bis zwei Jahren empfohlen. Ich empfand das zwar als einen Segen, aber nicht so, als würde mir da etwas geschenkt. Selbst war ich ohnehin geschlaucht, der Herbst und Winter sind für mich stets eine wirklich knüppelharte Zeit, und dann noch dieser Bedrängungsterror durch das Jobcenter plus die fast unmögliche Aufgabe, einen unwilligen Schwerkranken zum Arzt zu bekommen. So gelangte ich jedenfalls ans Sozialamt und nach dem Durchkämpfen meiner Ansprüche dort (Hilfe zum Lebensunterhalt, aber durch einen bestehenden Minijob und ohne Mietkosten bin ich recht billig) war eine Forderung, der ich nachkommen musste, das Stellen eines Antrags auf Erwerbsminderungsrente bei der DRV.

Das habe ich dann getan und nun war kürzlich der Termin beim Gutachter, nachdem zuvor ein Befundbericht bei meinem behandelnden Psychiater eingeholt worden ist. Ich muss sagen, dass dieser Gutachtertermin eine der schrägsten Sachen gewesen ist, die ich seit langer Zeit erlebt habe. Deshalb möchte ich hier einfach davon berichten. Vielleicht haben andere etwas beizutragen, was mir die Einordnung dieses Erlebnisses erleichtert.

Schon beim Betreten des Hausflurs, erst recht der Praxis, fühlte ich mich, als wäre ich in eine Zeitblase aus der Vergangenheit eingetreten. Interieur, Möbel, Bodenbeläge wie aus einer fernen Vergangenheit. Der Gutachter war allein und schleppte sich am Rollator an die Tür und bewältigte mit diesem auch sämtliche andere Wege in meiner Anwesenheit. Nach dem Ausfüllen einer Ankreuzliste mit Beschwerden innerhalb der letzten zwei Jahre, deren Sinn ich nicht so richtig verstanden habe, lief dann das Gespräch in der Grundstruktur so ab, dass der Mann am Computer einen vorgefertigten Lückentext mit meinen Antworten auf seine Fragen auszufüllen schien.

Dabei ging es kaum darum, wie mich meine Beschwerden früher in Schule, Ausbildung, Studium beeinträchtigt haben oder aktuell im Alltag und Berufsleben (immerhin bin ich ja noch geringfügig tätig) beeinträchtigen. Das wollte der Ärztliche Dienst der BA zuvor möglichst ausführlich wissen und für eine Entscheidung in der Sache sollten das doch gerade wichtige Punkte sein. Die Geschichte mit dem Vater wurde abgehandelt als "ganz normale Hausarbeit, die wohl jedem von uns zufällt." Verbunden mit der Andeutung, ich wolle ihn damit in irgendeiner Weise manipulieren. Viel mehr hat in interessiert, ob und weshalb ich der Meinung wäre, eine Depression zu haben. Ich habe das nie für eine Meinungsfrage gehalten, denn immerhin sind diesbezüglich ja nach fachlichen Kriterien von qualifizierten Fachleuten Diagnosen getroffen worden. Wie es mir geht und ging weiß ich auch. Mehrfach in die Akutklinik eingerückt bin ich auch nicht, weil mir gerade langweilig gewesen ist. Über zwanzig Jahre bin ich mit der Krankheit dabei. Dann noch biographische Sachen von Lebenslauf über Kindheit bis Geschwister, Alter und Berufe der Eltern, Führerschein, Anzahl der geführten Beziehungen, soziale Kontakte, Hobbys. Vorgeschichte psychischer Krankheiten in der Familie. Andere Erkrankungen meinerseits. Welche Medikamente ich nehme und ob auch schon mal Psychotherapie zum Einsatz gekommen wäre. Was anders sein müsste, damit sich bei mir was verändert. Ob mir mein Minijob gefällt und wie ich mir die Zukunft vorstelle. Als ich ansetzte, dass ich z. B. bei meinem Vater mehr Hilfebedarf kommen sehe und mir das Angst macht, fühlte er sich wieder manipuliert. Da habe ich die ganze Zukunftsfrage einfach sein lassen.

