Angst vorm Leben - ICH WILL LEBEN

Bellasus
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Re: Angst vorm Leben - ICH WILL LEBEN

Beitrag von Bellasus »

Hallo Girasol,

eben sehe ich erst dein Posting. Diese Stärke, sich in der Not selber helfen zu können - es kann auch ein Fluch sein, denn jeder denkt ja, dass du schon alles hinbekommst und nur jammerst. An welchen Punkt die Stärke erst einsetzt, nämlich wenn gar nichts anderes mehr geht, das sieht ja niemand.

Und Angst zugeben - ja, damit habe ich eigentlich kein Problem, genausowenig wie damit, Fehler einzugestehen, auch im Job. Und auch damit bin ich schon böse auf die Nase gefallen. Ich bin froh, dass ich nicht damit beschäftigt bin, meine Ängste zu verstecken, aber ich kann es auch nicht kontrollieren, es überschwemmt mich einfach, und genau das nimmt mir dann niemand ab, weil ich doch immer so schlau und stark bin - Scheiße.

Sorry.

Und gute Nacht, morgen wirds vielleicht besser, habe heute jedenfalls meinen neuen Hausarzt gefunden, der auch Therapeut ist und gut zwischen den Zeilen zuhören kann...

Alles Liebe
Annette




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Lee
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Re: Angst vorm Leben - ICH WILL LEBEN

Beitrag von Lee »

Hallo, liebe Annette,

Tagesklinik finde ich gut, weil sie ein Mittelding zwischen Aufgefangensein und Rückkehr in den Alltag bedeutet. Auf die Art könntest du deine Probleme intensiv bearbeiten und wärest zwischen den Therapieterminen nicht so lange allein.

Ich fürchte mich auch vor dem sozialen Abstieg, aber wenn man's mal genau überlegt, dauert es sehr lange, bis es soweit ist.

Mit meiner Sache komme ich nicht zurecht zurzeit. Ich denke viel über das Telefongespräch nach. Für mich war meine erste Therapie so eindrucksvoll wie meine erste Liebe. Daher bedrückt es mich sehr, dass wir im Streit auseinandergegangen sind und das nicht mehr geradezurücken ist. Es wird wohl noch eine ganze Weile dauern, bis ich das verarbeitet habe. Im Moment hasse ich mich (daher das Löschen in den anderen Threads, sorry). Aber ich arbeite daran. Diesmal machen wir es anders und ergreifen unsere Chance zur Veränderung, nicht wahr, Annette?

Ganz liebe Grüße, fühl dich umarmt,
Lee
Bellasus
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Re: Angst vorm Leben - ICH WILL LEBEN

Beitrag von Bellasus »

Hallo Lee,

ich freue mich schon immer von dir zu lesen, aber wenn du mal nicht magst laß es einfach bitte!

Zuerst zu dir: Der Vergleich Therapie - Liebe ist gar nicht so abwegig. Beides sind entscheidende Lebensabschnitte, die eine ungeheure Bedeutung für das weitere Leben haben. Hingabe, Fallenlassen hatten wir doch neulich - einem Lebenspartner und dem Therapeuten sollte man so weit vertrauen, dass man sich fallen läßt und offenbart, quasi wie ein Hund, der sich auf den Rücken legt und die Kehle zeigt: Ich vertraue dir, biete dir meine verletztlichste Stelle dar. Und wenn das enttäuscht wird, gibt es eigentlich nichts schlimmeres mehr in zwischenmenschlichen Beziehungen. Es zerstört sehr viel für die Zukunft, wie wir jeden Tag schmerzhaft spüren.

Ich dachte früher, solche Dinge müßte man mit der betroffenen Person zusammen verarbeiten. Das glaube ich heute nicht mehr. Z.B. habe ich meine einzige lange Beziehung (5,5 Jahre) jetzt, 3 Jahre nach dem Ende, für mich abgeschlossen, ohne mit ihm nochmal gesprochen zu haben. Einfach dadurch, dass ich an mir gearbeitet habe und erkannt habe, welche Symptome meiner Krankheit auch damals schon unsere Beziehung erschwert haben. Als ich im Mai aus der Klinik kam, spürte ich, dass ich ihm jetzt wieder begegnen könnte und es wäre ok. So wünsche ich dir und glaube ich ganz sicher, dass du dieses Gefühls-Drama durchstehst und es dich einen Schritt weiterbringt. Aber du mußt das nicht alleine schaffen, das wäre wirklich zu viel verlangt!

