Kontaktabbruch zu depressivem Elternteil wg. Abwertung

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Sany90
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Kontaktabbruch zu depressivem Elternteil wg. Abwertung

Beitrag von Sany90 »

Hallo zusammen,

ich wende mich an euch, weil das Verhältnis zu meiner Mutter momentan sehr kompliziert ist. Zu meiner Geschichte: Meine Mutter (63 Jahre alt) erhielt letztes Jahr die Diagnosen mittelschwere Depression mit Angststörung. Unser Verhältnis war schon immer vorbelastet, aber mittlerweile bin ich an dem Punkt, an dem ich mich frage, ob ich nicht besser den Kontakt abbrechen sollte. Außerdem frage ich mich, ob das Verhalten meiner Mutter wirklich das einer Depressionserkrankten ist.

Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der zwar immer genug Geld vorhanden war, allerdings gab es auch viele Probleme. Mein Vater ist Alkoholiker und es war das große ,,Familiengeheimnis", das bloß nicht nach außen dringen durfte. Zu meiner ,,Erziehung" gehörte die Ausübung körperlicher Gewalt mir gegenüber dazu. Mein Vater war sehr aggressiv, wenn er trank, aber auch nüchtern war er sehr leicht reizbar. Meine Mutter versuchte immer nach außen den Schein der ,,guten Familie" aufrecht zu halten, aber sie war nicht weniger aggressiv als mein Vater. Auch sie schlug mich, wenn ihr mein Verhalten nicht passte oder ich sie provozierte. Da wurden der Hausschuh, der Regenschirm, das Schulmäppchen etc. als Mittel genutzt, um Gewalt gegen mich anzuwenden.

In der Schule hatte ich zu kämpfen. Natürlich fiel den Mitschülerinnen und Mitschülern auf, dass ich ,,anders" war und ich war das gefundene Mobbingopfer. Meine Mutter interessierte sich überhaupt nicht für mich oder mein Wohlbefinden. Kam es zu Streit zwischen uns, so durfte ich mir Sätze anhören, wie ,,Ich weiß schon, warum du keine Freunde hast" , ,,Du bist so hässlich" und ,,Ich würde dich am liebsten ins Heim geben".

Als ich mit Anfang 20 auszog, nahm die Gewalt langsam ab. Mit ca. 21 konfrontierte ich meine Mutter mit meinen Erlebnissen. Ich wollte von ihr wissen, warum sie mich insbesondere schon als kleines Kind geschlagen hat (Meinen Vater muss ich nicht fragen, dieser ist durch seine Alkoholsucht meiner Meinung nach kein verlässlicher Gesprächspartner mehr). Daraufhin kam von meiner Mutter die Antwort:,,Du hast mich als Kind auch geschlagen." Ich war ganz verwundert. Dann setzte sie nach und erklärte: ,,Als du 3 warst und wir zum Kinderarzt gegangen sind, hast du mich gehauen." Mich hat diese Aussage dermaßen geschockt. Eine vernünftige Entschuldigung für die Gewalt, die ich als Kind erleben musste, habe ich bis heute nicht bekommen.

Meine Mutter neigte schon früher dazu, mich mir ihren Sätzen abzuwerten. Ich war übergewichtig, nicht modisch gekleidet, teilweise auch ungewaschen in der Schule und meine Mutter trat mit ihren Sätzen nach. Und obwohl ich heute meine eigene Familie habe, hören die Abwertungen nicht auf. Man muss sich das so vorstellen: Meine Mutter kommt zu Besuch und es wird bei jedem Besuch der gleiche ,,Beschwerdekatalog" abgearbeitet: Mein Haus sei unmodern, mein Haus sei dreckig, die Möbel seien hässlich/unmodern, die Hecken seien hässlich...". Als ich meinen Mann während der Pandemie heiratete, da war ihr die Hochzeit nicht opulent genug. Das Kleid sei hässlich, der fehlende Blumenstrauß eine Katastrophe. Die Tatsache, dass wir keine Hochzeitsfeier hatten, war Anlass, dass sie den Kontakt zu mir drei Monate lang abbrach (Man muss dazu sagen: Ich war mit dem ersten Kind hochschwanger, es gab die Pandemie, ins Rathaus durften nur 8 Leute und Restaurants hatten Corona-Schutzmaßnahmen).