Es war schlicht skurril bis grotesk. Er würde alles noch an diesem Tag fertig machen und der DRV zuleiten. Über den Inhalt oder seine Tendenz dürfe er mir nichts sagen (nachvollziehbar), aber was die DRV daraus mache, müsste man dann sehen. Dann noch irgendwas von wegen Persönlichkeitsstörung, Perfektionismus und Tick am Auge. Kontrollzwänge? Die Medikation wäre seiner Meinung nach okay. Mich würde er gerne in einer Tagesklinik sehen, damit ich mal wieder Feedback bekäme. Dass ich da natürlich im Zusammenhang mit den stationären Aufenthalten im Anschluss auch schon mehrfach gewesen bin: geschenkt! Ich kann mich irren, aber auf mich machte der Gutachter weder einen sonderlich gut vorbereiteten noch besonders interessierten Eindruck.

Ich stelle mich auf alles von Reha bis Widerspruch nach Ablehnungsbescheid ein. Mal sehen, was dann die Einsicht in die entscheidungsrelevanten Unterlagen ergibt. Immer noch mehr in die Mangel nehmen und Bedrängen führt doch eher zu noch mehr Misstrauen und Rückzug als zu vorzeigbaren Erfolgen. Micht hat diese Vorgehensweise über die Jahre bloß immer weniger erreichbar für äußeres Feedback gemacht.

Es grüßt

lt.cable
Guten Morgen,

ich lese gerade über das Interieur beim Gutachter und muss gerade schmunzeln.
Genauso war es bei mir auch.
Ich dachte : "Krass, du bist in den 80ern oder noch weiter zurück."
Allerdings hätte ich dieses Erlebnis für einmalig gehalten.
Meine EMR ist jetzt nach einem Jahr genehmigt worden.
Viele Grüße

Malte

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"Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts."
lt.cable
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Re: Nach Gutachtertermin DRV

Beitrag von lt.cable »

Ahoi!

Heute dann die Ablehnung im Kasten. Habe erst einmal fristwahrend Einspruch eingelegt und Einsicht in alle entscheidungserheblichen Unterlagen beantragt. Die Begründung meines Widerspruchs würde ich dann so zeitnah wie möglich nachreichen.

Bei der AA/Jobcenter nichts geht mehr, bei der DRV und ihrem Gutachter null Problemo. Bei aller Liebe: Mein Zimmer (in der elterlichen Wohnung, mit über 40!) hat vor Haufen und Stapeln kaum noch freien Platz zu bieten und privat wie beruflich habe ich nix auf die Kette bekommen. Mein Studium habe ich derart chaotisch geführt, dass ich für den Großteil der erbrachten Leistungen nicht mal schriftliche Belege habe. Dann dieser Job im Call-Center; zum Schluss war ich da mit den Nerven am Ende und kurz vor dem Zusammenklappen. Seit der Zeit ist der Akku defekt und ich komme nicht wirklich wieder hoch. Dazu seit dem letzen Jahr noch der mehrfach erkrankte, alte Vater, nur noch ein Schatten seiner selbst und mit ziemlicher Sicherheit selbst depressiv oder auch schon etwas geistig beeinträchtigt. Die häusliche Situation damit sehr belastet. Schon beim Gedanken daran, meine Mutter mit dem Vater alleine zu lassen, indem ich endlich meinen eigenen Haushalt führe, krieg ich aber doch nervlich gleich die Krise. Die Hobbys machen lange keine Freude mehr. Ich bin sozial isoliert und bereits innerhalb der Familie komme ich nicht wirklich gut mit den Menschen klar. Nix groß mitbekommen ist da ganz angenehm. Das eigene Leben kommt mir dann nicht so sonderbar vor.

Ach, ich will mich jetzt nicht noch weiter in schlechte Stimmung hinein schreiben. Bloß auf die Beknackten beim Jobcenter habe ich wirklich keinen Bock mehr. Diese Menschenschinder will ich nicht wieder ertragen müssen und irgendwann handgreiflich werden möchte ich ebenfalls nicht. Vielleicht kann ich dem ja entgehen, indem ich für mich irgendeine tragfähige Tätigkeitsnische finde.

