Aktiv trotz schwerer Depression?

Topo
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Aktiv trotz schwerer Depression?

Beitrag von Topo »

Hallo Leute,

gibt es hier Menschen, die trotz diagnostizierter schwerer Depression ihren Alltag aufrecht erhalten, arbeiten gehen etc.?

Mir wurde der Entlassbericht meines psychosomatischen Klinikaufenthalts zugeschickt. Demnach habe ich beim BDI II Fragebogen einen Wert von 43, was auf eine schwere Depression hinweist und grob auch den Werten entspricht, die ich bei vorherigen Behandlungen hatte. Innerlich geht geht es mir auch entsprechend; ich bestehe aus Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung, innerem Kritiker, Grübelzwang, schlafe nur 5 Stunden pro Nacht etc., was auch seit 4 Jahren chronisch ist.

Im Entlassbericht und schon in der Klinik wurde ich jedoch mit einer mittelgradigen depressiven Episode diagnostiziert. Der Grund dafür sei, dass ich ja arbeite, seit dem Klinikaufenthalt morgens joggen gehe und in der Klinik Kontakt zu Menschen gesucht habe und mich sozialen eingebracht habe (was ich seit Jahren immer wieder tue, um mich von meiner Verzweiflung abzulenken; nach den Kontakten oder dem Sport sitze ich allerdings sofort wieder verzweifelt in meinem Zimmer).

In der Klinik sagte man mir, dass schwer Depressive grundsätzlich keinen Antrieb zum Verlassen des Bettes haben. Und im Bericht steht nun, dass ich mich an meiner Krankheit festhalte, obwohl es mir objektiv nur mittelmäßig schlecht geht.

Also kurz gefragt: Muss man als schwer Depressiver bettlägerig sein und bei einem aktiven Alltag ist man maximal mittelgradig depressiv? Ich fühle mich von der Klinik nicht gesehen und bin ziemlich frustriert, daher die Frage. Ich gebe alles, um mich über Wasser zu halten und als Resultat heißt es jetzt, dass mir das Wasser dann wohl gar nicht bis zum Hals steht. Das finde ich verletzend.

Danke und viele Grüße :)
Gartenkobold
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Re: Aktiv trotz schwerer Depression?

Beitrag von Gartenkobold »

Hallo Topo,

meine Klinikberichte lesen sich ähnlich und die Ergebnisse von Fragebögen sind bei mir auch ähnlich. Ich habe eine agitierte Depression. Hier im Forum taucht öfers auch der Begriff hochfunktionale Depression auf, vielleicht findest Du Dich darin wieder. Eigentlich ist es eine atypische Depression, wie die agierte Depression auch. Ich fühle mich auch nicht richtig wahr genommen von vielen Behandlern und hatte lange das Gefühl mein Leid wäre nicht relevant, schließlich funktioniere ich ja, kann also nicht so schlimm sein, wurde mir von vielen gesagt und ich wurde sehr oft weggeschickt ohne Behandlung. Die Aussage, Du würdest Dich an der Erkrankung festhalten finde ich verletzend. Und selbst wenn (unbewusst hat jeder auch einen Krankheitsbeginn, ich würde das bei mir nicht ausschließen), wäre es ja Thema einer Therapie daran zu arbeiten, so dass das nicht mehr nötig ist. Für mich sieht es aus, als würdest Du das schon selbständig tun, soziale Kontakte suchen, Sport machen. Vielleicht war diese Klinik einfach nicht die richtige für Dich. Kannst Du den Bericht korrigieren lassen?

LG und gib nicht auf!
Gartenkobold
Xerandar
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Re: Aktiv trotz schwerer Depression?

