Mache ich genug für die Genesung?

Antworten
moritzzz
Beiträge: 30
Registriert: 19. Jul 2023, 16:46

Mache ich genug für die Genesung?

Beitrag von moritzzz »

Hallo liebes Forum, ich bin's mal wieder, Moritz, 23, Student...

ich stecke leider seit 2 Jahren in einer schweren Depression, die ich aber erst seit Anfang diesen Jahres richtig eingeordnet hab (erst als gar nichts mehr ging und meine Gedankenkreise so laut waren, dass ich einen kompletten Realitätsverlust erlebte).
Zum Glück haben die Medis (Escitalopram seit 9 Wochen in hoher Dosis) direkt bei mir schnell angeschlagen sodass ich mittlerweile deutlich klarer denken kann, aber die Depression ist noch längst nicht weg... das spüre ich ständig. Vor allem ist da noch so unfassbar viel beängstigende Watte, die sich nur selten verzieht und die jegliche Freude bzw. überhaupt jede Form von Gefühl einfach überschattet. alles fühlt sich leer und dumpf an und ich habe noch sehr starke Kognitive Einschränkungen (vor allem Aufmerksamkeit etc.) Dazu kommt auch weiterhin ein Grübeln, das sich vor allem auf meine Situation bezieht, d.h. ich denke immer wieder darüber nach wie ich da rein gerutscht bin, ob ich genug gegen die Erkrankung unternehme und ob ich jemals wieder rauskomme... Ihr seht schon: Bei mir kommt dann schnell Selbstmitleid auf - verbunden mit einer großen Angst und Unsicherheit vor diesen Symptomen, die sich so schwer erklären und greifen lassen. Kurz gesagt: Ich Katastrophisisere immer mehr und verliere manchmal die Hoffnung, dass das alles jemals aufhören kann - vor allem weil es eben schon 'so lange' anhält...
Meine Frage an euch - liebe Community: Welche Erfahrungen habt ihr mit der Dauer von Depressionen gemacht? Ich weiß, dass eine Episode sehr unterschiedlich lange dauern kann, aber sind 2 Jahre nicht eigentlich schon super lange... (gut, ich habe erst seit diesem Sommer Therapie). Ich bekomme den Gedanken einfach nicht aus dem Kopf, dass es nie aufhören wird und ich damit lebenslang leben muss... Mein Psychologe sagt auch, es ist eine Frage der Geduld und ich habe gute Chancen wieder gesund zu werden.
Aber wie lange hat eine Episode nach Beginn der Behandlung bei euch so angehalten?
Ich freue mich von euch zu hören - mir hilft das Gefühl, nicht allein damit zu sein sehr ...
An sich sollte ich dankbar sein für die Fortschritte, die ich schon erzielt habe, aber das fällt mir im Moment schwer, weil die Depression einfach noch so stark ist... Habt ihr da vielleicht Tipps, wie ihr kleine Schritte noch mehr wertschätzen könnt?

Und noch was: Ich habe jetzt zwar bereits ein Erstgespräch in einer Klinik geführt, aber die Psychiaterin meinte, ich wäre von meinem Zustand her eher schon "zu gesund" für eine Klinik... diese hätte ich zu einem früheren Zeitpunkt gebraucht - in der total akuten Phase... Also gehe ich weiter zu meinem ambulanten Psychologen und nehme Medis... Mehr kann ich nicht machen oder?

Viele Grüße und danke schonmal :)
Moritz
Senif
Beiträge: 1343
Registriert: 23. Jul 2023, 21:42

Re: Mache ich genug für die Genesung?

Beitrag von Senif »

Hallo Moritz,

zu gesund für Klinik: ich kann das nicht einschätzen. Nur eine Vermutung äußern. Vielleicht meinte sie die Akutpsychiatrie. Aber es gibt auch Stationen speziell für Psychotherapie. Vorteil einer stationären Psychotherapie ist, dass die Anwendungen sehr gestrafft sind, und es dann auch schneller zu einer Besserung kommen kann. Oder auch Tageskliniken, die viel Therapie anbieten. Dennoch kann es sein, dass man auch danach nicht komplett geheilt ist.
An sich finde ich eine stationäre/teilstationäre Psychotherapie nicht schlecht und ich sehe sie als Chance, auch wenn du nicht mehr so akut krank bist, dass eine Akutbehandlung nötig wäre. So wie du deinen Zustand beschreibst, hört sich das für mich schon noch sehr krank an.