Es grüßt

lt.cable
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als schönster aller Schwäne.
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Ifightdepression79
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Re: Nach Gutachtertermin DRV

Beitrag von Ifightdepression79 »

Moin Cable,
du schreibst :"Ich bin sozial isoliert und bereits innerhalb der Familie komme ich nicht wirklich gut mit den Menschen klar."
Dazu möchte ich dir sagen : Du bist nicht allein damit.
Ich bin auch zu 95% allein und fühle mich nur so wirklich sicher.
Zudem bin ich auch über 40 (44) und habe letztlich auch keine Karriere gemacht und Job und Familie vor die Wand gefahren.
Bezüglich EM-Rente wundere ich mich mittlerweile, dass ich da so glatt durchgekommen bin. Zumal die Gutachterin als streng galt.
Ich hoffe eine etwaige Verlängerung wird nicht wieder so kompliziert wie der erste Antrag.
Dir viel Erfolg für deinen Widerspruch 💪.
Viele Grüße
Malte
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Malte

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Re: Nach Gutachtertermin DRV

Beitrag von lt.cable »

Danke für deine Antwort, Malte!

Die ganze Antragstellung erfolgte ja nur, weil man mir das vom Amt aufgezwungen hat. Dann bin ich, wie an der Uni, mit meinen Unterlagen wie Entlassberichten etc. äußerst schlampig umgegangen und konnte vieles gar nicht mehr auffinden. Mit meinen Problemen habe ich mich schon vor Jahren beginnend immer mehr in mich und mein kleines Wohnumfeld zurückgezogen. Heute bin ich ein misstrauischer, kontaktscheuer Mensch, der kaum noch am Leben teilnimmt - schon gar nicht mit Freude oder anderen angenehmen Gefühlen. Ich bin, was mein Leben angeht, einfach nur rat- und orientierungslos. Dass die Jahre weiter so ins Land ziehen, ohne Veränderungen, Hoffnung und bloß noch als Spielball von Behörden bzw. anderen Institutionen, möchte ich mir nicht vorstellen. Aber: Besser nicht zu negativ werden. Es wird sich bestimmt ein gangbarer Weg vorwärts finden lassen.

Gruß

lt.cable
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Re: Nach Gutachtertermin DRV

Beitrag von Ifightdepression79 »

Wünscht du dir mehr Kontakt, we oldies duch einsam fühlst oder tut dir das Alleinsein eher gut oder Beides?
Ich brauche schon soziale Kontakte. Aber 1 mal die Woche reicht mir aus.
Viele Grüße

Malte

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Re: Nach Gutachtertermin DRV

Beitrag von lt.cable »

Ich kann sagen: Völlig aus dem Leben bin ich nicht, allein durch den weiteren Familienkreis und den Minijob. Regelmäßig aber bloß Kontakt mit meinen Eltern. Innerhalb der Familie ist sporadisch eher noch eine geschönte Darstellung der Lage. Funkstille wäre treffender. Ich möchte in meinem Bunker von den erfolgreich berufstätigen Eltern und ihren Kindern nichts hören und sehen und gleichzeitig von allen Radaren verschwinden. Etwas anders nur bei meinem Bruder und seiner jungen Familie: Hier bringe ich mich mehr ein, weil ich denke, dass das so von mir erwartet wird und alles andere letztlich fatal wäre. Mehr eine Vernunftentscheidung, denn gefühlsmäßig geht bei mir schon lange nichts mehr. Zum äußeren noch der innere Bunker sozusagen.

Mal als Einwurf in der Sache: Im Bescheid tauchen wichtige Diagnosen aus der Klinik dort, wo angegeben ist, was bei mir festgestellt worden ist, gar nicht auf. Ich lasse mir von der Klinik nun die Entlassungsunterlagen meiner Aufenthalte erneut zusenden, doch so Sachen wie die Angststörung und die soziale Phobie stehen als Diagnosen, werden aber nicht erwähnt. Kann man Diagnosen behandelnder Ärzte einfach unter den Tisch fallen lassen? Da frage ich mich, ob der Gutachter die Klinikbriefe überhaupt gelesen hat.
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Re: Nach Gutachtertermin DRV

Beitrag von Nachtmensch »

In keinen meiner Bescheide von DRV, MD der AfA oder Versorgungsamt sind genaue Diagnosen benannt. Aus gutem Grund, denn die unterliegen der Ärztlichen Schweigepflicht und gehen ja niemanden was an, wenn ich einen Bescheid bei jemandem Vorlegen muss, um beispielsweise eine Leistung zu beantragen. Da ist dann halt von psychischer oder körperlicher Minderbelastbarkeit oder ähnlichem die Rede, was halt nicht näher ausgeführt wird.