Beitrag von Xerandar »

Nie vergessen, dass Depression keine one-size-fits-all Krankheit ist. Manche können sich eher zu gewissen Dingen bringen, andere weniger. Manche können sich für gewisse Zeiten ablenken oder einfach noch das tun, was zum Überleben wichtig ist, andere können das nicht.
Solche pauschalen Aussagen sind schwierig. Wenn du beim nächsten Besuch im Bett bleibst, dann wäre deine Psyche schwerer belastet? Einen Klinikaufenthalt dazu zu nutzen das Bestmögliche herauszuholen, wäre demnach etwas schlechtes? Schließlich ist man während der Zeit dort auch weniger mit dem Alltag belastet und kann vielleicht etwas mehr Energie sparen für Unternehmungen.

Leider gibt es auch schlechte Betreuer, Ärzte und Pflegepersonal bei so etwas. Gewöhnt an ein bestimmtes Bild und blind für alles andere. Aufgeben würde ich aber nicht generell. Wenn dir ein Körperteil nach einer OP noch weiterhin weh tun würde, holst du dir ja auch eine zusätzliche Meinung ein und lässt es nicht auf sich beruhen.

Ansonsten hat Herr oder Frau Gartenkobold schon viele gute Infos gegeben.
Gartenkobold
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Re: Aktiv trotz schwerer Depression?

Beitrag von Gartenkobold »

Frau
Topo
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Re: Aktiv trotz schwerer Depression?

Beitrag von Topo »

Hallo,

danke ihr zwei für eure Antworten, die mich etwas runterholt haben von meiner Empörung :)

@ Gartenkobold: Ich werde um Korrektur des Berichts bitten. Die Diagnose werden sie vermutlich nicht ändern aber die Schilderung meines Gesundheitszustandes sollte schon korrekt erfolgen, da ja auch zum Beispiel mein Hausarzt sich an dem Entlassbrief orientiert.

LG :)
Gartenkobold
Beiträge: 2063
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Re: Aktiv trotz schwerer Depression?

Beitrag von Gartenkobold »

Hallo Topo,

mutig. So etwas habe ich mich noch nicht getraut und schon viel "Zettelkram" durch. Viel Erfolg!
Besonders "schwierig" finde ich die Aussage, Du würdest Dich an Deiner Depression festhalten. Das implizit dann ja ähnliche Gedanken bei dem der das liest. Finde ich nicht besonders fair und so wie Du oben gepostet hast, tuest Du ja alles um die Erkrankung zu überwinden. Ich kenne es so, dass der Bericht mit einem besprochen wird (außer bei der Reha und mit diesem Bericht wurde mir ein fetter Stein in den Weg gelegt), scheinen die bei Dir nicht gemacht zu haben.

Viel Erfolg beim Wehren und Grenzen aufzeigen, auch gegenüber Behandlern.

LG Gartenkobold
Allegretto
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Re: Aktiv trotz schwerer Depression?

Beitrag von Allegretto »

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Zuletzt geändert von Allegretto am 28. Sep 2023, 14:11, insgesamt 1-mal geändert.
Suchende2
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Re: Aktiv trotz schwerer Depression?

Beitrag von Suchende2 »

Hallo Topo,

ich kann aus eigener Erfahrung sagen, daß man bei einer schweren Depression sehr wohl aus dem Bett kommt. Vor allem wenn man massive innere Unruihe hat.
Leider gibt es immer noch einige Ärzte, die es nicht wissen!

Steht in dem Bericht, daß Du an der Krankheit festhälst, oder daß Du einen subsidiären Krankheitsgewinn hast? Das ist nämlich ein großer Unterschied.

Alles Gute,
Suchende
Peter1
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Re: Aktiv trotz schwerer Depression?

Beitrag von Peter1 »

Hallo
Wenn man nach Meinung deiner Ärzte,mit schweren Depressionen nicht aus dem Bett kommt, haben sie mich noch nicht kennen gelernt. Ich war 3/4 des Tages nahezu Symptom frei, um dann, von einer Sekunde zur Anderen in tiefste Depressionen zu fallen. Die Ärzte sprachen schon von EKT. Geholfen hat mir eine vermehrung der Gespräche mit der Psychotherapeutin.
Es gibt da einen bekannten Grundsatz, Keine Depression ist wie die Andere.

