Dunkle, alles verschlingende Materie

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WillowTree
Beiträge: 2
Registriert: 15. Jul 2022, 20:53

Dunkle, alles verschlingende Materie

Beitrag von WillowTree »

Ich bin neu in diesem Forum. Darüber gestolpert, im wahrsten Sinne des Wortes bin ich durch die Netflix Mini-Doko: "Sei lieb - Bete und gehorche". Am Ende wird auf die Hilfeseite von Netflix verwiesen und über die kam ich hier an.

Ich leide seit 5 Jahre an Depression. Drei Jahre bin ich einem Therapieplatz nachgelaufen, bis ich 2020 schlichtweg kapitulierte, als auch noch Corona und die ständigen Lockdowns erschwerend hinzu kamen. A verwies mich an B, C fragte, ob ich es schon mal bei Therapeut F versucht habe. Therapeut D teilte mir mit, dass man zwar ein Erstgespräch vereinbaren könne, aber es schon jetzt so sei, dass er eigentlich keine neuen Patienten auf die Warteliste setzen könne. So ging es dauernd. Die Tagesklinik lehnte mich ab, weil ich morgens hätte später kommen und mittags früher gehen müssen, da ich keine Betreuung für die Kinder hatte, die dafür gesorgt hätte, dass sie pünktlich zur Schule kommen. Irgendwann strich ich also die Segel und wunderte mich längst nicht mehr, warum so viele Menschen Suizid begehen, wenn es scheinbar unmöglich ist, als Kassenpatient einen Therapeuten zu bekommen. Und hat man jemanden, muss ja auch die Chemie passen, damit die Therapie überhaupt auf fruchtbaren Boden fallen kann.

Soviel zur groben Vorgeschichte. In diesen 5 Jahren habe ich so viel über Psychologie, Opfer emotionaler Gewalt, emotionale Gewalt generell, Narzissmus, kognitive Verhaltenstherapie, positiv denken lernen usw. gelesen, ausprobiert und wieder verworfen, dass ich inzwischen nicht einmal mehr weiß, ob mir ein Therapeut tatsächlich noch etwas an die Hand geben könnte, das ich noch nicht kenne. Und trotzdem suche ich noch immer nach dem Knopf, mit dem ich jeden noch so kurzen fröhlichen Moment auch festhalten kann als Gefühl. Ja, manchmal lache ich oder lächle zumindest! Aber das ist situationsbedingt. Wie ein Reflex. Sobald ich mich von der Situation abwende, fallen die Gesichtszüge nach unten, als hätte es den Augenblick davor nie gegeben. Und mein Verstand weiß, dass wäre so eine "weiße Bohne in die glückliche Momente Hosentasche"-Situation gewesen, aber der Rest von mir empfindet einfach nichts. Nicht einmal ein fahles Licht, das zurückgeblieben ist. Keine Erinnerung an irgendein Gefühl, das ich in diesem kurzen Moment gehabt haben könnte, falls denn je eines existierte. Ich fühle mich wortwörtlich wie die alles verschlingende dunkle Materie und nichts, auch das Licht nicht, das in ihren Trichter hinein gerät, kommt je wieder raus oder kann als je existent gewesen nachgewiesen werden. Ich möchte das durchbrechen. Aber ich finde nicht den Weg. Ich lebe von Tag zu Tag, seit ich 2020 im Januar das dritte Mal zusammen geklappt bin. Ich habe stabilere Abschnitte gehabt, aber es reicht ein Staubkorn als Trigger und ich bin wieder dort, wo ich begonnen habe: Bei der Frage, wann und wo ich mich selbst verloren habe und ob die Person, die ich mich vage erinnere gewesen zu sein, real war oder ob es die immer ernste, immer distanzierte Person, die phasenweise eine richtige Phobie vor Menschen entwickeln kann, die ist, mit der ich nun für den Rest dieses Lebens leben muss.

Empfindet ihr noch oder wieder Freude? Könnt ihr einen guten Moment mit einem Lächeln oder Lachen festhalten für euch? Emotional, nicht nur als "war da, bedeutet aber nichts"? Wie macht ihr das? Was hilft euch dabei? Wie seid ihr dorthin gelangt?
malu60
Beiträge: 4141
Registriert: 28. Dez 2014, 11:31

Re: Dunkle, alles verschlingende Materie

Beitrag von malu60 »

Hallo WillowTree,
schön,dass Du hier zu uns gefunden hast,und sehr schwer,was Du grad durchmachst....
gerade durch Corona wurde Deine Therapeutensuche nochmal schwieriger,aber es ist auch so schon eine Odysee.....und Du hast Recht,ich als Privatpatientin hatte zwar ein schwieriges Prozedere am Anfang,doch habe ich sehr viel Thrapie bewilligt bekommen und verschiedene gemacht in 30Jahren....8Kindheitstrauma/Früpension .nunhabe ich nur noch ErgoTherapie.

