Gefühle definieren momentan unmöglich

Antworten
Lu2412
Beiträge: 6
Registriert: 2. Okt 2023, 18:23

Gefühle definieren momentan unmöglich

Beitrag von Lu2412 »

Hallo zusammen,

ich schreibe als Frau eines an mittelschweren Depressionen erkrankten Mannes.

Wir sind seit 20 Jahren verheiratet und haben 3 Kinder. Zur Depression meines Mannes komme ich über Umwege… seit Jahren ist die Situation so, dass ich ein Problem damit habe, dass mein Mann zu viel trinkt. Er ist/war extrem erfolgreich im Beruf und sehr fleißig, leistungsorientiert und perfektionistisch, hat alles für uns als Familie aufgebaut.Das Bier wird abends nach getaner Arbeit aufgemacht, es sind grundsätzlich 6 Halbe, also 3 Liter. Tagsüber arbeiten, arbeiten, arbeiten. Er verträgt den Alkohol mal mehr, mal weniger gut, im schlimmeren Fall lallt er beim Essen und wankt durchs Haus. Ich habe das jahrelang verteufelt, verflucht, verurteilt, alleine schon wegen der Kinder.

Die letzten 3 Jahre hatten wir 3 Todesfälle (seine Eltern, mein Vater), waren von der Flut betroffen, hatten Existenzangst wg. Corona.

Im Herbst letzten Jahres hat er schlimme Rückenschmerzen bekommen, konnte nicht mehr arbeiten, wurde krank geschrieben. Als er im Februar wieder gehen sollte, ging es vom Kopf her nicht mehr. Die Diagnose Erschöpfungsdepression, im Juni 3 Wochen Klinik, seit Februar Verhaltenstherapie. Seit er zurück ist, sind wir nur noch am streiten. Er fühlt sich wertlos, auf den Alkohol reduziert, schämt sich, zu wenig gelobt und sagt jetzt, das Problem liegt in der Beziehung. Er fühlt sich in der Familie nicht mehr akzeptiert ( weil wir mit dem Trinken nicht klar kommen) beschimpft mich und unseren ältesten Sohn aufs Übelste und alle schiessen voll zurück. Es werden alle Fehler und Verhaltensweisen von uns beiden aus der Vergangenheit hoch geholt, die vor allem durch die Therapie jetzt ans Licht kommen. Wochenlang kam er wütend nach Hause und hat mich mit dem ersten Satz schon drangsaliert, mich überfordert, alles raus gehauen, was ihn belastet.

Ich habe die volle Akzeptanz für die Krankheit, lerne jeden Tag dazu, weiß, dass er das alles nicht absichtlich getan hat und tut. Ich führe unser Geschäft alleine, kümmere mich um die Kinder und er baut von morgens bis abends sein Elternhaus um, um jetzt da einzuziehen. Jeden Abend mit zu viel Bier vom Bau, entweder Wut, Opferrolle oder Vorwürfe. Wenn ich die Ehe retten möchte, sollte ich jetzt gesprächsbereit sein ( tagsüber) damit er wieder gesund werden kann, verzeihen. Ich bin aber so kaputt, dass ich nur noch meine Ruhe möchte. Und ständig frage ich mich, bin ich gemein? Kann man das verstehen, dass auch ich jetzt erst mal Zeit brauche? Will ich die Ehe retten? Ich fühle mich furchtbar, dass ich es kaum erwarten kann, dass er auszieht, um endlich mal zur Ruhe zu kommen, die Kinder sehen das genau so. Dann können wir sehen, ob wir uns noch mal annähern können, sprechen, Kompromisse finden, uns gegenseitig verzeihen und vertrauen.

Ich würde mich sehr über eure Sicht freuen, ich bin vollkommen ratlos, wie ich ihm das Gefühl geben kann, dass es sich für uns bessert.