Ob der Gutachter Deine Befunde gelesen hat, ist also tatsächlich nur durch Einsicht in dessen Gutachten nachvollziehbar. Und selbst wenn in der Anamnese die Diagnosen zu finden sind, könnte der Gutachter trotzdem zu einem anderen Ergebnis kommen, was die aktuelle Gesundheitliche Situation angeht. Das müsste aber im Gutachten dann auch ausgeführt sein.
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Re: Nach Gutachtertermin DRV

Beitrag von lt.cable »

Na, die rezidivierende Depression sowie eine sog. kombinierte Persönlichkeitsstörung sind in dem Schreiben explizit so genannt. Diskret ist das nicht, also hatte ich mich gewundert, warum der Rest weggelassen wird. Dürfen in Bescheiden Diagnosen denn gar nicht so offen benannt werden? Dein Argument, Nachtmensch, leuchtet ja ein. Daran, dass im öffentlichen Teil des BA-Gutachtens diese medizinischen Infos auch aus gutem Grund nicht stehen, hatte ich nicht gedacht. War aber tatsächlich so.
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Nachtmensch
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Re: Nach Gutachtertermin DRV

Beitrag von Nachtmensch »

Also bei der BA ist das tatsächlich Pflicht, keine genaue Diagnose zu nennen. Ob es bei Versorgungsamt und DRV pflichtgemäß so ist, weiß ich nicht. Aber beim Versorgungsamt bei meinem Bescheid ist es so, dass also keine ICD Diagnose genau genannt wird. Beim EMR Bescheid müsste ich jetzt tatsächlich mal schauen, aber auf den Verlängerungen stehen auch keine Diagnosen drauf. Aber mir ist das eigentlich auch recht egal, denn letztendlich bekommen das ja nur diejenigen zu sehen, die ein berechtigtes Interesse haben und von denen ich ja im Endeffekt auch was will. Scham bezüglich meiner Erkrankungen habe ich schon lange abgelegt. Auch was Befunde angeht, erteile ich lieber Schweigepflicht Entbindungen, als alles immer in Kopie beizufügen. Damit erspare ich mir jedenfalls arbeit und im Prinzip sind dann die Interessenten ja auf dem neuesten Stand, wenn sie die Infos bei der Quelle abrufen. Abgesehen davon, falls jemand dann doch von mir ein Schriftstück will, dass benötigt wird, soll man es halt anfordern. Dann schicke ich es ja auch gerne.
lt.cable
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Re: Nach Gutachtertermin DRV

Beitrag von lt.cable »

Seit heute liegen mir die Unterlagen vor. Ich mache mir letztlich keine Illusionen dahingend, dass sich im Widerspruchsverfahren noch etwas an der Einschätzung der DRV ändert. Wahrscheinlich bin ich halt nicht krank genug. Doch das Gutachten sieht tatsächlich so aus, als gäbe es dafür reichlich wenig Vergütung. Viel Motivation, da irgendwelche Sachverhalte, ob medizinische oder anders gelagerte, aufzuklären, ist weder beim Gutachter noch bei der DRV zu erkennen.

Wie ich mit all dem umgehe und ob ich zumindest den Widerspruch noch begründe, werde ich nach genauerer Prüfung der Unterlagen entscheiden.
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Nachtmensch
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Re: Nach Gutachtertermin DRV

Beitrag von Nachtmensch »

Ich denke, ich würde dieses Gutachten meinem behandelnden Arzt zeigen und mir eine entsprechende Stellungnahme, falls es tatsächlich so daneben liegt, geben lassen. Die dann als Begründung einsenden und dann heißt es abwarten, was kommt.
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Re: Nach Gutachtertermin DRV

Beitrag von lt.cable »

Danke für deine Rückmeldung!