Peter
Ich wollte nie erwachsen sein, hab immer mich zur Wehr gesetzt. Von außen wurd ich hart wie Stein, und doch hat man mich oft verletzt (Nessaja P. Maffay=
skywalker7

Re: Aktiv trotz schwerer Depression?

Beitrag von skywalker7 »

Hallo Suchende,

was ist denn da der Unterschied ?

Ansonsten wollte ich noch schreiben, dass die Diagnose doch eigentlich egal sein sollte. Fakt ist, du fühlst dich schlecht und es ist wohl bisher keine Besserung eingetreten. Da macht es doch keinen Unterschied, ob da schwer oder mittelgradig steht. Wo es allerdings schon einen Unterschied macht, ist, wenn dich Ärzte nicht ernst nehmen (ich glaube aber nicht, wegen mittelgradig oder schwer). Es gibt Profis, die sehr lapidar damit umgehen, aber dann ist es vielleicht nicht der richtige "Profi" ...
Ich selbst hab in der Depression keine Wut oder Ärger mehr empfunden. Das ist dann schon eher ein gutes Zeichen. Allgemein ist der Genesungsweg oft sehr lang und da kann einem schon mal der Atem ausgehen.

Sprich doch deinen Arzt mal an, und frage ihn, ob er dich nicht ernst nimmt und warte, was für eine Reaktion da kommt. Generell finde ich es wichtig, Dinge die einen stören auch anzusprechen. Das hat den Vorteil, du kannst die Reaktion einschätzen und danach weiter verfahren, und du bist es erstmal losgeworden und frisst es nicht so in dich hinein.

Ansonsten wünsche ich allen gute Besserung.

LG skywalker
AnnaD
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Re: Aktiv trotz schwerer Depression?

Beitrag von AnnaD »

Hallo Topo,
schon mal was von hochfunktionaler Depression gehört? Ich bin auch erst kürzlich auf diesen Begriff gestoßen und habe mich sofort wiedererkannt. Endlich.
Nach außen funktioniere ich, auch wenn es anstrengend ist.
Auch mit den wenigen Menschen, bei denen ich mich 100%ig wohl fühle ist alles gut.
Doch dann komme ich nach Hause und alle Energie fällt von mir ab.
Topo hat geschrieben:nach den Kontakten oder dem Sport sitze ich allerdings sofort wieder verzweifelt in meinem Zimmer).
Genau so wie du es schreibst. Gute Momente halten nicht an.

Hallo Allegretto,
du kannst stolz auf dich sein.
Ich fühlte mich oft von einem Kind schon überfordert. Ich hatte zwar einen Partner, der sich aber nicht wirklich eingebracht hat.
Peter1 hat geschrieben:Keine Depression ist wie die Andere.
Ganz genau!!!!

LG Anna
Suchende2
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Re: Aktiv trotz schwerer Depression?

Beitrag von Suchende2 »

Hallo Skywalker,

an der Krankheit festhalten ist ein bewußter Akt, der subsidiare krankheitsgewinn meist nicht.

Beispiel:
Du kommst mit einer schweren Depression in die Klinik, weißt aber, daß Du nach der Entlassung obdachlos bist, Deine Finanzen nicht geregelt sind, ..., dann kannst Du meistens nicht gesund werden, bevor die Grundlagen zur Gesundwerdung gelegt sind, sprich Wohnraum vorhanden, Geld vom Amt bewilligt.

Ist das so verständlich?



Hallo Topo,

etwas habe ich vorhin vergessen.
Bei meiner Entlassung aus dem stationären Aufenthalt habe ich eine Nebendiagnose erhalten, die ich als falsch empfand und mir nicht erklärt wurde.
Meine Hausärztin und Therapeutin konnten sie beide nicht verstehen. Auch die Psychiaterin nicht. Nach einem Tagesklinikaufenthalt bin ich sie endgültig los.