Nach meiner Therapie geht es mir heute besser, konnte mich sogar zum Fahrradfahren zu einer Freundin entschließen. Die Depri ist da, das läßt sich nicht leugnen, aber ich kümmere mich um die Tagesklinik. Habe mich im Net informiert, es scheint wirklich sinnvoll zu sein.

Im Frühjahr bewunderten etliche Freunde meinen Mut, in die Klinik zu gehen, dabei war es mein letzter Rettungs-Strohhalm. Es hätte Mut gekostet, zu Hause zu bleiben. Der Entschluß, jetzt in eine Tagesklinik zu gehen, fällt mir sehr viel schwerer, denn jetzt geht es nicht mehr um Krisenintervention, sondern um wieder "fit" werden, und genau davor habe ich die Riesenangst. Ich traue mich nicht gesund zu werden. Weil ich nicht weiß was mich erwartet. Ich habe das Gefühl, nie im Leben wirklich gesund gewesen zu sein, von Kind an beeinträchtigt gewesen zu sein. Jetzt soll ich alle Energie daran setzen, einen Zustand zu erreichen, den ich nicht kenne und den alle anderen toll finden. Aber kann ich ihnen vertrauen? Was wenn ich mit diesem Zustand nicht zurechtkomme? Wie ein von Geburt an blinder oder tauber Mensch, der hat zumindest am Anfang Riesenprobleme sich zurechtzufinden. Wer gesund war und krank wird will den alten, angenehmeren Zustand schnellstmöglich wiederherstellen. Ich soll/ will aber Vertrautes aufgeben und in unbekannte Welten aufbrechen... Ja, davor habe ich Angst. Ich muß es ja auch nicht alleine schaffen, aber ich habe Angst dass mehr von mir erwartet wird als ich leisten kann. Ich bin trotzdem mutig und rufe morgen dort an, denn es könnte eine Chance sein.

Lee, alles was du hier schreibst ist doch ein Teil von dir, das kannst du doch nicht einfach löschen! Manche Zwischenschritte (=Postings) sind zu nichts weiter gut als den nächsten Schritt zu ermöglichen, Katalysatoren sozusagen.

Laß dich auch umarmen,
liebe Grüße
Annette




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Emily
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Re: Angst vorm Leben - ICH WILL LEBEN

Beitrag von Emily »

Liebe Annette,

du sagst, du hast Angst vor dem Gesundwerden, weil du diesen Zustand noch nie wirklich bewusst an dir wahrgenommen hast, auch als Kind nicht. Aber vor dem Gesundsein braucht man wirklich keine Angst zu haben. Zum einen wirst du diesen Zustand ja nur schrittweise erreichen können, hast also Zeit, dich an jeden einzelnen Schritt zu gewöhnen und ihn dir in Ruhe anzuschauen. Zum anderen fühlt man sich, wenn man gesund ist, mit sich selbst im Einklang. Man akzeptiert sich und hat nicht mehr das Gefühl, wegschauen zu müssen, wenn man in den Spiegel schaut. Man freut sich darüber, dass man existiert und muss es nicht mehr bedauern. Wenn man Fehler macht, ist das nicht gleich ein Grund zur Verzweiflung und zur Selbstzerfleischung. Außerdem kann man die Fehler, die andere machen, auch mal bei denen selbst belassen und muss sie sich nicht ständig selbst ankreiden. Das Positive überwiegt das Negative, nicht umgekehrt wie in der Krankheit. Außerdem hat man auch Interesse, Freude und Spaß am Leben, an neuen Dingen, Ansichten und Begegnungen, an Planungen für die Zukunft. Die qualvolle innere Unsicherheit, die ständigen Selbstzweifel etc. haben ein Ende. Das heißt sicher nicht, dass man dann gleich an "Überheblichkeit" leiden würde. Damit hat es nichts zu tun. Die Dinge sind in einem gesünderen, angenehmeren Lot.

