Kleine Geschichte zum bewerten

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Der Alte
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Registriert: 16. Jan 2024, 15:57

Kleine Geschichte zum bewerten

Beitrag von Der Alte »

Hallo Ihr lieben.
Ich bin Jürgen, 52 und neu hier. Ich hab eine kleine Geschichte geschrieben und wollte gerne mal eure Meinung dazu hören, weiß halt nicht, wen ich sonst fragen könnte. Falls es hier unpassend erscheint, dann einfach löschen oder mir ein Zeichen geben, dann editiere ich den Beitrag.
Vom Texten oder Schreiben hab ich gar keine Ahnung, würde aber gerne eure Kritik dazu bekommen, ungefiltert und ehrlich.
Ich möchte noch kurz anmerken, das ich rechtschreiblich ehr sehr schwach bin und das ganze durch eine Korrektur hab laufen lassen, es sollte so gehen. Keine Angst, das hat schon mit dem Thema hier zu tun, also los gehts.

Vom Ertrinken, oder wie ich fast ertrunken wäre.

Mit 3 oder 4 Jahren – ich weiß es nicht genau – wäre ich beinahe in einem See ertrunken. Meine Eltern standen am Ufer und unterhielten sich mit Freunden, während ich im seichten Wasser spielte. Dort gab es auch Wurzeln eines nahestehenden Baumes, über die ich wohl gestolpert und mit dem Gesicht ins Wasser gefallen bin. Eigentlich hätte nichts passieren können, denn dort war es vielleicht gerade mal 20 cm tief. Doch bei Kindern gibt es einen Totstellreflex in solchen Situationen. In diesem unglücklichen Fall blieb ich regungslos mit dem Gesicht im Wasser liegen, obwohl ich einfach nur hätte aufstehen müssen. Zum Glück standen meine Eltern nicht weit weg und bemerkten die brenzlige Situation rechtzeitig. Alles ist nochmal gut gegangen, sie haben mich gerettet, und ich blieb unversehrt.
Seitdem ist Wasser nicht mein Element. Als Kind wurde ich nicht gerne nass gespritzt, fing gleich an zu heulen, und Schwimmen habe ich erst spät gelernt. Ich bin auch kein sehr guter Schwimmer, aber es reicht, um sich über Wasser zu halten. Im jugendlichen Alter bin ich gerne an den See gefahren, habe mit meinen Freunden dort gebadet, Köpper vom Steg gemacht und all das, was man in seinem jugendlichen Leichtsinn so tut – also alles ganz normal. Mit Beginn meiner Berufsausbildung bin ich dann gar nicht mehr schwimmen gewesen, keine Zeit, keine Lust. So war ich dann gut 10 Jahre lang nicht mehr in einem See oder Schwimmbad schwimmen. Erst in einem Italienurlaub fühlte ich mich genötigt zu schauen, ob ich noch schwimmen kann. Schließlich kann man doch nicht ans Meer fahren, ohne darin geschwommen zu sein. Was soll ich euch sagen? Schwimmen verlernt man nicht. Man kann nicht ertrinken, wenn man schwimmen kann, man schwimmt halt einfach, ist wie ein Reflex.
Inzwischen sind schon sehr viele Jahre vergangen, und ich bin ein erwachsener Mann. Mit 30 kam ich auf die Idee, ein Stück Sicherheit in meinem Leben aufzugeben, und wechselte von einer Festanstellung in die Selbständigkeit. Das kostete eine gehörige Portion Mut, und den hatte ich offensichtlich.
Mein Verhältnis zum Wasser und Schwimmen war auch recht ausgeglichen, und so schwamm ich immer längere Strecken. So lange wie das Ufer oder der Beckenrand in der Nähe ist, ist das auch keine große Kunst. Ich weiß nicht, ob ihr den Film "Gattaca" kennt. Dort gibt es eine Szene, die mich sehr beeindruckt hat, sie ist eine Metapher für das Leben. Der Hauptdarsteller schwimmt mit seinem Bruder aufs offene Wasser hinaus. Die beiden haben so eine Art Wettstreit unter Brüdern am Laufen. Wobei Vincent, der Hauptdarsteller, seinem Bruder Anton körperlich unterlegen ist. Trotzdem fordert er ihn immer wieder zum Wettschwimmen heraus. Es geht darum, wer sich traut, am weitesten hinauszuschwimmen. Vincent verliert ausnahmslos immer. Irgendwann sind die beiden Brüder erwachsen, haben einen heftigen Streit, und Vincent fordert seinen Bruder wieder heraus. Diesmal schwimmen die beiden um ihr Leben, und irgendwann kann Anton nicht mehr. Er will umkehren, doch Vincent schwimmt einfach weiter. Anton will sich keine Blöße geben und folgt ihm immer weiter hinaus. Das Wasser ist stürmisch, und Anton droht zu ertrinken. Er will umdrehen, schafft es jedoch nicht mehr. Vincent muss seinen Bruder retten. Er schwimmt mit ihm immer weiter, bis sie ans andere Ufer kommen. Völlig erschöpft muss sich Anton geschlagen geben und kann es sich nicht erklären. Er fragt Vincent, wie er das schaffen konnte. Darauf antwortete ihm Vincent, er habe sich keine Kraft für den Rückweg aufgespart.
Man muss die Szene gesehen haben, um das nachempfinden zu können. Es hatte etwas von "all in", aufs Ganze gehen und auch von "Wenn du fest an dich glaubst, dann kannst du alles schaffen".” Es ist nur eine Frage des Willens."
