Was kann ich überhaupt noch tun?

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ninnananna
Beiträge: 9
Registriert: 3. Okt 2023, 20:58

Was kann ich überhaupt noch tun?

Beitrag von ninnananna »

Hallo!

Ich bin neu hier und verzweifelt...

Ältester Sohn, 19 Jahre, letztes Jahr Abitur gemacht, kurz nach dem schriftlichen Abitur schwere Depressionen entwickelt.
Nimmt Antidepressivum, keine Therapie, aber regelmäßig Termine bei Psychiaterin.

Lehnt Klinik oder Tagesklinik komplett ab.
Keine Zukunftspläne, manchmal schon, allerdings scheitert es an seiner Antriebslosigkeit.

Vorhin folgende Situation :

Er weckt mich nachts um mir zu sagen, dass er jetzt in den Keller gehe, um Alkohol zu holen
( Anmerkung :er trinkt nicht regelmäßig Alkohol, raucht nicht, nimmt keine Drogen etc. ).
Ich bitte ihn, das nicht zu tun. Er macht es dann auch nicht, wird mir gegenüber dann aber aggressiv (verbal) und gibt mir die Schuld.(für was?)

Ich sei der Grund, warum er noch hier sei (also leben würde) , er wolle aber auch nicht mit mir reden, ich solle raus gehen (aus seinem Zimmer) . Mein Angebot, bei ihm zu sitzen, falls er doch Redebedarf hat, lehnt er ab, wirft mich aus seinem Zimmer.
Wir haben an sich ein sehr gutes Verhältnis zueinander.

Und dann sitze ich da, aus dem Schlaf gerissen, voller Sorge, dass er sich ggf etwas antun könnte ( er hat immer mal wieder Suizidgedanken) am Ende meiner Kräfte und auch meiner Geduld, so dass ich auch richtig wütend bin.
Mir ständig sagen zu lassen, dass ich angeblich immer noch nicht verstanden habe, dass er nicht will, dass es ihm besser gehe, das macht mich so unglaublich müde und verzweifelt.

Was kann ich denn überhaupt noch tun? Wann kommt die Krankheitseinsicht? Ist der Leidensdruck noch nicht groß genug, weil wir ihm hier zu Hause zu viel "bieten", ihm alles abnehmen, er muss sich quasi um nichts kümmern?
Eine Psychotherapie hat er nach den probatorischen Sitzungen abgebrochen, zu seiner Psychiaterin geht er alle 4 Wochen, manchmal sagt er auch diese Termine kurzfristig ab.
Nur sein Antidepressivum nimmt er regelmäßig.

Seine Freunde fangen jetzt alle ein Studium an, nur er will und kann momentan gar nichts machen, kein Praktikum, nichts. Er sehe sich nirgendwo in 5 Jahren, will einfach nicht mehr existieren.
Er hat viele Interessen, aber wenn es konkret werden soll, dann macht er einen Rückzieher, vermutlich aus Angst zu Versagen (völlig unbegründet, das war beim mündlichen Abi auch so, ich habe ihn quasi durch die Vorbereitung begleitet, motiviert, mit ihm den Stoff wiederholt, ihm Mut zugesprochen, so kurz vor dem Ziel nicht aufzugeben - er hat es mit Bravour bestanden, obwohl er glaubte, versagt zu haben).

Aber jetzt gibt es kein Ziel mehr, jetzt trage ich die "Schuld" an allem.
Morgen oder in ein paar Tagen wird er sich wahrscheinlich bei mir für den heutigen Abend entschuldigen . Die Situation ändert sich dadurch aber nicht.
Ich bin nur langsam wirklich am Ende mit meinem Latein.
Ich habe noch drei weitere(jüngere) Kinder, die mich brauchen, einen Teilzeit Job und einen Ehemann sowie den Haushalt etc...
Mit seiner Psychiaterin stehe ich übrigens telefonisch in engem Kontakt, er hat sie von ihrer Schweigepflicht entbunden und ist einverstanden, dass sie mit mir über seinen Zustand /Therapieverlauf spricht.
Aber ganz ehrlich :es muss bald etwas geschehen, denn irgendwann kann ich auch nicht mehr.
Mountainbiker
Beiträge: 224
Registriert: 19. Sep 2020, 18:15

Re: Was kann ich überhaupt noch tun?

