Wann geht's bergauf?

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Lilli83
Beiträge: 32
Registriert: 19. Mär 2023, 14:54

Wann geht's bergauf?

Beitrag von Lilli83 »

Hallo ihr Lieben,

Nun fasse ich mal meinen ganzen Mut zusammen und stelle mich vor:

Ich bin die Lilli, 39 Jahre alt und leide seit langer Zeit an Depressionen, Burnout und Panikattacken.

Erst einmal muss ich sagen, dass ich das Forum super finde. Man sieht, man ist nicht alleine (lieben Dank an Schlumpffine) :)

Alles fing 2015 mit der Krebserkrankung meiner Mama an. Ich war immer an ihrer Seite, hab für sie wie eine Löwin gekämpft, pflegte sie und musste sie am Ende dennoch gehen lassen. Obwohl zu diesem Zeitpunkt mein Papa noch lebte, fühlte ich mich irgendwie alleine gelassen.
Der erste Zusammenbruch kam nach ihrem Tod. Bin dann tapfer zur Therapie gegangen und dachte, hey, jetzt geht's bergauf.
2018 erkrankte mein Papa an Krebs. Alles ging von vorne los. Chemotherapie, Arztgespräche, Hilfsmittel organisieren usw. Mein Papa musste sehr leiden bevor er gehen durfte. Auch hier war ich immer an seiner Stelle.
Ich hörte auf zu leben und ging in den Kampfmodus. Meine Schwester wollte oder konnte nicht helfen.
Ich stand alleine da. Dazu Ärger mit dem Chef, weil ich meine Arbeitszeit reduzieren musste. Sonst hätte ich ihn nicht pflegen können... Ein Satz von meinem Chef, der heute bei mir immer noch auftaucht: dann muss ihr Vater eben ins Hospiz wenn sie Arbeit und Privatleben nicht unter einen Hut bekommen.
Das sitzt.
Und dennoch, rückblickend würde ich es wieder so machen. Meine Eltern waren immer für mich da. Und so konnte ich etwas zurückgeben.

Dann kam das nächste auf mich so: ein Erbschaftsstreit. 2 Jahre lang. Wieder gekämpft.

Irgendwann dachte ich, so jetzt schaust du nach dir. Ich wollte immer eine eigene Familie. Leider klappte es nicht und wir mussten in eine Kinderwunschklinik.
3 Jahre lang wieder gekämpft. Zig Medikamente, Vollnarkosen, Hoffen und bangen.
Leider erlitt ich in dieser Zeit 3 Fehlgeburten. Jedesmal mit Notoperation. Sonst wäre ich verblutet.
Letztes Jahr dann die Mitteilung vom Arzt: hier geht nur noch Embryonenspende im Ausland.
Das war ein Schlag ins Gesicht. Ich habe als Frau, als Partnerin versagt. Wieder mal.

Also habe ich meine ganze Energie in die Arbeit gesteckt. War immer da, immer Vertretung für Kollegen gemacht (ich hab ja keine Kinder) usw.
Im Februar letzten Jahres merkte ich, irgendwas stimmt nicht. Die Schlinge zieht sich zu und die Spirale kommt wieder. Hatte um Hilfe beim Chef gebeten. Mein Hilferuf wurde nicht erhört. Das ging so weiter bis Ende Juli. Dann kam der große Zusammenbruch. Nichts ging mehr. Ich wollte nicht mehr existieren, wollte unsichtbar sein. War unsagbar müde. Freunde versuchten ihr bestes. Aber ich konnte keiner Einladung folgen. Nach 10 Minuten wurde mir alles zuviel. Ich wurde unruhig, stellenweise sogar aggressiv. Bei der Arbeit unterliefen mir mehr und mehr Fehler. Mein Chef legte mir das als Faulheit und Unwissenheit aus...

Dann fand ich meine neue Hausärztin. Sie zog mich aus dem Verkehr. Gott sei Dank.
Ich möchte mir nicht vorstellen, was passiert wäre wenn sie es nicht gemacht hätte.
Seit Dezember bin ich jetzt auch in Therapie.

