Wie unterstützen um zu Änderungen zu motivieren

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Jess_Yess
Beiträge: 3
Registriert: 22. Mai 2023, 11:04

Wie unterstützen um zu Änderungen zu motivieren

Beitrag von Jess_Yess »

Hallo liebes Forum,

mein Bruder hat eine mittelschwere Depression und es äußert sich bei ihm in extremer Antriebshemmung. Er schafft zwar gerade so seinen überaus anspruchsvollen Job, aber hat keine Energie und Antrieb für viel darüber hinaus. Und wenn dann nur ungesundes Verhalten (Kneipe, TV gucken usw).
Er hat so viel Anspannung im Körper, so ein schlechtes Körpergefühl und er müsste unbedingt auch über den Körper was lösen und sich mehr bewegen, mal mehr auspowern.
Aber er schafft es nicht. Wir sagen es ihm seit Jahren und natürlich ist da auch eine Abwehrreaktion gegen uns aus der Familie. Aber ich glaube er versgteht auch wirklich noch nicht WIE wichtig Bewegung ist und wie es einem hilft sich zumindest kurzzeitig etwas ruhiger/besser zu fühlen.
Er schafft es nie, neue Sachen anzugehen, hat Angst vor allem was neu ist.
Daher wird man ihn kaum dazubringen in einen Verein zu gehen, Mannschaftssport zu machen.
Er ist wohl mal laufen/joggen gegangen, sagt er. Aber kann das nicht regelmäßig.

Neulich habe ich nochmal versucht, behutsam zu erklären, dass es ihm wirklich gut tun würde an Tagen wo er nur daheim rumliegt, mal rauszugehen und sich etwas in Bewegung zu bringe. Er wirkte da etwas zugänglicher.
Aber ich bin mittlerweile einfach so hoffnungslos, dass er etwas umsetzen kann.

Und er ist in dem Alter wo ich mir auch Sorgen mache um Herz/Kreislauf, Rücken.
Ich weiß - es ist nicht mein Problem, und er muss es wollen. Aber ich bin hier auch sehr co-anhängig und die Sorge um ihn macht mich wahnsinnig.
Ich weiß aber natürlich auch dass ewiges gut zureden und belehren (bei Depressiven) nichts bringt.

Gibt es denn eine Chance wie er irgendwie hier mal langsam eine Verhaltensänderunge angehen könnte?
(er ist seit einer Weile in Gesprächstherapie und nimmt jetzt das 2. AD, nachdem das erste nicht viel gebracht hat..also auch hier wieder irgendwie wenig Hoffnung..)

Traurige Grüße
Jess
Lana75
Beiträge: 122
Registriert: 1. Mär 2009, 18:42

Re: Wie unterstützen um zu Änderungen zu motivieren

Beitrag von Lana75 »

Hallo liebe Jess,

Ich vermag nicht zu beurteilen, ob du in deiner Fürsorge zu weit gehst oder eben nicht, aber ich finde es toll, das du nicht wegsiehst. Ich möchte dir zwei Dinge hier lassen…

1. es ist unglaublich wichtig, das du deine eigenen Grenzen erkennst und achtest, damit du nicht durch die Erkrankung deines Bruders ebenfalls erkrankst. Selbiges erleben ich nämlich gerade mit meinem Mann. Also achte gut auf dich selbst und gib an Kraft nur was du wirklich frei hast.

2. ich bin selbst oft extrem antrieblos in meiner Depression. Gerade was Bewegung und Sport betrifft. Meine Familie hat das schnell bemerkt und mich recht hinterlistig „eingefangen“. ;) (das meine ich absolut liebevoll und scherzhaft). Entweder wollte meine Tochter einen Spaziergang machen und das nicht alleine, also sollte ich doch bitte mitgehen. Andere Male fand mein Mann niemand anderen für die Begleitung zum Hundestrand (wir haben 3 Fellnasen), als mich. Mein Sohn war plötzlich öfter auf der Suche nach einem Partner für Federball usw.