Letztes Jahr war sie in einer psychosomatischen Reha, weil sie auch in der Arbeit Schwierigkeiten hatte. Keine Kollegin wollte mehr mit ihr im Dienst sein. In der Klinik wurde bei meiner Mutter eine Depression sowie eine Angststörung diagnostiziert. Am Anschluss an die Reha begann sie eine Therapie, aber ihr Verhalten bessert sich kein Stück. Seit der Therapie erzählt sie immer, wie unfehlbar sie in der Arbeit war (obwohl sie seit mehr als einem Jahr krankgeschrieben ist), wie ordentlich sie sei und überhaupt, dass ihre Kolleginnen ja total unordentlich und faul gewesen seien.
Und wenn wir telefonieren oder sie mich besucht, vergeht kein Gespräch ohne mindestens einen abwertenden Satz. Wenn ich sie darauf anspreche, schreit sie mich an und sagt Sachen wie, sie wisse, dass keiner sie mögen würde usw. Ein ,,normales" Gespräch ist mit ihr ist nicht möglich.

Früher, als Studentin, habe ich ihre Verletzungen irgendwie ,,weggesteckt". Mittlerweile ist es aber so, dass ich mich immer unwohler fühle. Nach ihren Bemerkungen stelle ich meinen Selbstwert infrage, weine viel und kann mich gedanklich nur schwer von den Abwertungen distanzieren.

Ich bin momentan an einem Punkt, an dem ich mich so schlecht fühle, dass ich überlege, aus reinem Selbstschutz den Kontakt zu meiner Mutter abzubrechen. Hat jemand von euch auch schon Erfahrungen, was den Kontaktabbruch zu einem depressiven Elternteil angeht?

Darüber hinaus lässt mich ein Gedanke nicht los: Ich kenne das Thema ,,Depression" außerhalb meiner Familie nur aus Artikeln und Dokumentationen. Aber nie wurde erwähnt, dass Depression auch damit einhergeht, dass der Erkrankte andere Menschen/Angehörige stetig abwertet. Ist die Abwertung anderer auch ein Merkmal einer Depression oder hat dies gar nichts damit zu tun?

Ich danke euch im Voraus für eure Antworten und dafür, dass ihr meinen langen Text gelesen habt.
Ester
Beiträge: 1
Registriert: 7. Aug 2023, 15:16

Re: Kontaktabbruch zu depressivem Elternteil wg. Abwertung

Beitrag von Ester »

Liebe Sany,
Das klingt für mich nach einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Und was deine Mutter dir seelisch und körperlich als Kind angetan hat ist durch nichts zu entschuldigen. Mag ja sein, dass sie auch Depressionen hat, aber Depressionen allein führen ganz bestimmt nicht zu so einem abwertenden Verhalten. Ich kenne es eher so, dass Menschen mit Depressionen sich selbst abwerten und nicht andere. Ich kann dir nur raten den Kontakt abzubrechen und für dich selbst zu sorgen.
hopstobs
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Re: Kontaktabbruch zu depressivem Elternteil wg. Abwertung

Beitrag von hopstobs »

Liebe Sany,

das ist stark von dir nochmal deine ganze Geschichte mit all den Verletzungen zusammenzufassen, du hast ein ganz schönes Päckchen mit ins Leben mitbekommen. Was ich sehe ist, dass dir deine Mutter nicht gut tut und wo immer möglich ihr Gift verbreitet und dir und auch deiner eigenen Familie schadet. Ich halte einen Kontaktabbruch für konsequent und sicher auch ein Stück heilsam, so kann endlich Ruhe in dein Leben kommen und du kannst dich um all die Verletzungen kümmern, die du erfahren hast. Ich würde soweit gehen, die Verletzungen die du erlitten hast mit professioneller Hilfe zu betrachten. Wir alle haben die Chance als Erwachsene es unseren Eltern gleich zu tun oder etwas zu verändern und von dem Päckchen abzulegen, so dass die Kinder in eine bessere Welt wachsen können als man sie selbst erlebt hat.
Zuletzt geändert von hopstobs am 4. Okt 2023, 21:30, insgesamt 1-mal geändert.
Chinchine
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Re: Kontaktabbruch zu depressivem Elternteil wg. Abwertung

Beitrag von Chinchine »

Liebe Sany,
ich finde hopstobs hat es sehr gut auf den Punkt gebracht. Ich würde das voll unterschreiben.