Meine Therapeutin sagte zu mir, alles, was im Entlassbericht stehe, sei nur eine Hypothese, was davon stimme, könne nur ich entscheiden.
Viel wichtiger war aber, warum diese Diagnose solche Gefühle bei mir verursacht hat und ich damit nicht souverän umgehen konnte. Das haben wir besprochen.

Alles Gute,
Suchende
skywalker7

Re: Aktiv trotz schwerer Depression?

Beitrag von skywalker7 »

Hallo Suchende,

danke für die Erklärung. Ja, das ist verständlich. Ich dachte nur so "ein an der Depression festhalten" kann auch was unbewusstes sein. Ich kann mir irgendwie nicht vorstellen, das jemand bewusst an der Depression festhält. Dafür ist das viel zu quälend.
Viel wichtiger war aber, warum diese Diagose solche Gefühle bei mir verursacht hat und ich damit nicht souverän umgehen konnte.
Das finde ich auch das wichtigste. Da kann man zum Beispiel das Gefühl haben, man wird nicht ernst genommen, und der andere meint das vielleicht gar nicht so, oder hatte was ganz anderes im Kopf. Aber wo kommt das Gefühl dann her ? Vielleicht hat man schon ganz oft erlebt, dass einem Leute nicht zugehört haben, oder alles verbagattellisieren oder oder .... ich finde eine mittelgradige Depression auch schon heftig (hatte beides von den Episoden her schon - rezidiverend)

LG skywalker
Topo
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Re: Aktiv trotz schwerer Depression?

Beitrag von Topo »

Hi Leute,

danke für die vielen Antworten! Also zur Klarstellung: der Befund wurde schon vor der Entlassung mit mir durchgesprochen. In dem Gespräch ging es aber 40 Minuten um eine Gegenüberstellung von Dingen die gut gelaufen sind (ich gehe wieder joggen und habe mich mit Menschen unterhalten) und Dingen die nicht gut waren (Grübelzwang, frühes Erwachen, Verzweiflungsgedanken, nicht-akute Suizidgedanken). In den letzten 5 Minuten teilte sie dann die Diagnose mit und sagte, dass ich mich gut entwickelt hätte. Ich habe dem widersprochen und gesagt, dass sie meinen Zustand nicht richtig einschätzt aber dann war die Stunde zu Ende und ich wusste nicht mehr, was ich noch machen soll.

@Suchende: Also bei dem Entlassgespräch waren ihre genauen Worte: "Sie halten sich an der Krankheit fest". Im Brief steht wörtlich "Der Patient lässt keine Verbesserung zu." Ist mit so einer Aussage ein subsidiärer Krankheitsgewinn gemeint? Dann wäre es natürlich nett von der Klinik gewesen, dazu zu schreiben, was mein Gewinn sein soll. Ich könnte gut ohne diese Krankheit leben.

LG :)
Suchende2
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Re: Aktiv trotz schwerer Depression?

Beitrag von Suchende2 »

Hallo Topo,

Nein, beim subsidiären Krankheitsgewinn machst Du das nicht bewusst.
Ich kenne Deine Verhältnisse nicht, aber wenn Du zum Beispiel wüßtest, das Du nach der Depression wieder in eine aussichtslose Situation kommst, ist der "Gewinn" der Depression, daß Du durch die Krankheit nicht in die aussichtslose Situation zurückkommst. So wie Du mit einem gebrochenem Bein bestimmt kein Marathon laufen wirst, kannst Du mit einer Depression nicht in diese Situation.

Wir hatten das Thema in der Tagesklinik und es war sehr interessant.

Alles Gute,
Suchende
mourena
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Re: Aktiv trotz schwerer Depression?