>>>>> "Wer gesund war und krank wird will den alten, angenehmeren Zustand schnellstmöglich wiederherstellen."
Ich glaube nicht, dass man nach der speziellen Krankheit Depression den alten angenehmen Zustand genauso wiederherstellen kann, wie man ihn zuvor gekannt hat, schon gar nicht, wenn die Depris einen jahrelang gequält haben. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass NACH der Krankheit NICHT VOR der Krankheit ist. Die Prägung durch die Krankheit, ihre Symptome, die Therapien etc. ist dafür zu stark. Es ist ein anderer Zustand, in dem viele Dinge in der inneren Sichtweise nun anders gelagert sind. Das ist anders, aber AUCH angenehm. Manche Prioritäten haben sich verschoben, viele Denkmuster haben sich verändert. Das musste auch so sein, sonst hätte man die Depris ja nicht bewältigen können. Ein erstrebenswerter Zustand ist es allemal, und du kannst die Angst davor getrost über Bord werfen.

Gruß von
Emily
Lee
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Re: Angst vorm Leben - ICH WILL LEBEN

Beitrag von Lee »

Hi Annette!

Nur ganz kurz ein Hallo, um dir zu schreiben, dass ich mir dein Posting ausgedruckt habe (danke!!) und dass ich in deinem Thread schreibe, weil ich es gerne tu und gerne von dir höre.

Ich melde mich sicher wieder bei dir,
bis dahin liebe Grüße und toi, toi, toi in Sachen Tagesklinik

Lee
Bellasus
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Re: Angst vorm Leben - ICH WILL LEBEN

Beitrag von Bellasus »

Liebe Lee,
danke für Hallo, machs gut bis dahin!

Liebe Emily,

du hast genau die Punkte getroffen, um die es geht, vor allem was nicht in den Spiegel schauen können angeht zog sich beim Lesen mein Magen zusammen, einfach weil es so ist und weil das so furchtbar ist. Am allerschlimmsten ist, dass ich mit niemandem zusammen in einen Spiegel schauen kann, nicht mal mit dem Mann, den ich liebte, als wir noch zusammen waren.

Aus deinen Worten spricht tiefste Überzeugung, du scheinst es wirklich geschafft zu haben – ich weiß grad nicht so viel über dich, schreibe offline und freue mich sehr für dich und wünsche dir, dass du auch in schwierigen Zeiten immer den Halt in dir findest. Ich glaube dir, dass es so sein kann, ich kann es mit dem Verstand erfassen, aber wie es sich anfühlt kann ich mir nicht vorstellen. Und ich habe eben immer diese Angst, dass ich TROTZDEM nicht mit meinem Leben fertigwerde, alleine bleibe, im Beruf nicht klarkomme, dass letztlich alles für die Katz ist. Was mach ich denn dann, wenn ich gesund bin und es mir trotzdem schlecht geht? Ja, ich habe Angst davor dass es mir gut geht und ich mein Leben bewältigen muß. Dass das dann vielleicht gar nicht mehr so schwer ist liegt schlicht und einfach außerhalb meines Vorstellungsvermögens, und über Vertrauen habe ich ja schon was gesagt... Da haben deine Worte eine ganz besondere Bedeutung, weil du weißt wovon du sprichst, dir kann ich viel eher vertrauen als jemandem aus der Welt der nie depressiv gewesenen.

Heute morgen habe ich in der Tagesklinik angerufen und einen Vorstellungstermin für Anfang Oktober bekommen. Damit ist mir schon sehr mulmig, weil es eben ein Schritt in diese unbekannte Welt ist und man wohl von mir erwarten wird, dass ich mein Korsett aus Krankheit langsam loslasse. Gut, dass noch etwas Zeit ist, sonst würde mir vor Angst schlecht werden. Aber ihr seht, ich gehe es an.

Lee, Emily und alle anderen, ich wünsche euch einen friedlichen sonnigen Tag,
liebe Grüße

Annette




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- Betroffene für Betroffene -
Lee
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Re: Angst vorm Leben - ICH WILL LEBEN

Beitrag von Lee »

Hi Annette,
hallo Emily,

nun wird es aber richtig spannend! Das ist genau das, was ich mich auch immer frage: Was, wenn....