Ob das was für Dich wäre,für den Übergang....Der Psychiater,verschreibt diese,speziell für psych.Erkrankte.....die Kasse zahlt eventuell erst nach Genehmigung.

Ich mache seit 5 jahren keine Therapie mehr.Die Ergo hilft mir aber sehr....Durch praktisches Arbeiten,Neues erlernen,Gespräche,auch Bewegung,Eis essen gehen,üben unter Leuten zu sein
z.B.sowas macht ein Ergotherapeut,eben das, was Dich weiterbringt.....
Freude empfinden,an kleinen Erfolgen hab ich bei Ihr erlebt......Der wöchentl.Termin gab mir eine Struktur,wäre dann ein Termin nur für Dich....vielleicht wäre das eine Hilfe erstmal,bis Du einen Therapeuten gefunden hast,wo es auch paßt.Theoretisch bist Du ja bestens informiert über Deine Krankheit,das ist auch gut so....ein Arzt sagte mal zu mir,"sie sind die Expertin",fand ich gut.

Liebe Grüße und viele Zuschriften hier wünscht Dir malu
Leben ist mehr
malu60
Beiträge: 4141
Registriert: 28. Dez 2014, 11:31

Re: Dunkle, alles verschlingende Materie

Beitrag von malu60 »

Zum ThreadThema fällt mir noch ein Psychiatersatz ein.

Zu beginn meiner schwersten Zeit sagte er:"Sie sind ein Fass ohne Boden,auch Gutes,was oben reinkommt verschwindet ins Bodenlose. hat mich damals sehr fertig gemacht und erschrocken.Schien mir für immer zu gelten.....Stimmt aber nicht,hab mir schon einen Grund erarbeitet,kann mich heute auch freuen,und Schönes,Gutes bleibt....das wünsch ich Dir auch,nix bleibt so wie es ist,es gibt Wachstum l.G.malu
Leben ist mehr
Suchende2
Beiträge: 1218
Registriert: 29. Sep 2020, 08:05

Re: Dunkle, alles verschlingende Materie

Beitrag von Suchende2 »

Hallo WillowTree,

herzlich willkommen im Forum, ich wünsche Dir einen guten Austausch.

Deine Beschreibung kenne ich aus meiner schlimmsten Zeit sehr gut.

Was mir geholfen hat und hilft sind Therapie, Medikamente, 1 stationärer Aufenthalt und 1 Tagesklinikaufenthalt. Medikamente würde ich immer über den Psychiater machen, nicht über den Hausarzt.

Um eine Therapeutin zu finden, habe ich über 50 Therapeutinnen angerufen, bei einigen stand ich auf der Warteliste und mußte mich regelmäßig melden und bei 6 hatte ich ein Erstgespräch und die 6. war es zum Glück!
Also nicht aufgeben, immer weiter versuchen.
Gibt es bei Dir in der Nähe ein Ausbildungsinstitut oder eine PIA? Dann versuche es auch dort.

Hast Du schon mal mit dem Jugendamt Kontakt aufgenommen? Die können z.B. für Deine Tagesklinikzeit Familienhilfe genehmigen, die das auffängt, was Du in dieser Zeit nicht leisten kannst.

Auch ich habe mir sehr viel angelesen, aber es half mir nicht. In der Tagesklinik und durch meine Therapeutin habe ich gelernt, warum nicht. Ich denke, der richtige Therapeut für Dich kann Dir etwas an die Hand geben. Eventuell sogar etwas, daß Du bereits gelesen hast und mit einer Erklärung auf einmal eine neue sichtweise und handlungsweise für Dich bereithält.
Ich habe zum Beispiel in der Tagesklinik gelernt, warum das positive Denken bei mir nicht funktioniert hat.

Alles Gute,
Suchende
Lavendel64
Beiträge: 544
Registriert: 27. Dez 2017, 14:44

Re: Dunkle, alles verschlingende Materie

Beitrag von Lavendel64 »

Hallo WillowTree,

ich kann Dir eigentlich nur einen Rat geben: Dranbleiben!