Verstehst du? Sie haben mich nicht liebevoll gedrängt, das zu tun, sondern mich gefragt, ob ich sie dabei begleiten möchte. Das hat immer viel besser funktioniert und erstaunlich lange gedauert, bis ich es kapiert habe. Vielleicht wäre das eine Idee für euch als Familie/Freundeskreis. Ladet ihn ein, wünscht euch seine Begleitung, egal ob zum Spaziergang, zum Einkaufsbummel, zum Tennis spielen, Minigolf…. Und vielleicht genügt das erst einmal.

Herzliche Grüße & Alles Liebe, Lana
Zuletzt geändert von Lana75 am 25. Mai 2023, 18:59, insgesamt 1-mal geändert.
DieNeue
Beiträge: 5312
Registriert: 16. Mai 2016, 22:12

Re: Wie unterstützen um zu Änderungen zu motivieren

Beitrag von DieNeue »

Hallo Jess_Yess,
Jess_Yess hat geschrieben: 25. Mai 2023, 16:37 Gibt es denn eine Chance wie er irgendwie hier mal langsam eine Verhaltensänderunge angehen könnte?
Ich denke ehrlich gesagt, was helfen würde, wäre, wenn du mal einen Gang runterschalten würdest. ;)
Ich kann deine Sorgen nachvollziehen, aber ich finde es übergriffig, ihn ständig zum Sport motivieren zu wollen, nur weil DU denkst, dass es besser für ihn ist.
Auch wenn man es überall liest: Sport hilft nicht immer gegen Depressionen, er kann auch kontraproduktiv sein. Er ist kein Allheilmittel.
Bei mir z.B. ist es so, dass es mir psychisch überhaupt nicht gut geht nach dem Sport/nach viel Bewegung, auch nicht kurzzeitig. Mich macht Sport auch nicht ruhiger und "auspowern", wenn ich eh schon k.o. bin, macht mich gereizt und aggressiv. Wenn jemand schwer depressiv ist, kann zu viel Anstrengung auch zum totalen Zusammenbruch führen.
Wenn dein Bruder nicht in einen Mannschaftssport will, weil er sich da nicht wohl fühlt, sondern lieber was alleine macht, dann ist das doch in Ordnung. Das ist nicht schlecht, nur weil dir das nicht gefällt.
Es bringt nichts, jemanden ständig Druck zu machen, dass er sich bewegen soll. Da wird Sport sonst automatisch mit Druck assoziiert. Das macht es noch schwerer. Ich würde ihn eher mal spontan fragen, ob er mitgehen will, wenn du z.B. mal laufen gehst. Als Angebot mitzumachen, nicht als "Du müsstest unbedingt..."
Dass er nicht "versteht", wie gut man sich nach dem Sport fühlt, hat vielleicht nichts damit zu tun, dass er das wirklich nicht kapiert, sondern dass es bei ihm vielleicht einfach nicht so ist. Wenn er einen anspruchsvollen Job hat, kann er ja eigentlich nicht zu dumm sein, um solche Zusammenhänge zu verstehen. Erwachsene Leute ständig zu belehren wird wahrscheinlich auch bei Gesunden wenig bringen, weil es irgendwann nervt ;)
Dass er ein schlechtes Körpergefühl hat, sich nichts neues traut usw. sind alles Dinge, die er in seiner Therapie angehen kann. Um das musst du dich nicht kümmern. In die Kneipe gehen und Fernsehen zu gucken sind auch nicht per se ungesund. Kommt darauf an, was er dort macht, ob und wieviel er trinkt, wieviel er fernsieht usw. Wenn er einen anspruchsvollen Job hat, ist das für ihn vielleicht einfach Erholung?