Beitrag von mourena »

Hallo Topo,

ich habe auch schon ähnliches erlebt. Als ich in einer Klinik war und es mir grottenschlecht ging, meinten die Ärzte so schlecht könne es mir ja nicht gehen, da ich es schaffen würde, mit Mitpatienten etwas zu spielen. Da habe ich mich auch sehr unverstanden gefühlt.

Ich finde es super, dass du deinen Bericht korrigieren lassen willst. Du musst das denke ich nicht unbedingt schriftlich machen, du kannst auch versuchen, telefonisch den Arzt zu erreichen, der deinen Bericht geschrieben hat. Mach es so, wie du denkst, dass es gut für dich ist.

LG
mourena
AnnaD
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Re: Aktiv trotz schwerer Depression?

Beitrag von AnnaD »

Es ist unfassbar, empörend dass man einem Erwachsenen Menschen sagt, wie es ihm geht.
Als Kind bekam ich immer gesagt, daß ist doch nicht schlimm; das tut nicht weh.
Als ob sie in meiner Haut stecken würden.

Bis heute habe ich nicht gelernt, ob es mir schlecht genug geht, um um Hilfe zu ersuchen.

Kein Arzt kann nachempfinden wie es uns geht.
Ein guter kann es wenigstens akzeptieren.
Aurelia Belinda
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Re: Aktiv trotz schwerer Depression?

Beitrag von Aurelia Belinda »

Gerade bei unsichtbarem Leid, sollten auch Ärzte behutsamer sein mit Aussagen. Das Thema hatte ich auch immer mal mit meiner Alltags Unterstützung. Wir sind da u.a. auch aneinander geeckt, weil sie meinte, dies oder jenes hat sich bewährt bei den meisten Klienten.... Ich bin aber nicht "die anderen Klienten".
Auch habe ich ihr klar gemacht, dass nur ich das alles empfinde. Sonst niemand, als sie wieder mal meinte, laut Psychologie...
Ja, ja...das ist alles gut daher studiert. Die Realität sieht so aus, dass jeder seinen individuellen Schmerz hat, und seinen individuellen Weg braucht.
Pauschal zu behaupten, das hilft den meisten, genügt mir nicht.
Ich nehme nur an, was ich als sinnvoll für mich erachte.
Bei den Entlassungsberichten ist das doch schon fast Standart, dass die einen Fortschritt und eine Verbesserung schreiben müssen. Sonst wird ja das Konzept der Klinik in Frage gestellt.
Ob ich nun mit anderen Patienten Kontakt habe, oder beim Spielen mal konzentriert bin, sagt nicht so viel über den Allgemeinzustand aus finde ich. Wenn jemand beruflich noch tätig sein kann, heisst es oft, dieser Person kann es nicht so schlecht gehen. Das kann halt leider auch trügen...
Viel Erfolg an den Thread Ersteller beim bemängeln des Berichtes.
Alle eure Dinge lasset in Liebe geschehen
malu60
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Re: Aktiv trotz schwerer Depression?

Beitrag von malu60 »

:hello: Guten Morgen,
herzlichen Dank,für den sehr interessanten Link

Schönes Wochenende wünsch ich,liebe Grüße malu
Leben ist mehr
AnnaD
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Re: Aktiv trotz schwerer Depression?

Beitrag von AnnaD »

Betreff: Krankheitsgewinn

In meinem ganzen Leben war ich auf mich alleine gestellt. Trotz Eltern, trotz Partner.
Unterstützung, Hilfestellung, Verständnis gab es nicht.
Ich mache das niemandem zum Vorwurf, denn ich wusste ja selbst nicht was mit mir los war.
Also habe ich alles Innere mit mir selbst abgemacht.
Verzweiflung, Traurigkeit, Einsamkeit und und und.

Für mich, und nur für mich, kann ich sagen, dass ich keinen "Krankheitsgewinn" hatte oder habe. Denn auch jetzt mache ich alles mit mir alleine ab.

Eine Besserung meines "Zustandes" wäre für mich eindeutig ein großer Gewinn.