Hast Du es mal mit einer Klinikambulanz versucht? Die haben zwar auch Wartezeiten, aber Du hast gleich "einen Fuß in der Tür" und könntest mit den ambulanten Therapeuten, dem dortigen Sozialdienst vielleicht eine Möglichkeit zur Tagesklinik, Reha oder ähnlichem finden.

Die Therapeutensuche ist wirklich ein Drama, viele Therapeuten führen noch nicht einmal Wartelisten. Manche aber schon. Und selbst wenn es jetzt erst nur ein Erstgespräch ist, die "Chemie" lässt sich da schon einmal abchecken und wenn es passt, ab auf die Warteliste. Natürlich kann es ein Jahr dauern - das ist ganz grosser Mist, das wissen wir alle. Aber irgendwann hast du dann einen Therapeutenplatz. Wer verzweifelt aufgibt, hat eigentlich schon verloren. Weil dann eben auch auf lange Sicht nichts passiert.

Im Gegensatz zur ambulanten Therapie vermittelt ein Aufenthalt in Klinik oder Tagesklinik noch viel mehr, alles ist intensiver, auch wenen Therapeutengespräche vielleicht nur ein oder zweimal in der Woche stattfinden. Dennoch bekommst Du Anregungen, wie Du etwas für Dich tun kannst.

Ich drücke Dir die Daumen.

LG Lavendel
***Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen ***
Bauchtänzer
Beiträge: 394
Registriert: 13. Jul 2019, 20:38

Re: Dunkle, alles verschlingende Materie

Beitrag von Bauchtänzer »

WillowTree hat geschrieben: Empfindet ihr noch oder wieder Freude? Könnt ihr einen guten Moment mit einem Lächeln oder Lachen festhalten für euch? Emotional, nicht nur als "war da, bedeutet aber nichts"?
Ja!
Wie macht ihr das? Was hilft euch dabei? Wie seid ihr dorthin gelangt?
Seit gut 10 Jahren therap. Gespräche bei einer Psychiaterin. Dazu SSRI. Dem Bedürfnis wegzulaufen, abzubrechen, immer wieder letztlich doch widerstanden und zur nächsten Sitzung gekommen. Sehr viel gelesen, Web, Fachbücher, Forum. Seit einiger Zeit erst kann ich meine Gefühle (und das, was hinter ihnen steht) klarer erkennen und benennen. Ich bin ruhiger. Es braucht Zeit und Zähigkeit.
sometimes1
Beiträge: 5
Registriert: 18. Aug 2022, 12:51

Re: Dunkle, alles verschlingende Materie

Beitrag von sometimes1 »

Hallo WillowTree

wie geht es Dir mittlerweile? Dein Beitrag hat mich sehr berührt. Melde Dich hier wieder, würde mich freuen von Dir zu lesen.

Es ist sehr schwer selber aus Depri rauszukommen. Es ist eben keine Traurigkeit, schön wärs. Es ist eben Gefühllosigkeit, Leere. Mein Therapeut meinte zu mir - es ist eine Art Notlösung, die Seele schaltet auf stumm, nichts zu fühlen, um den Schmerz nicht zu fühlen oder andere heftige Gefühle. Kein Leben, einfach nur Überleben. Notfallprogramm um durchzuhalten, aber schwer alleine wieder zurück ins Leben zu kommen.

Mache Dir keine Vorwürfe, dass Du nichts positives fühlst. Es ist Schutz. Alles wird abgeschaltet, natürlich auch Freude.
Wiederum mein Therapeut" "Das erste, was kommt, wenn Sie wieder fühlen können, ist nicht die Freude. Als erstes kommt Schmerz und Traurigkeit, die diesen Schmerz abmildert". Und so war es auch bei mir.

So, wie Du es beschreibst, brauchst Du keine Tagesklinik und ambulante Therapeut (1 Mal die Woche sich auszukotzen, bringt nicht viel), Du brauchst es stationär. Egal wo, ob in der Nähe, ob in Buxtehude.

Finde Betreuung für Kinder und gehe in Psychosomatik.
niri76
Beiträge: 76
Registriert: 26. Aug 2022, 10:06

Re: Dunkle, alles verschlingende Materie

Beitrag von niri76 »

Hallo WilloTree!

Kein Gefühl bleibt für immer. Und ja, nach einer langen Episode kann ich wieder Freude empfinden.
Nur Mut.

Grüße
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