Chronische hochfunktionale Depression - Austherapiert?

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Topo
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Chronische hochfunktionale Depression - Austherapiert?

Beitrag von Topo »

Hallo Leute,

in einem älteren Beitrag hatte ich glaub ich schon mal von meiner Depression berichtet, die seit ein paar Jahren unverändert ist und in der Klinik damals als schwere Depression diagnostiziert wurde. Sie kann als hochfunktional beschrieben werden, da ich meine Tagesstruktur inklusive Sport und Arbeit einhalte, um nicht akut suizidal zu werden und auch mich auch mal mit Freunden treffe etc.. Ich wache dennoch morgens um 4-5 Uhr auf, grübele den ganzen Tag, bin von Verzweiflung und fehlendem Selbstbewusstsein etc. erfüllt. Bildlich gesprochen lebe ich hinter einer Wand, kann keine Freude, Verbindung oder irgend etwas anderes als Angst und Einsamkeit spüren.

Ich hatte nun die zwei Jahre Pause gemacht und gewartet, bis ich wieder eine Verhaltenstherapie von der KK bezahlt bekomme. Bis dahin war ich auf Selbstzahlerbasis mit meinem früheren Therapeuten telefonisch in Kontakt. Meine neue Therapeutin hat mir nun nach 15 Stunden mitgeteilt, dass sie in der Regel nur Kurzzeittherapien macht, da niemand von ihr abhängig werden soll. Und ich sein offensichtlich ein Kandidat für Kurzzeittherapie, da ich ja meinen Alltag meistere. Sie könne mir halt 25 Stunden Tipps zum Verhalten und Einsichten in mich selbst vermitteln und dann muss das reichen.

Ich war relativ schockiert, da ich nicht wusste, dass sie nur Kurzeittherapie macht und nun meine Therapiekontingent nach 25 Stunden wieder für 2 Jahre verbraucht sein wird. Andererseits war es tatsächlich zuletzt so, dass mir die wöchentlichen Treffen auch nicht so sinnvoll vorkamen, da ich nie etwas neues zu erzählen hatte. Es geht mir, egal was ich verändere, immer gleich schlecht. Bzw. meine Probleme und Denkschemata bleiben gleich und abseits von Arbeit und Sport habe ich zu nichts Antrieb und Kraft.

Ich habe den Eindruck, dass meine Therapeutin meinen Zustand nicht versteht. Und genau dasselbe ist auch bei meinem letzten Klinikaufenthalt vor ein paar Monaten passiert. Trotz eines Wertes von 40 beim BDI Fragebogen, der auf eine schwere Depression deutet, wurde ich als maximal mittelgradig depressiv entlassen, da ich ja meinen Tagesablauf strukturiert bekomme und fröhlich und kommunikativ wirke.

Kennt ihr das, dass ihr euren Zustand irgendwie nicht vermitteln könnt aber auch selbst nicht mehr wisst, inwiefern euch Therapie noch helfen kann?

Lieben Gruß :)
Meridian
Beiträge: 512
Registriert: 15. Dez 2019, 11:05

Re: Chronische hochfunktionale Depression - Austherapiert?

Beitrag von Meridian »

Hallo Topo,

beim Lesen deines Beitrags dachte ich erst: Hochfunktionale Depression, was soll das sein, das ist ja irgendwie ein Widerspruch....
Aber du hast das gut beschrieben und ansatzweise kenne ich das auch.
Ich habe lange an dem Funktionsmodus festgehalten, habe Struktur, eine Aufgabe, Kontakt zu anderen nur noch in der Arbeit gefunden und habe auch gar nicht wahrgenommen, wie es mir geht und mich nicht gefragt, ob es eine Alternative zum reinen "Funktionieren" nach Außen hin gibt, also mich z.B. mal zu fragen, was wünsche ich mir, was möchte ich eigentlich?
Im Gespräch wirkte ich immer sehr kontrolliert und ich bin froh, dass ich Behandler hatte, die hinter die Fassade schauen konnte und bemerkt haben, wie es mir wirklich geht.
Ich kann mir aber vorstellen, dass einige vielleicht denken, so schlimm kann es ja nicht sein, so lange man noch arbeitet und Sport machen kann.
Kannst du denn im Gespräch mit Therapeuten deine Verzweiflung schildern, den fehlenden Antrieb und die Kraft?
Das mit den Kurztherapien sehe ich kritisch (zumindest wenn man generell nur Kurztherapien anbietet) und was die Gefahr der Abhängigkeit bei einer Langzeittherapie angeht, denke ich, dass ein guter Therapeut das zum Ende der Therapie hin auch wieder auflösen kann.
Vielleicht ist ja auch die Verhaltenstherapie nicht die richtige Therapieform für dich?
Ich konnte mit der VT auch nicht viel anfangen, weil es für mich immer um das Verstehen meiner
Symptome, um die Ursache der ganzen Problematik ging.
Das war dann erst in einer tiefenpsychologisch fundierten Therapie möglich.
Das muss natürlich bei dir nicht genau so sein, aber falls du doch noch mal über eine Therapie nachdenkst: Bei einem Verfahrenswechsel hättest du keine Wartezeit von 2 Jahren.

LG, Meridian
Topo
Beiträge: 82
Registriert: 15. Sep 2021, 22:32

Re: Chronische hochfunktionale Depression - Austherapiert?

Beitrag von Topo »

Hi.

vielen Dank für die Antworten!