Ich wollte also auch etwas wagen, sehen, was ich drauf habe, was ich leisten kann, über mich hinauswachsen. Ich fuhr also ans Wasser, an eine Stelle, wo man kein anderes Ufer sehen kann, und ich fing an zu schwimmen. Es war ein tolles Gefühl, das Wasser war glatt und warm. Es lag so eine Aufbruchstimmung in der Luft. Ich kann alles schaffen. Also schwamm ich immer weiter raus, und
mit jedem Zug wurde ich besser. Ich optimierte meinen Schwimmstil, und bald konnte ich kaum noch das zurückliegende Ufer erkennen. Ich schwamm immer weiter und fühlte mich großartig.
Kleinere Stromschnellen durchschwamm ich souverän, und obwohl das Wasser weiter draußen rauer und kälter wurde, kam ich gut voran. Das ging so eine ganze Weile, ich wurde besser und besser. Ich kann gar nicht genau sagen, wann es begann, aber irgendwann beschlich mich ein seltsames Gefühl, eine Art Zweifel, ob ich es schaffen würde bis ans andere Ende zu kommen, oder ob ich doch lieber zurückschwimmen sollte. Nichtsdestotrotz schwamm ich immer weiter, Umdrehen war keine Option. In einiger Entfernung von mir sah ich ein kleines Boot – ein Angler mit seinem Kahn. Ich könnte dort um Hilfe bitten, aber um ehrlich zu sein, war ich dazu nicht im Stande. Ich weiß gar nicht so recht warum. Ich sagte mir, der ist sowieso zu weit weg, bis ich dorthin geschwommen wäre, wäre er schon wieder weg. Irgendwie dachte ich auch, ich schaffe das alleine, war zu stolz, wollte es mir und allen anderen beweisen. Wie sehr ich das noch bereuen würde, ahnte ich da noch nicht.
Doch es dauerte nicht lang, und die ersten Probleme stellten sich ein. Erst war es nur ein Krampf im Fuß, den ich schnell wieder los wurde, nicht zuletzt weil ich ruhig blieb und genug Kraftreserven hatte. Irgendwann schlug auch noch das Wetter um – damit hätte ich rechnen müssen, habe ich aber nicht. Es wurde zunehmend schwerer voranzukommen, irgendwann ging es nur noch darum, sich über Wasser zu halten. Die dunklen und bedrohlichen Wolken schienen an mir zu hängen und mir zu folgen. An Aufgeben war zu diesem Zeitpunkt aber nicht zu denken. Es hieß Zähne zusammenbeißen und durchhalten, den kleinen und großen Wehwehchen keinen Raum und keine Aufmerksamkeit schenken, sonst endet das hier noch ganz böse.
Zwischendurch klärte das Wetter immer wieder auf, und ich dachte, ich kann das doch noch schaffen. Ein bisschen durchatmen, etwas ausruhen, Kräfte einteilen. Denn die nächste Böhe, die nächste Welle, ist schon in Sicht. Und wieder diese Zweifel – jetzt noch versuchen, den Angler wiederzufinden? Nein, schien mir unmöglich, lieber weitermachen. Und was, wenn es noch schlimmer wird? Einfach auf besseres Wetter hoffen.
Ich war nun schon sehr lange im Wasser, viel zu lang. Langsam wurde es Abend und dunkel. Kein Ufer in Sicht. Ich hatte nicht mal eine Ahnung, in welche Richtung ich schwimmen müsste. Ist es so wie beim Laufen, wo man im Kreis läuft, weil ein Bein etwas stärker ist als das andere? Keine Ahnung, und auch keine Reserve mehr, um das Problem zu erörtern. Einfach weiter schwimmen, in die Nacht hinein, ins Dunkle, in Angst und Panik. Langsam wurde mir klar, ich werde das nicht schaffen, ich ertrinke. Und doch immer noch die Hoffnung, ich muss nur lange genug durchhalten, so wie in dem Film, nur nicht aufgeben.
Gegen die Hoffnung treten meine ganzen Zweifel an. Es ist eine epische Schlacht in meinem Kopf entbrannt. Ob ich will oder nicht, mein Kopf führt ein Eigenleben, er denkt was er will und ich kann es nicht abstellen:
“Ich habe von Anfang an alles falsch gemacht, hätte ich doch nur, aber was, wenn doch noch, nein wie denn, das wird nur noch schlimmer werden” so jagt ein Gedanke den anderen, mit dem verzweifelten Versuch doch noch eine Lösung zu finden, eine rettende Idee zu haben. Ich kann viel und sehr schnell denken, und es herrscht Chaos in meinem Kopf.
Ich spinne zig Lösungsansätze durch und keiner davon ist hilfreich oder zielführend.
Und gleichzeitig denke ich überhaupt nichts mehr, error, System überlastet.
Es ist, als ob ich gar nicht mehr ich selbst bin.
Irgendwann mitten in der Nacht geht es nicht mehr weiter, ich habe schon viel Wasser geschluckt, und so manche Welle hat mich nach unten gedrückt. Ist es nun soweit, muss ich jetzt ertrinken? Und wenn schon, ich kann nicht mehr, will einfach nur aufgeben. Dann hat der ganze Spuk hier ein Ende. Und immer noch hält mich irgendetwas über Wasser.
Ich denke an mein eigenes Ich, das am Ufer steht und diesen irren Plan gefasst hat. Ich möchte ihm sagen: Mach das nicht, sei nicht dumm. Doch dafür ist es zu spät. Mir fallen gut gemeinte Ratschläge von anderen ein, was sie zu mir gesagt haben oder gesagt hätten: Du musst die Strecke einteilen, schwimm lieber hier entlang, nein schwimm lieber da entlang.. Die Stimmen in meinem Kopf wissen alles besser, wie man es hätte schaffen können, wie sie selbst schon viel weiter geschwommen sind.