Es gibt gute Tage, aber irgendwie überwiegen die schlechten. Ich kann mich an nichts mehr erfreuen. Wenn mir Leute erzählen, dass sie einen schönen Tag hatten, wird es ganz schwer.
Dazu macht mein Arbeitgeber mir jetzt das Leben schwer. Das belastet. Zukunftsängste kommen hinzu.
Obwohl ich die Angelegenheit meiner Anwältin übergeben habe, finde ich keine Ruhe. Habe ich es richtig gemacht? Was kommt auf mich zu?
Die Gedanken kreisen bereits morgens beim aufstehen und abends beim einschlafen sind sie ebenfalls präsent. Stellenweise so sehr, dass ich Panik bekomme.

Heute Abend ist es auch wieder so. Der Fernseher läuft, aber was da kommt - ich weiß es nicht.
Ein Buch lesen geht auch nicht mehr. Ich kann mich nicht konzentrieren.
Ich bin müde, mache ich das Licht aber aus komme ich nicht in den Schlaf.

Aber irgendwie tut es mir gut, hier mal einfach alles von der Seele zu schreiben. Zu lesen, dass ich nicht alleine bin. Ich mich nicht schämen muss (tue es aber dennoch)....

Und immer und immer wieder die Frage: wann geht's bergauf?

Liebe Grüße an euch alle,

Lilli
Jule2
Beiträge: 4
Registriert: 27. Mär 2023, 12:08

Re: Wann geht's bergauf?

Beitrag von Jule2 »

Hallo Lilli,

ich freue mich für dich, dass du dieses Forum gefunden, dich angemeldet und vorgestellt hast. Das habe ich gestern auch getan und bin der festen Überzeugung, dass der Austausch hier sehr gut tun wird.

Vor dem was du in den letzten Jahren geleistet hast, habe ich riesengrossen Respekt.

Ich lass dir mal liebe Grüsse da und wünsche dir eine erholsame Nacht.
MissMikse
Beiträge: 466
Registriert: 14. Mär 2023, 20:07

Re: Wann geht's bergauf?

Beitrag von MissMikse »

Hallo Lilli, willkommen hier im Forum! :hello:

Es tut mir leid, deine Geschichte zu hören. Du hattest es nicht leicht in deinem bisherigen Leben. :(

Da ich grade gar nicht so richtig weiß, was ich dazu schreiben soll, schreibe ich dir nur eine Sache:
das mit dem "bergauf" ist glaub ich ein Trugschluß. Ich für meinen Teil empfinde es mittlerweile so, dass ich eine Art Bergkette besteige, wo es immer wieder mal ein Stück bergab, dann ein Stück bergauf, dann wieder runter, dann mal eben dahin, dann noch weiter runter und wieder hoch geht. Es ist ein permanentes Wechselspiel aus hoch-runter und gradeaus. Aber weil wir immer den nächsten Gipfel schon vor Augen haben, haben wir das Gefühl, dass es nie bergauf geht, weil wir nur sehen, dass wir schon wieder irgendwo "hoch" müssen.
Und das macht es uns auch so schwer, auf dem vorherigen "Hügelchen" auf dem wir standen, für einen Moment die Aussicht zu genießen, weil wir nur die nächste Etappe vor Augen haben.

Egal an welcher Stelle der Bergkette du grade stehst oder ob du im Jammertal sitzt: ruh dich genau an der Stelle erst mal aus, wenn du keine Kraft mehr hast. Denk nicht drüber nach, was als nächstes kommt. Denk auch nicht dran, was hinter dir liegt - ausser, wenn du dir mal selbst auf die Schulter klopfst weil du merkst, was du schon alles geschafft hast und ertragen hast usw.

Viele Grüße
Lilli83
Beiträge: 32
Registriert: 19. Mär 2023, 14:54

Re: Wann geht's bergauf?

