schwieriger Familienbesuch

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Phoenix2019
Beiträge: 256
Registriert: 8. Jan 2020, 23:45

schwieriger Familienbesuch

Beitrag von Phoenix2019 »

Hallo zusammen,

erst einmal wünsche ich allen noch frohe Ostern!
Das Thema "schwierige Familienverhältnisse" ist ja gerade sehr präsent im Forum, ich möchte aber mit meiner Geschichte nirgendwo "dazwischengrätschen", da jede Geschichte so individuell ist:
Ich habe gestern meine Eltern besucht, meine beiden Geschwister und mein Schwager waren auch da.
Die ersten Stunden verliefen recht harmonisch. Dann fragte meine Mutter beim Kaffee in die Runde: "Wer von euch verreist mit mir?" und ergänzte direkt, dass sie sonst auch allein reisen würde (was sie jedoch in ihren 70 Lebensjahren allerdings noch nie getan hat).
Niemand reagierte so recht auf ihre Frage, meine Schwester sagte nur, sie plane erstmal den Urlaub mit Mann und Kind. Eine Weile später fragte meine Mutter dann direkt mich (ich bin leider Single), was ich in den Sommerferien plane. Ich sagte, ich hätte noch nichts Konkretes geplant, aber keine Reise und dass ich es aber gut finde, wenn sie sich vorstellen könne, allein zu reisen. Daraufhin schwieg sie und alle anderen auch.
Ich möchte nicht mir ihr verreisen, da ich andere finanzielle und gesundheitliche Prioritäten habe (aufgrund meiner Depressionen Psychotherapie, ggf. (Tages-)Klinik und auch Existenzängste, da ich nicht weiß, ob und wie lange ich noch arbeitsfähig sein werde, sodass ich mein Geld lieber zusammenhalte. Ich arbeite auch seit Jahren nur in Teilzeit). Außerdem verreise ich aufgrund meiner massiven Schlafprobleme schon seit Jahren nicht mehr - das weiß sie auch.
Vor allem aber habe ich eine sehr schwierige Beziehung zu meinen Eltern (psychische und körperliche Gewalt in der Kindheit mit entsprechenden Folgen, was aber von beiden geleugnet, verharmlost und schöngeredet wird). Als ich vor Jahren mal mit meiner Mutter verreist bin, malte sie unsere Kindheit den fremden Mitreisenden gegenüber in den schönsten Farben aus - für mich eine unerträgliche und schmerzhafte Situation.
Als meine Schwester und ihre Familie dann gestern weg waren, wollte meine Mutter plötzlich, während sie kochte, eine politische Diskussion mit mir führen (obwohl sie weiß, dass wir hier diametral gegenüberstehende Positionen vertreten). Ich sagte, ich wolle nicht mir ihr diskutieren, jeder habe ein Recht auf seine Meinung. Sie akzeptierte dies aber nicht und äußerte meinem Bruder gegenüber wie ein trotziges Kind, ich sei - Zitat - "nicht zu belehren" und sie koche innerlich vor Wut, da sie doch Argumente habe, während ich so "verbohrt" sei. Letzteres trifft wohl eher auf sie zu, da sie meiner Meinung nach schon öfter Ansätze von Verschwörungstheorien geäußert hat. Ich denke, dass sie hier ihre Wut über meine Reaktion die Reise betreffend rausgelassen hat. Ich sagte dann, unterstützt durch meinen Bruder, zu einer Diskussion müssten aber beide bereit sein und ich sei es nicht. Daraufhin war sie still und ich habe mich so abgelehnt und nicht respektiert gefühlt.
Ich bin dann gestern Abend sehr traurig und erschöpft nach Hause gefahren: Obwohl ich mit meiner Diagnose offen umgehe, wird diese immer wieder ignoriert, verharmlost oder offenbar vergessen. Statt Unterstützung gibt es noch verletzende Sprüche, gestern insbesondere von meiner Schwester, die z.B. mein Auto als "Schrottkarre" bezeichnete und mich fragte, wann ich nun endlich mal eine neue Küche bekäme (was ich leider aufgrund meiner Antriebsschwäche und Erschöpfung noch nicht hinbekommen habe). Zum Abschied sagte sie dann "Dann bis Weihnachten" (ein passiv aggressiver Vorwurf, da ich tatsächlich meine Besuche auf ein Minimum reduziert habe).
Ich habe auch ein schlechtes Gewissen meiner Mutter gegenüber und empfinde Mitleid. Sie hat seit Jahren keinerlei Freundinnen oder Bekannte im Umfeld und die Ehe meiner Eltern ist seit Jahrzehnten nur noch eine Zweck-WG. Aber das sind andererseits ihre Entscheidungen und ich bin nicht für ihr Leben verantwortlich. Sie ist außerdem eine Meisterin in emotionaler Erpressung und passiver Aggression.
Ihre einzige Vertraute ist ihre Cousine, die in meiner Nähe wohnt und auch ziemlich übergriffig und bevormundend sein kann. Sie ist diejenige, die mich neulich fragte, ob ich nun eigentlich "noch Zeit für meine Depression hätte". Sie möchte, dass ich sie diese Woche noch besuche, ich habe aber eigentlich keine Kapazität und fühle mich trotzdem verpflichtet. Ich habe sie jahrelang idealisiert und erkenne erst seit einiger Zeit, dass sie mir oft nicht gut tut und mich wie ein Kind behandelt, obwohl ich ü40 bin. Vielleicht hat sie meiner Mutter sogar die Idee mit der Reise mit mir ins Ohr gesetzt.
Bin ich zu egoistisch, wenn ich mich abgrenze? Wie würdet ihr mit solchen Familienverhältnissen umgehen? Mein Dilemma besteht ja darin, dass ich entweder offen die Gründe für die eigene Distanzierung kommunizieren müsste (klappt aber nicht aufgrund von Verdrängung und Leugnung, endet mit Eskalation, ich habe es mehrfach probiert) oder Vorwände erfinden - oder gar keine Begründungen mehr nennen. Meine psychische Erkrankung wird als Grund jedenfall nicht akzeptiert. So laviere ich mich irgendwie von Kontakt zu Kontakt.
Entschuldigt, der Text ist viiiel zu lang geworden, aber der gestrige Tag liegt mir schwer auf der Seele. Falls jemand bis hier liest: Vielen lieben Dank!:)
Euch allen einen lieben Gruß,
Phoenix
SundayMan
Beiträge: 327
Registriert: 8. Sep 2022, 19:12