Was die Dauer angeht. Ich habe viele Jahre mit meiner Psyche gekämpft. Hatte das hier auch mal niedergeschrieben. Meine depressiven Episoden (rezidivierend) gingen länger als 2 Jahre. Nicht die Akutphase, aber das Krankheitsgefühl. Dazwischen hatte ich noch eine leichtere bis mittlere Chronifizierung. Ich habe es jetzt seit 1 1/2 Jahren hinter mir gelassen. Es war ein steiniger Weg, aber es hat sich gelohnt. Ja, die Chancen gibt es, wieder ganz gesund zu werden. Die Depression flüstert einem nur immer das Gegenteil ins Ohr. Ich kann die Unsicherheit und Angst sehr gut verstehen.

Hast du Tagesschwankungen in dem Wattegefühl ? Ist das irgendwann mal besser ?

LG Senif
DieNeue
Beiträge: 5463
Registriert: 16. Mai 2016, 22:12

Re: Mache ich genug für die Genesung?

Beitrag von DieNeue »

Hallo Moritz,

war das die Psychiaterin aus der Tagesklinik, in die du gehen wolltest oder eine stationäre Klinik?

Ergotherapie könntest du auch ambulant machen, über ein Rezept vom Arzt. Allerdings muss man dann auch eine Praxis finden, die auch Ergo im psychischen Bereich anbietet.

Ich glaube, du hattest mal geschrieben, dass das Wattegefühl so bis 13 Uhr geht, oder? Also das finde ich noch human, bei anderen geht das bis abends so. Generell ist es so, dass es einem bei Depressionen morgens schlechter geht als abends.

Zwei Jahre sind schlimm, aber für das, dass die Depressionen in der Zeit nicht behandelt wurden, nicht unnormal, finde ich. Es ist super, dass die Medikamente anschlagen. Dass dich beunruhigt, wie lange das noch geht und ob es je besser wird, kann ich verstehen. Das hat mich auch sehr beschäftigt und diese Ungewissheit macht es noch schlimmer. Aber du bist jetzt in guten Händen bei deinem Therapeuten, nimmst Medikamente, die größtenteils wirken und bist motiviert. Das ist mehr als die halbe Miete!

Liebe Grüße,
DieNeue
niri76
Beiträge: 85
Registriert: 26. Aug 2022, 10:06

Re: Mache ich genug für die Genesung?

Beitrag von niri76 »

Hallo Moritz!

Meine letzte Episode ging fast ein Jahr lang.Nicht die ganze Zeit intensiv, aber genau die gleichen Gedanken wie Du. Ich befand mich aber in Therapie und trotzdem hat es so lange angedauert.
Ich weiß es ist schwer aber es wird wieder besser. Alles ist im Wandel. Nichts bleibt gleich.
Ich hatte schon einige Episoden die verschieden lang angehalten haben.

Es ist doch super, dass Du jetzt die Medis nimmst und sie Dir helfen. Das ist schon ein Schritt in die richtige Richtung.

Liebe Grüße
niri
moritzzz
Beiträge: 30
Registriert: 19. Jul 2023, 16:46

Re: Mache ich genug für die Genesung?