@Meridian: Ich kann es der Therapeutin schon schildern aber vl. tue ich es nicht dramatisch genug. Zum Beispiel neulich sagte ich ihr, dass mich beim Anblick glücklicher Menschen im Park tiefe Verzweiflung packt, weil ich einsam und unglücklich bin und nicht glaube, dass es je besser wird. Sie hat dann geantwortet, dass die lächelnden Menschen im Park auch nicht alle glücklich sind und mich vielleicht darum beneiden, allein ein Buch zu lesen. Und damit hat sie recht. Aber es ändert nichts. Nun liege ich halt allein im Park und warte darauf, dass sich durch die Arbeit oder Sportkurse irgendwann neue Kontakte entwickeln. Aber ich kann ihr halt nicht jede Woche wieder erzählen, dass ich einsam und verzweifelt bin. Für sie haben wir das Thema Einsamkeit nun halt besprochen und ich weiß auch selber nicht mehr, was ich dazu erzählen soll in einer Langzeittherapie. Danke für den Tipp mit der TP Therapie. Vielleicht ist es echt so, dass ich erst mehr über mich verstehen muss. Anderseits rutsche ich in stressigen Situationen wie Umzug, Jobwechsel etc. häufig in tiefe Krisen und brauche dann akute Hilfe aber vl. kann ein TP Therapeut das ja auch leisten.

@IIorIII: Vielen Dank für die Vorschläge. Analyse würde mir glaube ich etwas zu tief gehen, da ich mich schon soviel um mich selbst drehe in meinem Kopf. Aber von CBASP habe ich schonmal gehört! Vl. werde ich das in einem neuen Klinikaufenthalt in Angriff nehmen, da laut Internet-Recherche nur wenige hier das ambulant anbieten.
Suchende2
Beiträge: 1212
Registriert: 29. Sep 2020, 08:05

Re: Chronische hochfunktionale Depression - Austherapiert?

Beitrag von Suchende2 »

Hallo Topo,

nachdem, was Du geschrieben hast, finde ich sie nicht kompetent.
Eine Abhängigkeit entsteht nur, wenn es beide zulassen.
Ich habe kein Bedürfnis von meiner Therapeutin abhängig zu werden und sie hat auch kein Interesse daran, daß ich es werde. Wenn es dennoch geschehen würde, würde sie es mit mir zusammen bearbeiten!

Bei uns in der Klinik war eine, die zum Glück ernst genommen wurde, die eine ähnliche Depression wie Du hatte. Ich wünsche Dir, daß Du Ärzte findest, die Dich ernst nehmen.

Ja, ein TP Therapeut kann auch in akuten Situationen Hilfe leisten!
Meine ist toll! Für mich ist das definitiv der richtige Weg.
Dadurch, daß ich mich und meine Biografie besser verstehe, kann ich im besten Fall auch eine Änderung bei mir bewirken. Und auch bei den Umsetzungen der Änderungen steht sie mir zur Seite.

Du schreibst
"Nun liege ich halt allein im Park und warte darauf, dass sich durch die Arbeit oder Sportkurse irgendwann neue Kontakte entwickeln."
Ich denke Du bist Dir bewusst, daß nur durch warten keine neuen Kontakte entstehen.

Und Du schreibst
"Aber ich kann ihr halt nicht jede Woche wieder erzählen, dass ich einsam und verzweifelt bin."
Doch das kannst Du!
Ich hatte gerade heute das Thema (es geht mir gerade sehr schlecht), daß ich ihr ja immer nur dasselbe erzähle.
Ihre Reaktion darauf war, das ist normal, da bin ich nicht die Einzige. Und es wäre doch gut, daß ich nicht jede Woche mit einem neuen Problem komme :-)

Und oft genug hatte ich es auch, daß ich dachte, es wäre ein neues Thema und sie mich dann auf Parallelen hinwies.

Alles Gute,
Suchende
niri76
Beiträge: 76
Registriert: 26. Aug 2022, 10:06

Re: Chronische hochfunktionale Depression - Austherapiert?

Beitrag von niri76 »

Hallo Topo!

Du sprichst mir aus der Seele. Bei mir ist es auch so, dass in meinen Umfeld viele denken: Kann ja nicht so schlimm sein. Sie meistert ja ihren Alltag. Und oft muss ich mich dann rechtfertigen, wenn ich etwas nicht schaffe. Schrecklich. Oder auch die geheuchelte Akzeptanz. Aber bitte nur solange, bis es sie dann betrifft. Wenn ich z.B. keine Kraft habe meine Freundin zu treffen stoße ich auf Unverständnis. Dann wird auch oft gedacht, dass ich meine Krankheit nur vorschiebe, damit ich irgendwas nicht machen muss. Völliger Quatsch. Das nervt mich richtig.

Gott sei Dank habe ich eine gute Therapeutin und einen guten Psychiater die mir immer mit Rat und Tat zur Seite stehen. Das ist wirklich ein Geschenk.

Jetzt ist meine Kurzzeittherapie auch beendet. Aber das haben wir gemeinsam entschieden. Im Abschlußgespräch hatte sie mir dann nur gesagt, dass ich vielleicht bei einem nächsten Rückfall mal eine andere Therapieform versuchen sollte. Sie hat mir dann auch einige aufgezählt und erklärt. War jetzt schon zum 2. Mal bei ihr in der Verhaltenstherapie. Und sie hat angedeutet, dass es eigentlich nichts neues zu lernen mehr gibt. Natürlich kann ich immer nochmal zu ihr in die Akkutsprechstunde kommen, wenn es mal wieder arg schlimm ist. Aber ich fühlte mich wirklich sehr gut informiert und bin mit einem guten Gefühl aus der Therapie gegangen.


Grüße
niri
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