Ich habe zunächst mal das Gutachten und die Leitlinien für sozialmedizinische Begutachtung der DRV mit ausführlichen Informationen zu den Anforderungen an die sozialmedizinische Beurteilung von psychischen und Verhaltensstörungen nebeneinander gelegt. Ein Urteil hauptsächlich ausgehend vom eigenen Eindruck der Tagesform des zu Begutachtenden beim Gutachter ist demnach noch lange kein Gutachten. Die mangelnde Würdigung des aktuellen wie langfristigen Einflusses meiner Erkrankung auf Schule, Beruf, Studium, Privatleben und Teilhabe hatte mich ja schon während des Gesprächs irritiert - und das wohl auch mit einer gewissen Berechtigung.

Wichtig ist für mich, dass ich hoffentlich die alten Klinikunterlagen erneut bekommen kann. Die hat auch mein Psychiater nämlich nicht, weil ich damals noch nicht Patient in seiner Praxis war.

Ich beschäftige mich dosiert und Stück für Stück mit der Sache. Merke nämlich jetzt bereits wieder, dass bei mir morgens mit dem Aufwachen sofort die gedankliche Beschäftigung mit dem Gesamtkomplex DRV und Ämter einsetzt. Kann mich dann sehr schwer davon lösen und auf andere Dinge konzentrieren. Verdauungsprobleme, mehr körperliche Schmerzen und dieser ungerichtete Bewegungsdrang inklusive. Ach ne.
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Re: Nach Gutachtertermin DRV

Beitrag von Nachtmensch »

Mit älteren Klinik oder auch ärztlichen Befunden ist das so eine Sache. Von Interesse sind die meistens nur wenn sie aufzeigen das eine Erkrankung chronisch ist und tatsächlich auch keine Besserung zu erwarten ist. Wichtig ist es wohl, immer aktuelle Befunde zu haben, aber letztlich liegt es an der entsprechenden Institution. Bei einer Bekannten von mir, waren dem Versorgungsamt schon Befunde von vor 9 Monaten, nicht aktuell genug. Da kann man schon eine gewisse Willkür unterstellen.

Die Leitlinien der DRV habe ich mir auch mal auf der Seite der DRV heruntergeladen, was ja zum Glück geht. Letztlich kommt es trotzdem nur auf den Arzt an, wie er was beurteilt und ob er es richtig beurteilt.

Irgendwann kommt der Zeitpunkt, da kann man ohne rechtliche Schritte wohl nicht mehr zu einer Lösung finden und die sollte man dann auch gehen. Allerdings zermürbt das ja zusätzlich und die Zeit ist da meist auf Seiten der Institutionen.
Es hilf wirklich nur, ausreichend Befunde vorlegen zu können, die einen Gutachter wenn nötig durch einen anderen Gutachter zu widerlegen. Leider geschieht das, wenn überhaupt, oft erst wenn etwas vor Gericht landet und das Gericht tatsächlich einen unabhängigen Gutachter bestellt.

Meine Bekannte bekam jetzt wegen Ihrem Anliegen vom VDK die Empfehlung, die Sache nicht weiter zu verfolgen und nächstes Jahr einen neuen Antrag zu stellen und bis dahin genug aktuelle Befunde zu sammeln. Also den Kampf gegen Windmühlen aufzugeben und neu zu beginnen, in der Hoffnung, dass dann Flaute herrscht. Obs das sein kann, ich weiß es nicht, aber sie wirds so machen. Recht haben, bedeutet halt nicht, auch Recht zu bekommen, aber das ist ja nichts außergewöhnliches.
lt.cable
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Re: Nach Gutachtertermin DRV

Beitrag von lt.cable »

Die Leitlinien sollten alle Betroffenen sich abspeichern. Ein sehr interessantes Dokument.
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- Charles Lewinsky
lt.cable
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Re: Nach Gutachtertermin DRV

Beitrag von lt.cable »

So, nun ist der Widerspruch auch begründet.

Eine andere Frage, wenn es beim bisherigen Bescheid samt Gutachten bleibt: Wie bringt man das Jobcenter dazu, die von deren Ärztl. Dienst als solche anerkannten Vermittlungseinschränkungen (anhaltend psychisch-mental minderbelastbar; unbedingt konstante Arbeitsbedingungen erforderlich) auch zu berücksichtigen? Jemand Erfahrung damit?