Was, wenn mein Leben dann nicht schöner wird, was, wenn ich dann feststellen muss, dass ich auch ohne Depression mein Leben nicht bewältige? Wenn man's genau nimmt, bietet einem diese Stimmung der Hoffnungslosigkeit eigentlich sehr viel Hoffnung - nämlich die, dass es doch noch ein Leben "draußen" geben könnte. Ist es nicht witzig? Wo ist da der Denkfehler? Oder ist die Lösung so einfach:

1.
Probleme kann man niemals mit der gleichen Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.
(Albert Einstein und Emily)

2.
Das Gegenteil von Angst ist nicht Mut oder Kampf, sondern Vertrauen.
(Annette)

Leider komme ich jetzt nicht weiter mit dem Denken. Melde mich später wieder. Danke für die Geschichte deiner Beziehung bzw. deines Loslassens, Annette. Daran werde ich mich immer wieder erinnern.

LG
Lee
MissMarple

Re: Angst vorm Leben - ICH WILL LEBEN

Beitrag von MissMarple »

Hallo Annette,

in "grauer Vorzeit" habe ich einmal zum Thema Tagesklinik geschrieben,
vielleicht nimmt Dir das Lesen des postings ein bißchen die Angst.

http://www.kompetenznetz-depression.de/ ... 1060326246

Dieses Jahr war ich wieder fast 6 Monate in "meiner" Klinik und
dort zum Teil als Tagespatient. Ich wäre auch sofort wieder in die Tagesklinik
gegangen, nur wollte ich den Doc nicht mehr wechseln, denn "mein" Doc,
den ich schon in der Tagesklinik hatte, ist jetzt Stationsarzt auf "meiner" Station.

Liebe Grüße

Birgit
butterfly7
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Re: Angst vorm Leben - ICH WILL LEBEN

Beitrag von butterfly7 »

liebe Annette,
ich will auch leben.
aber bis dahin scheint esmir ein "steiniger"
weg zu sein.
ich verlasse kaum das haus (obwohl ich mir
so vieles leisten könnte,-prahl-, habe mein leben lang "geschufftet, wie eine bekloppte").
der DANK dafür ist schwere depression!!!!
habe studium (summa cum laude -prahl-)
geschafft, und noch drei andere berufe
was nützt mir das alles, wenn ich das haus nur unter schwierigkeiten verlassen kann.
habe alles was ich brauche und NICHTS.
fange an, wie mein sohn, über den sinn des lebens nachzudenken.
sch... wollte mich nur ausk...
tut mir leid für evntl. falsche wortwahl.
ich habe so viel zu tun.
aber schaffe es nicht.
"früher" kein problem.
absolutes management.
burnout und depression sind eine bösartige
mischung.
alles liebe für dich
und @all
dust
Bellasus
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Re: Angst vorm Leben - ICH WILL LEBEN

Beitrag von Bellasus »

Hallo ihr alle,

habe mich wieder halbwegs in der Spur, aber innerlich bohrt es und zieht mich runter. Schon komisch, dass man mit anderen locker reden kann und dabei am liebsten heulen würde...

liebe Lee,
ich kam mir schon albern vor mit dem Gedanken, was wenn... habe es gelöscht und dann doch wieder hingeschrieben. Du empfindest auch so? Dann spinne ich ja doch nicht. Du hast da schon ganz schön gut gedacht und ich stimme den Thesen zu. Aber ein Denkfehler ist es wohl auch: Nämlich dass wir uns ein Leben ohne diese Einschränkungen gar nicht vorstellen können und die Depri automatisch immer mit einbauen, wenn wir an die Zukunft denken. Vielleicht ist der Vergleich brauchbar: Alle um dich rum sprechen eine fremde Sprache, die du nicht verstehst. Sie muntern dich auf, komm, rede einfach los, du mußt keine Angst haben, wir lachen dich nicht aus, du darfst ruhig Fehler machen, wir wollen, dass du dich unterhalten kannst und nicht mehr einsam bist. Und du verstehst das alles leider nicht, weil du ja die Sprache nicht kannst. Und selbst wenn man es dir in deiner Sprache erklärt, kannst du die fremde trotzdem nicht sprechen, so viel Mühe du dir auch gibst. Du mußt sie vom ersten Wort an lernen, Lektion für Lektion, das ist die einzige Möglichkeit.

liebe Birgit:
danke dir! Das habe ich alles schon gelesen am Dienstag, habe das Forum durchforstet und im Internet auch die Klinik in Hannover gefunden, die es sein evtl. sein wird.
Inzwischen sage ich HOFFENTLICH, je länger ich drüber nachdenke desto besser scheint mir diese Möglichkeit. Die Frau am Telefon klang sehr sympathisch, hat gleich ein paar Sachen gefragt. Ich weiß sonst einfach nicht was ich machen soll.

liebe Dust,
ich weiß gar nicht was ich dir schreiben soll, ich drück dich einfach mal ganz lieb und hoffe dein "Ich will auch leben" noch öfter von dir zu hören!