Danke fürs Zulesen!!!
Empathie58
Beiträge: 266
Registriert: 23. Okt 2017, 21:48

Re: Gefühle definieren momentan unmöglich

Beitrag von Empathie58 »

Hallo Lu2412,

das Leben Deines Mannes scheint schon vor einigen Jahren aus dem Ruder gelaufen zu sein. Er wusste sich offenbar nicht anders zu helfen als in die Alkoholsucht zu flüchten, weil er "es" (was auch immer) anders nicht glaubte aushalten zu können.

Dann kam auch noch die Depression hinzu.
Lu2412 hat geschrieben: 9. Okt 2023, 15:35Ich würde mich sehr über eure Sicht freuen, ich bin vollkommen ratlos, wie ich ihm das Gefühl geben kann, dass es sich für uns bessert.
Dieses Gefühl wirst Du ihm nicht geben können, weil es nicht in Deiner Hand liegt, Eure Lage zu verbessern. Bei allem Mitgefühl für die Situation Deines Mannes ist er für sein Verhalten selbst verantwortlich und kann es auch nur aus eigenem Antrieb ändern. Der fehlt vermutlich im Moment, nicht zuletzt aufgrund seiner Depression.

Du spürst bereits, dass Deine Kräfte allmählich nachlassen und Du diese zermürbende Situation nicht mehr lange wirst aushalten können. Für Dich ist jetzt Selbstfürsorge wichtig, damit Dein Mann Dich nicht mit in sein Tief zieht. Hast Du therapeutische Unterstützung? Vielleicht hilft Dir auch der Austausch mit anderen Angehörigen alkoholkranker Menschen. Dort bist Du mit Deinen Sorgen nicht allein.

Ich wünsche Dir viel Kraft für den Weg, der vor Dir liegt.

Liebe Grüße
Empathie58
Sofonisba
Beiträge: 22
Registriert: 8. Okt 2023, 18:22

Re: Gefühle definieren momentan unmöglich

Beitrag von Sofonisba »

Lu2412 hat geschrieben: 9. Okt 2023, 15:35 Es werden alle Fehler und Verhaltensweisen von uns beiden aus der Vergangenheit hoch geholt, die vor allem durch die Therapie jetzt ans Licht kommen. Wochenlang kam er wütend nach Hause und hat mich mit dem ersten Satz schon drangsaliert, mich überfordert, alles raus gehauen, was ihn belastet.
Klingt für mich nicht nach einer gelungenen Therapie, wenn er heimkommt und dir alles vor die Füße kotzt. Therapeuten, die ihre Klienten aufhetzen, machen etwas falsch, wenn du mich fragst. Es geht nicht um Schuldzuweisungen, das bringt gar nichts.

Ich kann verstehen, dass du nur noch darauf wartest, dass er auszieht. Das hält ja keiner aus. Ich glaube nicht, dass du auf ihn zugehen musst, er soll erstmal mit sich selbst ins Reine kommen. Du bist nicht seine Therapeutin. Du und die Kinder, ihr solltet euch selbst schützen. Ihr könnt niemandem helfen, wenn es euch selbst schlecht geht.
Lu2412
Beiträge: 6
Registriert: 2. Okt 2023, 18:23

Re: Gefühle definieren momentan unmöglich

Beitrag von Lu2412 »