Es grüßt

lt cable
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Nachtmensch
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Re: Nach Gutachtertermin DRV

Beitrag von Nachtmensch »

Falls Du annimmst, dass es nur noch Vermittlungsvorschläge gibt, die deinem Leistungsbild entsprechen, kann es trotzdem auch welche geben, die das eben nicht berücksichtigen. Kommt halt auf den Sachbearbeiter an, der die Vorschläge macht. Da hilft es dann nur, sollte man sich nicht bewerben, dies entsprechend zu begründen und hoffen, dass es künftig passendere Vorschläge gibt. Alternativ kann man sich ja auch einfach bewerben und spätestens beim Vorstellungsgespräch wird sich zeigen, ob man den Job leisten könnte. Mehr Möglichkeiten fallen mir da auch nicht ein. Gänzlich untätig sein, dürfte in androhen oder durchsetzen von Sanktionen münden und das wäre ja eher schlecht.
Reziprok
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Re: Nach Gutachtertermin DRV

Beitrag von Reziprok »

Hi lt.cable,

wenn Du schriftliche Vermittlungsvorschläge erhältst, deren Anforderungsprofil Du eindeutig nicht erfüllen kannst wegen Deiner vom Ärztlichen Dienst (ÄD) festgestellten gesundheitlichen Einschränkungen, würde ich gegen den Vermittlungsvorschlag einen von Dir begründeten Widerspruch einlegen - mich also im Widerspruchsschreiben auf die entsprechenden Angaben im Gutachten des ÄD's beziehen, die Dir die Ausübung der vorgeschlagenen Tätigkeit eindeutig unmöglich machen.

Eine solche Tätigkeit wäre dann im rechtlichen Sinne für Dich nicht zumutbar.

Damit Du konkret nicht zu Deinen gesundheitlichen Einschränkungen passende Vermittlungsvorschläge nachweisbar ablehnen darfst ohne deswegen sanktioniert zu werden, benötigst Du vom ÄD die beiden Teile des Gutachtens über Dich:

Teil A und Teil B.

Teil A erhält normalerweise Dein(e) Arbeitsvermittler/in vom ÄD und automatisch auch Du. In Teil A stehen eher allgemeine Dinge drin wie die Zahl der Stunden, während der Du täglich als erwerbsfähig giltst für die nächsten 6 Monate oder auch länger.

Teil B enthält konkrete Beschreibungen der Art Deiner Leistungseinschränkungen, also z. B. Diagnosen usw.

Falls Du noch nicht über Teil B verfügst, solltest Du ihn Dir beim ÄD unter Vorlage Deines Personalausweises abholen können.

Nachtrag: Oder liegt Deinem Jobcenter die Bewertung Deiner Erwerbsfähigkeit durch die DRV vor? Die DRV stellt doch so genannte sozialmedizinische Leistungsfeststellungen o. ä. in Form eines DIN-A4-Bogens aus, glaube ich.

Zum Begriff "Widerspruch":

Der Widerspruch gegen Vermittlungsvorschläge ist nur dann zulässig, wenn es sich bei dem jeweiligen Vermittlungsvorschlag um einen so genannten Verwaltungsakt handelt.

Einen Verwaltungsakt erkennt man daran, dass er eine so genannte Rechtsbehelfsbelehrung (nicht zu verwechseln mit der "Rechtsfolgenbelehrung", siehe weiter unten) enthält.

In Rechtsbehelfsbelehrungen wird der/die Empfänger/in des jeweiligen Behördenschreibens darauf hingewiesen, dass er/sie gegen das Schreiben innerhalb einer gewissen Frist Widerspruch einlegen kann.

Wenn ein Behördenschreiben keine Rechtsbehelfsbelehrung enthält, wäre der schriftliche Widerspruch dagegen unzulässig, das heißt, die Behörde, die das Behördenschreiben erstellt hat, würde einen gegen das Behördenschreiben eingereichten Widerspruch als unzulässig verwerfen.

