Unsicherheit nach Erstgespräch

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Phoenix2019
Beiträge: 256
Registriert: 8. Jan 2020, 23:45

Unsicherheit nach Erstgespräch

Beitrag von Phoenix2019 »

Liebe Forianer,
ich bräuchte mal eure Einschätzung:
Ich hatte eben nach längerer Zeit wieder ein Erstgespräch bei einer Verhaltenstherapeutin. Über den Termin war ich sehr glücklich, da sie schon länger unter meinen Favoriten war und nun nur aufgrund der Urlaubszeit einen Termin frei hatte. Nun nach dem Gespräch fühle ich mich aber total verstört und verunsichert:
Ich habe ihr erzählt, dass ich bereits an die 20 Erstgespräche hatte (vielleicht waren es aber auch eher um die 10 bis 15) und ich die Therapien aus verschiedenen Gründen dann nicht weitergeführt habe (Chemie hat nicht gestimmt, Ansatz hat nicht gestimmt, Therapeutin wirkte überfordert, es gab keine Struktur, Ungeduld als Selbstzahlerin...). Sie meinte daraufhin, es könne sein, dass ich unbewusst die Therapeutinnen an ihre Grenzen bringen und die Macht über sie haben wollte. Erklärt hat sie das damit, dass ich in der Kindheit psychische und physische Gewalt durch meinen Vater erlitten habe. Über diese Aussage bin ich zutiefst erschüttert! Dann meinte sie noch, meine Präsenz, meine Anspannung und wie ich ihre Aufmerksamkeit in der Sitzung beanspruche, könnten auf eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung deuten (früher wohl Borderline). Das sei aber auch erst eine Hypothese, aber ich hätte ja selbst den Verdacht einer Persönlichkeitsstörung erwähnt (was ich zu Beginn auch gemacht habe, weil Depressionen ja oft mit Persönlichkeitsstörungen einhergehen, ich bin aber keine Pschologin). Auch diese Aussage hat mich zutiefst erschüttert, zumal ich eine solche Diagnose bisher noch nie erhalten habe und mich da selbst gar nicht wiederfinde. Außerdem ist Anspannung im Erstgespräch beim Therapeuten doch verständlich, oder? Und dass ich viel rede, weil ich nach langer Zeit ma wieder offen sprechen konnte, doch auch, oder?
Mir ist schon bewusst, dass man beim Therapeuten mit unerfreulichen Diagnosen rechnen muss, aber in der 1. Sitzung? Ohne fundierte und vollständige Anamnese? Ohne Fragebogen zur Biographie? Ist das nicht ziemlich unprofessionell und vorschnell?
Ich bin jetzt sehr verunsichert und weiß nicht, ob ich einen weiteren Termin vereinbaren soll. Freie Plätze sind rar und sie könnte ab September wohl einen Platz anbieten. Was mich auch irritiert hat, war, dass sie direkt meinte, ich solle es, wenn es irgendwie gehe, ohne Antidepressiva probieren, als ich ihr erzählt habe, dass ich Anfang September einen Termin bei einem Psychiater habe, nachdem die Schlafstörungen zuletzt sehr belastend waren. Auch diese kategorische Ablehnung von Medikamenten finde ich ziemlich fragwürdig und unprofessionell, zumal sie mich doch noch gar nicht kennt.
Was meint ihr? Ich wäre euch dankbar für eure Einschätzung! Entschuldigt den langen Text.
Danke fürs Lesen und viele Grüße!
Suchende2
Beiträge: 1212
Registriert: 29. Sep 2020, 08:05

Re: Unsicherheit nach Erstgespräch

Beitrag von Suchende2 »

Hallo Phoenix,

bis zum Ende hätte ich gesagt, gebe ihr in einem 2. Gespräch noch eine Chance.
Aber wenn sie Dich noch nicht wirklich kennt, kann sie nicht einschätzen, ob Du Medikamente benötigst oder nicht. Das finde ich sehr übergriffig.
Meine Therapeutin ist mit mir beide Wege gegangen. Am Anfang ohne Medikamente (obwohl sie Medikamente für sinnvoll hielt) und jetzt mit den Medikamenten. Und beide Wege sind für sie o.k., da es mein Leben ist.

Alles Gute,
Suchende
Phoenix2019
Beiträge: 256
Registriert: 8. Jan 2020, 23:45

Re: Unsicherheit nach Erstgespräch

Beitrag von Phoenix2019 »

Hallo Suchende2,
vielen Dank für deinen Beitrag. Das mit den Medikamenten sehe ich genauso. Den Termin werde ich auch auf jeden Fall wahrnehmen, denn der Arzt hat einen sehr guten Ruf, unter anderem, weil er gerade nicht jeder/ jedem Patientin/ Patienten sofort Medikamente verschreibt. Ich fühle mich immer noch wie geplättet und muss das Gespräch heute erst einmal sacken lassen.
Alles Gute!
Meridian
Beiträge: 512
Registriert: 15. Dez 2019, 11:05

Re: Unsicherheit nach Erstgespräch

Beitrag von Meridian »