Ich habe nächste Woche endlich einen Termin bei einer Psychologin, die als Sucht- und Lebensberaterin arbeitet.
Bei dem Therapeuten meines Mannes war ich 2x mit, er macht einen netten Eindruck und ich glaube, er geht gezielt auf das momentane Empfinden meines Mannes ein. Leider hat mein Mann mir vorgeworfen, dass er in seiner Therapie anstatt das eigentliche Problem anzugehen, nämlich nicht mehr am Patienten arbeiten zu können, jetzt auch noch eine Sucht- und Eheberatung draus machen zu müssen. Und da liegt dann der Hund begraben, wenn er alleine geht. Der Therapeut sieht den armen Menschen, dessen Werte von mir „nicht akzeptiert“ werden. Das tue ich sehr wohl, zu einer Ehe gehören aber immer 2 und im besten Fall schließt man Kompromisse und begegnet sich auf Augenhöhe. Er will seine Meinung durchsetzen und wertet mich dabei ab um sich aufzuwerten. Und ja, ich weiß, was Narzissmus ist. Der Mann, der Abends nach Hause kommt und ein paar Bier zu viel hat, ist ein völlig anderer Mensch, als der tagsüber. Was der Therapeut aber sagt, ist, dass es unfair von mir ist, mit meinem Mann zu streiten, jetzt wo er verletzlich ist. Und da hat mein Mann sich momentan rein gefressenen und sagt, dadurch dass ich immer wieder den Alkohol anspreche, käme er nicht zur Ruhe und ich würde ihn nur aufs Trinken reduzieren. Die Trinkerei verschlimmert die Depression aber extrem. Ich kann da null mehr mit umgehen. Mein Mann sagt, dass wenn er erst mal alleine ist und seine Ruhe hat, er nicht mehr trinkt. Ich bin echt gespannt, was die Suchtherapeutin sagt. Ich will keine Absolution, ich will nicht Recht haben, ich möchte, dass mein Mann wieder gesund wird…
Sofonisba
Beiträge: 22
Registriert: 8. Okt 2023, 18:22

Re: Gefühle definieren momentan unmöglich

Beitrag von Sofonisba »

Lu2412 hat geschrieben: 10. Okt 2023, 10:47Was der Therapeut aber sagt, ist, dass es unfair von mir ist, mit meinem Mann zu streiten, jetzt wo er verletzlich ist. Und da hat mein Mann sich momentan rein gefressenen und sagt, dadurch dass ich immer wieder den Alkohol anspreche, käme er nicht zur Ruhe und ich würde ihn nur aufs Trinken reduzieren.
Klingt für mich total unprofessionell. Ein Therapeut, der seinen Klienten bei den Schuldzuweisungen an seine Frau bestärkt?? Das kann jeder Saufkumpel auch, dazu braucht man keinen Therapeuten.
hopstobs
Beiträge: 89
Registriert: 17. Jul 2023, 14:28

Re: Gefühle definieren momentan unmöglich

Beitrag von hopstobs »

Glaube niemals dem Versprechen eines Suchtkranken mit der Sucht aufzuhören, verlasse dich nur auf Taten. Die Sucht ist dann überwunden, wenn kein Tropfen mehr getrunken wird. "Ich hab das im Griff", "Ich reduziere das", "Danach höre ich wirklich auf", alles leere Versprechen, die Sucht ist stärker als der Wille, mit dem Willen allein ist das nicht zu schaffen.
Lu2412
Beiträge: 6
Registriert: 2. Okt 2023, 18:23

Re: Gefühle definieren momentan unmöglich

Beitrag von Lu2412 »

Mmhhh… mir sagt er, dass die Depression mit dadurch entstanden ist, dass ich nicht wertschätze, wie viel er doch leistet und arbeitet und das alles nur für uns und dass ich ihn nur auf den Alkohol reduziere. Deswegen bin ich ja sein Problem. Und auch die Kinder, für ihn sind das 4 gegen 1.
Mir nützt aber alles Materielle nichts, wenn ich keinen „geschützten“ Raum abends zu Hause habe. Mir kommt es so vor, als ob ich nicht nur die Verantwortung für die Trinkerei sondern auch für die Depression übernehmen muss.
hopstobs
Beiträge: 89
Registriert: 17. Jul 2023, 14:28

Re: Gefühle definieren momentan unmöglich

Beitrag von hopstobs »

