Werde ich ein "schlechterer" Mensch trotz Heilung?

Antworten
Lukar
Beiträge: 1
Registriert: 31. Aug 2023, 06:23

Werde ich ein "schlechterer" Mensch trotz Heilung?

Beitrag von Lukar »

Guten Abend zusammen. Mein Name ist Martin, ich bin 28, derzeit nicht nur mit Depressionen gesegnet, sondern auch mit Liebeskummer und Arbeitslosigkeit. Ein nettes Gesamtpacket also. :P

Zwischen diesen drei Themen gefangen gibt es ein viertes, welches ich nicht wirklich gegriffen bekomme. Ich habe das Gefühl, zunehmend ein "schlechterer" Mensch zu werden. Weis heißt das in meinem Fall? Dazu mal einen kurzen Überblick über mein Leben.

Als Kind und Jugendlicher war ich exzentrisch. Hab immer meinen eigenen Kopf gehabt, grenzenlose Fantasie, bin stur meinen Interessen und Begeisterungen nachgegangen. Mobbing war an der Tagesordnung, aber irgendwie war ich dennoch glücklich. Das hörte mit der weiterführenden Schule auf. Die Außenseiterrolle lastete immer schwerer. Zwar hatte ich immer einen Freundeskreis, aber mit 16 war ich wohl "angekommen" im Depressionsclub.

Mit dem Abi verbesserte sich meine soziale Situation. Aber: Meine Depression war auf dem absoluten Höhepunkt (Oder Tiefpunkt?). Hatte Panikattacken, Verfolgungswahn, sogar Psychosen, musste 6 Monate in die Geschlossene. Ich dachte jeden Tag an Selbstmord, hatte regelmäßige Nervenzusammenbrüche und Heulkrämpfe. Ich hatte aber gute Freunde, galt als sympatisch, angenehm, lustig, unterhaltsam, die Leute um mich herum mochten mich. Ich war kreativ unterwegs, hatte Hobbies, Interessen und einen scharfen Sinn für Humor. Einerseits war ich komplett am Boden. Andererseits hatte ich wohl auch das gewisse "Etwas" das Leute anziehend fanden.

Dazwischen folgte eine Phase des Umherscheiterns und natürlich die wunderbare Coronapandemie. Die hat meine Psyche dann endgültig gekillt. Aber auch in der Zeit galt noch das obere: Meine Freunde mochten mich, hatten Spaß mit mir, egal wie sehr ich am Boden lag.

Heute ist es genau anders herum. Meine Depression ist auf dem Rückzug. Zusammenbrüche habe ich fast keine mehr. Ich bezwinge meine Ängste, stelle mich Herausforderungen, gehe zur Therapie, beginne bald eine Reha, treffe mich oft mit Freunden ... Aber! Mein Freundeskreis schrumpft! Weil meine Art nicht mehr angenehm ist. Ich habe fast nichts mehr zu erzählen (obwohl ich mehr erlebe und mache als früher!), ich bin ständig ernst und bitter, ich mache keine Witze mehr, finde auch selbst nichts mehr lustig, bin recht unterkühlt. Gespräche mit mir sind anstrengend (auch für mich). Meine Kreativität ist auf der Strecke geblieben, Interessen habe ich fast keine mehr. Wenn ich versuche was lustiges zu schreiben oder zu sagen (was mir früher instinktiv gelang) ist es meist beißender Sarkasmus. Lustig findet das keiner mehr, oft eher beleidigend. Auf der einen Seite gelingt mir so vieles wie noch nie zuvor in meinem Leben. Auf der anderen Seite war ich auch noch nie eine solch miese Gesellschaft, noch nie so einsam.