Beitrag von Mountainbiker »

Vielleicht wäre für ihn eine Zeit in einer Jugendwohngruppe eine Lösung. Hat er viele Freunde, ist er in einem Verein?
Mein Eindruck ist, dass er denkt, er habe das alles nicht für SICH geleistet sondern weil er denkt, dass seine Familie das von IHM erwartet, kann das sein?
Das Leben ist wie Radfahren. Man fällt nicht, solange man in die Pedale tritt.
ninnananna
Beiträge: 9
Registriert: 3. Okt 2023, 20:58

Re: Was kann ich überhaupt noch tun?

Beitrag von ninnananna »

Er hat einen besten Freund und drei sehr enge Freunde plus ein paar weniger enge Freunde, also ja, ich würde behaupten, er hat "viele" Freunde und er trifft sich regelmäßig mit ihnen, wobei jetzt ja auch das Semester beginnt und dann wird es ev. etwas umständlicher mit den Treffen, allerdings hören sie sich fast täglich online am Abend.

Kein Verein, kein Sport.

Jugendwohngruppe würde er ablehnen und ich denke nicht, dass das eine Lösung wäre.

Wir setzen ihn nicht unter Druck, er muss nicht studieren, ich fände eine Ausbildung tatsächlich erstmal besser für ihn, wenn er dazu bereit wäre.
Oder erstmal nur mit einem Praktikum oder einem kleinen Nebenjob anfangen?

Wenn es nach ihm ginge, möchte er gar nichts machen (was er momentan ja auch tut), er hat keine Perspektive. Für mich ist das eine Mischung aus Depression und Generationenproblem.

Wir haben auch während der Schulzeit nie auf gute Noten etc gedrängt oder Druck ausgeübt.
Sein Abitur hat er nicht für uns gemacht. Auch seinen Führerschein danach nicht. Wenn er Hilfe brauchte, haben wir ihn unterstützt.

Er hat momentan auch überhaupt kein Selbstwertgefühl, meinte neulich sogar, er sei unterdurchschnittlich intelligent. Ich wünsche mir einfach nur für ihn, dass er da raus kommt, dass wir alle wieder entspannter und ohne große Sorgen den Alltag bewältigen können.

Aber ich habe keine Idee mehr, wie wir ihm helfen können.
Chiemsee2021
Beiträge: 18
Registriert: 22. Nov 2021, 19:04

Re: Was kann ich überhaupt noch tun?

Beitrag von Chiemsee2021 »

Das mit der Krankheitseinsicht bzw. dem Leidensdruck ist tatsächlich etwas, was Dein Sohn selbst spüren muss. Wie sieht denn seine Tagesstruktur aus? Bei meinem Sohn war es in den schlimmen Phasen so, dass er nachts nicht schlafen konnte und deshalb gezockt hat, dafür dann tagsüber wie ein Stein im Bett lag, kaum aus seinem Zimmer kam, weder richtig aß noch sich regelmäßig wusch. Jeder Versuch ihn in eine Tagesstruktur einzubinden, scheiterte. Das einzige was ihm in besseren Phasen gut tat, war Klavier spielen und im Sommer rudern.

Das mit einem Nebenjob finde ich als Idee auch nicht so verkehrt, weil es einfach Struktur schafft. Mein Sohn hat das Glück gehabt ein Teilzeitarbeit aufnehmen zu können, bei der er erst mittags anfangen muss - inzwischen kann er auch wieder früh aufstehen, aber anfangs hatte er wirklich Panik, dass er das nicht schafft, und hat tatsächlich auch Termine etwa beim Arbeitsamt verpennt.

Wenn die Belastung für Dich und die Familie zu groß ist, ist es auch immer wichtig zu sagen, dass Dich die Situation belastet. Mit der Depression fühlt natürlich er selbst sich wahrscheinlich so, dass er nicht viel Empathie für andere aufbringen kann; aber es ist schlicht auch ein Selbstschutz, persönliche Grenzen aufzuzeigen.

Liebe Grüße
ninnananna
Beiträge: 9
Registriert: 3. Okt 2023, 20:58

Re: Was kann ich überhaupt noch tun?