Re: schwieriger Familienbesuch

Beitrag von SundayMan »

Hallo Phoenix,

ich habe deinen Beitrag gerade gelesen und möchte erst einmal sagen: ich finde es toll, dass du dich hier durch das Schreiben der gestrigen Situation etwas entlastet hast. Und zweitens möchte ich dir danken, denn ich erkenne viele meiner eigenen Erfahrungen mit Familienmitgliedern in deinen Schilderungen wieder.

Du fragst, ob du egoistisch bist... Ich finde es egoistisch, wenn du dich abgrenzt - aber auf eine sehr gesunde und selbstfürsorgliche Weise egoistisch! Das darfst du sein!

Für mich klingt es, dass deine Mutter mit dir nicht auf Augenhöhe und respektvoll umgegangen ist, und das finde ich schade. Wenn ein Mensch nicht diskutieren möchte, dann ist das so - es gehören immer zwei oder mehr Leute zum Diskutieren. Eine ähnliche Situation wie du sie mit deiner Mutter hattest, habe ich manchmal mit meiner Schwester... sie diskutiert einfach weiter, obwohl ich geäußert habe, dass ich nicht mehr über das Thema sprechen/diskutieren möchte. Mittlerweile bin ich zum dem Schluss gekommen, dass hinter ihrem Verhalten etwas anderes steckt: Unzufriedenheit mit sich selbst.
Ich habe früher versucht, ihr zu helfen, an meinen hilfreichen therapeutischen Erfahrungen und meinem Wissen teilhaben zu lassen - das hat nicht funktioniert. Und nun lerne ich, dass ich nicht der Therapeut für andere bin - dafür gibt es Fachpersonal und das ist gut so :)

Was du über deine Mutter schilderst (sie ist einsam, manipuliert auf emotionaler Ebene, ist passiv-aggressiv) klingt energieraubend. Du schreibst, dass du ein schlechtes Gewissen gegenüber deiner Mutter hast - aus welchem Grund? Ist er rational erklärbar oder durch ihre Erziehungsweise entstanden?

Lieber Gruß und Selbstfürsorge wünscht dir
SundayMan
"You asked me what's my pleasure, a movie or a measure
I'll have a cup of tea and tell you of my dreaming
Dreaming is free"
(Blondie)
Suchende2
Beiträge: 1267
Registriert: 29. Sep 2020, 08:05

Re: schwieriger Familienbesuch

Beitrag von Suchende2 »

Hallo Phoenix,

ich finde es gut, daß Du gut für Dich sorgst und nicht mit Deiner Mutter in den Urlaub fährst.
Urlaub soll Erholung sein und kein Streß und Deine finanzielle Lage müßte Deiner Mutter bekannt sein.

