Ein neues Leben?

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canyoufeelmyheart
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Registriert: 22. Mär 2023, 10:35
Wohnort: Kanton Zürich, Schweiz

Ein neues Leben?

Beitrag von canyoufeelmyheart »

Hallo zusammen

Ich bin der Pascal und wohne im Kanton Zürich in der Schweiz. Ich bin seit rund einem Monat in ambulanter psychologischer Behandlung, da ich bei mir selbst Symptome einer Depression verspürt habe. Ich habe 9 Jahre im Schichtdienst bei der Bahn gearbeitet und bin seit 5 Jahren Vater. Mittlerweile haben wir 2 Kids, 5 und 3 Jahre alt. Seit ca. 2 Jahren bemerkte ich wie ich immer weniger erholt war, was bei unregelmässiger Arbeit ja nicht weiter verwunderlich war. Vor allem im Spät- oder Nachtdienst war meist nicht mehr als 4 bis 5 Stunden Schlaf möglich, dann ging die Arbeit zuhause mit den Kids wieder los. Da während der Pandemie sowieso sämtliche Hobbies von mir ausfielen (Fussball und Eishockey schauen oder auf Metal Konzerte gehen) merkte ich erst gar nicht, wie meine Freude an Dingen die mir eigentlich Spass machten weniger wurde. Mein Alltag bestand nur noch aus Arbeit und zuhause sein mit der Familie. Im Verlauf des letzten Jahres bemerkte ich, wie mir oft schwindlig war und ich wie einen Filter zwischen mir und der Umwelt hatte. Alles war irgendwie gedämpft und mein Gedächnis und Konzentration verschlechterte sich sehr.

Ich war immer noch im Glauben, dies seien alles Zeichen des Schichtdienstes. Deshalb beschloss ich mich, einen neuen Job innerhalb meines Unternehmens zu suchen, welcher geregelte Arbeitszeiten bietet. Glücklicherweise erhielt ich Ende Sommer 2022 die Zusage für eine neue Stelle per Anfang 2023. Da ich viel Überzeit angehäuft hatte in meinem Beruf als Lokführer, konnte ich sogar den ganzen Dezember zuhause bleiben. Ich stellte es mir wunderschön vor, den ganzen Monat für die Kinder da zu sein, das erste Mal Weihnachten ohne arbeiten zu müssen feiern usw.

Leider kam es anderst als gedacht. Unser 3 jähriger ist seit gut 1.5 Jahren in der Trotzphase und fordert mich und meine Frau extrem. Ein zusätzliches Symptom welches ich leider verspüre, ist meine extrem kurze Zündschnur. Diese zeigt sich auch nur im Umgang mit den Kindern, dort dafür umso schlimmer. Ich verliere sehr oft die Geduld und wo ich vor 2 Jahren noch die Energie hatte die Kinder kreativ aus einem für sie schlechten Moment herauszuholen werde ich heute oft nur noch laut. Da ich selber mit einem Vater aufgewachsen bin, der seine Überforderung und Unsicherheit nur in Wut kanalisieren konnte, tut mir meine Reaktion im Nachgang nur noch mehr weh.

Der Schlüsselmoment war, als ich Mitte Januar das Interview von Kurt Krömer und Torsten Sträter gesehen habe. Bisher hatte ich immer das Gefühl, ich könne mich einfach schlecht zusammenreissen. Alle anderen Eltern hätten einfach bessere Nerven und ich soll mich einfach mal ein wenig mehr Mühe geben. Die Erkenntnis, dass meine Impulsivität und meine Aggression Anzeichen einer Depression sein könnten war für mich eine Offenbarung.

Mit der Unterstützung meiner Frau vereinbarte ich einen Termin bei der Hausärztin und suchte gleichzeitig eine Psychologin, welche noch Platz für neue Patienten hat. Zu meinem Glück wurde ich schon in der fünften Praxis die ich kontaktierte fündig und meine Hausärztin überwies mich dorthin. Schon im Erstgespräch wurde deutlich, dass viele meiner Probleme wohl wirklich Anzeichen einer Depression waren.