Das schlechte Gewissen dass du an der Depression deines Partners schuld bist musst du nicht haben und es ist unfair, dich dafür verantwortlich zu machen. Damit versucht er alle Verantwortung auf dich abzuwälzen und dich für sein Glück verantwortlich zu machen. Lass dir das nicht gefallen und zeige Grenzen auf. Auch für seine Sucht bist du nicht verantwortlich. Jeder ist für sein eigenes Wohlergehen selbst verantwortlich. Dass ihm nicht gefällt, was du an seinem Verhalten aufzeigst kann ich verstehen, denn damit sieht er eine Seite von sich im Spiegel die nicht schön ist. Aber es ist seine Baustelle und seine Probleme, du trägst schon genug mit Kindern und dem Ertragen der momentanen Situation, in einem Maße, dass es dich bereits soweit an den Rand deiner Kräfte bringt, dass du Hilfe suchst. Du gibst also eigentlich schon zu viel.
Lu2412
Beiträge: 6
Registriert: 2. Okt 2023, 18:23

Re: Gefühle definieren momentan unmöglich

Beitrag von Lu2412 »

Heute der nächste Schlag in die Magengrube… der Therapeut ist der Meinung, dass ich unverschämt bin, dass ich meinem Mann die letzten Jahre vorhalte. Dass ich das Verhalten meines Mannes doch geduldet und akzeptiert hätte. Dass es einfacher gewesen wäre, heile Welt zu spielen und meinen Mann glauben zu lassen, dass das für mich in Ordnung gewesen wäre. Und das eine räumliche Trennung, ob auf Zeit oder mit der Erkenntnis für immer, unumgänglich ist. Das ist ein richtig blödes Gefühl. Ich soll mir jetzt überlegen, wo die Fehler bei mir liegen, weil ich ja auch aus einer kaputten, manipulativen Familie käme. Mein Mann ist auf einem guten Weg zu gesunden. Und ich? Weiß nicht, was ich will, wer ich bin und was ich machen soll.
Empathie58
Beiträge: 266
Registriert: 23. Okt 2017, 21:48

Re: Gefühle definieren momentan unmöglich

Beitrag von Empathie58 »

Lu2412 hat geschrieben: 13. Okt 2023, 12:15Heute der nächste Schlag in die Magengrube… der Therapeut ist der Meinung, dass ich unverschämt bin, dass ich meinem Mann die letzten Jahre vorhalte. Dass ich das Verhalten meines Mannes doch geduldet und akzeptiert hätte. Dass es einfacher gewesen wäre, heile Welt zu spielen und meinen Mann glauben zu lassen, dass das für mich in Ordnung gewesen wäre.
Hat der Therapeut Dir das selbst so gesagt oder handelt es sich um die "Übersetzung" Deines Mannes?

Falls der Therapeut sich tatsächlich in dieser Weise geäußert haben sollte, empfinde ich das als übergriffig. Es steht ihm nicht zu, jemandem Schuld zuzuweisen. Ihr habt beide jeweils Gründe, weshalb Ihr Euch so und nicht anders verhalten habt, da gibt es nichts zu bewerten oder gar zu verurteilen.
Lu2412 hat geschrieben: 13. Okt 2023, 12:15Mein Mann ist auf einem guten Weg zu gesunden. Und ich? Weiß nicht, was ich will, wer ich bin und was ich machen soll.
Ich habe nicht den Eindruck, dass Dein Mann auf einem guten Weg ist zu gesunden. Solange er keine Verantwortung für sich und sein Handeln übernimmt, wird er auch nichts gravierend verändern können.
Lu2412
Beiträge: 6
Registriert: 2. Okt 2023, 18:23

Re: Gefühle definieren momentan unmöglich

Beitrag von Lu2412 »