Alles Lieb für euch
Annette




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Lee
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Re: Angst vorm Leben - ICH WILL LEBEN

Beitrag von Lee »

Hi Annette!

Die Waswennitis kanntest du noch gar nicht? Da kann ich dich beruhigen: Alle Menschen, die Angst verspüren, fragen sich das mehr oder weniger unbewusst. Also ein paar Milliönchen z.B. gerade jetzt in dieser Minute. Je doller die Angst, desto verschlungener und ideenreicher auch die Waswennitis.

Dann kennst du auch das Und dann-Spiel noch nicht? In "unserem Fall" ginge das ungefähr so: Was, wenn ich wieder gesund bin? Dann hätte ich Freude am Leben und wäre endlich glücklich. Und dann? Vielleicht müsste ich erkennen, dass sich auch dann meine Wünsche nicht erfüllen. Und dann? Das könnte ich nicht ertragen. Und dann? Dann würde ich verzweifeln. Und dann? Dann wäre mein Leben nichts wert. Und dann? Dann könnte ich nicht weiterleben. Und dann? Usw. usf. Diese Gedankenketten sind sehr lang - und haben meistens nur einen "Erfolg": Mutlosigkeit, schlechte Stimmung, Panik, Verzweiflung.

So was in der Art. Jedenfalls kommt bei diesem Spiel sehr viel zutage, besonders die Denkfehler durch den negativen Filter im Kopf. Und plötzlich wird einem klar, warum man deprimiert ist. Man sagt, dass Depressive alles durch einen schwarz getönten Filter erleben, Gesunde durch einen rosa eingefärbten. Ich glaub, da ist viel Wahres dran: Solche Filter entstehen durch Erfahrungen, die man gemacht hat (die mitunter einen günstigen Nährboden durch biochemische Komponenten finden), und es ist, wie du sagst, Annette, man kann sie nur Stück für Stück umfärben. So wie der kleine Chinese, der den Berg abgetragen hat. Steinchen um Steinchen.

Den Vergleich mit der Fremdsprache fand ich übrigens klasse. So pragmatisch hatte ich das noch gar nicht gesehen.

In diesem Sinne viele Grüße
Lee
Emily
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Re: Angst vorm Leben - ICH WILL LEBEN

Beitrag von Emily »

Liebe Annette,

danke für dein Posting an mich.

>>> Ich glaube dir, dass es so sein kann, ich kann es mit dem Verstand erfassen, aber wie es sich anfühlt kann ich mir nicht vorstellen.
Das kann ich dir gut nachfühlen, denn die Vorstellungskraft für das Gesundsein kommt einem völlig abhanden. Das ist leider normal in der Krankheit, ging mir genauso. Allerdings hätte es mir auch nicht viel gebracht, wenn ich es mir hätte vorstellen können, denn SO, wie dieses Gefühl heute für mich tatsächlich ist, hätte ich es mir garantiert NICHT vorstellen können. Man kann ja die Entwicklungsschritte, die einem in der Krankheit noch zur Genesung fehlen, nicht vorwegnehmen. Die Vorstellungskraft ist auch dadurch stark eingeschränkt.

>>> Und ich habe eben immer diese Angst, dass ich TROTZDEM nicht mit meinem Leben fertigwerde, alleine bleibe, im Beruf nicht klarkomme, dass letztlich alles für die Katz ist. Was mach ich denn dann, wenn ich gesund bin und es mir trotzdem schlecht geht?
Das ist eigentlich ein Widerspruch in sich. Wenn du gesund bist, hast du die notwendigen Schritte hinter dich gebracht, die dafür gesorgt haben, dass es dir wieder gut geht. Wenn du wieder Tiefs bemerken solltest, wirst du reagieren können, weil du durch die Therapien die entsprechenden Korrekturmöglichkeiten für dein Denken und Handeln kennengelernt hast. Und wenn man in der Realtiät erlebt hat, dass diese Veränderungen auch Früchte tragen, entsteht eine starke Motivation, sie selbständig und in Eigenregie weiterzuverwenden, damit man nur ja nicht mehr in die Depris zurückfällt.

