Hallo zusammen,
danke für eure ganzen Beiträge. Ich finde das Thema sehr spannend.
@ Senif: Doch, natürlich will ich meine Ziele erreichen. Vielleicht sehe ich das zu schwarz-weiß, aber ich habe halt immer den Eindruck, dass man immer erst alles perfekt können muss, um wieder als gesund zu gelten. Fast als müsste man alles besser machen als gesunde Menschen, um wieder als gesund zu gelten.
Zum Beispiel beim Thema Abhängigkeit: Ich soll mich von niemandem abhängig machen. Sobald ich irgendwo merke, ich könnte mich auf irgendwen zu sehr einlassen, zu viel Hilfe brauchen o.ä., kommt sofort das Warnsignal "Mach das nicht, sonst bist du abhängig und das ist krank!"
Bei Gesunden ist da scheinbar viel mehr Spielraum. Die machen einfach ohne nachzudenken. Meine Schwester holt sich auch manchmal Hilfe von meinen Eltern, aber sie denkt da nicht drüber nach, ob sie sich von ihnen abhängig macht und es interessiert auch niemanden.
Das hatte ich nach der letzten Klinik noch viel schlimmer. Da habe ich mich bei allem, was ich gemacht habe, gefragt, ob das noch okay ist oder schon zu zwanghaft, zu abhängig usw. Genauso wie in der Klinik ständig bei dieser dummen Übung. Ist es z.B. schon zwanghaft, wenn ich meine Gläser immer an die gleiche Stelle in den Schrank räume und sie immer in einander stelle?
Senif hat geschrieben: ↑1. Sep 2023, 09:37
Du nimmst es dir so sehr an, dass du inkompetent sein könntest, oder anderes, dass es fast schon deine eigene Meinung über dich selbst sein könnte.
Vielleicht ist das schon Selbststigmatisierung?
Senif hat geschrieben: ↑1. Sep 2023, 09:37
Aber "jeder ist tatsächlich seines Glückes Schmied" - und sei es nur in dem Sinne, dass man zufrieden wird, mit dem was man hat und das Glück aus seinem Inneren zieht.
Und das ist eben das, was ich immer nicht verstehe: Auf der einen Seite soll ich mein ganzes Glück aus mir selbst bekommen, auf der anderen Seite soll ich glücklich sein, weil ich z.B. in einer Beziehung bin. Für mich passt das nicht zusammen. Sind denn jetzt alle Menschen in einer Beziehung nur aus sich selbst heraus glücklich und könnten auch ohne ihren Partner genau so glücklich sein und ohne ihn genauso gut leben? Warum geht man denn dann Beziehungen ein?
Sind die ganzen Leute in Beziehungen denn tatsächlich alle soviel weiter als ich?
Ich finde das auch so fies, wenn Therapeuten den Anspruch an mich stellen, ich soll mich von niemandem mehr abhängig machen und gleichzeitig sind sie selber in einer Beziehung und in gewisser Weise von ihrem Partner abhängig (denn ihnen würde es ja auch was ausmachen, wenn derjenige plötzlich nicht mehr da wäre - es ist doch keiner völlig emotionslos).
Das erlebe ich mittlerweile immer wieder, auch bei meinen Eltern und im Umfeld. Mir wurden z.B. bestimmte moralische Verhaltensweisen beigebracht, an die man sich unbedingt zu halten hat, aber mittlerweile bekomme ich mit, dass sich die Leute selber auch nicht immer dran gehalten haben oder dranhalten. Aber bei mir wurde/wird ein Theater gemacht, wenn ich auch nur den Anschein mache, ich könnte mich nicht dran halten.
Da komme ich mir mittlerweile ziemlich verar... vor.
Ich habe das Gefühl, wenn ich mich jetzt auf eine Beziehung einlassen würde, hätte ich das Gefühl versagt zu haben. Dann bin ich unselbstständig, abhängig, kann nicht mehr auf eigenen Beinen stehen, mach meinen Wert von der anderen Person abhängig usw. Ich weiß, dass das blöd ist.