Beitrag von moritzzz »

Hallo zusammen,

vielen Dank für Eure mutmachenden Antworten. Ja, dass die Medis anschlagen, ist wirklich ein großer Gewinn... das merke ich auch stark. Sie normalisieren mein Denken immer mehr und das gibt mir die Möglichkeit, die Erkrankung und das veränderte Denken und Fühlen durch die Depression mit mehr Distanz zu betrachten und zu analysieren. Kennt ihr diesen Effekt durch die Medikamente? Das fühlt sich seit ein paar Tagen so an, als könne ich endlich wieder selber besser kontrollieren, ob ich mich gerade mir der Depression beschäftigen will oder nicht. Und so kommt man mehr in die Aktivität und kann sich auf das was in der Umgebung und in Alltag passiert ein bisschen besser einlassen. Ich empfinde die Medis daher als wertvolle Krücke - auch um die Krankheit besser in der Psychotherapie analysieren und beschreiben zu können. Das wäre vor ein paar Wochen bei mir noch gar nicht möglich gewesen, da war ich zu tief drin und hatte keinen distanzierten Blick auf die Symptomatik. Nur Kontrollverlust... Ich bin diese Woche insgesamt ziemlich optimistisch: Auch wenn ich noch voll drin stecke, habe ich das Gefühl, ich kann es selber auch über mein Verhalten steuern, wie sich die Symptome zeigen und entwickeln... Diese step-by-step zurückgewinnen von Kontrolle über sein Leben und sein Denken ist so wertvoll und motivierend... :) habt ihr ähnliche Erfahrungen gemacht? würde mich sehr interessieren.
Trotzdem bin ich mir auch sicher, dass die Medis die Symptome nicht vollständig heilen werden ... das habe ich so im Gefühl, das geht dann eher durch die Therapie und meine Umsetzung im Alltag.
@DieNeue: Danke für den Tipp mit der ambulanten Ergotherapie, ich habe seit 3 Wochen zum Glück sehr schnell einen Therapeuten gefunden und bekomme jetzt Ergo... Das tut auch gut, weil wir da auch sehr stark im Hier und Jetzt , also an meinen Alltagserfahrungen arbeiten und wir Strategien entwickeln, mit den Symptomen umzugehen...
@Senif: Ich sehe es genau wie du mit der Klinik. Das ist bestimmt eine hilfreiche Möglichkeit, vor allem wegen der gestrafft en Psychotherapie. Allerdings habe ich noch mal mit der Psychiaterin und dem Therapeuten gesprochen und beide sagen, dass sie mir gerade nicht zu einem Aufenthalt raten würden - vor allem weil ich soweit stabil bin, dass ich meine Tage auch außerhalb der Klinik voll geplant kriege und die Dinge die ich mir vornehme auch umsetzen kann. Mein Antrieb ist ja zum Glück nicht betroffen... Es wäre das eher von Nachteil sich jetzt auf einen neuen Psychotherapeuten in der Klinik erst wieder einstellen zu müssen und eine neue Therapiebeziehung aufzubauen... Mein Psychologe hält es in meinem Fall für sinnvoller alles ambulant zu machen... vor allem weil ich auch ein sehr unterstützendes Familiäres Umfeld habe :) und er meint, dass die Kliniken auch meist nicht mehr als eine Einzeltherapiesitzung pro Woche anbieten... zumindest nicht für Kassenpatienten. Das einzige was ich an der Klinik für mich als Vorteil sehen würde, wären die Gruppentherapien und die Gespräche mit anderen Betroffenen...
Deshalb mache ich jetzt erstmal weiter so und hoffe, dass es sich nach und nach verbessert...
@niri76 deine Aussage: "Alles ist im Wandel. Nichts bleibt gleich." finde ich total gut, danke dafür... Es ist wahr, ich glaube auch fest daran, dass sich alles verändert und die Depression ständig im wandel ist... und es ist gut zu wissen, dass man nicht machtlos gegen sie ist.
Viele Grüße
Moritz
hundethomas
Beiträge: 1192
Registriert: 28. Aug 2022, 21:04

Re: Mache ich genug für die Genesung?

Beitrag von hundethomas »

hallo moritz...

gehöre schon zur älteren Generation, 67 Jahre. Und ich leide schon fast von Kind auf an der Depression..................

Aber das hängt damit zusammen, das ich hoch sensibel und depressiv bin. Mein Wesen ist hochsensibel, und das bleibt.

Vielleicht hängt deine Depression auch mit deinem eher sensiblen Wesen zusammen............

Ein sicheres Zeichen für hochsensibel sein ist Verletzlichkeit. Ein gutes Gleichgewicht, eine seelische Ausgeglichenheit ist manchmal

schwer zu finden. Oft haben wir zu hohe Erwartungen an uns selbst und andere Menschen.......................