>>> Ja, ich habe Angst davor dass es mir gut geht und ich mein Leben bewältigen muß.
Diese Angst vor der Bewältigung seines Lebens ist eine ganz natürliche Angst, die jeder Gesunde auch hin und wieder verspürt. Aber sie lähmt ihn nicht, sondern bringt ihn zu überlegterem, gezielterem, manchmal auch korrigierendem Verhalten. Das ist doch ok so! Wenn du wieder gesund bist, reduziert sich die Angst auf ein normales Maß. Du wirst dir sagen: Wenn ich diese schwere Krankheit bewältigt habe, dann bewältige ich dieses Problem X,Y,Z doch auch ...

>>> Heute morgen habe ich in der Tagesklinik angerufen und einen Vorstellungstermin für Anfang Oktober bekommen. Damit ist mir schon sehr mulmig, weil es eben ein Schritt in diese unbekannte Welt ist und man wohl von mir erwarten wird, dass ich mein Korsett aus Krankheit langsam loslasse. Gut, dass noch etwas Zeit ist, sonst würde mir vor Angst schlecht werden. Aber ihr seht, ich gehe es an.
Dass du es angehst, ist sehr gut. Und du wirst spüren, dass du die Krankheit loslassen kannst, wenn du die Dinge gelernt hast, die sie dir sagen wollte.

Gruß von
Emily
Lee
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Re: Angst vorm Leben - ICH WILL LEBEN

Beitrag von Lee »

@ Emily

Auch von mir an dieser Stelle einmal herzlichen Dank für deine aufbauenden Beiträge! Ich les dich sehr gern.

Viele Grüße
Lee
Emily
Beiträge: 1217
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Re: Angst vorm Leben - ICH WILL LEBEN

Beitrag von Emily »

Danke dir, Lee.
Bellasus
Beiträge: 1628
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Re: Angst vorm Leben - ICH WILL LEBEN

Beitrag von Bellasus »

Hallo Lee,

mit der Waswennitis und dem Und dann-Spiel hast du mich schön zum Lachen gebracht. Klar kenne ich die! Ich meinte ja auch ganz konkret das „wenn ich gesund bin und trotzdem nichts gut wird“. Und das Und dann-Spiel spiele ich kaum noch, ich habe ein neues, das heißt Hier und Jetzt. Das bekomme ich seit der Klinikzeit schon ganz gut hin, wirklich zu schauen, was ist JETZT, welches ist der nächste Schritt, und erst wenn ich den getan habe denke ich weiter und kümmere mich nicht um die vielen vielen Eventualitäten, die vielleicht eintreffen könnten. Ich betreibe es so excessiv, dass ich wirklich im Hier und Jetzt lebe und mir eben alles, was weiter geht, Angst macht, weil ich es noch nicht bewältigen kann. Das ist jetzt eben so, und ich hole mir Hilfe, damit es sich vielleicht irgendwann mal wieder ändert. Wie eng gesteckt meine Grenzen sind, spüre ich im Alltag immer wieder. Ich respektiere sie, ohne mich dabei zu verkriechen – das ist doch schon was.

Hallo Emily,

es tut wirklich gut, dich zu lesen – es beruhigt mich, und du sprichst einfache Wahrheiten aus, die man so leicht vergißt oder nicht mehr sieht, weil man sich völlig verheddert hat in Ängsten und Panik. Ich danke dir sehr!

Mir ist in den letzten Tagen schmerzlich bewußt geworden, wie sehr ich mich als kleines hilfloses Kind fühle, Sehnsucht habe, mich einzurollen und gewärmt zu werden, an die Hand genommen zu werden. Ich glaube, das was man eigentlich als Kind erlebt, selbständig werden, loslaufen und die Welt entdecken fange ich jetzt erst an, das ist damals irgendwie ausgefallen. Ich bin 39 und kann nicht behaupten, dass ich mich erwachsen fühle, das Kind in mir schreit nach Geborgenheit, die erwachsene Frau versucht Ansprüche zu erfüllen und die innere Stimme zu ignorieren – so habe ich 20 Jahre gelebt.

Inzwischen sehe ich dem, was da kommen mag (Tagesklinik, Veränderungen), etwas mutiger entgegen, ich versuche darauf zu vertrauen, dass ich Hilfe bekomme, wenn ich sie benötige. Und ich bin froh, nicht mehr darum kämpfen zu müssen, dass andere erkennen, dass ich wirklich noch nicht wieder funktionieren kann, dass ich ganz am Anfang stehe und auf ganz wackeligen Beinen.