Du schreibst selbst, dass du co-abhängig bist. Das ist DEIN Problem. Also musst auch DU dich darum kümmern, indem DU etwas für DICH tust und nicht erwartest, dass sich dein Problem löst, indem Dein Bruder sich ändert.
Wenn er eine mittelschwere Depression hat, dann ist das eine massive Beeinträchtigung und es ist eine wahnsinnige Herausforderung überhaupt arbeiten zu gehen. Dass er eine
Therapie macht und bereit ist, auch ein zweites Medikament zu probieren, das ist doch super! Dass das erste Medikament nicht wirkt, ist nichts ungewöhnliches. Aber es gibt Medikamente mit unterschiedlichen Wirkmechanismen, da ist noch reichlich Luft nach oben. Ich habe auch schon ein Medikament genommen, das null Wirkung gezeigt hat, und andere wirken gut.
Dein Bruder geht übrigens nicht "nie" was neues an. Er hat eine Therapie angefangen und lässt sich auf Medikamente ein. Das ist nicht nichts, sondern erfordert sehr viel Mut. Zählt das nicht?
Ich habe den Eindruck, dass du eine ziemlich negative Sicht von deinem Bruder und der Situation hast.
Ich weiß nicht, ob du das schon gemacht hast oder nicht, aber ich denke, es wäre gut, wenn du dich mal an eine Beratungsstelle für Angehörige von psychisch kranken Menschen wendest. Das kann z.B. auch der Sozialpsychiatrische Dienst sein. Die kümmern sich auch um Angehörige. Bei uns kann man auch öfters hingehen. Da kannst du auch deine Sorgen und deine Verzweiflung los werden und kannst lernen, besser mit der Situation klarzukommen.

Das ist jetzt wahrscheinlich nicht unbedingt das, was du hören wolltest. Aber ich würde dir wirklich raten, ihm nicht ständig zu sagen, was er alles machen müsste, ihn eher mal einzuladen, was gemeinsam zu machen und dir ansonsten auch Hilfe zu suchen.

Liebe Grüße,
DieNeue
Jess_Yess
Beiträge: 3
Registriert: 22. Mai 2023, 11:04

Re: Wie unterstützen um zu Änderungen zu motivieren

Beitrag von Jess_Yess »

Lana75 hat geschrieben: 25. Mai 2023, 18:15 Hallo liebe Jess,

Ich vermag nicht zu beurteilen, ob du in deiner Fürsorge zu weit gehst oder eben nicht, aber ich finde es toll, das du nicht wegsiehst. Ich möchte dir zwei Dinge hier lassen…

1. es ist unglaublich wichtig, das du deine eigenen Grenzen erkennst und achtest, damit du nicht durch die Erkrankung deines Bruders ebenfalls erkrankst. Selbiges erleben ich nämlich gerade mit meinem Mann. Also achte gut auf dich selbst und gib an Kraft nur was du wirklich frei hast.

2. ich bin selbst oft extrem antrieblos in meiner Depression. Gerade was Bewegung und Sport betrifft. Meine Familie hat das schnell bemerkt und mich recht hinterlistig „eingefangen“. ;) (das meine ich absolut liebevoll und scherzhaft). Entweder wollte meine Tochter einen Spaziergang machen und das nicht alleine, also sollte ich doch bitte mitgehen. Andere Male fand mein Mann niemand anderen für die Begleitung zum Hundestrand (wir haben 3 Fellnasen), als mich. Mein Sohn war plötzlich öfter auf der Suche nach einem Partner für Federball usw.

Verstehst du? Sie haben mich nicht liebevoll gedrängt, das zu tun, sondern mich gefragt, ob ich sie dabei begleiten möchte. Das hat immer viel besser funktioniert und erstaunlich lange gedauert, bis ich es kapiert habe. Vielleicht wäre das eine Idee für euch als Familie/Freundeskreis. Ladet ihn ein, wünscht euch seine Begleitung, egal ob zum Spaziergang, zum Einkaufsbummel, zum Tennis spielen, Minigolf…. Und vielleicht genügt das erst einmal.