Ich vermisse viele Eigenschaften die mein "am Boden zerstörtes, ständig nur versagendes Außenseiter- und Depressionsich" hatte. Irgendwas damals hat den Leuten ein gutes Gefühl gegeben. Auch mir Spaß gemacht. Irgendwas damals hat manche sogar dazu gebracht, mich zu "bewundern". (Zitat ehemalige Freundin, hat sich in den letzten Monaten nach 7 Jahren Freundschaft ebenfalls zurückgezogen)

Hat jemand eine Ahnung, was mit mir los sein könnte? Wo mein "unterhaltsames Ich" auf dem Weg der Heilung verloren gegangen sein könnte? Sind die Fortschritte am Ende nur "Fortschritte"? Oder ist mein wahres Selbst einfach ein Miesepeter? :P
Senif
Beiträge: 1307
Registriert: 23. Jul 2023, 21:42

Re: Werde ich ein "schlechterer" Mensch trotz Heilung?

Beitrag von Senif »

Hallo Lukar,
Ich habe fast nichts mehr zu erzählen (obwohl ich mehr erlebe und mache als früher!), ich bin ständig ernst und bitter, ich mache keine Witze mehr, finde auch selbst nichts mehr lustig, bin recht unterkühlt. Gespräche mit mir sind anstrengend (auch für mich). Meine Kreativität ist auf der Strecke geblieben, Interessen habe ich fast keine mehr. Wenn ich versuche was lustiges zu schreiben oder zu sagen (was mir früher instinktiv gelang) ist es meist beißender Sarkasmus. Lustig findet das keiner mehr, oft eher beleidigend.
Hält du das denn für gesund ? Keine Kreativität mehr, Kopfleere, nichts zu erzählen, unterkühlt, keine Interessen mehr. Das hört sich für mich alles andere als gesund an.

LG Senif
Maxegon
Beiträge: 2530
Registriert: 25. Mai 2021, 11:33

Re: Werde ich ein "schlechterer" Mensch trotz Heilung?

Beitrag von Maxegon »

Lukar hat geschrieben: 1. Sep 2023, 23:07
Hat jemand eine Ahnung, was mit mir los sein könnte? Wo mein "unterhaltsames Ich" auf dem Weg der Heilung verloren gegangen sein könnte? Sind die Fortschritte am Ende nur "Fortschritte"? Oder ist mein wahres Selbst einfach ein Miesepeter? :P
Du entwickelst dich langsam zum Miesepeter, zur alten Meckertante. :mrgreen:
Du erwartest, vielleicht, zu viel von den Anderen.

Wenn du andere froh machst, machst du auch dich froh, nur scheinst du, gerade nicht sehr froh zu sein, das wiederum begeistert die Anderen nicht so sehr.

Was erfreut dich?
Woran hast du und andere Spaß (zusammen)?

Gemeinsames Essen, Spazieren, Kino ...?

Über Krankheiten oder gar Depressionen reden macht niemanden froh!

:hello:
Überdosis
Beiträge: 251
Registriert: 25. Nov 2021, 23:01

Re: Werde ich ein "schlechterer" Mensch trotz Heilung?

Beitrag von Überdosis »

Hallo Lukar,

beim Lesen stellte ich mir die Frage, was dir denn alles so gelingt und was du so alles unternimmst, wenn das so vieles ist?
Denn weil du ja auch schreibst, dass du Interessen verlierst, dich für nichts begeistern kannst und kreatives aufgegeben hast, würde ich eher meinen, dass du nicht mehr machst, sondern doch weniger?
Legst du das anhand dessen fest, dass dir vieles gelingt, dass es dir besser geht oder woran genau?
Beim Lesen würde ich nämlich eher meinen, dass es dir schlechter mit der Depression geht....

Meiner Erfahrung nach, kann man aber auch leider zu schnell und zu einfach in die Spirale des "Miesepeters" herein rutschen.
Mir hilft dann oft durch atmen, erst nachdenken und dann reden.
Schaff schöne Momente in deinem Leben, erzähle von diesen schönen Dingen.
Das hilft mir persönlich dann nach einer Gewissen Zeit wieder positiver zu reden und zu denken.