Meine Therapeutin ist total süß: Als ich neulich so niedergeschlagen, wackelig und schwindelig bei ihr saß, gab sie mir einen bunten Regenschirm mit – zum dran festhalten. Habt ihr auch etwas, woran ihr euch bei Bedarf festhalten, aufstützen könnt?

Mental unterstütze ich euch sehr gerne, so gut ich kann,

viele liebe Grüße
Annette




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Thuja
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Re: Angst vorm Leben - ICH WILL LEBEN

Beitrag von Thuja »

Liebe Annette!

Mit der Sehnsucht des kleinen Kindes nach Geborgenheit, sich einzurollen, gewärmt zu werden - ich würde noch hinzufügen: Geschützt und gehalten zu werden - bist Du absolut nicht allein, es geht mir genauso!!! Aber trotzdem fühle ich mich auch irgendwie erwachsen, nach außen... innendrin ist aber auch noch irgendwo das Kind!
Das mit dem Regenschirm ist ja wirklich lieb!
Letztes Jahr, zum letzten Termin ganz kurz vor Weihnachten (wo ich ja vorher krankgeschrieben war, weil ich da ziemlich "abgestürzt war" und mich auch sehr schutzbedürftig gefühlt hatte), hatte ich von meiner Ärztin eine Postkarte bekommen, darauf ist die Abbildung eines Freskos in einer rumänischen orthodoxen Kirche: 2 Cherubim und ein Seraph. (Die Cherubim haben jeweils 4, der Seraph 6 große Flügel). Die gab sie mir mit dem Wunsch, daß ich mich in diese starken Flügel einhüllen könnte, zum Schutz (denn z. B. eine harte und schwere Ritterrüstung hätte ich gar nicht "tragen" können)... Diese Karte steht nach wie vor bei mir auf dem Klavier, ich sehe sie immer wieder und denke immer wieder dran, auch sonst ab und an...
Das ist auch so eine ganz liebe Geste, die mich auch sehr berührt hat! Wirklich GESEHEN/WAHRGENOMMEN werden, wie man sich fühlt und dabei NICHT überrollt/niedergemacht werden! Das tut sooo gut!

In diesem Sinne wünsch' ich Dir glatt jetzt viel Regen, damit Du ganz praktisch Dich an dem bunten Regenschirm im Alltag festhalten kannst!!!

Liebe Grüße
Annette
Bellasus
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Registriert: 10. Jun 2004, 21:41

Re: Angst vorm Leben - ICH WILL LEBEN

Beitrag von Bellasus »

Hallo liebe Annette,

das ist wirklich auch superlieb! Ja, neben dem Stützen bzw. Einhüllen denkt man dann ja auch immer an den Moment, wo der andere einem dies gegeben hat, an einen warmherzigen Moment, in dem man sich gut aufgehoben fühlte.

In der Klinik hatte ich ja nach 6 Wochen endlich "meinen" Therapeuten gefunden, und er hat mir in der zweiten Stunde einen Bergkristall für die Zeit meines Aufenthalts geliehen. Dieser sollte mich daran erinnern, dass ich mich nicht immer ganz glatt überall anpassen muß, sondern dass ich auch Ecken und Kanten haben darf.

Solche kleinen Begebenheiten wärmen einem wohl das ganze Leben lang das Herz, wenn man daran denkt. Schön, dass es solche Menschen gibt.

Ich geh jetzt schlafen, eine gute Nacht wünsch ich allen
Annette




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Lee
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Re: Angst vorm Leben - ICH WILL LEBEN

Beitrag von Lee »

Hi ihr Lieben,

ihr klingt gut und macht mir damit Mut, eurem Vorbild zu folgen. Ich bin froh, euch in diesem Forum gefunden zu haben.

Ich habe durch den Bruch mit meinem Therapeuten meine Sollbruchstelle erreicht. (Ich habe ihm doch noch einmal geschrieben und um eine versöhnliche Aussprache gebettelt. Keine Reaktion bislang.) Einen Menschen oder Gegenstand, der mich im Herzen wärmt oder live unterstützt gibt es nicht. Auch nicht in meiner Erinnerung. Ich muss mir daher was anderes einfallen lassen. Mein Kindheitsgefühl lautet: Ich bin allein und ungeliebt, ich kann nicht leben. Dem versuche ich, motiviert durch eure Postings, eine erwachsene Perspektive entgegenzusetzen - konstruktive Lösung statt Rückzug.