Mag sein, dass es Menschen gibt, die sich mit ihrer Krankheit (welcher auch immer) in ein Netz fallen lassen, vorausgesetzt es existiert ein solches.
Doch die Menschen die ich bei Klinik- und Rehaaufenthalten kennen gelernt habe wollten nur raus aus diesem Depressions-Karusell und eigenständig leben.
AnnaD
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Re: Aktiv trotz schwerer Depression?

Beitrag von AnnaD »

Hallo Winfried,
der Artikel (Link) war sehr interessant.
Ich persönlich sehe mich in keiner der 4 Kategorien.

Doch Vermeidung ist mir durchaus geläufig.
Meine Therapien liegen lange zurück. Doch kann es gut sein, dass ich Dinge nicht annehmen wollte aus Angst.
Der Angst, ohne die Depression die mich in einer Glasglocke hält, mit der "Welt" stärker in Beziehung treten zu müssen. Weil es mir eben Angst macht mit manchen Aspekten des Lebens in Beziehung zu treten.

War das irgendwie verständlich? :|
Aurelia Belinda
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Re: Aktiv trotz schwerer Depression?

Beitrag von Aurelia Belinda »

Hallo Ihr,

Das Vermeidungsverhalten war auch in meiner ersten Therapie seinerzeit ein großes Thema.
Hat sich später aber gut stabilisieren lassen.
Vor ein paar Jahren dann, bemerkte ich, dass ich gut acht zu geben habe, nicht wieder in alte Muster zu fallen...seither ist es nicht mehr selbstverständlich, einkaufen zu gehen, etc. Sondern schon eine Hürde. Ich versuche mich allerdings mit all meiner Macht, dagegen zu wehren, mich wieder einzuigeln.
Bisher funktioniert das auch weitgehendst.
In den Kliniken wird objektiv eine Wahrnehmung, eine Momentaufnahme der stationären Zeit, dokumentiert.
Stimmungslage, sozialer Aspekt, Mitarbeit, Interesse etc.
Es ist doch logisch dass man dort wo kein üblicher Alltag herrscht, u. U. ganz anders agieren kann.
Der private oder berufliche Stress ist erstmal außen vor...man hat Ansprechpartner und erstmal keine Verpflichtung wie sonst im Alltag mit all seinen Anforderungen, denen man trotz der Einschränkungen gerecht werden will.
Zum Krankheitsgewinn... Da ist wohl nicht gemeint, dass es jemand sich bequem macht in dieser. Das wäre ja auch Blödsinn.
Ich denke eher, es ist so gemeint, dass durch schweres Leid, egal welcher Art ( auch bei Krebs ist das zu beobachten), einem Dinge erst richtig bewusst werden. Durch die Verluste, als Beispiel Arbeitsplatz, soziale Kontakte etc. werden einem die Augen geöffnet, bei mir war das zumindest so, was im Leben wirklich wesentlich ist.
Kann jeder sehen wie er mag.
Das ist für mich in all dem beschissenen Leid und Not, einschließlich sämtlicher Verluste die zu beklagen sind, dennoch ein Gewinn....

Grüße an alle...
Alle eure Dinge lasset in Liebe geschehen
DieNeue
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Registriert: 16. Mai 2016, 22:12

Re: Aktiv trotz schwerer Depression?

Beitrag von DieNeue »

Hallo,

was auch irgendwie etwas wahnwitzig ist: In der Therapie soll man lernen, wieder Positives im Leben zu sehen. Sieht man dann in seiner scheiß Situation tatsächlich noch positive Dinge, wird einem das dann wiederum manchmal so ausgelegt, als würde man es sich mit seiner Krankheit gutgehen lassen und sich darin ausruhen, weil das ja sooooo schön ist^^ Manchmal habe ich den Eindruck, sowas können nur Leute denken, die selber noch nie in so einer Situation waren...

