Kann man ganz beschwerdefrei werden? Geht eine Episode irgendwann zu Ende?

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moritzzz
Beiträge: 29
Registriert: 19. Jul 2023, 16:46

Kann man ganz beschwerdefrei werden? Geht eine Episode irgendwann zu Ende?

Beitrag von moritzzz »

Hallo zusammen,

ich melde mich mal wieder bei Euch, brauche einfach ein bisschen Zuspruch von der Community und Zuversicht... Bin ja seit 2 Jahren in meiner ersten Episode und erst seit Juli in Behandlung.
Eigentlich habe ich schon ziemliche Fortschritte gemacht, was die Symptomatik angeht... Im Vergleich zu diesem Frühjahr, wo ich gar nicht wusste was mit mir ist und ich einen kompletten Realitätsverlust hatte bzw. vollständig von der Welt abgeschnitten war (Watte im Kopf, Extrem lautes Grübeln, keine Möglichkeit, den Geist zu beruhigen.. Hätte damals eigentlich in die Klinik gemusst, was ich nicht gemacht hab). Jetzt nehme ich seit Juli Escitalopram und das hat den ersten "großen Brocken" beseitigt. Dadurch bin ich jetzt gut fähig für eine ambulante Psychotherapie (VT) die ich seit Juli mache. Mein Psychologe ist immer echt optimistisch, was mich angeht und sagt einfach ich bräuchte ganz viel Geduld bis alles abklingt. Ich bin sehr hart am arbeiten an mir (vor allem daran, nicht zu hart zu mir zu sein und zu viel über meinen miesen Gesundheitszustand nachzugrübeln) aber ich Vergleiche mich und alle die spooky Symptome doch noch sehr oft mit einem früheren "gesunden" Ich (vor allem wenn ich in der Uni bin und da wirklich nur begrenzt Dinge leisten kann.) und bin ständig am Katastrophisieren, dass sich das alles nie ganz bessern wird und ich da für immer in diesem Horror drinsteckte. Auch wenn ich weiß dass es so nicht ist... Oder? Ich meine es ist ja auch schon besser geworden, warum soll es nicht noch besser werden?
Ich bin auch ein sehr sensibler Mensch, wie viele hier vermutlich... und genieße diese sensible Seite eigentlich so sehr an mir (das Gefühl, Stimmungen von anderen schnell und feinfühlig wahrnehmen zu können und so) Aber all diese tollen Eigenschaften an mir werden durch die Depression so stark Blockiert... Ich habe ein so geringes Selbstwertgefühl, das ist wirklich unerträglich,... dabei kenne ich mich ganz anders... Vielleicht habt ihr ja auch ein paar aufbauende Worte. Ich habe nun eine Selbsthilfegruppe an der Uni mit anderen Studierenden mit psychischen Erkrankungen gefunden, das tut mir sehr gut. Kennt ihr dieses Gefühl, wie in euch selbst gefangen zu sein? So als würden eure Gedanken und Eure Aufmerksamkeit nicht nach außen auf die Umgebung gerichtet werden können? gleichzeitig spürt man sich selbst nicht wirklich und im Gespräch mit anderen fühlt man sich wie eine "leere Hülle", die Wörter von sich gibt ohne diese zu "fühlen". Wisst ihr was ich meine? Kann das auch wieder weggehen? Dieses Gefühl, abgeschnitten von der Welt zu sein, halte ich nicht auf Dauer aus...
Oh Mann.. Na ja, an sich Versuche ich, optimistisch zu bleiben. Aber oft ist mir auch einfach nur nach weinen zumute vor allem weil es schon so lange geht und die Welt schon seit 2 Jahren an mir vorbeizieht...Dankbarkeit für die kleinen Fortschritte zu spüren fällt mir schwer.Da greife ich so schnell viel zu hoch..Wie schafft ihr es geduldiger mit euch zu werden?
Na ja.. Viele Grüße und alles Liebe euch.
Moritz
Müllem063
Beiträge: 43
Registriert: 24. Aug 2023, 11:05

Re: Kann man ganz beschwerdefrei werden? Geht eine Episode irgendwann zu Ende?

Beitrag von Müllem063 »

Hey Moritz,

Ich kann das alles mega nachvollziehen, was du schreibst und kann dir leider nicht die goldene Erkenntnis aus dem Erfahrungswissen geben, die du dir wünschst, nur etwas geteiltes Leid.
Ich stecke nun seit 5-6 Monaten in meiner ersten depressiven Episode und leider entwickelt es sich eher zum Schlechten. Schön allerdings von dir zu hören, dass du eine positive Entwicklung wahrnimmst. Bestärkt mich wiederum, den Kopf nicht in den Sand zu stecken.
Und ich merke immer wieder, dass alles, was jetzt in dieser Wucht und Intensität hochkommt, schon lange da war. Ich wünsche mir irgendwie auch einfach mein mehr oder weniger unbeschwertes Leben zurück und andererseits liegt da auch endlich etwas offen, was schon so lange im Verborgenen mein Leben erschwerte.
Daher bin ich zuversichtlich, trotz der negativen, schwankenden Entwicklung, dass es am Ende ein besseres Leben ist, was auf mich wartet und gelebt werden möchte. :-)

Eventuell hilft dir der Gedanke.
Liebe Grüße
Bine09
Beiträge: 16
Registriert: 9. Mär 2023, 23:30

Re: Kann man ganz beschwerdefrei werden? Geht eine Episode irgendwann zu Ende?