Beitrag von Lilli83 »

Guten Morgen,

@Jule2: vielen lieben Dank für deine lieben Worte!! Das tut gut zu lesen.
Um ehrlich zu sein hat mich dein Beitrag dazu bewogen, meinen Mut zusammenzunehmen und mich vorzustellen ;)
Ich hab mich da in vielem wiedererkannt liebe Jule2.
Wünsche dir einen guten, starken Freitag :)

@MissMikse: auch dir danke ich für lieben Worte. Du hast es sehr, sehr gut geschildert. Es ist tatsächlich so, dass es bei unserer Krankheit Schritt für Schritt gehen muss. Tief im Inneren weiß ich es. Dennoch sehe ich momentan nur Berge, Berge und Berge.
Ich stehe davor und weiß nicht, wie ich es machen soll.
Vielleicht hilft es mir, wenn ich an deine Schilderung denke und es mir bildlich vorstelle.
Weißt du, diese Gefühl versagt zu haben. Versagt im privaten sowie beruflichen Leben macht es mir so schwer.
Ich werde in zwei Wochen 40. Was hab ich erreicht? Warum kommen andere an ihr Ziel und ich kann es nicht?
Da ist noch viel Arbeit vor mir liebe MissMikse.
Auch dir wünsche ich einen guten Start in den Freitag :)
Jule2
Beiträge: 4
Registriert: 27. Mär 2023, 12:08

Re: Wann geht's bergauf?

Beitrag von Jule2 »

Guten Morgen Lilli,

ich freue ich mich sehr, dass mein Beitrag sogar "Hilfe" leisten konnte. Habe mich selber ja auch sehr schwer getan ;)

Ich möchte mich nicht in ein anderes Gespräch einmischen, aber bitte, quäl dich doch nicht mit der Frage, was du erreicht hast. Was heisst das überhaupt - erreichen?
Lilli, DU hast die bedeutungsvollsten Menschen in deinem Leben auf ihrem schwerwiegensten Weg gepflegt, versorgt und unbeirrt begleitet. Und das weit über deine Kräfte hinaus.
Etwas erreichen wollen hat für mich im übertragenen Sinne u.a. auch mit Kräftemessen, mit Sport zu tun. Mit Vergleichen und damit, jemanden zu übertrumpfen. DAS soll dir erst einmal jemand nachmachen!
Du bist müde und kraftlos und wenn ich für mich schon eines gelernt habe: du, ich - wir dürfen das sein. Wir dürfen nur nicht liegen bleiben. Steh auf sobald du kannst und fang an, dir was Gutes zu tun.

Herzliche Grüsse
Gertrud Star
Beiträge: 3441
Registriert: 30. Jun 2014, 19:09

Re: Wann geht's bergauf?

Beitrag von Gertrud Star »

Liebe Lilli,

den anderen kann ich fast nichts mehr dazu fügen, außer einer eigenen Erfahrung.
Ich selber war in meinen Zwanzigern so sehr am Limit, wegen Überschuldung und den Folgen der deutschen Wiedervereinigung für mich. Ich bin Akademikerin und verlor quasi meine Beruf vollständig. Musste mich aufgrund Falschberatung jahrelang durch Anlerntätigkeiten quälen, dazu noch Fernpendeln über lange Strecken und einige Jahre. Dann noch die Schuldenlast und auch noch Krankheit. Mein Körper hat schlapp gemacht. Das erste körperliche Symptom war die ausbleibende Regelblutung. Heute kennt man dieses Phänomen auch (und nicht nur da) bei Hochleistungssportlerinnen oder überambitionierten Freizeitsportlerinnen sehr gut, die Gendermedizin erforscht es gerade (Stichwort Red-S, relatives Energiedefizit-Syndrom). Es kommt auch oft zusammen mit Burnout vor. Nur fehlten bei mir die Ermüdungs(knochen)brüche mangels so starker Belastung auf die Knochen. Der Rest war allerdings gegeben.
Mir konnte damals keiner eine Erklärung dafür geben, oder wollte es nicht. Heute weiß ich, ich bin ziemlich lange am Limit meiner Belastbarkeit gewesen und schon am Anfang dieser Hilfsarbeits- und Fernpendelzeit über das Limit hinaus. Der Körper hätte gar kein Baby austragen können. Er ist in solchen "Notzeiten" darauf programmiert, sich selbst zu erhalten. Denn wenn es der Frau wieder besser geht, könnte er dann nochmal ein Kind zur Welt bringen. So funktioniert das in der Evolution.

