Knapp über 30 und erwerbsgemindert/-unfähig?

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chalkchalk
Beiträge: 3
Registriert: 26. Sep 2023, 20:42

Knapp über 30 und erwerbsgemindert/-unfähig?

Beitrag von chalkchalk »

Hallo liebes Forum,

ich bin neu hier und gebe daher zunächst einmal einige Infos zu mir.
- 33 Jahre alt
- depressive Phase erstmals Anfang 2013 (vor mehr als 10 Jahren) im Studium
- berufstätig seit Frühjahr 2017
- zwischen 2018 und jetzt 5 weitere depressive Episoden mit 3 stationären Klinikaufenthalten, nie länger als 1,5 Jahre ohne Symptome
- zuletzt waren die Abstände immer kürzer, letzte Episode im Dez/Jan/Feb, aktuell nach Umzug im Juli '23 wieder richtig weit unten

Schon in der ersten Phase waren Zukunftsängste bis hin zu "Ich lande auf der Straße" oder "Ich werde dauerhaft arbeitsunfähig" vorhanden, nur dass mir inzwischen letzteres leider sehr realistisch vorkommt. Ich bin mit meinem Latein wirklich absolut am Ende und habe keine Ahnung, wie unter diesen Umständen eine berufliche Zukunft aussehen soll.

Gibt es hier Betroffene, die in einem ähnlichen Alter "nur" mit Depressionen erwerbsunfähig geworden sind? Wenn ja, wie sieht euer Leben aus? Wie geht ihr damit um?

Ich kenne aus meinen stationären Aufenthalten 2-3 Leute, die seit diesen Aufenthalten nicht mehr arbeiten gegangen sind. Die eine Person ist in meinem Alter, bezieht seit 2018 Erwerbsminderungsrente (hat jedoch zusätzliche psychische und körperliche Erkrankungen), die allerdings befristet ist und wohnt wieder im Elternhaus. Eine weitere Person scheint ebenfalls erneut bei ihren Eltern untergekommen zu sein - wie sie sich finanziert, weiß ich nicht. Zur dritten Person habe ich keinen Kontakt mehr.


Viele Grüße
Senif
Beiträge: 1205
Registriert: 23. Jul 2023, 21:42

Re: Knapp über 30 und erwerbsgemindert/-unfähig?

Beitrag von Senif »

Hallo chalk chalk,

ich bin gute 10 Jahre älter als du und seit 2017 berentet, erst befristet - dann unbefristet. Vorher Jahre im Hartz4 Bezug, nie wieder richtig auf die Beine gekommen. Zwischendrin im betreuten Wohnen.
Ich habe die Rente als sie befristet kam zwar als Wohltat empfunden nicht mehr zum Amt zu müssen, aber durch die Befristung war ich immer noch im MUSS-Modus. Erst als 2 Jahre später die Entfristung kam und ich nach 2/3 Monaten merkte, ich muss nicht mehr, kam die Erleichterung.
Raus aus dem Hamsterrad. Ich konzentrierte mich ab da voll auf meine Therapie.
Ich habe wieder eine eigene Wohnung, habe Haustiere und hab mich so weit erholt, dass ich wieder anfangen möchte zu arbeiten. Was ich damit sagen will, nur weil man berentet ist (auch unbefristet), heißt das nicht, dass man ein Leben lang in der Rente hängen muss. Aber sie war sehr hilfreich, erstmal den Druck rauszulassen. Damit kann man auch in der Therapie besser arbeiten.

LG Senif

P.S. ich wollte mal auf die Straße ziehen, weil ich dem Druck nicht mehr stand halten konnte. Ich hatte auch das Gefühl, dass mein Leben vorbei war. War es aber nicht.
chalkchalk
Beiträge: 3
Registriert: 26. Sep 2023, 20:42

Re: Knapp über 30 und erwerbsgemindert/-unfähig?