In meinem Arbeitsalltag merke ich oft, wie ich morgens extrem Mühe habe meine Konzentration auch nur für wenige Minuten auf einer Sache zu haben. Oftmals kam dieser Filter wieder zurück, dieses Gefühl alleine im Raum unter einer Glocke zu sitzen und rundherum läuft das Leben. Meine Psychologin erklärte mir, dies sei ein Anzeichen einer Derealisation. Da ich erst seit gut 3 Monaten in diesem neuen Beruf arbeite belastet mich dieser Zustand sehr, worauf wir nach der zweiten Sitzung beschlossen hatten das Thema Antidepressiva in Angriff zu nehmen.

Gestern war ich nun bei meiner Hausärztin, liess die Blutentnahme und ein EKG über mich ergehen. Am Ende erhielt ich eine Packung Escitalopram 10mg, welches ich nun langsam einschleichen werde.

Zusätzlich zu meiner Depression habe ich verschiedene Ängste. Vieles dreht sich dabei darum, dass meiner Familie etwas zustösst. Eine grosse Angst von mir ist zudem die Angst vor negativer Bewertung durch andere Menschen. Dies habe ich schon seit meiner Grundschulzeit. Es hinderte mich schon immer daran, neue Freunde zu finden oder mich in einem Verein zu engagieren. Die Hürde und Angst, ich könnte aufgrund meines ichs abgelehnt werden war stets zu gross. Ich hatte dies über die Jahre als Teil meiner Persönlichkeit akzeptiert und es war mir irgendwann gar nicht bewusst, dass dies ein Problem sein könnte welches man wirklich lösen kann.

Heute Abend blicke ich hoffnungsvoll in die Zukunft. Die letzten wohl etwa 23 Jahre lebte ich mit dieser Angst, meinen Platz in der Gesellschaft nicht zu finden. Ich kämpfte stets mit mir selber, die paar wenigen Freunde die ich habe auch zu behalten. Die Aussicht, irgendwann ein anderes Leben führen zu können ohne diese Ängste als ständiger Begleiter und ohne die Symptome der Depression die ich seit wohl 2-3 Jahren mit mir mitschleppe ist für mich fast zu schön.

Ich hoffe, hier im Forum einen schönen Austausch finden zu können und vielleicht Menschen zu finden welche in einer ähnlichen Situation sind wie ich. Ich entschuldige mich schon mal für den komplett unstrukturierten Text, aber ich musste meine Gedanken einfach niederschreiben und hoffe man konnte einigermassen folgen. Ich bin mir auch sicher, dass ich die Hälfte vergessen habe was auch noch wichtig wäre zu erzählen. Aber was noch nicht ist, kann ja noch werden :)
Can you hear the silence?
Can you see the dark?
Can you fix the broken?
Can you feel, can you feel my heart?
hundethomas
Beiträge: 1192
Registriert: 28. Aug 2022, 21:04

Re: Ein neues Leben?

Beitrag von hundethomas »

hallo Pascal,

Deine Lebensgeschichte ähnelt der meinen. Als Postmann war ich auch lange Jahre im Schichtdienst.....................................

Und vermutlich bist du auch wie ich eher ein sensibler Mensch, den der Alltag ganz schön nerven kann.

Veränderung muss deshalb vorsichtig und behutsam geschehen. Unsere Depri, Trauer, Verbitterung, Lebensüberdruss,

Ängste...........erscheinen uns riesengroß, unüberwindbar. Eine starke Skepsis gegen alle Hilfe muss überwunden werden.

Unsere Vorbehalte als sensible Depris übersteigen oft jedes Maß............

Und oft hat auch meine liebe Frau wie gegen eine Wand geredet.

Unsere Ängste, und Zweifel dem Leben gegenüber zerstören unsere kleinste Veränderung.

Oft wehren wir uns gegen alles, auch gegen Hilfe, immer in Abwehrhaltung. Wir dürfen und müssen lernen, dem

Leben, unserem Leben, immer mehr zu vertrauen. Und das in kleinen Schritten, nicht zu großen Schritten.

In unserer Herkunftsfamilie wurden wir oft mit Ablehnung und Abwehr gefüttert.......

Und in der Therapie sollen wir uns plötzlich wohl fühlen, soll von heute auf morgen auf einmal alles anders sein....


