Schwere Erkrankung einer Angehörigen und Depressionen

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Abendsegler
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Schwere Erkrankung einer Angehörigen und Depressionen

Beitrag von Abendsegler »

Guten Abend,

beruflich mit Kranken, zum Teil schwer erkrankten Menschen zu tun zu haben ist eine Sache, doch privat zu sehen, wie die nächste und auch einzige Angehörige schwer erkrankt ist, ist eine andere Sache...

Ich bin verzweifelt. Ich habe den starken Wunsch, mit einem Menschen persönlich zu sprechen, doch es kommt kein Gespräch zustande.
Es ist schon fast unheimlich. Bereits zuvor, als ich wegen meiner Depression Unterstützung gesucht habe, hat es nicht funktioniert.
Nun geht es mir erneut so, nur in einer Situation, die doppelt belastet.

Im Krankenhaus wurde mir gesagt, dass ich mit einem Seelsorger sprechen könne. Der war und ist nicht erreichbar.
Ich suchte per Email Kontakt in unserer Klinik zur Seelsorge, dort besteht aktuell ein Zeitproblem.
Ich könnte vielleicht in der kommenden Woche einen Termin erhalten.

Doch ich hätte so gerne zeitnah ein Gespräch.
Ich bin getrieben von Selbstvorwürfen, von Ängsten, von der Einsamkeit in einer nach wie vor fremden Stadt, in der ich nur bin, weil ich hier arbeite. Ich habe keine sozialen Kontakte. Ich habe nicht einmal eine eigene Wohnung, nur eine Gästewohnung.

Bei der Telefonseelsorge ist es schwer, durch zu kommen. Das kenne ich von der Pandemie noch.
Es ist verständlich, so viele Menschen haben unterschiedliche Probleme.

Ich werde immer unruhiger und die Gedanken gehen ins Dunkle.
Ich fürchte mich vor der Endgültigkeit, vor einem Anruf aus dem Krankenhaus.
Ich weiß nicht, an wen ich mich wenden kann, wenn ich schon jetzt keinen zum Sprechen habe.

Meine Mutter ist schwer erkrankt. Ich hätte gerne mit einem Seelsorger gesprochen. Ich bin katholisch.
Ich suche nach Halt, nach einer Erklärung, nach Worten, die mir Mut machen, die mich tragen.

Ich hätte gerne Freunde, doch die wenigen, die ich hatte, haben sich mit der Pandemie entfernt. Im Nachhinein denke ich, es waren nur oberflächliche Bekanntschaften. Zwei davon waren Verschwörungstheoretiker. Das war nichts für mich. Das wollte ich nicht hören.
Neue Freundschaften konnte ich bislang nicht aufbauen. Der Job nimmt viel Zeit in Anspruch, u.a. durch Überstunden.

Aktuell bin ich am überlegen, ob ich aus der Kirche austreten soll. Das wäre auch das Ende der aktuellen Arbeitsstelle.
Ich denke sogar darüber nach, ganz aus dem Krankenhausjob auszusteigen. Ich weiß, Fachkräftemangel. Aber wie soll das alles weiter gehen?
Wir sind doch keine Maschinen. Wir brauchen Kontakte. Wir brauchen Unterstützung.

Ich habe vorab nach Beiträgen mit ähnlichem Inhalt gesucht und einen gefunden, in dem es um das Trauern eines Angehörigen geht.
Das fand ich gut, zumal ich das bei meiner Mutter auch vorab beobachtet habe. Gleichwohl konnte ich ihr nicht helfen.
Das Traurige ist, sie hat sich auch von keinem helfen lassen wollen. Sie hat nur teilweise Hilfe angenommen.
Ich mache ihr keinen Vorwurf. Das steht mir auch nicht zu.
Sie war schwer depressiv, schon viele Jahre.

Vielleicht habt ihr den einen oder anderen Tipp für mich, wie ich damit klar kommen könnte, also alleine, ohne Hilfe.
In der Regel finde ich Wege aus einer depressiven Phase, aber aktuell greifen die nicht.
Da ich keinen Hunger oder Durst habe, gehe ich nicht in ein Café. Spazieren oder durch die Stadt laufen mag ich auch nicht.
Job ist schwierig, aber ich muss da durch. Leider habe ich einen fiesen Infekt und bin heute und morgen krank geschrieben.
Das bedeutet 5 Tage alleine mit mir und dem Infekt. Mein Kopf will nicht ruhig werden.
Musik, TV, Bücher - alles nicht so wie ich es für gewöhnlich für mich nutzen kann.

