Auswandern trotz/mit Depression

Antworten
stumbleine
Beiträge: 2
Registriert: 31. Jul 2023, 11:27

Auswandern trotz/mit Depression

Beitrag von stumbleine »

Hallo zusammen,

mein allererster Post hier, ganz neu und wie alle wahrscheinlich am Anfang ohne großen Plan, ob und wie mir das Forum weiterhelfen kann :D Von daher erst einmal eine lange Textwand

Kurz meine Hintergrundgeschichte: Ich bin jetzt 40 und habe seit 25 Jahren immer mal wieder mit mittelschweren depressiven Phasen zu kämpfen. Das erste war mit 14, als ich riesige Angst vor dem Tod und meiner Sterblichkeit entwickelt habe. Seitdem immer mal wieder reingeritten, oft in Umbruchsphasen: mit Anfang 20 und dem ersten großen Liebeskummer; mit 30 nach der Promotion auf der Suche nach einem Job; vor 5 Jahren, als mein Vater an Krebs erkrankte und auch daran gestorben ist. Meine ganze Familie hat viele Depressionserfahrungen. Aber mit Hilfe von Antidepressiva und v.a. meiner Therapeutin seit 10 Jahren, die mich mit einem schematherapeutischen Ansatz behandelt hat, konnte ich die Phasen dann auch wieder hinter mir lassen. Gerade die letzte Phase nach dem Tod meines Vaters hatte ich erstaunlich erfolgreich gemeistert und auch das Gefühl, dass ich einiges dazugelernt hatte.

Nun bin ich leider wieder in einer solchen Phase, vielleicht leider mit Ansage. Ich habe vor einigen Jahren eine Frau aus Finnland kennengelernt und mit ihr zusammengekommen. Diese Fernbeziehung zwischen Süddeutschland und Nordeuropa hat auch die Pandemie gut überstanden und ich bin unglaublich dankbar und glücklich darüber. Aber nach 4 Jahren ist eine Fernbeziehung anstrengend und wir haben uns gewünscht, mehr Zeit miteinander zu verbringen und die Zukunft zu planen. Da mir meine Heimatstadt nach 15 Jahren ohnehin immer mehr auf die Nerven ging, habe ich beschlossen, eine Art Auswanderung auf Probe zu versuchen - ich habe mich für ein halbes Jahr beurlauben lassen und werde das in Helsinki verbringen. Diese Zeit wollte ich auch nutzen, um dort nach einem Job zu suchen, um tatsächlich zu meiner Partnerin auszuwandern.

Ich weiß, das ist ein riesiger Schritt, und leider hat das auch die altbekannten Muster getriggert. Von Anfang an habe ich mir enorm viele Sorgen und Gedanken gemacht: Wie kann ich dort einen Job finden? Wird er auch nur ansatzweise so gut wie mein bisheriger sein? Wie wird es sein, so weit weg von Freunden und Familie zu leben? Oft waren es auch ganz triviale Sorgen: Finde ich jemanden als Zwischenmieter? Welche Koffer sollte ich mitnehmen? Egal ob groß oder klein, die Sorgen haben sich in den letzten Monaten immer mehr aufgebaut. Wenn ich versucht habe, Schritte zur Planung anzugehen, fühlte ich mich oft wie blockiert. Dazu hatte ich auch wegen meines Jobs nicht so viel Zeit. Leider habe ich das nicht als Zeichen gesehen, meine Ängste offen anzugehen und mir evtl. wieder Hilfe zu suchen, sondern habe mich in Vermeidung geflüchtet. Das ist dann nach hinten losgegangen - ich hatte vor einigen Wochen einen kleinen Nervenzusammenbruch und als ich dann vor zwei Wochen bei meiner Therapeutin war (ich bin offiziell nicht mehr in Therapie, sehe sie nur alle paar Monate zur Auffrischung), hat sie mir auch kräftig den Kopf gewaschen ("Ich bin so wütend, dass ich Sie am liebsten schütteln würde" :shock: ).

Seit dieser notwendigen, aber auch aufwühlenden Therapiesitzung geht es mir jetzt leider schlechter. Ich wache zu früh auf und verliere mich in Gedankenkreisen, habe starke Stimmungsschwankungen, habe leichte Depersonalisierung (alles wie durch einen Schleier hindurch wahrgenommen) - ganz klassische Symptome meiner Depression. Was immerhin gut ist, ist, dass es nicht die ganze Zeit so ist, sondern ich auch gute Momente habe und dass ich jetzt auch aktiv gegen die Symptome angehe - ich werde nach Absprache wieder mit den Medikamenten (Escitalopram) anfangen, mache Achtsamkeitsmeditation und Übungen, um verzerrte Gedanken wahrzunehmen. Aber es ist anstrengend und beängstigend, so schnell wieder abgerutscht zu sein.