@ IIorIII: Das habe ich auch mal gelesen, dass der Mensch sich in solchen schlimmen Situationen anpasst und sich da einfach die Maßstäbe verschieben, damit man das Ganze überhaupt aushält.

Ich finde die Diskussion (nicht hier im Thread, sondern einfach allgemein) über einen eventuellen Krankheitsgewinn viel zu überbewertet und den Umgang damit oft zu unbarmherzig und verbissen. Ich denke, es ist doch normal, dass man sich an Situationen gewöhnt und anpasst. Anders könnte man wahrscheinlich gar nicht leben.
Da ist es gut, wenn man mal bei sich drauf achtet, ob man sich mittlerweile an eine Notstrategie vielleicht zu sehr gewöhnt hat. Wenn ja, kann man die Kursrichtung wieder neu bestimmen und einen neuen Weg einschlagen. Das ist doch nichts, was automatisch immer so bleibt oder weshalb man sich (oder anderen) Vorwürfe machen müsste.
Ich kann da das Buch "Wie ein Schmetterling im Käfig - Perspektiven für ein Leben mit chronischer Krankheit" von Frauke Bielefeldt empfehlen. In ihrem Buch kommt immer wieder auch mal das Thema Krankheitsgewinn vor. Ich fand es interessant, wie sie beschreibt, dass ein konstruktiver Umgang mit der Krankheitssituation künstlich erschwert wird, wenn einem ständig ein sekundärer Krankheitsgewinn unterstellt wird, denn man darf dann eigentlich nicht mehr versuchen, das Beste aus seiner Situation zu machen und sogar vielleicht ab und zu mal zufrieden zu sein, denn das wäre ja wieder ein Krankheitsgewinn.
Ich finde, man sollte das Thema allgemein etwas entspannter und ohne Vorwürfe und Schuldzuweisungen angehen.
Manchmal denke ich mir, dass Leute, die sehr leichtfertig mit dem Thema umgehen und einem sowas einfach mal unbedacht hinklatschen, keine Ahnung haben, was sowas beim Gegenüber auslösen kann und wie verletzend das ist.

@ Topo:
Was deine Ärztin damit meint, dass du keine Verbesserungen zulässt, weiß ich nicht. Finde die Formulierung komisch.
Ich würde, denke ich, auch nochmal die Klinik kontaktieren und nachhaken, was die damit meinen und ob sie das eventuell rausnehmen können. Wenn sie gar nicht mit der Sprache rausrücken, kannst du auch an die Klinikleitung schreiben. Meine Patientenakte hat die Klinik ein halbes Jahr lang nicht rausgerückt, bis ich die Klinikleitung angeschrieben habe. Dann ging es plötzlich doch.

Liebe Grüße,
DieNeue
Aurelia Belinda
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Re: Aktiv trotz schwerer Depression?

Beitrag von Aurelia Belinda »