Vielleicht kennt ihr noch Punkte, die ich ausprobieren könnte.

Ich danke euch im Voraus.

Liebe Grüße,
Abendsegler
Aurelia Belinda
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Re: Schwere Erkrankung einer Angehörigen und Depressionen

Beitrag von Aurelia Belinda »

Hallöchen Abendsegler,

du fühlst dich sehr allein mit deinen Gedanken..
die Phasen in denen die üblichen Methoden nicht mehr greifen weil man sich in einer Extrem Situation befindet gerade, erlebte ich mehrmals....
auch dass keine Hilfe greifbar war...
Zu Arbeitskollegen hast du auch wenig Kontakt?
Über was möchtest du denn sprechen...
und warum ist in dir der Gedanke, aus der Kirche austreten zu wollen...
Ja, das ist fies mit dem Infekt jetzt...
Vielleicht hilft es dir dich hier etwas abzulenken.
Weshalb hast du diese großen Selbstvorwürfe?
Auch weil du nichts tun konntest?
schade und bitter dass kein Ansprechpartner greifbar ist.
Und der Job kann dich wirklich ablenken?
schwierige Lage ja...
da ist guter Rat teuer, wenn die üblichen Werkzeuge nicht mehr greifen, ich hoffe dass du ein paar Antworten kriegst...bis sich ein Gespräch mit einem Seelsorger ergibt.

Alles Gute, und viel Kraft...
Lieben Gruß, Aurelia Belinda
Alle eure Dinge lasset in Liebe geschehen
DieNeue
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Re: Schwere Erkrankung einer Angehörigen und Depressionen

Beitrag von DieNeue »

Hallo Abendsegler,

als erstes, als ich gelesen habe, dass du zu einem Seelsorger möchtest, dachte ich mir, dass du dich vielleicht auch an den Pfarrer einer Kirchengemeinde wenden könntest. Die sind ja eigentlich auch für so etwas da und hören zu.
Aber wenn du aus der Kirche austreten möchtest, weiß ich nicht, ob das was für dich ist. Allgemein kann man in (Kirchen)gemeinden auch relativ gut Anschluss finden, habe ich den Eindruck.

Liebe Grüße,
DieNeue
Suchende2
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Re: Schwere Erkrankung einer Angehörigen und Depressionen

Beitrag von Suchende2 »

Hallo Abendsegler,

mir fiel auch sofort ein, was DieNeue schreibt. Warum kontaktierst Du nicht Deine Pfarrei oder eine andere Kirche im Ort?
Kannst Du dem Krankenhausseelsorger sagen, daß es bei Dir dringend ist und Du eigentlich einen früheren Termin benötigst?
Würde eine längere Krankschreibung Dich unterstützen, damit Du noch etwas mehr Zeit mit Deiner Mutter verbringen kannst?
Gibt es einen sozialpsychiatrischen Dienst in Deiner Stadt, bei dem Du Dir Unterstützung holen kannst?

Ich wünsche Dir ganz viel Kraft für die kommende Zeit,
alles Gute,
Suchende
Abendsegler
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Re: Schwere Erkrankung einer Angehörigen und Depressionen

Beitrag von Abendsegler »

Guten Abend,

vielen Dank für eure Antworten und Hinweise.

Weder der Seelsorger in der Klinik noch der Seelsorger in dem Krankenhaus, in welchem ich tätig bin, hat Zeit.
Es ist halt so, viele Menschen benötigen dringend Unterstützung. Da kann nur einem nach dem anderen geholfen werden.

Der Arzt, bei dem ich gestern wegen dem Infekt gewesen bin, riet mir auch zu der zuständigen Pfarrei.
Einen anderen Hinweis hatte er nicht.

Ich glaube nicht, dass der sozialpsychiatrische Dienst für die Thematik zuständig ist.
Die würden mir sagen, dass ich mich an einen Seelsorger wenden soll.

Ich kann eine Email an die Pfarrei schreiben. Jetzt sind erst mal Feiertage, da wird es keine Antwort geben.

Ich habe versucht, die Telefonseelsorge zu kontaktieren.
Alle Mitarbeitenden sind im Gespräch. Es sei von Vorteil, eine Email zu senden.
Da ich so gerne mit jemanden sprechen möchte, bringt mir das nichts, zumal es 24 Stunden dauert, bis eine Antwort kommt.
Ich kenne das vom letzten Jahr, als ich ...Gedanken hatte. Zudem hat es mir nicht geholfen, was in der Email stand. Es klang mechanisch.