Beitrag von chalkchalk »

Hallo Senif,
vielen lieben Dank für deine Antwort. Es tut mir leid, dass auch dein Weg so steinig war. Aber deine Worte machen Mut. Gerne würde ich mehr über deine Geschichte wissen, gibt es da vielleicht Postings von dir oder können wir uns per PN austauschen?
Ich glaube auch, dass die Aussprechung einer Rente sehr entlastend sein kann, so nehme ich das bei meinem Bekannten auch wahr. Frage mich aber zum Beispiel, was das dann gesellschaftlich für einen bedeutet, wie man sein Leben damit gestaltet etc. - und nicht zuletzt muss es ja auch erstmal durchgehen.
Nachtmensch
Beiträge: 615
Registriert: 30. Dez 2020, 06:39

Re: Knapp über 30 und erwerbsgemindert/-unfähig?

Beitrag von Nachtmensch »

Hallo chalkchalk,

ungeachtet dessen, dass der Weg zur Erwerbsminderungsrente kein Leichter ist, würde eine solche natürlich mit wenig Beitragsjahren kaum das Existenzminimum erreichen. Grundsicherung wäre da wohl die Folge. Vielleicht wäre eine LTA noch eine Alternative, trotz Depression im Arbeitsleben Fuß zu fassen und sich finanziell besser aufzustellen.
Senif
Beiträge: 1205
Registriert: 23. Jul 2023, 21:42

Re: Knapp über 30 und erwerbsgemindert/-unfähig?

Beitrag von Senif »

Hallo chalkchalk,

ja, ich habe einige Postings geschrieben, schöne und auch nicht so schöne. Aber das liegt im Auge des Betrachters. Aber sie dich ruhig um. Du kannst mir auch gern eine PN schicken.
Was die Rente gesellschaftlich bedeutet ... nun, wenn man wieder einsteigen will in den Job, kann es passieren, dass man bei vielen Firmen aussortiert wird, rein wegen der Rente. Damit wird die Suche vielleicht etwas langwieriger.
Sozial gesehen kommt es sehr darauf an, wie hoch die Rente ist. U.U. muss man Grundsicherung beantragen. Aber es gibt auch Hilfen für Empfänger mit Sozialgeld .... ich habe mich z.B. vor einiger Zeit bei der Kulturloge angemeldet, und bekomme darüber manchmal Freikarten für diverse Veranstaltungen. Auch so wird mir nie langweilig, weil ich irgendwie immer was zu tun habe entsprechend meinen Interessen. Kontakte habe ich über den Sport.

LG Senif
Gartenkobold
Beiträge: 2054
Registriert: 9. Jul 2020, 09:26

Re: Knapp über 30 und erwerbsgemindert/-unfähig?

Beitrag von Gartenkobold »

Hallo chalkchalk,

was mir bei der LTA am ehesten hilft, ist - obwohl nicht offiziell so genannt - der Aspekt der Langzeit - medizinischen Reha für 12 Monate.

Hilfreich wie auch in der med. Reha:
- Einzelzimmer mit eigenem Bad und wenn ich die Tür zu mache, werde ich auch nicht genervt/bedrängt. Endlich stellt sich ein Gefühl der Sicherheit ein, ich habe meine Ruhe.
- Hilfe/Unterstützung bei medizinischen Problemen. Wenn nicht dort behandelbar, dann besteht die Möglichkeit extern zu einem Arzt zu gehen.
- medizinische Trainingstherapie, vorher manuelle Therapie und Phsyiotherapie um überhaupt wieder beweglich zu werden. Dann gezieltes Training je nach orthopädischen Problem. Habe ich ambulant so nicht bekommen. Mein letztes Physiotherapierezept war 2015 und da gab es genau ein Rezept mit 6 Behandlungen und es ist nicht so als hätte ich meine Orthopädien bei der ich regelmäßig bin, nicht danach gefragt bzw. als hätte ich die Orthopädien nicht gewechselt.
- ein Tagesablauf der durch die Mahlzeiten strukturiert wird und durch Arbeit, evtl. Freizeitaktivitäten wenn man möchte, d.h. man trifft regelmäßig Menschen und muss nicht selber kochen und einkaufen. Am Wochenenden daheim natürlich schon, da mache ich auch meinem Haushalt und was sonst so anfällt, d.h. man muss gut organisiert sein
Eigentlich wie eine Langzeit-med. Reha. Das hat bei mir Verbesserung bewirkt, während 5 Wochen med. Reha über die DRV einfach zu kurz waren um irgendwas zu bewirken außer mehr Stress.