Toll, wie du deine Probleme und Sorgen, dein Leben angehst, Annette!! Ich werd's dir nachmachen.

Viele Grüße an alle
Lee
Bellasus
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Re: Angst vorm Leben - ICH WILL LEBEN

Beitrag von Bellasus »

Für Lee!












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Lee
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Die Allegorie der Frösche

Beitrag von Lee »

Es war einmal eine Gruppe von Fröschen, die einen Wettlauf machen wollten. Ihr Ziel war es, die Spitze eines hohen Turmes zu erreichen. Viele Zuschauer hatten sich bereits versammelt, um diesen Wettlauf zu sehen und sie anzufeuern. Das Rennen konnte beginnen...

Ehrlich gesagt: Von den Zuschauern glaubte niemand so recht daran, dass es möglich sei, dass die Frösche diesen hohen Gipfel erreichen konnten. Alles, was man hören konnte, waren Aussprüche wie:

"Ach, wie anstrengend!!! Die werden sicher NIE ankommen!" oder: "Das können sie gar nicht schaffen, der Turm ist viel zu hoch!"
Die Frösche begannen, zu resignieren. Außer einem, der kraftvoll weiter kletterte. Die Leute riefen weiter: "Das ist viel zu anstrengend!!! Das kann niemand schaffen!"

Immer mehr Frösche verließ die Kraft und sie gaben auf... ...Aber der eine Frosch kletterte immer noch weiter. ER wollte einfach nicht aufgeben! Am Ende hatten alle aufgehört, weiterzuklettern, außer diesem einen Frosch, der mit enormem Kraftaufwand als Einziger den Gipfel des Turmes erreichte! Jetzt wollten die anderen Mitstreiter natürlich wissen, wie er das denn schaffen konnte! Einer von ihnen ging auf ihn zu, um ihn zu fragen, wie er es geschafft hatte, diese enorme Leistung zu bringen und bis ans Ziel zu kommen. Es stellte sich heraus...

Der Gewinner war taub!
Bellasus
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Re: Angst vorm Leben - ICH WILL LEBEN

Beitrag von Bellasus »

Ich bin ein Frosch, und die Zuschauer (= einige meiner Freunde) sagen: die Therapie scheint dir ja gar nicht gut zu tun, sie zieht dich noch weiter runter, du solltest schnellstmöglich einen Job suchen und über das Aufnehmen eines normalen Lebens geht es dir dann auch wieder gut.

Gott sei Dank bin ich selektiv taub! Diskutieren Frösche? Rechtfertigen sie sich? Nee, oder? Sie handeln so wie ihr Instinkt ihnen sagt dass es gut für sie ist.

Danke für diese Geschichte, Lee!

Annette




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Re: Angst vorm Leben - ICH WILL LEBEN

Beitrag von Lee »

Quaak!

Wie findest du das:

"Die Lösung des Problems des Lebens merkt man am Verschwinden dieses Problems. Ist nicht dies der Grund, warum Menschen, denen der Sinn des Lebens nach langen Zweifeln klar wurde, warum diese dann nicht sagen konnten, worin dieser Sinn bestand?"

(Wittgenstein)
Lee
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Re: Angst vorm Leben - ICH WILL LEBEN

Beitrag von Lee »

Hmmm, das ist interessant, Maria.

Übertragen hieße das: Guck nicht so viel auf deine Depression, lenk dich ab?

Diese These vertritt auch A. B. Curtiss: http://www.depressionisachoice.com/dont.html (Punkt 8). Da ist bestimmt was dran.

Danke dir!
Bellasus
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Re: Angst vorm Leben - ICH WILL LEBEN

Beitrag von Bellasus »

Sorry, aber das ist mir zu kompliziert! Ich weiß nur, dass ablenken bei mir voll in die Hose geht. Wenn ich versuche was "normales", irgendwas nettes zu machen kann es passieren dass ich Schwindel- und Zitteranfälle kriege, jedenfalls wenn ich versuche die Depri einfach mal links liegen zu lassen, das mag sie gar nicht.

Den Link gucke ich mir nachher mal an.

Bis später ihr Lieben
Annette




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