Daher einfach nur die sehr offene Frage: Was kann ich noch tun? Ich werde jetzt schon in den Urlaub nach Finnland fahren und dann eben ab Oktober länger dort sein. Ich freue mich total darauf, freue mich, Zeit mit meiner Partnerin zu verbringen, aber die Angst, dass ich ohne Therapie weiter abrutsche, meine Beziehung darunter leidet, mein Traum, einen neuen Abschnitt meines Lebens selbstbestimmt anzugehen, kaputt geht ... puh, that's a lot. Ich würde mich über jede Antwort freuen, selbst wenn es nur Mitgefühl ist :)
Bittermandel
Beiträge: 2312
Registriert: 10. Apr 2021, 09:32

Re: Auswandern trotz/mit Depression

Beitrag von Bittermandel »

Hallo

Ich finde deine Planung sehr gut. So kannst du für dich abwägen ob die Auswanderung für dich der richtige Weg ist. Vielleicht wäre es gut dir vor Ort eine Therapeutin zu suchen falls es dir schlechter geht. Auch wegen der Medikamente würde ich mich schlau machen ob es die in Finnland gibt. Du hast ja Zeit dir in Ruhe alles anzuschauen und dann eine Entscheidung zu treffen. Eine Alternative wäre wenn deine Partnerin zu dir nach Deutschland käme.

Liebe Grüße Bittermandel
Mario81
Beiträge: 272
Registriert: 5. Mär 2023, 12:03

Re: Auswandern trotz/mit Depression

Beitrag von Mario81 »

Hallo.

Da kann ich mich Bittermandel nur anschließen. Ich finde das du das "auf Probe" richtig machst. Da kannst du wirklich Abwegen ob es funktioniert oder nicht. Und da eine Therapeutin zu suchen ist sicher nicht verkehrt. Ich weiß ja nicht wie gut du die Sprache kannst.
Ausserdem gehst du aktiv dagegen an, wie du schreibst. Und wenn dir auch Escitalopram hilft ist das doch gut.

Ich drück dir die Daumen und wünsche dir das beste.

Liebe Grüße
Mario
"Du darfst nicht alles Glauben,was Du denkst." Alexander Bojcan
stumbleine
Beiträge: 2
Registriert: 31. Jul 2023, 11:27

Re: Auswandern trotz/mit Depression

Beitrag von stumbleine »

Vielen Dank euch beiden, das hilft sehr, zu hören! Gestern kam mir auch der Gedanke, dass es v.a. mehr Zeit mit meiner Partnerin ist, alles andere ein bisschen egal ist, und das hat mir sehr viel geholfen :)
Maxegon
Beiträge: 2525
Registriert: 25. Mai 2021, 11:33

Re: Auswandern trotz/mit Depression

Beitrag von Maxegon »

stumbleine hat geschrieben: 31. Jul 2023, 19:23
... habe ich beschlossen, eine Art Auswanderung auf Probe zu versuchen - ich habe mich für ein halbes Jahr beurlauben lassen und werde das in Helsinki verbringen. Diese Zeit wollte ich auch nutzen, um dort nach einem Job zu suchen ...
Das ist doch eine tolle Idee!
Wenn du die Möglichkeit hast, dir so lange frei zu nehmen.
Die Finnen sind ein sehr freundliches und aufgeschlossenes Völkchen, ich war dort immer gern.
Die Sprache ist zwar sehr gewöhnungsbedürftig, doch du hast ja eine gute Lehrerin.😉

Mache dir nicht so viele Gedanken über Koffer etc.pp. , ein Mensch braucht nicht soooo viele Klamotten und es gibt ja auch Waschmaschinen und sogar Geschäfte.

Lass' die Depression einfach in Deutschland, nimm sie nicht mit nach Helsinki.
Mache dich nicht verrückt, bevor es überhaupt losgeht.

Sperr' deine Angst zu Hause (in Deutschland) ein und genieße das Land, nutze die Möglichkeit und fahre einfach hin!

:hello:
Lavendel64
Beiträge: 544
Registriert: 27. Dez 2017, 14:44

Re: Auswandern trotz/mit Depression

Beitrag von Lavendel64 »

Hallo,

Finnland - wie cool! Ich habe in einer Depressionsphase meinen Mann kennengelernt, ebenfalls eine Fernbeziehung, wenn auch nicht so weit. Als wir zusammengezogen sind, war die Depression wie weggeblasen. Mir ging es gut, über Jahre hinweg. Erst nach der Geburt meines Kindes rutschte ich wieder in ein Tief, das sich aber ja hormonell erklären lässt.

Wenn Du es nicht versuchst, wirst Du es immer bereuen und die "was wäre wenn"-Gedanken verfolgen Dich. Nur Mut! Es gibt sicher auch in Finnland Therapeuten, die Englisch oder Deutsch sprechen, ebenso wie hier in Deutschland z.B. Flüchtlinge auch therapeutische Hilfe bekommen. Und Helsinki ist eine Großstadt - im Notfall wirst Du dort sicher Hilfe bekommen.