Die Diagnose wurde aufgrund der Dinge gestellt, die deine Mutter den Ärzten/ Therapeuten erzählt hat. Die Abwertungen dir gegenüber wird sie dabei sicher unerwähnt gelassen haben.

Ich bin "freiwillig" verwaist seit inzwischen bald 15 Jahren. Ich bereue es nicht, aber es gibt auch heute noch viele Tage, an denen es schmerzt. Ich wurde groß mit: du bist dumm, fett, hässlich und faul, dich will doch eh keiner. Mein Berufsweg nach dem Abi war nur darauf ausgerichtet, schnellstmöglich Geld zu verdienen und aus meinem Elternhaus zu flüchten.

Sei stolz auf dich und was du trotz deiner vielen biografischen Verletzungen geschafft hast! Ich kann dir nur raten - auch besonders deines Kindes wegen - zu schauen, was für dich und deine eigene Familie das Beste ist. Ich hoffe und wünsche dir, dass du einen liebevollen Mann hast, der dir die Liebe und Wärme geben kann, die dir als Kind verwehrt blieb.

Scheu dich auch nicht, dich ggfs. selbst an einen Therapeuten und/ oder eine Beratungsstelle zu wenden, um mit neutralen Personen über das zu sprechen, was du erlebt hast und wo du gerade stehst
hopstobs
Beiträge: 89
Registriert: 17. Jul 2023, 14:28

Re: Kontaktabbruch zu depressivem Elternteil wg. Abwertung

Beitrag von hopstobs »

Chinchine hat geschrieben: 4. Okt 2023, 21:07 Ich hoffe und wünsche dir, dass du einen liebevollen Mann hast, der dir die Liebe und Wärme geben kann, die dir als Kind verwehrt blieb.
Ich denke, dass genau das leider schief gehen wird, man kann diese Verletzungen nicht einfach nur durch ein Übermaß an Liebe heilen (auch wenn es natürlich eine sehr schöne und romantische Vorstellung ist), dazu hinterlässt der seelische Missbrauch des Elternteils/der Eltern viel zu schwere Wunden. Ein stark beschädigter Selbstwert, psychische Erkrankungen und Persönlichkeitsstörungen können die Folge sein. Das kann ein Partner nicht auf lange Zeit schultern oder gar heilen. Therapeutische Hilfe ist aus meiner Sicht da das Mittel der Wahl.
Sany90
Beiträge: 2
Registriert: 1. Okt 2023, 14:47

Re: Kontaktabbruch zu depressivem Elternteil wg. Abwertung

Beitrag von Sany90 »

Hallo zusammen,

erst einmal möchte ich mich bei jedem für eure Nachrichten bedanken. In den vergangenen Tagen ist die Situation zwischen meiner Mutter und mir weiter eskaliert. Ich habe gestern den Kontakt abgebrochen und ihr dies auch am Telefon unter Nennung der Gründe mitgeteilt. Daraufhin folgten weitere herablassende Kommentare ihrerseits. Sie hat sogar versucht, mich vor meinem Mann schlecht zu machen, indem sie an den Haaren herbeigezogene Geschichten erzählt hat. So sagte sie ihm, ich sei ja so eine schlechte Tochter, da ich meinem einzigen Cousin nicht zum Geburtstag gratuliert hätte. Ich finde schon alleine diesen Versuch, mich auf diese Art und Weise mit so einer belanglosen Geschichte schlecht zu reden, erschreckend. Blöd nur, dass ich meinem Cousin gratuliert hatte. Meine Mutter beendete das Gespräch damit, dass sie jetzt zu allen Leuten (Tante, Onkel, ihre einzige ,,Freundin" und ihrer Psychologin) gehen werde, um dort zu erzählen, wie schlecht ich sei. Darüber hinaus griff sie auch noch meinen Mann am Telefon an und erzählte Lügen über ihn, die ungefähr auf dem gleichen Niveau angesiedelt waren, wie die Geschichte mit dem Geburtstag meines Cousins. Das hat mich noch darin bestärkt, dass ein Kontaktabbruch unvermeidbar ist.