Ich bin halt doch kein guter Schwimmer.

Ich kann sie nicht mehr aushalten, diese ganzen blöden Ratschläge. Kommt, lass uns tauschen, dann müsst ihr hier im Dunkeln allein in der Kälte schwimmen, und ich gebe mal die blöden Tipps, stelle ich mir vor. Ich denke, die meisten wären schon längst ersoffen. Was hilft mir das? Nichts.
Und so vergeht eine Minute nach der anderen, die Zeit verrinnt extrem langsam, und es scheint mir, als ob es immer kälter wird. Obwohl ich eigentlich gar nichts mehr spüre. Ist das gut oder schlecht? Ich weiß es nicht. Hätte ich vorher mal darauf gehört, wie sich das anfühlt, dann wäre ich bestimmt rechtzeitig umgekehrt, würde jetzt in meinem warmen Bett liegen. Solche Gedanken lasse ich besser nicht zu.
Ihr kennt bestimmt das Gefühl beim Joggen, man erreicht irgendwann einen Totpunkt, bis dahin scheint es unglaublich schwer, und von da an läuft man wie ein Roboter, man spürt nichts und läuft einfach immer weiter. Beim Joggen hat man jedoch die Option einfach anzuhalten, wenn es nicht mehr geht, beim Schwimmen ist das keine Option.
Und so schwimme ich immer weiter, ganz ohne Zeitgefühl, es scheint ewig her zu sein, seitdem ich mich das letzte Mal gut gefühlt habe, alles ist nur noch ein einziger Kampf.