Nein, nicht zu mir, aber genau so zu meinem Mann.
Der fängt jetzt an, Verantwortung zu übernehmen. Indem er sagt, es ist so viel, oder eigentlich alles durch unser beider Verhalten kaputt gegangen, dass er auszieht und sich dann um sich kümmern kann. Er hätte das schon oft in Erwägung gezogen, aber dann hätte ich ihm leid getan und er hat weiter gemacht, wie all die Zeit vorher auch. Er sagt, ich muss mit den Vorwürfen aufhören und mir die Zeit nehmen, mit ihm zu sprechen. Dass ich total kaputt bin, ist zweitrangig. Er deutet mein Verhalten als Trotzreaktion. Wenn genau diese Gespräche aber die letzten Jahre nicht statt gefunden haben, finde ich es gerade super schwierig aus meinem Verhalten raus zu kommen. Ich denke, ich brauche da Unterstützung, die ich ja ab nächster Woche habe.
halo1621
Beiträge: 19
Registriert: 15. Sep 2023, 19:26

Re: Gefühle definieren momentan unmöglich

Beitrag von halo1621 »

Lu2412 hat geschrieben: 13. Okt 2023, 14:25 Nein, nicht zu mir, aber genau so zu meinem Mann.
Ich denke nicht, dass ein professioneller Therapeut so etwas sagen würde, das wäre sehr anmaßend.
Dein Mann verdreht glaub ich einiges, so, dass er nicht Buhmann ist. Habe das schon oft gehört, dass der betroffene nur versteht, was er verstehen möchte
DieNeue
Beiträge: 5339
Registriert: 16. Mai 2016, 22:12

Re: Gefühle definieren momentan unmöglich

Beitrag von DieNeue »

Hallo,

ich finde es auch übergriffig, was der Therapeut gesagt hat. Auf mich macht das, was so über die Therapie geschrieben wurde, sowieso nicht so den besten Eindruck. Aber wenn der Mann jetzt versucht Verantwortung zu übernehmen, ist das an sich ja gut. Das wurde ja erst an ihm kritisiert. Wenn jemand Verantwortung übernimmt, heißt das nur leider nicht, dass er dann so handelt, wie man es sich wünscht.
Dass er jetzt sagt, dass die Vorwürfe aufhören sollen, ist ja schon mal ein Schritt für ihn. Scheinbar hatten die Vorwürfe nicht den gewünschten Effekt, sondern eher negative Auswirkungen. (Wobei ich das mit den Vorwürfen gut verstehen kann, wenn der Mann ständig zu viel trinkt. Da hätte ich auch was dagegen gesagt!)
Dass der Mann nicht kapiert, dass seine Frau völlig fertig ist und das missinterpretiert, ist dann wieder was anderes. Das muss er jetzt noch lernen, dass nur weil er jetzt endlich in die Puschen kommt, nicht alle anderen plötzlich auch den Schalter umlegen können.

@ Lu2412: Ich bin froh, dass du dir auch professionelle Unterstützung geholt hast und das bald losgeht. Eure Situation ist echt schwierig und kommt mir ziemlich verfahren vor. Ich wünsch dir, dass dir die Unterstützung hilft und du wieder Kraft und Zuversicht bekommst.

@ halo:
[quote=halo1621 post_id=662377 time=1697202735
Dein Mann verdreht glaub ich einiges, so, dass er nicht Buhmann ist. Habe das schon oft gehört, dass der betroffene nur versteht, was er verstehen möchte
[/quote]
Ich würde nicht so weit gehen, zu sagen, der Mann verdreht das, was gesagt wurde und versteht nur, was er verstehen möchte.
Manche Angehörige verstehen nämlich manchmal auch nur, was sie verstehen möchten. ;) Da ist keiner besser oder schlechter als der andere.
Das, was man als Angehöriger aus der Therapie mitbekommt, sind ja nur Teilausschnitte, da wird ja vieles noch dazu besprochen, was man als Betroffener manchmal zuhause gar nicht so genau wiedergeben kann. Aber es ist einfach leider so, dass nicht nur die Sicht der Angehörigen richtig ist. Auch die Betroffenen erleben die Angehörigen und deren Verhalten hat eben auch Auswirkungen, manchmal auch nicht die gewünschten, oder wird missinterpretiert.
Grade, wenn dann schlecht miteinander kommuniziert wird, kann es da zu Überraschungen kommen, wie anders die Sichtweise auf bestimmte Situationen ist.
Das heißt nicht, dass ich das Verhalten des Mannes gut finde. Ich denke nur, dass man da keine voreiligen Schlüsse ziehen sollte.