Gleichwohl danke ich euch für eure Tipps. Vielen Dank.

Meine Mutter ist heute für immer eingeschlafen. Die zuständige Ärztin hat mich telefonisch informiert.
Es gab einen festen Zeitraum, in dem ich mich von meiner Mutter verabschieden konnte.
Ich hatte wegen dem anstehenden Pfingstwochenende und dem damit verbundenen Reiseaufkommen Probleme, noch rechtzeitig in die Klinik zu kommen. Ich hatte Glück - und einen guten Taxifahrer mit starken Nerven - und konnte mich von meiner Mutter verabschieden.
Der Seelsorger hatte keine Zeit.
Die Telefonseelsorge ist per Telefon nicht erreichbar.
Immer heißt es, such Dir Hilfe. Aber aktuell gibt es keine.
So geht es vielen Menschen, ich weiß.
Seit Jahren suche ich Hilfe und ich habe auch einiges versucht. Ich habe keine Lust mehr zu suchen.
Ich bin müde. Ich hätte so gerne jemanden zum Reden gehabt.
Viele wünschen sich jemanden zum Reden, ich weiß.

Nochmals vielen Dank.

Liebe Grüße,
Abendsegler
DieNeue
Beiträge: 5327
Registriert: 16. Mai 2016, 22:12

Re: Schwere Erkrankung einer Angehörigen und Depressionen

Beitrag von DieNeue »

Hallo Abendsegler,

erstmal mein Beileid zum Tod deiner Mutter.

Wenn du per Email in der Pfarrei über die Feiertage niemanden erreichst, würde ich in einen Gottesdienst gehen und davor/danach den Pfarrer ansprechen. Manchmal muss man den Leuten ein bisschen auf die Nerven gehen, wenn man etwas will.
Wieso sollte der Sozialpsychiatrische Dienst nicht für dich zuständig sein? Bei uns ist der nicht nur für Menschen mit psychischen Erkrankungen, sondern auch für Menschen "in Krisen". Auch arbeitet bei uns ein Theologe beim SpDi.

Gib nicht auf!

Liebe Grüße,
DieNeue
Aurelia Belinda
Beiträge: 7709
Registriert: 23. Aug 2018, 20:03
Wohnort: Mittelfranken

Re: Schwere Erkrankung einer Angehörigen und Depressionen

Beitrag von Aurelia Belinda »

Hallo Abendsegler,

Oh je....da hat sich ja alles überschlagen bei dir und es ging jetzt so schnell dem Ende zu.
Erstmal mein aufrichtiges Mitgefühl zum Tode deiner Mutter....sie ist friedlich eingeschlafen, ist das ein Trost für dich.?
Das mit dem Taxifahrer der dann Gas geben musste, noch dazu der Pfingstverkehr, stelle ich mir schlimm für dich vor. Anscheinend war das auch keine kurze Strecke...
Die Anspannung....die Nerven...du wusstest es naht, es ist bald soweit, und ja verdammt, du hättest in deiner Lage wirklich jemanden zum Reden gebraucht, und nichts und niemand war greifbar, die Gedanken spielen dann völlig verrückt. Man muss u. will sich unbedingt mitteilen, und kann nicht, ist kurz vorm Durchdrehen...es ist fast schauderhaft, das kein Seelsorger zu fassen war, auch die telefonische Stelle nicht. Der Hammer, natürlich sind die überlastet, ja. Aber dass es an gar keiner Stelle jemanden gab...macht nachdenklich und traurig. Wenn es brenzlig ist u. überall heißt, keine Zeit, überlastet, dann ist das wohl ein Allgemein Problem und kein Einzelfall...
Was soll man davon halten?
Viele äußern das im Forum auch, ich selbst war lange, lange Zeit, bzw. auch immer wieder, davon betroffen, daß etwaige Hilfe schlichtweg nicht greifbar war in der Not.
Du klingt "nicht nur" sehr müde...ausgepowert?
Nervliches Wrack? sondern auch richtig verbittert, als steigt dir das alles zu sehr zu Kopfe und du bist lustlos, noch irgendwas zu unternehmen...in Punkto deiner Depression etc.
Der Arzt hat dich auch nur abgewimmelt und an eine andere Stelle verwiesen...alles ein Zeit & Budgetproblem... hab da auch schon die tollsten Sachen und Aussagen gehört, da sträuben sich die Haare...
Vielleicht lenkt dich der Job wieder ein wenig ab, nach dem Infekt, wegen diesem bist du ja laut deiner Aussage, dort hingezogen wo du nun lebst...
Ich kann nur den Kopf schütteln bei deiner Erzählung. Bin fassungslos, dass kein Seelsorger zu kriegen war. Arme Welt, wo führt der "Spaß" noch hin :(
Du hast jetzt sicher den Kopf anderweitig voll, aber falls du doch mitliest, erstmal die Besten Wünsche von mir, für den Infekt natürlich.
Aber in erster Linie für deine Seelen Problematik...
mir scheint da sehr vieles im Argen, hinsichtlich auch deiner Arbeitsstelle und vieles andere, wegen deiner Aussage, "aus der Kirche austreten".
Es geht da wohl um das Gesamtpaket, Mensch, Würde, Not, Hilfsangebote, den Glauben u. Überzeugungen.. u. v. m.
das ist mein Eindruck!
Ich meine das herausgelesen zu haben.