Medikamente können uns echt helfen. Sie verbessern unser Gesamtempfinden. Die unterträglichen Seelenschmerzen,

aber sie heilen nicht unsere Depri. Und sie können auch dicker machen...................................

Und begleitende Therapie ist wichtig.

Und das DU versuchst, Dich immer wieder in Liebe anzunehmen. Oft fühlen wir Depris uns minderwertig, können

uns selbst nicht leiden. Weil wir unser Selbst zu gering einschätzen, haben wir wenig Selbstvertrauen.

Aber wir müssen uns unserer Depri nicht schämen. Wir dürfen unsere Minderwertigkeit, Einsamkeit zugeben,

nach Hilfe suchen.


Wünsche dir von Herzen, das es langsam, aber stetig wieder aufwärts geht in Deinem Leben.


liebe, leise Grüße,


Hundethomas
MissMikse
Beiträge: 466
Registriert: 14. Mär 2023, 20:07

Re: Ein neues Leben?

Beitrag von MissMikse »

Hallo Pascal,
interessant, was du schreibst. In manchem erkenne ich mich wieder - und wusste auch nicht, dass es Anzeichen für eine Depression sein können.
Ich war seit einiger Zeit auch sehr impulsiv, schnell gereizt bzw. aggressiv, habe mich wahnsinnig schnell aufgeregt selbst über Kleinigkeiten.
Und das Gefühl, dass man das Leben durch einen Filter wahrnimmt, alles gedämpft ist oder man wie unter einer Glashaube/Glocke sitzt kenne ich auch nur zu gut. Ich fühle mich manchmal wie ein Tier im Zoo, eingesperrt hinter Glas und kann nicht fühlen, riechen, schmecken, hören, usw. was ausserhalb passiert. Ich bin eingesperrt, obwohl draussen das Leben tobt. Ich poste euch dazu gleich noch eine Geschichte, die ich mal geschrieben hab, und die genau das beschreibt.
Ich befürchte, der Schichtdienst oder überhaupt wechselnde Arbeitszeiten machen viel aus. Mein ehemaliger Therapeut hat schon gesagt, dass ich auf keinen Fall Nachtschicht arbeiten sollte. Aber selbst der Wechsel zwischen früh (ab 7 Uhr) auf spät (bis 23 Uhr) und wieder zurück ist schon heftig, vor allem, nachdem das bei mir nicht regelmäßig wochenweise wechselt, sondern teils von Tag zu Tag. Da kommt man in gar keinen Rhythmus mehr rein, weder tagsüber noch nachts zum Schlafen. Ich bin halt keine 20 mehr, wo man das ggf. noch besser wegsteckt. ;-)
Ich wünsch dir, dass du zur Ruhe kommst, wieder mehr Gelassenheit spürst und nicht dauernd das Gefühl hast, irgendwas bestimmtes leisten zu müssen (von wegen Platz in der Gesellschaft und so). Achte auf dich, dass es dir gut geht - dann geht es auch deiner Familie gut und dann klappt auch alles andere irgendwann wieder.
Viele Grüße
MissMikse
Beiträge: 466
Registriert: 14. Mär 2023, 20:07

Re: Ein neues Leben?

Beitrag von MissMikse »

Das Glashaus


Es war einmal…

Ja, genau so fängt es an. Auch wenn diese Geschichte kein typisches Märchen ist.

Nun denn – es war einmal ein kleines Mädchen, das lebte in einem Glashaus. Ganz recht! Ein Haus komplett aus Glas. Das Mädchen konnte durch die Scheiben alles sehen: den Himmel, die Sonne, den Mond und die Sterne. Den Garten und die Bäume, das Gras und die Blumen. Und auch all die Menschen, die Tag für Tag an dem Haus vorbei gingen. Jedoch das Mädchen selbst konnte nicht hinaus gehen. Es musste im Glashaus bleiben.

Welch ein seltsames Leben… noch nie hatte das Mädchen die Wärme der Sonne gefühlt, noch nie den Wind im Gesicht oder den Regen auf der Haut gespürt. Das Mädchen war auch noch nie barfuß über’s Gras gelaufen oder hatte an einer der hübschen Blumen gerochen. Das Rauschen der Blätter im Wind war im Haus nicht zu hören. Und das Mädchen hatte auch noch nie mit einem anderen Menschen gesprochen. Noch nie hatte es jemandem die Hand geschüttelt oder gar eine Umarmung bekommen.