Und dann immer diese Hoffnung, bis zum Sonnenaufgang schaffe ich es, dann wird es etwas leichter. Kleine Ziele setzen. Irgendwann muss doch auch diese Nacht zu Ende sein, es kommt mir sprichwörtlich so vor, wie die dunkelste Stunde vor dem Sonnenaufgang. Meine Kräfte sind am Ende, ich möchte aufgeben und loslassen. Dann habe ich es hinter mir. Ich kann nicht mehr. Ich rufe um Hilfe: "Hilfe!" Ist da niemand, der mir helfen kann? “Bitte, ich kann einfach nicht mehr .Bitte helft mir, bitte, bitte, jetzt sofort, holt mich hier raus."
Und dann kommen die Tränen – die Tränen über die Erkenntnis, dass da niemand ist, der mir helfen wird. Ich bin ganz allein. Ich ganz allein, habe das verbockt und muss nun den Preis dafür zahlen. Und ob ihr es glaubt oder nicht, ich weine wie ein kleines Kind. Es überflutet mich, und es fühlt sich gut an. Die Tränen sind warm auf meiner eiskalten Haut, und es löst sich diese Anspannung, immer noch weiter zu müssen, nicht schwach sein zu dürfen und durchhalten zu müssen. Es ist seit langem ein Moment, in dem ich mich wieder spüren kann. Noch lebe und fühle ich mich.
Trotzdem führt kein Weg hier hinaus, oder ich kann ihn einfach nicht sehen. Ich könnte natürlich das machen, was mir die ganzen Ratschlaggeber in meinem Kopf versuchen einzuflüstern, aber eine Garantie dafür, dass das das Richtige ist, gibt es nicht. Im Gegenteil, mir erscheint es völlig falsch. Und so halten mich meine letzten Kräfte über Wasser, ich bin verzweifelt und völlig erschöpft. Ich habe alles gegeben und mir keine Kraft für den Rückweg aufgespart.
Ich habe es nicht geschafft.
Trotzdem werde ich nicht ertrinken, es fühlt sich einfach nur so an. Ich bin auch gar nicht rausgeschwommen, ich bin einfach nur depressiv.
Kante
Beiträge: 25
Registriert: 23. Apr 2021, 19:41

Re: Kleine Geschichte zum bewerten,

Beitrag von Kante »

Hi „der alte“
Schön umschrieben, langer Text mit sehr viel Inhalt. Würde man jemanden eine „schwere“ „Depression“ in einer Geschichte erklären wollen, würde es das ziemlich genau treffen. Einfach immer weiter, die Kraft , der Wille, die Hoffnung , alles versiegt und trotzdem schwimmt man immer weiter, man funktioniert, irgendwie.
Gruß kante
Chris34
Beiträge: 1
Registriert: 16. Jan 2024, 16:17

Re: Kleine Geschichte zum bewerten

Beitrag von Chris34 »

Die Geschichte gefällt mir! Die Beschreibung (Methafer) der Depressionszustandes gut nachzuempfinden. Die Einführung mit der Kindheitsgeschichte vielleicht zu lange und etwas überflüssig?
hundethomas
Beiträge: 1192
Registriert: 28. Aug 2022, 21:04

Re: Kleine Geschichte zum bewerten

Beitrag von hundethomas »

https://www.youtube.com/watch?v=RjXunx_ ... 5zdA%3D%3D

mach was DU am Besten kannst, das ist für alle gut.


lieber Der Alte,

bin auch schon älter und habe schon seit vielen Jahren mit meiner Depression zu kämpfen..........

Auch schon durch viele Ratgeber hindurch, Ärzte, Therapien usw.

Und ich bin dankbar für diese guten Möglichkeiten. Aber auch manchmal überfordert von zu vielen Ratgebern....

Letztendlich muss ich, darf ich für mich das Beste finden.. Manche finden deinen Text gut, andere zu lang, andere zu

kompliziert.......................

Und dazu wünsche ich dir ganz viel Vertrauen zu dir selbst, aber auch Menschen, denen du vertrauen darfst. kannst.........

Auf deiner Schifffahrt durch Dein L e b e n..........Am wichtigsten ist, wie Du dich selbst bewertest......Weil Du dich

selbst am Besten kennst.


liebe Grüße,
Antworten