Beitrag von ninnananna »

Chiemsee2021 hat geschrieben: 7. Okt 2023, 16:35 Das mit der Krankheitseinsicht bzw. dem Leidensdruck ist tatsächlich etwas, was Dein Sohn selbst spüren muss. Wie sieht denn seine Tagesstruktur aus? Bei meinem Sohn war es in den schlimmen Phasen so, dass er nachts nicht schlafen konnte und deshalb gezockt hat, dafür dann tagsüber wie ein Stein im Bett lag, kaum aus seinem Zimmer kam, weder richtig aß noch sich regelmäßig wusch. Jeder Versuch ihn in eine Tagesstruktur einzubinden, scheiterte. Das einzige was ihm in besseren Phasen gut tat, war Klavier spielen und im Sommer rudern.
Ja genau, so ist es gerade. Er kann momentan nachts nicht schlafen und zockt oder schaut sich Dokus an.
Wie hast du es bei deinem Sohn geschafft, dass wieder Struktur in den Tag kommt?

Chiemsee2021 hat geschrieben: 7. Okt 2023, 16:35 Das mit einem Nebenjob finde ich als Idee auch nicht so verkehrt, weil es einfach Struktur schafft. Mein Sohn hat das Glück gehabt ein Teilzeitarbeit aufnehmen zu können, bei der er erst mittags anfangen muss - inzwischen kann er auch wieder früh aufstehen, aber anfangs hatte er wirklich Panik, dass er das nicht schafft, und hat tatsächlich auch Termine etwa beim Arbeitsamt verpennt.
Ja, ich hab ihm auch vorgeschlagen, dass Teilzeit auch in einem Nebenjob funktionieren wird, oder ein Praktikum nur ein paar Stunden am Tag...

Chiemsee2021 hat geschrieben: 7. Okt 2023, 16:35 Wenn die Belastung für Dich und die Familie zu groß ist, ist es auch immer wichtig zu sagen, dass Dich die Situation belastet. Mit der Depression fühlt natürlich er selbst sich wahrscheinlich so, dass er nicht viel Empathie für andere aufbringen kann; aber es ist schlicht auch ein Selbstschutz, persönliche Grenzen aufzuzeigen.
Ja, Empathie ist bei ihm gerade nicht vorhanden.. Das macht es so schwierig bzw wir drehen uns die ganze Zeit im Kreis und manchmal muss man auch noch jedes Worat auf die Goldwaage legen.....
Chiemsee2021
Beiträge: 18
Registriert: 22. Nov 2021, 19:04

Re: Was kann ich überhaupt noch tun?

Beitrag von Chiemsee2021 »

Je mehr wir als Eltern das Thema Tagesablauf thematisiert haben, um so mehr fühlte sich unser Sohn unter Druck gesetzt. Er war relativ lange in der Klinik zur Diagnostik, anfangs ging es ihm da auch besser, weil es eine Struktur gab, zur angedachten Vorstellung für eine Wohngruppe kam es dann aber nicht, weil er wegen Regelverstößen aus der Klinik geflogen ist, und seine Medikamente hat er auch nicht genommen.

Wir haben schon Druck gemacht, dass er sich - mit meiner Unterstützung - beim Arbeitsamt meldet und dort Leistungen bezieht. Nach Monaten haben wir Eltern dann beschlossen, endlich mal wieder in Urlaub zu fahren. In der Zeit hat er sich verliebt (und seine Freundin weiß wirklich über alles Bescheid) und probegearbeitet für einen Teilzeitjob. Wir haben uns da eigentlich mehr und mehr zurückgezogen - er hat die Kurve wirklich von selbst bekommen und führt jetzt (soweit ich das sagen kann) ein normales Leben. Und seit er nicht mehr zu Hause lebt, ist unser Verhältnis zwar nicht gut, aber doch einigermaßen entspannt.

Tipps habe ich also nicht wirklich, aber ich wünsche Dir weiterhin viel Kraft
Mountainbiker
Beiträge: 224
Registriert: 19. Sep 2020, 18:15

Re: Was kann ich überhaupt noch tun?

Beitrag von Mountainbiker »

Das denke ist der richtige Weg, dass man sich zurückzieht und nicht mehr alle Probleme aus dem Weg räumt. Einfach mal machen lassen, auch mit Problemen, auch wenn es weh tut. Man kann immer noch eingreifen, wenn es zu viel wird.
Das Leben ist wie Radfahren. Man fällt nicht, solange man in die Pedale tritt.
Sofonisba
Beiträge: 22
Registriert: 8. Okt 2023, 18:22

Re: Was kann ich überhaupt noch tun?