Herzliche Grüße & Alles Liebe, Lana
Liebe Lana,
vielen Dank für deine Antwort.

zu 1.: ich selbst bin auch nicht die psychisch stabilste Person und habe selbst mit Stimmungstiefs usw zu tun. Ich weiß daher schon auch aus eigener Erfahrung wie schlecht man sich fühlen kann und dass dann gute Ratschläge schwer umzusetzen sind - wenn man sie überhaupt hören will.
Ich bin aber einfach ein anderer Typ und sehr zupackend - und daher ist es für mich dann doch schwerer mitanzusehen, wenn jemand eher passiv ist.
Aber ja, das ist mein Problem, nicht seines.

2. Wir wohnen weit weg voneinander, also der Trick, ihn einfach mal mitzunehmen geht leider in der Realität nicht. Und er hat halt niemanden, der das vor Ort tut.

Wenn man keine Familie vor Ort hat und keine/n Partner/in ist es halt auch noch mal schwieriger. Deswegen mach ich mir ja so Sorgen.
Jess_Yess
Beiträge: 3
Registriert: 22. Mai 2023, 11:04

Re: Wie unterstützen um zu Änderungen zu motivieren

Beitrag von Jess_Yess »

DieNeue hat geschrieben: 25. Mai 2023, 18:48 Hallo Jess_Yess,
Jess_Yess hat geschrieben: 25. Mai 2023, 16:37 Gibt es denn eine Chance wie er irgendwie hier mal langsam eine Verhaltensänderunge angehen könnte?
Ich denke ehrlich gesagt, was helfen würde, wäre, wenn du mal einen Gang runterschalten würdest. ;)
Hey DieNeue,

danke - das sind ehrliche und wahre Worte.
Ich weiß selbst, dass ich da auch irgendwie übers Ziel raus schieße und da unglaublich viel auf ihn projiziere.
Es ist aber gut, dass auch nochmal so zu hören.
Mein Bruder hat das mir auch schon so öhnlichg gesagt und es ist ein Dauer-Thema, und auch meine Eltern sagen mir, ich bin nicht für ihn verantwortlich.
Es ist in der Tat für mich persönlich ein Problem, und wahrscheinlich bräuchte ich eine eigene Therapie allein schon für dieses Thema.
Es löst einfach so viel Trauer und Sorge und Verzweiflung in mir aus - und ich weiß nicht warum genau.
Ich wünsche mir so sehr für ihn dass er sich wohl fühlt. Meine Familie ist mir so wichtig und ich bin irgendwie auf diesem "alles muss gut sein"-Idyll-Trip hängengeblieben.

Du hast auch recht, dass ich eine negative von ihm und der Situation habe. Und auch das ist MEIN Problem und etwas an dem ich arbeiten muss. Ich bab nur schon so oft gehofft, dass er etwas zum Positiven ändern kann oder sich für ihn mal was Gutes ergibt, und es ist irgendwie (meiner Meinung nach) nie passiert.

Aber ja, er hat etwas gewagt und sich Hilfe geholt und das ist ein Fortschritt und ich habe ihm auch gesagt dass ich das toll finde. Nur der Therapeut hat jetzt in einem Jahr auch nicht wirklich viel bewirkt und so überzeugt von allem ist mein Bruder auch nicht. Aber es soll wohl jetzt etwas in die Tiefe gehen...

Wie gesagt, danke für die klaren Worte. Ich hader selbst dann auch mit mit wenn ich merke wie sehr ich dränge oder dräüngen will.

Ich möchte ihn wirklich so untersützen dass es gut ist für ihn und er nicht Angst hat, dass ich ihn nerve wenn er mich sieht.
und bin wirklich dankbar für jedes Kopfwaschen, jeden Tipp oder auch ein bisschen Ermutigung dass es für ihn auch besser werden kann.
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