Dein Bruder hat Dich bei der nicht gewollten Diskussion unterstützt. Das wirkt auf mich beim Lesen positiv.
Das "bis Weihnachten" kann eventuell auch einfach als Tatsache gemeint gewesen sein. Ich bin zur Zeit auch nur zu den Feiern bei meiner Familie und Schwiegerfamilie. Somit habe ich mich am Samstag (Geburtstag der Schwiegermutter) von mir aus mit, "bis zu X Geburtstag" verabschiedet. Und wenn sich jemand aus meiner Schwiegerfamilie so von mir verabschiedet hätte, hätte ich es einfach als stimmige Tatsache angesehen.
Allerdings kenne ich natürlich nicht das Verhältnis zwischen Dir und Deiner Schwester.

Setze Deine Grenzen weiterhin klar und deutlich. Irgendwann werden sie hoffentlich akzeptiert werden.
Du bist nur für DICH verantwortlich. Alle anderen Anforderungen mußt Du nicht annehmen (ich weiß wie schwer das ist!). Du darfst alles machen, was Dir gut tut.

Alles Gute,
Suchende
MissMikse
Beiträge: 466
Registriert: 14. Mär 2023, 20:07

Re: schwieriger Familienbesuch

Beitrag von MissMikse »

Hallo Phoenix,

willkommen im Forum und danke für deinen Beitrag.

Ich schließe mich den anderen an: sei gut zu dir selbst. Sei nur dir selbst verpflichtet. Du darfst NEIN sagen und zwar aus voller Überzeugung und ohne Angabe von Gründen - und wenn du es überzeugend genug sagst, dann wird oft gar nicht mehr nach den Gründen gefragt hab ich festgestellt. Nach den Gründen fragen viele Menschen nur, wenn sie merken, dass man nicht völlig überzeugt ist und somit ggf. doch noch eine Diskussionsgrundlage besteht. ;-) Nimm diese Grundlage weg und sage laut und deutlich nein. Du bist niemandem Rechenschaft schuldig, was du mit deiner Zeit oder deinem Geld machst. Du musst auch kein schlechtes Gewissen haben, wenn du den Kontakt zu deiner Familie auf ein Minimum reduzierst, weil es dir sonst nicht gut tut.

Was die Beleidigungen von Seiten der Familie betrifft, so kenne ich das auch und bisher habe ich das immer runter geschluckt und nichts dazu gesagt. Weil ich weiß, dass meine Eltern das als "anständig" bezeichnen würden. Sollte nochmal irgendwann so ein Kommentar kommen, werde ich jedoch Kontra geben. Ich bin kein kleines dummes Kind, das man wie den letzten Dreck behandeln darf.

Sich gegenüber der eigenen Familie abzugrenzen ist verdammt schwer, das weiß ich. Aber ich kann dich nur darin bestärken, wenn es dir dabei so schlecht geht weiter Kontakt zu haben. Vielleicht übst du auch einfach zu Hause vor dem Spiegel, was du in welcher Situation sagen könntest, um deutliche Grenzen zu setzen. Mir hilft es, mir diese Situationen auszumalen oder auch vergangene Situationen zu reflektieren (was ich hätte sagen können).

Lass dich nicht unterkriegen. Es ist DEIN Leben und nur, weil deine Mutter dir dieses Leben geschenkt hat, bist du nicht lebenslang Rechenschaft schuldig, was du mit diesem Leben anstellst.

Liebe Grüße
Mikse
Phoenix2019
Beiträge: 256
Registriert: 8. Jan 2020, 23:45

Re: schwieriger Familienbesuch

Beitrag von Phoenix2019 »

Hallo zusammen,

ich danke euch fürs Lesen und besonders für euren Zuspruch, der mir gerade so gut tut!:) Ihr kennt ja vielleicht selbst die Grübelschleifen, vor allem, wenn man wie ich heute allein zu Hause sitzt und immer noch den gestrigen Tag in den Knochen spürt.
Ja, SundayMan, ich glaube, meine Mutter versteht es, vor allem ihre Kinder moralisch unter Druck zu setzen. Leider habe ich sie auch nicht als liebevolle Mutter wahrgenommen. Ich glaube, ihre Strategien haben damit zu tun, dass sie selbst sehr schwach und abhängig ist. Auch wenn sie mir deshalb Leid tut, so muss ich doch gut auf mich achten und im Kontakt mit ihr achtsam sein. Ob ich überhaupt in den nächsten Tagen zu ihrer Cousine fahre, weiß ich deshalb auch noch nicht, denn es kommt garantiert die Frage "Warum fährst du denn nicht mit deiner Mutter in den Urlaub?" Dann werde ich mich aber nicht rechtfertigen.
Was du Mikse schreibst, kenne ich zu gut: Ich nehme mir auch vor, mir Beleidigungen nicht mehr gefallen zu lassen und normalerweise bin ich da auch recht klar und schlagfertig. Aber bei meiner Familie fällt mir das irgendwie schwer. Der Tonfall meiner Schwester, Suchende2, klang gestern leider doch ziemlich vorwurfsvoll. Wir hatten mal ein engeres Verhältnis, aber ich glaube, dass meine Geschwister nicht akzeptieren können, dass ich auf Distanz gehe - vielleicht, weil sie sich nicht mit der schmerzhaften Vergangenheit auseinandersetzen können oder wollen. Aber ich muss genau diesen Schritt gehen, ich bin da vielleicht anders. Mein Bruder hat als Nachzügler ein sehr enges Verhältnis zu seiner Mutter, er ist "das goldene Kalb". Deshalb hat er gestern während der Diskussion auch betont, er wolle nicht mich unterstützen, sondern neutral sein. Aber gut, das Ergebnis war ja positiv.
Ich glaube, ich brauche jetzt mal frische Luft:)
Euch allen einen schönen und erholsamen Abend,
liebe Grüße und lieben Dank,
Phoenix
Manuel999