Jetzt weiß ich nicht mehr, ob es sich bei den Vermittlungsvorschlägen der Jobcenter (immer) um Verwaltungsakte handelt, auf denen mindestens teilweise Rechtsbehelfsbelehrungen aufgeführt sind.

Zum Begriff der Rechtsfolgenbelehrung:

So weit ich mich erinnern kann, stellen die Jobcenter Vermittlungsvorschläge entweder mit einer jeweils darin aufgeführten Rechtsfolgenbelehrung aus oder eben nicht. Im letztgenannten Fall enthalten diese Vermittlungsvorschläge keine Rechtsfolgenbelehrungen.

Rechtsfolgenbelehrungen auf Vermittlungsvorschlägen beschreiben die Folgen, die entstehen, wenn der/die Empfänger/in des betreffenden Vermittlungsvorschlags sich ohne Vorliegen eines so genannten wichtigen Grunds auf das Stellenangebot, das in dem Vermittlungsvorschlag genannt ist, nicht bewirbt oder das Zustandekommen des damit verbundenen Beschäftigungsverhältnisses vereitelt. Mit diesen Folgen sind natürlich Sanktionen gemeint, die seit Einführung des Bürgergelds jetzt "(Leistungs-) Minderungen" heißen.

Wenn ein Vermittlungsvorschlag keine Rechtsfolgenbelehrung enthält, bedeutet das nicht zwingend im Umkehrschluss, dass eine Nichtbewerbung auf diesen Vermittlungsvorschlag keine Leistungsminderung zur Folge haben kann.

Siehe hierzu die Fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit zum § 31a SGB II auf https://www.arbeitsagentur.de/datei/fw- ... 015902.pdf , dort im Abschnitt "Kenntnis über die Rechtsfolgen (Rz. 31.15)" auf Seite 10 (Seitenangabe gemäß der Seitenzählweise im PDF-Dokument selbst).

Auf der gleichen Seite 10 in diesem PDF-Dokument fängt etwas weiter unten das Kapitel "2.5 Beurteilung eines wichtigen Grundes" an, dieses Kapitel könntest Du Dir vielleicht auch mal durchlesen.

Die erste Pflichtverletzung innerhalb von 12 Monaten aufgrund z. B. einer Nichtbewerbung auf einen Vermittlungsvorschlag, ohne hierfür einen so genannten wichtigen Grund gehabt zu haben, führt übrigens zu einer Sanktion ("Minderung") in Höhe von 10% des Regelsatzes für die Dauer von 3 Monaten. Früher, vor Einführung des Bürgergeldes, betrug eine solche Sanktion 30%.

Falls Du Dir die dazugehörigen Gesetze Dir anschauen möchtest:

§ 31 Pflichtverletzungen: https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_2/__31.html
§ 31a Rechtsfolgen bei Pflichtverletzungen: https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_2/__31a.html
§ 31b Beginn und Dauer der Minderung: https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_2/__31b.html

Viele Grüße

Reziprok

PS: Alle Angaben hier auch ohne jegliche Gewähr, aber nach bestem Wissen und Gewissen gemacht.
lt.cable
Beiträge: 541
Registriert: 5. Mär 2008, 20:55
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Re: Nach Gutachtertermin DRV

Beitrag von lt.cable »

Ahoi!

Nur als kurze Rückmeldung: Heute den Bescheid mit der Zurückweisung des Widerspruchs erhalten. Die Details erspare ich mir und euch, da ich damit unter die Sache aktuell einen Schlussstrich ziehe. Klarheit ist mir momentan lieber als wieder neue Ungewissheit und für weitere Auseinandersetzungen habe ich keine Nerven und auch keine Energie mehr. Lieber werde ich schauen, ob ich beruflich mindestens in Teilzeit und von Ämtern und Behörden weg komme. Ich kann die tägliche Angst vor der Post nicht mehr ertragen. In meiner Nebentätigkeit habe ich vielleicht die Chance, mich stundenmäßig zu vergrößern. Da weiß ich, dass Inhalt, Arbeitsbedingungen und Kundschaft mir ganz gut liegen. Das scheint mir jetzt die beste Strategie zu sein.

Danke für alle Anteilnahme und sämtliche Beiträge hier! Euch weiterhin alles Gute!

Es grüßt

lt.cable
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