Hallo Phoenix,

die Therapeutin hat dir mittgeteilt, wie sie dich im Erstgespräch wahrgenommen hat und sie sieht einen Zusammenhang mit der Anzahl deiner Erstgespräche bei anderen Therapeutinnen.
Das kann ich nachvollziehen, dass sie dann aber direkt schon eine Vermutung äußert, was die Diagnose angeht, das finde ich auch etwas verfrüht und ungewöhnlich für ein Erstgespräch.
Vielleicht wollte sie schauen, wie du darauf reagierst, denn das sagt natürlich etwas über dich aus.
Dass sie dich gebeten hat, es erst mal, wenn es irgendwie geht, ohne Antidepressiva zu versuchen, ist meiner Ansicht nach keine kategorische Ablehnung von Medikamenten.
Vielleicht ist sie der Ansicht, dass die Therapie besser wirken kann, wenn du kein AD nimmst, letztlich ist und bleibt es aber deine Entscheidung.
Man muss durchaus nicht immer mit der Therapeutin übereinstimmen.
Es ist sicher gut, wenn du das Gespräch, das dich sehr überrascht hat, erst mal sacken lässt und vielleicht kannst du im zweiten Gespräch deine Verunsicherung und Irritation über ihre Aussagen ansprechen und versuchen, das zu klären.

LG, Meridian
DieNeue
Beiträge: 5359
Registriert: 16. Mai 2016, 22:12

Re: Unsicherheit nach Erstgespräch

Beitrag von DieNeue »

Hallo Phoenix,

ich kann dich nur ermutigen, auf dich selbst zu vertrauen. Deine Argumente, warum du dich im Erstgespräch so verhältst (viel reden, Anspannung) finde ich total vernünftig und logisch. Ich fände es eher ungewöhnlich, wenn du völlig tiefenentspannt bei ihr sitzen würdest.
Das mit dem Borderline ist ja erstmal nur eine Hypothese (von jemandem, der dich grad mal eine Stunde kennt!) und wenn du dich da so gar nicht drin wieder erkennst, denke ich, dass du dich deswegen nicht verrückt machen brauchst. Aber ich weiß, wie das ist, wenn man so eine Diagnose bekommt. Das kann schon richtig reinhauen und wenn man sich nicht wirklich drin wiedererkennt, auch ganz schön verunsichern. Aber auch wenn du keine Psychologin bist, kennst du dich immer noch am besten! Und du bist auch nicht dumm, nur weil du eine psychische Krankheit hast, so dass du dich plötzlich nicht mehr richtig selbst einschätzen könntest.
Deine Gründe, warum du die anderen Therapeuten abgelehnt hast, kann ich auch nachvollziehen und wären für mich auch Gründe nicht mehr hinzugehen. Aber ich bin bei Therapeuten mittlerweile generell sehr kritisch. Teilweise hatte ich schon die gleichen Problemen mit Therapeuten und die Therapie war da dann auch nicht gewinnbringend. Ich bin mittlerweile auch etwas vorsichtig bei Leuten, die erstmal alles pathologisieren, auch wenn es eine völlig normale Erklärung dafür gibt. Das kann ziemlich destruktiv werden.

Den Termin beim Psychiater würde ich auch trotzdem machen. Du musst ja mit den Symptomen zurechtkommen und für jeden passt etwas anderes. Und wenn der sowieso eher so ist, dass nicht jeder sofort Medikamente bekommt, hört sich das ganz vernünftig an.
Aber ich hatte auch mal ein Erstgespräch bei einer, die meinte, ich wäre "noch viel zu jung für solche Medikamente". Weiß auch nicht, wie alt ich erst noch hätte werden sollen, bevor ich die Medikamente nehme.^^ Das fand ich auch etwas seltsam.

Ich hoffe, das hilft dir erstmal weiter.

Liebe Grüße,
DieNeue
Zuletzt geändert von DieNeue am 29. Jun 2022, 22:17, insgesamt 1-mal geändert.
Phoenix2019
Beiträge: 256
Registriert: 8. Jan 2020, 23:45

Re: Unsicherheit nach Erstgespräch

Beitrag von Phoenix2019 »

Hallo Meridian, Hallo DieNeue,
vielen lieben Dank für eure Beiträge und Einschätzungen, die mich etwas beruhigen und ermutigen, auf meine Gefühle zu hören und gleichzeitig die Aussagen der Therapeutin einzuordnen und etwas gelassener zu betrachten. Ich werde definitiv noch Zeit brauchen, den heutigen Termin "sacken" zu lassen. Ich habe auch noch weitere Erstgespräche in Aussicht und neben dem erwähnten Termin bei einem Psychiater auch einen Termin bei einem Psychiater, der sich auf die Behandlung chronischer Depressionen spezialisiert hat (CBASP). Ich wünsche mir, dass Therapeut*innen generell vorsichtig sind mit der Formulierung von Verdachtsdiagnosen und/ oder konkreten Tipps (z.B. "Brechen Sie sofort den Kontakt zu Ihren Eltern ab.") im Erstgespräch. Letzteres habe ich auch schon erlebt. Es scheint wirklich nicht so einfach, eine/n kompetente/n Therapeutin /Therapeuten zu finden, bei der/dem auch noch die Chemie stimmt.
Viele Grüße und eine gute Nacht!
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