Was in mir tatsächlich aber weiterhin arbeitet, sind zum einen die Lügengeschichten meiner Mutter über mich. Egal, wie unbedeutend sie von außen wirken mögen, trifft es mich doch sehr, dass meine eigene Mutter mich wie einen Unmenschen darstellt. Darüber hinaus macht es mich fertig, dass sie jetzt überall herumerzählt, was für eine schlechte Tochter ich doch sei, da ich ja den Kontakt zu ihr nicht mehr möchte. Ich habe das Gefühl, dass sie überhaupt nicht ihr eigenes Verhalten reflektiert und ihr die Gründe für den Kontaktabbruch auch vollkommen egal sind: Hauptsache, sie kann mich schlecht machen. Dazu muss man wissen, dass sie diese Strategie/Drohung auch schon in meiner Kindheit angewandt hat: Immer, wenn ich mich danebenbenommen oder provoziert hatte, hat sie mir gesagt, sie würde allen in der Familie und darüber hinaus erzählen, was für eine schlechte, unerzogene Tochter ich doch sei.

Mein Mann ist glücklicherweise jemand, der sich meinen ganzen Kummer anhört, aber ich merke auch zunehmend, dass es mir sicherlich gut tun würde, auch mal mit einem Psychologen/einer Psychologin über die Dinge zu sprechen. Allerdings habe ich auch Bedenken, denn seit meine Mutter in Therapie ist, ist sie noch unerträglicher geworden als vorher...
DieNeue
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Registriert: 16. Mai 2016, 22:12

Re: Kontaktabbruch zu depressivem Elternteil wg. Abwertung

Beitrag von DieNeue »

Hallo Sany,

ich finde es echt furchtbar, wie sich deine Mutter verhält und verhalten hat.
Sany90 hat geschrieben: 8. Okt 2023, 19:39 Darüber hinaus macht es mich fertig, dass sie jetzt überall herumerzählt, was für eine schlechte Tochter ich doch sei, da ich ja den Kontakt zu ihr nicht mehr möchte.
Kann ich verstehen. Vielleicht können andere Leute aber insgeheim ja sogar verstehen, weshalb du den Kontakt zu ihr abgebrochen hast. Andere Leute scheinen ja auch nicht mit ihr zurecht zu kommen und Leute, die andere extrem nerven und so schlecht über andere reden, sind bei anderen oft schon bekannt. Nur sagt ihnen selten jemand ins Gesicht, wie sie rüberkommen.
Sany90 hat geschrieben: 8. Okt 2023, 19:39 Allerdings habe ich auch Bedenken, denn seit meine Mutter in Therapie ist, ist sie noch unerträglicher geworden als vorher...
Ich glaube nicht, dass du dann auch unerträglich wirst. Du klingst recht reflektiert und besonnen und ich habe den Eindruck, dass du schon noch einen Blick auf andere hast. Sonst hättest du auch gar nicht diese Bedenken.

Ob deine Mutter nur Depressionen hat, weiß ich nicht. Ein gutes Selbstwertgefühl hat sie jedenfalls nicht, sonst müsste sie nicht ständig andere ab- und sich aufwerten.

Liebe Grüße und ganz viel Kraft!
DieNeue
hopstobs
Beiträge: 89
Registriert: 17. Jul 2023, 14:28

Re: Kontaktabbruch zu depressivem Elternteil wg. Abwertung

Beitrag von hopstobs »

Das was deine Mutter hier macht ist eigentlich seelischer Missbrauch, im konkreten Fall durch emotionale Erpressung um ihren Willen gegen dich durchzusetzen, indem sie sich massiv unter Druck setzt und dich an deinem empfindlichen Punkt versucht zu treffen. Ich hoffe du kannst hier stark sein und lässt das nicht zu. Sei zudem froh um jeden Kontakt, den du verlierst, der deine Mutter in ihrem Verhalten bestätigt. Ich finde es auch paradox, so sehr sie sagt, wie schlecht du angeblich seist, so sehr braucht sie dich im Kontakt um sich an dir auszulassen. Der Druck, dem du momentan innerlich ausgesetzt bist, ist vermutlich enorm, ich hoffe du kannst dich angemessen schützen. Auf der anderen Seite klingt das Verhalten deiner Mutter auch derart egozentrisch und unreif, dass man annehmen kann, dass auch andere Erwachsene Menschen, allen voran ihre Psychologin mit großer Verwunderung auf deine Mutter und ihr Verhalten blicken werden.
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