Liebe Grüße,
DieNeue
Lu2412
Beiträge: 6
Registriert: 2. Okt 2023, 18:23

Re: Gefühle definieren momentan unmöglich

Beitrag von Lu2412 »

Hallo zusammen,

und Hilfe… ich steig nicht mehr durch…

Ich war jetzt 2x bei der Lebensberatung. Hier läuft alles darauf hinaus, dass mir gesagt wird, dass ich mich entscheiden sollte, ob ich weiterhin ein Leben zu „Dritt“, also er, ich und der Alkohol, führen möchte. Was mir im letzten Gespräch hängen geblieben ist, war die Frage, warum ich nicht schon viel früher aus der Ehe ausgebrochen bin. Die kann ich klar beantworten, weil ich meinen Mann liebe.

Jetzt hab ich seitdem folgende Situation… mein Mann schickt mir abends, wenn ich im Bett bin unzählige Nachrichten… wie traurig er ist, dass er mich vermisst, nicht allein sein möchte und dann fangen die Fragen an. Warum bist du so gemein, warum behandelst du mich so schlecht, du brauchst mich nicht mehr, du lachst mit den Kindern und lässt mich nicht teilhaben, du gibst mir keinen Halt.

Letzte Woche 2 heftige Panikattacken. Er dachte, er bekommt einen Herzinfarkt, ist zum Arzt und sagt, dass es der Blutdruck ist. Ausgelöst dadurch, dass ich sein ganzes Leben schlecht geredet hab. Dann kam wieder der Therapeut ins Spiel, der gesagt haben soll, dass mein Mann nicht mehr krank, sondern zutiefst traurig ist. Und dass ich in einer Schuldzuweisungsphase wäre. Er spielt mir den Ball immer wieder zu und setzt noch einen drauf. Gestern Abend, wieder mit jeder Menge Alkohol, hat er mir vor den Kopf geknallt, dass seine Freunde ihn nicht mehr besucht haben, weil ich ein Störfaktor war und er keinen Rückzugsort im Haus hatte. Jetzt würden sie angelaufen kommen, wie die Fliegen und dass ich doch endlich einsehen muss, dass ich mein Verhalten ändern muss. Um noch mal einen drauf zu setzen, dass ich ihn 20 Jahre lang ausgenutzt habe. Die Aussage hat mich zutiefst bestürzt. Und obwohl ich kaum noch Luft bekommen habe, hab ich ihn mit ins Schlafzimmer genommen, ihn festgehalten und gesagt, dass ich immer für ihn da bin. Mein Verstand sagt mir, dass das die Kombi aus Krankheit und Alkohol ist. Mein Gefühl lässt mich zutiefst an mir selbst zweifeln.
Die andere Therapeutin, wo ich jetzt meine Therapie mache, hat mich nach dem ersten Gespräch gefragt, wie lange ich schon mit dem Gefühl lebe, für das alles verantwortlich zu sein… aber ich werde wohl als erstes die Frage stellen müssen, was mit mir nicht stimmt. Wisst ihr, was ich meine? Ich komme nicht umhin zu denken, dass ich anscheinend alles falsch gemacht habe. Und am besten keine eigene Meinung mehr zu unserem gemeinsamen Leben äußere, weil diese falsch ist. Ich bin echt verzweifelt…
Ailin
Beiträge: 10
Registriert: 15. Nov 2023, 13:39

Re: Gefühle definieren momentan unmöglich

Beitrag von Ailin »