Alles Gute für dich
u. Liebe Grüße, Aurelia
Alle eure Dinge lasset in Liebe geschehen
Abendsegler
Beiträge: 15
Registriert: 31. Jan 2023, 22:57

Re: Schwere Erkrankung einer Angehörigen und Depressionen

Beitrag von Abendsegler »

Guten Abend,

vielen lieben Dank für eure Antworten und für eure Anteilnahme.
Ich hätte nicht gedacht, dass ich in diesem Forum schreiben würde, dass meine Mutter für immer eingeschlafen ist.
Ich bin fassungslos. Ich kann es nach wie vor nicht begreifen.

Das Leben ist endlich, ich weiß. Schließlich arbeite ich im Krankenhaus. Aber wenn es dann soweit ist, ist es dennoch nicht zu begreifen
Es ist wie ein Alptraum. Man möchte, dass er endet und man endlich aufwacht.
Doch dann registriert man, es ist kein Alptraum. Es ist die Realität. Meine Mutter ist für immer gegangen.

Der Trost in dieser Situation ist, dass sie in den letzten Tagen ihres Lebens nicht alleine gewesen ist.
Da waren Menschen um sie herum, Pflegende, Ärzte, vielleicht auch ein Seelsorger.
Ich konnte sie jeder Zeit besuchen. An manchen Tagen kam ich aus der Stadt, in der ich aktuell arbeite. Drei Stunden Fahrt mit ÖPNV.
Bei meinem letzten Besuch habe ich viel zu ihr gesprochen. Ich hoffe, dass sie etwas davon mitbekommen hat.
Tags darauf konnte ich nicht zu ihr. Ich war krank und müde und konnte nicht schon wieder drei Stunden fahren.
Freitag ist sie dann für immer eingeschlafen. Eine Schwester sagte, dass Menschen manchmal erst los lassen können, wenn die Verwandten nicht im Raum wären. Dann können sie gehen. Ich glaube, dass es so war. Einen Tag hatte ich nicht kommen können. Ich wäre am Nachmittag des Folgetages gekommen. Doch da war sie bereits am Morgen für immer gegangen.
Ich bin dankbar dafür, dass ich zuvor noch zu ihr sprechen konnte.
Der Schwester bin ich auch dankbar, denn sie hat mich, als ich mit ihr in dem Raum gestanden habe, kurz in den Arm genommen.

Meine Depression meldet sich im Frühjahr besonders stark und ich hatte es einigermaßen in Griff gehabt.
Jetzt komme ich nicht mehr klar. Diese Endgültigkeit ist kaum zu ertragen.
Ich hätte so gerne einen Menschen gehabt, mit dem ich hätte reden können.
Ich hätte den immer noch gerne, aber ich weiß, da wird sich keiner finden.
Ich danke euch, dass ihr das hier liest und mir antwortet. Vielen Dank.

Stimmt, die Taxistrecken waren nicht grade nah. Aber anders wäre es nicht gegangen. Mit ÖPNV bin ich ja schon so kaum voran gekommen.
Am Freitag wollte ich sie noch einmal sehen, auch wenn ich wusste, dass sie nicht mehr gelebt hat. Aber ich musste sie sehen. Ich wollte ihr Lebewohl sagen. Es war kurz nachdem sie eingeschlafen war. Ich hatte das Gefühl, ihr ein letztes Mal nah sein zu können.