Beitrag von Bine09 »

Hi Moritzzz,

lass dir von einer alten Depressionsveteranin mal beruhigend gesagt sein:
eindeutig: Ja. und: Ja!

Also: Ja, sicher kann man wieder ganz beschwerdefrei werden. Nicht nur "kann" - in aller Regel wird man das auch.
Und ja, natürlich geht eine Episode wieder vorbei!

Selbst komplett unbehandelte depressive Phasen gehen irgendwann wieder vorüber. Es gibt unterschiedliche Verläufe, was die Dauer und Häufigkeit betrifft. Und - (bitte kurz das katastrophisierende Denken ausschalten, denn es gibt keinen reelen Hinweis, dass das auf dich zutreffen würde) eine chronische Verlaufsform gibt es zwar, aber die ist nun wirklich nicht die Regel - und selbst die kann behandelt werden und sich zurückbilden in einen beschwerdefreien Zustand. Der episodische Verlauf ist da schon eher die Regel.

Wenn du dann irgendwann symptomfrei bist, kann es auch gut und gerne sein, dass es sehr, sehr lange Zeit so bleibt oder du auch komplett vor einem "Rückfall"/ besser: einer weiteren Episode geschützt bist. Respektive: du dich davor schützt. Hier kommt der Teil zum tragen, auf den dein PT hingewiesen hat: vieles liegt in deiner Hand. (Nicht alles, würde ich sagen, aber eben doch sehr viel) Wie gestaltest du dein Leben und Denken anschließend (oder auch schon: währenddessen!) um - kurzum - wie gut passt du insgesamt auf dich auf (dass du eine Vulnerabilität für Depressionen mitbringst, weißt du ja nun....) und wie gestaltest du deinen Alltag. Es gibt Zeiten im Verlauf einer Phase, da braucht es Geduld, Akzeptanz, die innere "Erlaubnis", nichts leisten zu müssen - und andersherum auch Zeiten, da braucht es ein "trotzdem wieder machen, obwohl ich mich noch nicht so fühle". Wo du gerade stehst, kann ich natürlich nicht sagen.
Was es definitiv nicht gibt: Zeiten, in denen es angebracht wäre, die Hoffnung aufzugeben ist. Fühl dich mal ermutigt und angestubst in Richtung "wird schon wieder".
moritzzz
Beiträge: 29
Registriert: 19. Jul 2023, 16:46

Re: Kann man ganz beschwerdefrei werden? Geht eine Episode irgendwann zu Ende?

Beitrag von moritzzz »

Hallo zusammen,
danke euch für eure aufbauenden Worte. Das bedeutet mir sehr viel und gibt mir sehr viel Kraft. Ich hab heute tatsächlich einen kurzfristig freigewordenen Platz in einer Psychotherapie -Station der Klinik für Psychische Gesundheit in Münster bekommen. das war heute wirklich eine super spontane Nachricht für mich und ich hab entschieden, jetzt erstmal ab Dienstag in die Klinik zu gehen. Mal sehen ob mich das weiter bringt ... Ich bin aber froh, einfach mal rauszukommen und denke, dass mir das helfen wird.
Aber habe natürlich auch einige Sorgen vor der bevorstehenden Zeit: Bin ich überhaupt krank genug für die Psychiatrie? Wie wird der Umgang mit anderen Patienten? Kann ich mich auf meine Therapeuten einlassen? Ist es die richtige Entscheidung jetzt in die Klinik zu gehen (Ich muss dafür mein Studium unterbrechen, was ich in den letzten Zwei Wochen wieder aufgenommen hatte, das hat aber nur sehr bedingt Funktioniert durch die Symptomatik und ich hatte das Gefühl, mich mit dem Studienstart übernommen zu haben) ... Was mir auch echt hilft, ist eine Selbsthilfegruppe von der Uni. Dort bekomme ich das Gefühl, dass es okay ist wenn man für das Studium länger braucht und nur weil ich jetzt wieder einige Zeit im Studium verliere das nicht bedeutet, dass ich meinen Abschluss nie schaffen werde.
Ich denke, meine Gesundheit geht vor, auch wenn ich gerne wieder studieren würde.... Ist ein Bauchgefühl, jetzt erstmal die Klinik zu probieren. Mein Psychotherapeut ist auf meiner Seite, Wir unterbrechen die ambulante Therapie für die Dauer des Klinikaufenthalts.
Viele Grüße und ich freu mich von euch zu hören.
Moritz
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