Bewerbungtraining hat man mir erlassen und was ich an Software brauche für meinen AG, kann ich dort nicht lernen, da dieser nicht mit Microsoft arbeitet sondern das Unternehmen mit dem Apfel nutzt. Den Arbeitgeber habe ich schon zur LTA mitgebracht. Natürlich schaue ich mich weiter um und mache auch Praktika im Vorfeld (was Fragezeichen bei den AG hervorruft) einfach um herauszufinden ob dieser AG zu mir passt und das "gut" = arbeitsrechtlich korrekt mit mir umgegangen wird (keine Überstunden, gute/überhaupt eine Einarbeitung, respektvoller Umgang), gutes Team usw. Ich hatte z B. AG denen ging es darum die Mitarbeiter "zu verschleißen" und der Umgangston...und Indiskrete Fragen nach Diagnosen schon im Vorstellungsgespräch usw. Die kann man dann durch Praktika oder im Vorfeld (Hospitation) aussortieren.
Es geht nicht darum raus aus der Statistik zu sein und keine Leistungen (Übergangsgeld) zu beziehen, sondern möglichst stabil beim am besten passenden AG zu beginnen. Den kann man sich in Ruhe suchen und falls es einem schlechter geht, ist man geschützt durch das medizinische Konzept und macht außerhalb der Reha-Einrichtung erst mal gar nix. Wenn das nicht klappt gehts dann aber auch in die Akutklinik und/oder es wird die Empfehlung für eine Rente ausgesprochen.

LG Gartenkobold
Reziprok
Beiträge: 191
Registriert: 9. Mär 2023, 07:51

Re: Knapp über 30 und erwerbsgemindert/-unfähig?

Beitrag von Reziprok »

Hi chalkchalk,

Die Abkürzung "LTA" steht für "Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben". Diese Leistungen werden auch "berufliche Rehabilitationsmaßnahmen" genannt, im Unterschied zu medizinischen Rehabiltationsmaßnahmen, die in Reha-Kliniken durchgeführt werden.

Bei LTA-Maßnahmen kann es sich z. B. um zweijährige Umschulungen handeln, die vollwertigen beruflichen Ausbildungen entsprechen. Es kann sich bei LTA-Maßnahmen aber auch um weniger lange Maßnahmen handeln, die z. B. in Form von Unterricht und über die Ableistung von Praktika die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt zum Ziel haben.

LTA werden zum Beispiel in den Häusern der Berufsförderungswerke durchgeführt, siehe https://www.bv-bfw.de/

Träger, die die Kosten einer LTA-Maßnahme übernehmen, sind die Deutsche Rentenversicherung und die Bundesagentur für Arbeit.

Während der Teilnahme an einer LTA-Maßnahme erhält der/die Teilnehmer/in so genanntes Übergangsgeld von der Deutschen Rentenversicherung oder der Agentur für Arbeit.

Bürgergeld-Bezieher:innen erhalten kein Übergangsgeld während einer LTA-Maßnahme, sondern weiterhin Leistungen vom örtlichen Jobcenter, offensichtlich aufgestockt durch einen Weiterbildungszuschlag in Höhe von 150 € / Monat (dieser Weiterbildungszuschlag wurde, so weit ich weiß, im Rahmen der Umwandlung des Arbeitslosengeldes II in das Bürgergeld eingeführt).

Ein Hinweis zum Beitrag von @Gartenkobold:

Teilnehmer:innen an einer LTA-Maßnahmen werden nicht unbedingt stationär in der Einrichtung untergebracht (in einem so genannten Internat), in der die LTA-Maßnahme durchgeführt wird (wie in einem Haus der Berufsförderungswerke). Wohnt der/die Teilnehmer/in in der Nähe einer solchen Einrichtung, wird er/sie nicht im dortigen Internat untergebracht, sondern kehrt jeden Tag, den er/sie in dieser Einrichtung verbringt, wieder nach Hause zurück. Die dadurch entstehenden Fahrtkosten erstattet die Einrichtung über den jeweils zuständigen Leistungsträger.

Viele Grüße

Reziprok
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