Nun steht die ganze Bestattungsthematik an. Die Leute dort sind sehr freundlich.
Eine Mitarbeiterin sagte, ich solle keine Angst haben. Ich würde nicht verrückt werden. Alles, was ich erlebe, denke, empfinde und so weiter gehöre zu der Trauer. Sie riet mir, alles aufzuschreiben, damit ich nichts vergesse.
Ich schreibe auch so meine Gedanken auf, in einem Buch. Das hilft mir, sie zu greifen, sie zu ordnen.
Gleichwohl hätte ich gerne jemanden zum Reden gehabt. Ich weiß, ich klinge wie ein kaputter Plattenspieler...Entschuldigung.
Bei der Telefonseelsorge gibt es weiterhin kein "Durchkommen". Es heißt, alle Plätze wären besetzt, man solle es später versuchen oder per Email.

Ich hatte Anfang des Jahres nach zwei Monaten Wartezeit ein "Krisengespräch" bei einer Beratungsstelle (zuständig, wenn Menschen dunkle Gedanken haben). Da hieß es, ich solle mich stationär aufnehmen lassen. Ich habe die zuständigen Kliniken angerufen. Keine Kapazitäten. Ich soll zum Arzt. Ihr wisst, wie schwer es ist, einen Termin bei einem Facharzt zu bekommen. Die Wartezeit beträgt aktuell mehr als sechs Monate.
Eine Kollegin sagte im vergangenen Jahr, dass sie erfahren hat, die Wartezeit für einen Therapieplatz läge bei 18 Monate - in einer großen Stadt, in der sie lebt.

Ich glaube an Gott. Somit glaube ich auch, dass Menschen, die dunkle Gedanken umsetzen, nicht in den Himmel kommen. Das klingt kindlich, hat mich aber, so denke ich, bislang von diesem einen Schritt abgehalten.
Ich denke nicht, dass der Sozialpsychiatrische Dienst mir etwas anderes sagen würde als die Frau in der Beratungsstelle. Ich würde dann telefonieren und erfahren, dass auch jetzt keine Kapazitäten frei sind.

Im Grunde genommen müsste ich doch gut klar kommen.
Es ist doch wie immer - ich bin alleine und muss die Situation irgendwie durchstehen.
Aber ich habe Angst, dass ich es diesmal nicht schaffen werde.
Das ist einfach zu viel. Ich weiß, dass ich Unterstützung brauche. Und ich weiß, es gibt keine Unterstützung.
Womit ich wieder am Anfang wäre: Ich muss da alleine durch.

Ich bin nicht in die Kirche gegangen und habe somit auch keinen Pfarrer angesprochen. Ich denke auch nicht, dass derjenige Zeit gehabt hätte.
Es ist Pfingsten, eine kirchliche Feier nach der anderen steht an. Zudem wurden hier Kirchen zusammen gelegt. Da hat der Pfarrer sicher viel mehr Menschen zu betreuen als zuvor.

Ich war draußen, weil ich es in der Wohnung nicht ausgehalten habe. Ich habe trotz Hinweis der Mitarbeiterin das Gefühl, den Verstand zu verlieren.
Ich weiß, das wäre nicht so, ich brauche keine Angst zu haben. Aber das Gefühlschaos macht mich fertig.

Entschuldigt bitte, dass ich soviel geschrieben habe.
Ja, stimmt, mir geht es bei der Überlegung zum Austritt aus der Kirche um das "Gesamtpaket": Mensch, Würde, Not, Hilfsangebote, Glaube...
Wenn nicht einmal mehr die Kirche helfen kann, weil dort Zeitmangel herrscht, wo führt das hin?
Viele Menschen brauchen Hilfe in unterschiedlicher Form, doch es gibt immer weniger Angebote.
Viele bleiben mit ihren Themen wie Angst, Erkrankung, psychische Themen und anderes nach wie vor alleine.
Dennoch sollen wir weiter machen, arbeiten, erziehen, versorgen, pflegen, Geld zahlen und so weiter.

Wenn der Glaube zu schwanken beginnt, was bleibt dann noch? Ich weiß es nicht.

Nochmal vielen Dank für eure Antworten.

Liebe Grüße,
Abendsegler
MySun
Beiträge: 532
Registriert: 4. Jul 2022, 09:45

Re: Schwere Erkrankung einer Angehörigen und Depressionen

Beitrag von MySun »

Guten Abend Abendsegler,

ich möchte Dir mein tiefes Mitgefühl bekunden, am liebsten persönlich (Geht aber nicht :( ). Fühle Dich von mir herzlich umarmt und getröstet.