Alles Gute mit Deinen Plänen
LG Lavendel
***Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen ***
Maxegon
Beiträge: 2525
Registriert: 25. Mai 2021, 11:33

Re: Auswandern trotz/mit Depression

Beitrag von Maxegon »

IchWirErSieEs hat geschrieben: 2. Aug 2023, 12:26
Statistisch gesehen kommen viele Auswanderer wieder zurück. Und wer psychisch eher labil ist, ...
Hallo stumbleine,

mach' bloß nicht den Fehler und sehe dein Leben statistisch!
Dann dürftest du nicht mehr Autofahren, auf eine Leiter steigen u.s w. .
"Frauen sind sehr auf Sicherheit bedacht ..." was sind das für Sprüche?
" Das Boot kann aĺso schnell kentern .. " drum steig' lieber nicht ins Boot.
"Sei dir der Gefahren bewusst... " kann man einen Menschen noch "besser" motivieren.

Am besten du vermeidest alles, dann kann auch nichts passieren.
Beginne keine Beziehung, dann kannst du nicht enttäuscht werden. :lol:
Darf's ein bisschen mehr sein? ...

@sturmbleine, lasse dich nicht verunsichern!!!

Träume, vertraue, wage.

Ich war einige Zeit (Jahre) mit einer Niederländerin zusammen und auch oft und lange in Den Haag.
Es war eine sehr schöne Zeit!
Nimm alles mit, was du bekommen kannst, probiere so viel wie möglich aus.

Jammern und aufgeben kannst du immer noch.
Auf die Nase fallen kann man immer, nur der nicht, der nichts tut.

Sei also auf der Hut, vor all den Miesmachern, Zauderern und Statistiker*innen.

Schnapp' dir deinen Koffer und fahr' zur Liebsten, habt eine schöne Zeit.

Vielleicht fällt dir ja auch ein Flugzeug auf den Kopf oder der böse Herzkasper rafft dich dahin, statistisch zwar eher unwahrscheinlich, doch nicht unmöglich.

Ich ende mit einem Satz meiner Oma:

Wer es nie probiert, wird es nie herausbekommen.

:hello:
Clown
Beiträge: 4327
Registriert: 8. Nov 2004, 18:22
Kontaktdaten:

Re: Auswandern trotz/mit Depression

Beitrag von Clown »

Maxegon hat geschrieben: 2. Aug 2023, 13:36
IchWirErSieEs hat geschrieben: 2. Aug 2023, 12:26
Statistisch gesehen kommen viele Auswanderer wieder zurück. Und wer psychisch eher labil ist, ...
Hallo stumbleine,

mach' bloß nicht den Fehler und sehe dein Leben statistisch!
Dann dürftest du nicht mehr Autofahren, auf eine Leiter steigen u.s w. .
"Frauen sind sehr auf Sicherheit bedacht ..." was sind das für Sprüche?
" Das Boot kann aĺso schnell kentern .. " drum steig' lieber nicht ins Boot.
"Sei dir der Gefahren bewusst... " kann man einen Menschen noch "besser" motivieren.

Am besten du vermeidest alles, dann kann auch nichts passieren.
Beginne keine Beziehung, dann kannst du nicht enttäuscht werden. :lol:
Darf's ein bisschen mehr sein? ...

@sturmbleine, lasse dich nicht verunsichern!!!

Träume, vertraue, wage.

Ich war einige Zeit (Jahre) mit einer Niederländerin zusammen und auch oft und lange in Den Haag.
Es war eine sehr schöne Zeit!
Nimm alles mit, was du bekommen kannst, probiere so viel wie möglich aus.

Jammern und aufgeben kannst du immer noch.
Auf die Nase fallen kann man immer, nur der nicht, der nichts tut.

Sei also auf der Hut, vor all den Miesmachern, Zauderern und Statistiker*innen.

Schnapp' dir deinen Koffer und fahr' zur Liebsten, habt eine schöne Zeit.

Vielleicht fällt dir ja auch ein Flugzeug auf den Kopf oder der böse Herzkasper rafft dich dahin, statistisch zwar eher unwahrscheinlich, doch nicht unmöglich.

Ich ende mit einem Satz meiner Oma:

Wer es nie probiert, wird es nie herausbekommen.

:hello:

Hallo stumbleine,

ich bin richtig froh über Maxegons Posting, finde, er hat absolut recht!
Bleibe bei deinem guten Gefühl, dass du bezüglich der Probezeit hast, vertraue dir und deiner Liebe!

Alles Gute!
Clown
"Realize deeply that the present moment is all you ever have. Make the Now the primary focus of your life."
Eckhart Tolle
Antworten