Das Mädchen saß jeden Tag an den Glasscheiben und blickte nach draußen. Wie schön bunt die Welt doch war! Wie viele Menschen es doch gab!

Das Mädchen lernte alles über die Welt und das Leben da draußen – und wusste selbst doch nichts davon.

Inzwischen war aus dem Mädchen eine junge Frau geworden. Doch je älter sie wurde, umso trauriger wurde sie.

Wie gerne wollte sie auch mal aus dem Haus und all das erleben, was sie Tag für Tag nur gesehen hatte!

Eines Tages kam eine Fee zu ihr.

„Liebes Mädchen, ich erfülle Dir heute einen Wunsch. Du darfst Dir einen Gegenstand wünschen.“

Das Mädchen überlegte eine Weile.

„Ich wünsche mir einen großen, schweren Stein!“

„Einen Stein?“ fragte die Fee. „Ja, einen großen, schweren Stein.“

Die Fee lächelte – und erfüllte dem Mädchen den Wunsch.

Das Mädchen hob den Stein auf, lächelte – und warf ihn mit aller Kraft gegen die Glasscheiben.

Das Glas zerbrach in 1000 Stücke und das Mädchen war endlich frei!

Es sprang hinaus in den Garten, hüpfte durch’s Gras, roch an den hübschen Blumen und lief zu den Menschen auf der Straße um sie zu grüßen, mit ihnen zu reden und zu lachen und zu tanzen.

Und da soll nochmal einer sagen „Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen!“… ;-)

ENDE
sunshine94
Beiträge: 46
Registriert: 16. Feb 2023, 11:15

Re: Ein neues Leben?

Beitrag von sunshine94 »

Hallo canyoufeelmyheart,

ich finde, du bist sehr aufmerksam und reflektiert mit deinen Symptomen/ Gefühlen umgegangen. Freut mich sehr, dass du sie ernst genommen hast und auch sofort Hilfe in Anspruch genommen hast und dir damit geholfen wird!

Ich habe zu Beginn von Corona auch im Schichtdienst angefangen (ohne Nacht) in einem Wohnheim für Kinder mit Behinderung. Hatte wohl vorher schon Therapie wegen depressiven Phasen. Hab da auch schon Antidepressivum gehabt.
Aber während Corona ist alles viel schlimmer geworden. Der Wechsel von früh- spät usw hat mir garnicht gut getan. Dazu ein unmögliches Arbeitsklima mit Unprofessioneller Chefin. Es gab viele Belastungsfaktoren. Nebenbei studiere ich.
Zusätzlich auch sehr viele persönliche Belastungsfaktoren gehabt (z.B. zweimal umgezogen, Ärger mit dem Partner und einer Freundin usw.).

Dann hab ich diesen Januar den Job gewechselt mit geregelten Arbeitszeiten. Aber ich bin total erschöpft in die neue Stelle, sodass ich nun arbeitsunfähig bin.
Ich bin auch schnell gereizt, emotional, ich kam von der Arbeit und bin nur noch ins Bett gefallen. Am WE lag ich auch im Bett. Ich schaffe den Haushalt nicht mehr, habe keinen Appetit,….
Nun werde ich zum ersten Mal überhaupt in eine stationäre Klinik gehen. Muss wieder in die Spur kommen. Habe auch gerade ein Urlaubssemester beantragt.

Da du sehr offen im Umgang mit der Erkrankung zu sein scheinst (dieses Forum und das Interview etc) kann ich dir ein Buch von einer Autorin, Psychotherapeutin, Mutter von 4 Kindern empfehlen die selbst an Depression erkrankt ist und in der Klinik war. Im ersten Teil beschreibt sie viele gute fachliche Informationen über die Erkrankung und im zweiten Teil erzählt sie ihre persönliche Geschichte.
Mir hat es irgendwie ein wenig Mut gemacht.
Falls du auch Interesse hast:
Das Buch heißt „Lebensnebel“ von Nora-Marie Ellermeyer

Ich wünsche dir weiterhin viel Kraft und alles Gute 🍀

Liebe Grüße
Sunshine
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