Wenn diese Erwartungen nicht erfüllt werden, kann man leicht in das Loch der Depression fallen..............

Alles ist überreizt, ich verlange von mir selbst, anderen Menschen............zu viel......

Insgesamt leidet man mehr, trauert man mehr, ärgert sich mehr, fühlt sich schnell gekränkt, nicht verstanden.......

Mein eigenes Ruhebedürfnis ist auch sehr hoch. Eine längere Fahrt mit dem Auto kann sehr stressig sein. Für manche Menschen

total unverständlich.....

Dann muss man alles voll analysieren, warum, wieso , und überhaupt......

Depressive Menschen sind oft hoch sensibel.......ehrgeizig, hohe Erwartungen an mich selbst, Therapeuten, andere Menschen.

Meine hochgesteckten Ziele, Erwartungen......auf der einen Seite, und meine Depression auf der anderen Seite....

Schwermütige, depressive Gedanken,

Viele Therapeuten sind hoch sensible, einfühlsame Menschen, die sich in einen Menschen einfühlen, verstehen können.........

Auch viele Maler, Musiker, Künstler.....

Den einen hochsensiblen Menschen gibt es nicht................die vollkommen gleich sind.

Mir hilft es das ich weiß, ich bin hoch sensibel, so kann ich meine Depression besser verstehen, annehmen......besser reagieren...

Gut ist, mich als Mensch besser verstehen, annehmen, lieb haben, so wie ich bin.

Und so wie DU bist, so ist es gut!!!!!!!!!!!!!!


liebe Grüße,
Schweiger
Beiträge: 55
Registriert: 20. Jul 2023, 11:39

Re: Mache ich genug für die Genesung?

Beitrag von Schweiger »

Hi Hundethomas,

gute Hinweise zum Thema hochsensibel, die Verletztlichkeit ist wohl ein zentraler Aspekt.
Kürzlich las ich dass Hochsensible "stabil" sind, gerade das halte ich für falsch, denke es ist
genau das Gegenteil der Fall.
Gut ist es natürlich sich selbst zu erkennen und diese Aspekte in die eigene Vorstellungswelt zu
integrieren, Rücksicht darauf zu nehmen. Bei anderen Sachen, z.B. jemand ist blind, hat Gehprobleme.....
würde sowohl der Betroffene selbst, als auch die Umgebung, Rücksicht darauf nehmen müssen.

Mit "Rücksicht" meine ich nicht "rohes Ei" :-), sondern einfach die Tatsachen beachten, wie z.B. Ruhebedürfnis.

@Moritz
kann Deine Suche gut verstehen, also den Ort oder die Maßnahme/Aktivität um einerseits die Depression zu lindern,
als auch in die Eigenverantwortung zu gehen, um wie Du schreibst selbst etwas für die Genesung zu tun.
2 Gedanken dazu :

1.) Loslassen, Akzeptanz, Nichtwollen, Ändern durch Nichtändern quasi.....z.B. Meditation ist mindestens genauso wichtig,
wie andererseits etwas tun zu wollen.
Denke es ist nicht ein Entweder oder, also Tun oder Nicht-Tun, sondern beides, aber eben nicht nur Aktivsein in Richtung "soviel
wie möglich". Gerade wir westliche Menschen müssen das noch mehr lernen und verinnerlichen. Wir denken oft linear, viel hilft
viel und beachten zu wenig die Pardoxien oder Pole des Lebens. Der Geist und die Emotionen funktionieren eher oder zumindest
auch auf dieser Ebene , siehe Mediation, da verändert man sich auch , gerade weil man nichts macht.
Muss ehrlich gestehen, dass ich nicht direkt meditiere, aber ich versuche meditative Haltung in mein Leben einzubauen.

2.) Hast Du schon mal nach einer Selbsthilfe-Gruppe Ausschau gehalten ? Sowas hat mir immer viel gebraucht, fand ich extrem hilfreich
aus verschiedenen Gründen: Kontakt, Verständnis, Infos, Struktur.....
Antworten