Ich habe sofort an einen Trauergesprächskreis denken müssen, als ich las, wie verzweifelt Du Dich nach einem Gespräch sehnst,
nach einem Gespräch in dem Dir tröstend zugehört und Deine Trauer verstanden wird.
Ich war, bis vor einigen Jahren in einem Trauergesprächskreis tätig. Menschen, die einen lieben Angehörigen verloren hatten, haben in diesem Kreis den Trost erhalten können, den sie brauchten. Vieleicht gibt es in Deiner Nähe ein Hospiz, oder ein Palliativnetz?
Trauerbegleitungs-Angebote in der Hospizarbeit, z.B. hier: https://www.palliativnetz-offenbach.de/ ... egleitung/

_______________________
Oh Du, die Ursache und Wirkung des ganzen Universums, die Quelle, aus der wir gekommen sind, und das Ziel, nach dem wir streben:
Nimm diese Seele, die zu Dir kommt, in Deine Arme. Dein verzeihender Blick heile ihr Herz.
Erhebe sie aus der Erdenschwere, umgib sie mit dem Lichte Deines Geistes. Hebe sie empor zum Himmel, der ihre wahre Wohnstatt ist.
Wir bitten Dich: Gewähre ihr die Gnade Deiner erhabenen Gegenwart.
Möge der erwachenden Seele ihr Leben wie ein Traum
erscheinen, und lass ihre dürstenden Augen den Sonnenglanz Deines herrlichen Anblicks schauen.
Amen

Gebet für Verstorbene von Hazrat Inayat Khan
"Viele Menschen sind zwar am Leben, berühren aber nicht das Wunder, am Leben zu sein.“-ThichNhatHanh-

Von Herzen
MySun
Abendsegler
Beiträge: 15
Registriert: 31. Jan 2023, 22:57

Re: Schwere Erkrankung einer Angehörigen und Depressionen

Beitrag von Abendsegler »

Guten Morgen,

vielen Dank für Deine Anteilnahme und für das Gebet, MySun. Ich habe es soeben abgeschrieben. Danach habe ich die Worte von Hermann Hesse notiert. Ich mag sie. Ich denke, es gibt zu dem von ihm angesprochenen Thema ähnliche Gedanken, aber ich finde, diese Worte treffen den Kern.

Danke auch für Deinen Hinweis auf das Trauergespräch in einer Gruppe.
Zwischenzeitlich habe ich nach Trauerbegleitung geschaut, also in meiner Gemeinde. Ich weiß nicht, ob es in der Stadt, wo ich wegen der Arbeit bin, auch so was gibt. Da muss ich noch schauen.

Ich denke zwischendurch, es muss mal besser werden, aber das wird es so schnell nicht. Das habe ich auch im Internet gelesen, unter dem Thema Trauer. Ich weiß noch, wie es am Telefon aus dem Krankenhaus hieß, ich solle mich erst mal beruhigen. Irgendwie wollte in den vergangenen Tagen, seit dem meine Mutter ins Krankenhaus gekommen war, jeder, dass ich mich beruhige, dass ich stark bin, dass ich mich sammel, dass ich konzentriert bin...Ich versuche das immer noch, aber es fällt mir immer schwerer. Ich habe funktioniert und versuche immer noch, zu funktionieren.

Ich bezeichne meine Depression als "schwarzen Hund", in Anlehnung an das Buch von Matthew Johnstone mit dem Titel "Mein schwarzer Hund".
Winston Churchill soll seinerzeit seine Depression auch so bezeichnet haben.
ich mag Hunde, ganz gleich, welche Farbe sie haben. Ich hätte gerne einen Hund, doch ich bin Vollzeit in einem Krankenhaus tätig, da geht das nicht.
Mein Hund ist grade so groß wie das Haus. Er füllt jedes Zimmer aus. Ich habe das Gefühl, dass ich von ihm erdrückt werde.
Zumindest ist mein Hund bei mir, auch wenn er grade nicht zu bändigen ist.

Ich habe meiner Vorgesetzten eine SMS geschrieben. Ich hätte morgen wieder zur Arbeit gehen müssen. Aber ich schaffe es nicht.
Der Infekt ist auch noch da und wird wieder stärker.

Ich wünschte ich hätte mehr Kraft. Aber ich habe einfach keine Kraft.

Nochmals vielen Dank für eure Anteilnahme.

Liebe Grüße,
Abendsegler
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