Beitrag von Sofonisba »

ninnananna hat geschrieben: 7. Okt 2023, 02:08 Hallo! so dass ich auch richtig wütend bin.
Das halte ich für eine gesunde Reaktion. Viel besser als Niedergeschlagenheit.
wirschaffendas
Beiträge: 16
Registriert: 3. Sep 2023, 00:13

Re: Was kann ich überhaupt noch tun?

Beitrag von wirschaffendas »

Hallo Ihr Lieben,

wie sich die Geschichten, die Gefühle, die Prozesse doch ähneln! @ninnananna, ich kann Deine Gefühle nach dieser nächtlichen Ruhestörung total gut nachempfinden und denke auch, dass die Wut, die da in Dir hochstieg, eine gesunde, Dichb selbst schützende Reaktion war/ist. Wut ist eine Form der Abgrenzung, hat mir mal jemand gesagt....und zur Zeit lese ich ein Buch zum Thema "Wutkraft" um zu lernen, sie besser zu zeigen und konstruktiv (!!!) einzusetzen. Ich möchte schließlich verhindern, dass ich zum Spielball der Stimmungsschwankungen meines Sohnes werde, so sehr er das vielleicht unbewusst und aus seiner Erkrankung heraus möchte....Ich glaube und hoffe jedenfalls, dass mir dieser Gedanke "mit mir nicht!" hilft, mich besser abzugrenzen und nicht provozieren zu lassen.

Auch ich war wohl immer viel zu eng mit ihm verbunden - mein Ex-Mann meint, das sei fast symbiotisch...dabei bin ich ein total freiheitsliebender Mensch! Ich hoffe wirklich, wie so viele hier, dass die Phase bald vorbei ist oder wenigstens eine Bewegung erkennbar wird, die Hoffnung macht. Hab keinen Bock mehr, immer nur die Starke zu sein....

Am Freitag gibt es in der Klinik ein Familiengespräch, um die Wohnsituation zu besprechen. Mein Sohn will partout wieder bei mir einziehen und sein altes Zimmer zurück, dass vor drei Jahren nach seinem Auszug mein jüngerer Sohn "belegt" hat (er ist jetzt 18 Jahre). Ich habe nicht vor, mich da einzumischen und finde, dass sollen die Brüder untereinander regeln. Aber natürlich bin ich da auch unsicher.

Wie seht Ihr das? Soll ich als "Haushaltsvorständin" die Sache regeln? Wobei mein jüngerer Sohn eh schon genervt ist von der Rückkehr seines Bruders und dem emotionalen Chaos, das jetzt wieder bei uns eingezogen ist...

Ganz ganz herzlichen Dank fürs Lesen und für Eure Meinung!
Sofonisba
Beiträge: 22
Registriert: 8. Okt 2023, 18:22

Re: Was kann ich überhaupt noch tun?

Beitrag von Sofonisba »

wirschaffendas hat geschrieben: 11. Okt 2023, 13:17 Ich habe nicht vor, mich da einzumischen und finde, dass sollen die Brüder untereinander regeln. Aber natürlich bin ich da auch unsicher.
Wie seht Ihr das? Soll ich als "Haushaltsvorständin" die Sache regeln? Wobei mein jüngerer Sohn eh schon genervt ist von der Rückkehr seines Bruders und dem emotionalen Chaos, das jetzt wieder bei uns eingezogen ist...
Ich würde das die Brüder unter einander regeln lassen, sonst stehst du zwischen den Fronten und musst Partei ergreifen. Würde ich an deiner Stelle nicht machen.
Kein Wunder, dass der jüngere das Zimmer nicht wieder abgeben will.
wirschaffendas
Beiträge: 16
Registriert: 3. Sep 2023, 00:13

Re: Was kann ich überhaupt noch tun?

Beitrag von wirschaffendas »

@Sofonisba: Vielen Dank für Deinen Tipp! Ja, tatsächlich haben die Brüder da eine Einigung gefunden und der "Kleine" sich bereit erklärt, auf ein Zimmer zu verzichten. Allerdings ist das scheins meinem Älteren inzwischen egal....er sucht sich wechselnde Bleiben außerhalb der Familie....tja, da bin ich doch froh, dass ich mich nicht eingemischt habe! "Einfach mal machen lassen", hat Mountainbiker geschrieben. Das werde ich jetzt zu meinem Motto machen!
Liebe Grüße in die Runde
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