Liebe Lu2412,

ich bin eigentlich hier weil meine Tochter depressiv ist, aber was Du über Deinen Mann schreibst kann ich sehr gut nachvollziehen. Mein Ex-Mann hatte wohl jahrelang eine unerkannte Dysthymie, also eine chronische Depression, bei der er noch funktionieren konnte, gearbeitet hat usw. Dazu kam dan über Jahre heimliches Trinken. Damit einhergehend eine Wesensveränderung, die nicht mehr auszuhalten war. Vor ca. 5 Jahren habe ich mich getrennt.
Dann kam erst das Ausmaß seiner Trinkerei richtig zum Vorschein.
Was für mich sehr schwer zu ertragen war, waren seine Vorwürfe. Immer war ich schuld an seiner Misere, obwohl ich doch jahrelang versucht hatte ihn aufzubauen, ihn zu stützen, auch mal zu pushen wenn nötig.
Es ist ein typisches Muster von Alkoholikern: entweder Selbstmitleid (ich Armer, ich brauche Dich doch, keiner hilft mir) oder Vorwürfe (liegt ja immer an den anderen wenn man trinkt).
Als ich den Verdacht auf eine Depression hatte (wie gesagt noch bevor ich das mit der Trinkerei wusste) habe ich ihn mal soweit gebracht, dass er zu einem Therapeuten geht. Als sich gar keine Fortschritte zeigten habe ich ihn dazu gebracht mich mal mitzunehmen und da fiel mir auf, dass er in der Therapie überhaupt nichts von seinen eigentlichen Themen angesprochen hatte. Die Therapeutin war total verwirrt und sagte uns beiden "aber sie haben mir doch gesagt, dass zu Hause alles gut läuft".
Was ich damit sagen will ist: wenn Du es nicht selbst von dem Therapeuten gehört hast würde ich das erstmal nicht für bare Münze nehmen, was er Dir erzählt. Und dieser Vorwurf, Du würdest ihn auf den Alkohol reduzieren: leider ist es nun mal so, dass Alkohol alles beeinträchtigt, was man mal an einer Beziehung hatte. Man kann das nicht rausnehmen und sagen, ich konzentriere mich nur auf meine Arbeitsfähigkeit oder was auch immer. In der Regel ist die Depression/der Alkoholismus (oft in dieser Kombination) doch die Wurzel des Übels.

Du fragst Dich, was mit Dir nicht stimmt? Wahrscheinlich gar nichts. Du hast Dich all die Jahre gekümmert und gekämpft, hast Verständnis und Mitgefühl und schmeisst den Laden für Deine Kinder. Es kann natürlich sein, dass Du "co-abhängig" warst. Das musste ich mich auch fragen. Will heissen: hast Du ihm (bewusst oder unbewusst) dabei geholfen? In einigen Fällen kaufen Frauen ja Alkohol für ihre Männer, entschuldigen sie bei Arbeit und Freunden und ermöglichen so, dass die Fassade intakt bleibt und der Abhängige sich seinem Problem nicht stellen muss.
Ich kann rückblickend für mich sagen, dass es bei mir nie soweit war. Aber ich habe trotzdem einige Zeichen nicht gesehen (oder nicht sehen wollen?) Aber da bin ich inzwischen mit mir im Reinen, denn die Anzeichen waren so wenig und diskret, dass wahrscheinlich die meisten Leute nicht darauf gekommen wären. Wichtig ist, dass Du jetzt, wo es klar ist, Dich nicht selber fertig machst und tust was gut für Dich und die Kinder ist.

Niemand kann Dir raten Dich zu trennen oder zu bleiben. Jeder Fall ist anders. Aber die Verantwortung für sein Handeln übernehmen muss er allein. Das ist sehr schwer zu akzeptieren. Ich versuche meinem Ex manchmal immer noch zu helfen (für unsere Kinder) obwohl ich weiß, dass er es selber tun muss. Ich kann da nicht immer aus meiner Haut. Aber ich habe mich schon besser abgegrenzt und das war bitter notwendig.

Ich wünsche Dir ganz viel Kraft.
Alles Liebe
Ailin
Antworten