Ich selber hatte nie einen besonders großen Kinderwunsch. Doch dir gebe ich mit auf den Weg, wie die anderen auch schon: Jetzt bist erstmal du dran, kümmere dich um dein Wohlergehen und dann schau weiter. Und besprich das mit deinem Mann und auch der Kinderwunschstelle.
Mein größter Wunsch wäre, dass du selber wieder zu Kräften kommst. Warte nicht so lange damit.

LG Gertrud
MissMikse
Beiträge: 466
Registriert: 14. Mär 2023, 20:07

Re: Wann geht's bergauf?

Beitrag von MissMikse »

Guten Morgen Lilli :hello:

Schau nicht so viel auf die ganzen Berge um dich rum, mach es wie der Straßenkehrer Beppo aus Momo: immer einen Besenstrich nach dem anderen - und irgendwann hast du die ganze Straße gefegt ohne dich völlig zu verausgaben. Mach einen Schritt nach dem anderen. Schau im Zweifelsfall nur auf den Boden vor dir und wo dein Fuß als nächstes hintritt - dann merkst du gar nicht so sehr, ob du nun hoch oder runter oder gradeaus gehst.

Ich bin vor kurzem auch 40 geworden - und auch ich frage mich oft: was hab ich erreicht? Und wenn ich anfange zu vergleichen, dann fühle ich mich schlecht. Dann denke ich manchmal, ich wäre gar nicht wirklich erwachsen im Vergleich zu anderen. Ich bin weder verheiratet, noch habe ich einen Partner, war noch nie in einer richtigen Beziehung. Ich hab auch keine Kinder. Ich wohne "nur" in einer Wohnung und nicht in einem Haus mit Garten. Ich hab auch keine Karriere gemacht - was ja dann die gesellschaftlich akzeptierte Alternative zu Mann und Kind und Haus wäre. Aber bin ich deswegen weniger wert? Bin ich deswegen kein Teil der Gesellschaft, der auch seine Daseinsberechtigung hat? NEIN! Aber das mit dem Verstand zu begreifen und mit dem Herzen zu fühlen, das sind halt 2 paar Schuhe. ;) Aber wir arbeiten dran. 8-)

Dass man manche Träume und Ziele nicht erreicht im Leben, gehört ja leider auch zum Leben dazu. :roll: Da muss ich mich auch immer wieder selbst in den Hintern treten um mich neu zu motivieren und auch neu zu orientieren, um mir neue Wünsche und Ziele zu setzen. Hilft ja nix.
Ich wollte zum Beispiel immer bei meiner Hochzeit mit meinem Opa tanzen. Tja, Hochzeit gab es bisher keine und mein Opa lebt nun nicht mehr. Derzeit sprechen mich auch einige Leute an von wegen "Wechseljahre" und dass ich jetzt auch "in das Alter komm"... und ich frage mich, ob ich nicht vielleicht doch gern ein Kind gehabt hätte. Aber mit der Frage hab ich mich vorher nie so wirklich beschäftigt, weil ich ja nun mal keinen Partner dazu hatte. Und alleinerziehend würde ich das nicht schaffen. Aber im Zweifelsfall gäbe es ja noch Alternativen: Adoption z.B. oder sich in einem Kinderheim engagieren. Manchen Traum kann man "abwandeln" um ihn trotzdem zu leben. Und manchen Traum muss man eben loslassen, um weitermachen zu können, so schwer es auch ist.

Ich wünsch dir einen guten Tag und schon mal ein schönes Wochenende!
Liebe Grüße
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