Zieht dich was runter oder bist du unbemerkt mit Menschen in Kontakt, die immer nur mies drauf sind, ihre Probleme ständig bei einem abladen oder sich über permanent etwas ärgern, belastet es die Eigene Stimmung auf Dauer, weil man leider dann oft genauso mies drauf wird, selbst wenn im Grunde bei einem selbst alles gut ist.
Zieh dich von solchen Menschen zurück, sollte das mit ein Grund sein, der dich so arg verändern lässt.


LG
Mario81
Beiträge: 273
Registriert: 5. Mär 2023, 12:03

Re: Werde ich ein "schlechterer" Mensch trotz Heilung?

Beitrag von Mario81 »

Hallo Lukar.

Ich kenne das. Mir geht es auch besser, aber ich kann irgendwie auch keine Witze mehr machen. Weiß nicht was ich erzählen soll. Das oberflächliche nervt mich nur noch. Es wird über Politik geschimpft die ich nicht ändern kann. Ich hab das Gefühl, überall wird nur gemeckert. Damit kann ich nichts mehr anfangen. Ich hab mich früher zu schnell über sowas aufgeregt.
Meine Interessen sind auch zurückgegangen.
Das Wort "unterkühlt", was du benutzt hast, trifft es gut.

Was man da tun kann... keine Ahnung. Aber ich denke das ist immer noch die Depression. Das wird hoffentlich wieder.
Ich wollte dir sagen, das nicht nur du das kennst und damit nicht allein bist.

Liebe Grüße
Mario
"Du darfst nicht alles Glauben,was Du denkst." Alexander Bojcan
MissMikse
Beiträge: 466
Registriert: 14. Mär 2023, 20:07

Re: Werde ich ein "schlechterer" Mensch trotz Heilung?

Beitrag von MissMikse »

Guten Morgen,

ich sehe es ein wenig wie Mario. Ich bin nicht so oberflächlich wie andere Menschen und definiere "Spaß" eben anders. Da gerät man schnell ins Abseits. Während andere "Party" machen, rauchen und trinken - kann ich nix damit anfangen. Nicht meine Art von Spaß.

Setzt man sich mit ernsten Themen auseinander, weil man merkt, dass das Leben eben nicht nur aus Spaß besteht, ist man schnell die Spaßbremse und die anderen wollen sich damit nicht auseinandersetzen (bis zu dem Zeitpunkt, an dem auch sie es vielleicht müssen).

Was ich auch kenne: ich war auch jahrelang fröhlich, lustig, extrovertiert usw. Aber wenn man wegen der Depression irgendwann diese Maske nicht mehr anzieht, sieht es eben anders aus. Und glaub mir, in den meisten Fällen warst das nicht unbedingt du selbst, sondern deine fröhliche Maske um die Depri zu verstecken. Kreativ war ich auch immer eher dann, wenn es mir nicht gut ging. Warum sonst handeln so viele Lieder von Liebeskummer? Weil es wahrscheinlich auch anderen Künstlern so geht. Und Sarkasmus ist eine Form, die auf Verbitterung schließen lässt.

Es braucht Zeit, um über dieses Stadium hinaus zu kommen. Dann kann man auch irgendwann wieder kreativ und witzig und extrovertiert sein. Dann aber ganz ohne Maske und sehr viel ehrlicher als vorher. Und das tut gut, wenn man sich nicht mehr verstellen muss, sondern alles "echt" ist.

Wenn sich dadurch Kontakte reduzieren: sei's drum. Diese Menschen mögen nicht DICH, sondern das was du ihnen jahrelang vorgegaukelt hast. Such dir neue Kontakte, lerne andere Menschen kennen. Auch das ist möglich und vielleicht eine größere Bereicherung, als die Menschen, die du vorher deine "Freunde" genannt hast.

Alles Gute für dich!
Antworten