Re: schwieriger Familienbesuch

Beitrag von Manuel999 »

- die Ehe meiner Eltern besteht schon seit 40 Jahren als eine Art WG.
Das ist aber deren ihr Problem, nicht meins.

Meine Mutter beklagt sich bei mir über den Vater, ich versuche zu helfen, sobald mein Vater dann neben meiner Mutter steht, hat sie alles zu mir so nicht gesagt, und diese hält wieder dann voll zum Vater.
Was soll man dazu sagen?
Dieses Hin,- und Herdrücken der Meinung kenne ich auch .
Das Verwickeln in politische Diskussionen kenne ich auch, hier hilft nur, nicht drauf eingehen, weil diese hier ein Ablassventil suchen.
Was soll man da tun? Abstand halten, nur noch zu wichtigen Familienanlässen hingehen, nur kurz. Ich setze mir zwei Stunden.
Das Beste wäre aber, auch in meinem Fall: gehen. Nicht mehr hingehen. Das würde, und werde ich evtl. auch wieder tun, wenn ich stabiler bin/wäre. Das sind chaotische, psychische abnormale Verhältnisse, von sehr schwachen Menschen, die im Grunde genommen nichts auf die Reihe bringen-wo man aber mit reingezogen wird! Wenn ich bei meinen Eltern war, brauche ich immer zwei Tage, bis ich wieder einigermaßen "normal" im Kopf bin.
Phoenix2019
Beiträge: 256
Registriert: 8. Jan 2020, 23:45

Re: schwieriger Familienbesuch

Beitrag von Phoenix2019 »

Hallo Manuel,
danke für deine Erfahrungen, die meinen erschreckend ähneln - und wahrscheinlich nicht nur meinen.
Ja, den vollständigen oder zumindest zeitweisen Kontaktabbruch habe ich auch schon erwogen. Vielleicht kommt es irgendwann dazu. Bis dahin handhabe ich es wie du: Kontakt reduzieren.
Das ist zwar alles so traurig, aber ich habe erkannt, dass ich nur an mir selbst arbeiten kann und andere nicht dazu zwingen kann und auch nicht will.
Liebe Grüße
Phoenix
Katerle
Beiträge: 11296
Registriert: 25. Sep 2014, 10:30

Re: schwieriger Familienbesuch

Beitrag von Katerle »

Hallo Phoenix,

kann mich da den anderen nur anschließen. Sich abzugrenzen ist wichtig für dein eigenes Wohlbefinden. Du brauchst da auch kein schlechtes Gewissen zu haben und du darfst da auch mal egoistisch sein, weil das ist einfach notwendig.

LG Katerle
Phoenix2019
Beiträge: 256
Registriert: 8. Jan 2020, 23:45

Re: schwieriger Familienbesuch

Beitrag von Phoenix2019 »

Hallo Katerle,
danke auch dir für deine Ermutigung! :)
Ich denke jetzt auch, dass es gar nicht egoistisch ist, wenn ich eine Reise nicht mitmache aus finanziellen und gesundheitlichen Gründen - gerade weil ich unter berechtigten Existenzängsten leide. Die letzten Wochen haben mich an und eigentlich über die Grenzen der Belastbarkeit im Beruf gebracht, obwohl ich bereits in Teilzeit arbeite. Und ich muss für mich allein sorgen. Umso nötiger hätte ich gerade Erholung und Entspannung, was nun leider nicht so gut geklappt hat. Ich versuche jetzt, die restlichen Tage auch mal "abzuschalten".
Liebe Grüße
Phoenix
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