Dazu kommt auch noch, dass Männer ja sowieso gefährlich sind. Sowas wurde mir auch vermittelt - z.B. von meinen Eltern, die gleichzeitig ihre Beziehung genießen und früher auch nicht immer die bravsten waren (was ich aber erst seit kurzem erfahren habe).
Diese Gedanken einfach über Bord werfen, geht aber halt leider auch nicht so einfach.
@ Belladonna: Was verstehst du denn unter Psychiatrisierung? Ich war kein Dauerpatient in der Psychiatrie, sondern zweimal in der Klinik. Den letzten Aufenthalt fand ich sehr defizitorientiert und destruktiv. Ich weiß nicht, wieso man einem Patienten eine Übung geben muss, wo er permanent an sich selbst beobachten muss, was an ihm alles gestört ist. V.a. wenn auch noch ein Anteil der kombinierten PS eine zwanghafte PS sein soll. Das macht doch alles nur schlimmer.
Die Sozialen Kompetenztrainings fand ich an sich nicht schlecht. Ich habe da schon auch was mitnehmen können.
Aber ich hatte halt den Eindruck, dass wir Patienten halt gar nix können und jetzt so werden sollen wie die "draußen". Aber man hat ja auch Stärken und Fähigkeiten. Ein Bügeleisen umzutauschen hätte ich mich auch geweigert, oder jemanden nach der Uhrzeit zu fragen.
Vielleicht kann man die Fähigkeiten in der akuten Phase grade nicht mehr aktivieren, aber man ist ja nicht total lebensunfähig.
Aber ich habe den Eindruck, dass sehr wenig ressourcenorientiert gearbeitet wird.
Die Oberärztin in der letzten Klinik meinte auch mal, dass man auch ein gutes Selbstwertgefühl aufbauen kann, wenn man nie (!) in seinem Leben auch nur irgendwas positives über sich gehört hat und nur negatives Feedback von anderen bekommt.
Ich finde das schon etwas unrealistisch. Natürlich ist es wichtig, die Meinung der anderen nicht zu wichtig zu nehmen und es kann schon sein, dass Leute das schaffen. Aber es ist schon ein Unterschied, ob man jeden Tag nur fertig gemacht wird oder ob man weiß, dass andere einen mögen und man auch mal von außen bestärkt wird.
Nach einigem Hin- und Herdiskutieren hat sie dann zugegeben, dass es bei positivem Feedback zumindest einfacher ist, ein gutes Selbstwertgefühl aufzubauen.
Ich finde, dass das einen riesen Druck auf Patienten aufbauen kann, wenn sie es einfach nicht hinbekommen, sich selbst zu mögen oder zu akzeptieren, wenn ihnen in ihrem privaten Umfeld und selbst in der Klinik nichts positives gesagt wird. Manchmal braucht man auch Ermutigung und Bestärkung oder auch mal eine korrigierende positivere Sichtweise von außen. Grade bei depressiven Menschen, die ja krankheitsbedingt sehr zu negativem Denken usw. neigen, sollte man sich schon die Mühe machen, mehr auf die Ressourcen aufmerksam zu machen und Positives zu betonen.
@ Maxegon:
Maxegon hat geschrieben: ↑1. Sep 2023, 12:14
Das ist wohl das Hauptproblem ... dieses unbedingte Vertrauen, dieses Ausschalten seiner eigenen Urteilsfähigkeit, damit meine ich nicht das pemanente Anzweifeln, doch Hinterfragen bzw. sich selbst mit der Materie beschäftigen darf/muss schon erlaubt sein
Ja, es ist ja auch gewollt, dass man dem Therapeuten vertraut und man hat immer im Hinterkopf, dass wenn man dem Therapeuten nicht vertraut, bringt die Therapie nichts. Alternativen gibt es oft auch nicht wegen Therapeuten- und Ärztemangel. Das bringt einen in eine ungünstige Position.
Zudem ist man meist auch total fertig, wenn man in der Klinik ist, oder ist zum ersten Mal mit irgendwas konfrontiert, von dem man keine Ahnung hat und ist dann unsicher.
Liebe Grüße,
DieNeue