Guten Morgen allesamt,

@ Ilorll u. DieNeue,

Ich finde dass ein Gewinn nicht unbedingt das negative aufwiegen muss. Dass ein schwer Kranker, und zu denen darf ich mich zählen, wie viele andere im Forum auch....gerne durchaus mit Gesunden tauschen würde, steht für mich ausser Frage.
Ich hätte sicher nichts dagegen gesund zu sein.... Dem ist aber nunmal nicht so. Oft hab ich in der Vergangenheit gehadert, viele Verluste hat man hingenommen.
Das Akzeptieren des ganzen Leides und eben den daraus resultierenden Folgen, hat mich eines Tages befreit, innerlich, gedanklich. Die Zeit in der ich dann nicht mehr der Leistungsgesellschaft hinterher gedackelt bin, weil es mich noch mehr krank machte, nutzte ich sodann, um mich um meiner selbst zu kümmern. Meinen Stellenwert auf dieser Welt zu ergründen. Und dieser hängt eben nicht mehr davon ab, dem entsprechen zu wollen, was andere erwarten, oder die Gesellschaft. Diese Selbstfindungsphase ist für mich sehr wohl in all dem Leid, ein Gewinn. Weil es einfach positive Auswirkungen auf mich hat.
Zum Thema Anpassen, ja logisch, das bleibt nicht aus, es ist schon ein Anpassungsprozess....wenn mich heute jemand fragt, ob ich mir ein anderes Leben wünschen würde, ist das gar nicht mal einfach zu beantworten. Natürlich wäre auch ich gerne gesund. Jedoch möchte ich diese ganzen Phasen der Selbstfindung keinesfalls missen, und diese Erfahrungen konnte ich aber nur machen, weil ich durch die lange Leidenszeit und durch die Verluste, auch die Muße dazu hatte.
Glück und Zufriedenheit ist mir heute nicht fremd, sondern gehört zu meinem Leben. Für den einen ist ein hohes Ansehen wichtig ( Status). Für den anderen Geld...ein Sechser im Lotto bedeutet für mich zumindest nicht Glück. Weil ich festgestellt habe, Glück wohnt in uns und muss nur entdeckt werden.
Hängt nicht von äußeren Faktoren ab....wie manch einer glaubt.
Gerade beim Lockdown war das deutlich zu erkennen, dass das Exemplar Mensch, sein Glück dadurch definiert, z. B. verreisen zu können, sich was leisten können etc. diese Personen haben es besonders schwer, mal inne zu halten, weil sie im Prinzip gar kein wirkliches Glücksgefühl empfinden können...
Dennoch gibt's auch bei mir einzelne Tage, an denen ich auch mal "fluche"...das ist aber legitim und menschlich völlig okay....
Alle eure Dinge lasset in Liebe geschehen
DieNeue
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Re: Aktiv trotz schwerer Depression?

Beitrag von DieNeue »

Hallo Aurelia,

bei dem "Krankheitsgewinn" geht es eher darum, dass du (unterbewusst) in deiner Krankheit stecken bleiben willst, weil du was dafür bekommst. Das wäre bei deinem Beispiel, dass du die Depressionen und deine anderen Krankheiten gar nicht loswerden möchtest, weil es ja so toll ist, dadurch so viel Lebenserfahrung zu sammeln. Weil du so gerne Lebenserfahrung sammelst, bleibst du lieber depressiv und machst nichts gegen deine Depressionen (was ja Quatsch ist, machst du ja nicht.)
Im Prinzip geht es darum, dass der Patient lieber nichts gegen seine Krankheit macht, weil er dadurch irgendwelche Vorteile hat. Da ist man dann schnell beim Thema "faul sein, sich in der Krankheit ausruhen" und solche Vorwürfe sind ziemlich fies.
Ein Beispiel wäre auch, dass jemand, wenn er krank ist, mehr Aufmerksamkeit von anderen bekommt, immer betüdelt wird usw. als in der Zeit, in der er gesund war. Da kann es sein, dass er sich lieber nicht darum kümmert, wieder gesund zu werden, weil er das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und umsorgt werden hat. Das ist natürlich schön, aber besser wäre es, sich dessen bewusst zu werden und zu schauen, wie man das Bedürfnis auf eine gesündere Art erfüllen kann und die Krankheit loszuwerden.

Dass man durch Krankheiten und schwierige Situationen Lebenserfahrung bekommt und sich selbst reflektieren muss und davon auch in der Zukunft profitiert, ist ein schöner "Nebeneffekt" und zeigt eher, dass du an dir arbeitest und dich nicht in der Krankheit ausruhst. Dass du dem Ganzen noch etwas Positives abgewinnen kannst, ist, denke ich, diese Anpassungsleistung. Wenn du immer nur sehen würdest, was alles schlecht war und ist, würdest du das wahrscheinlich nicht aushalten.
Ich möchte manche Erkenntnis oder Fähigkeit, die ich gelernt habe, auch nicht missen, aber ich hätte es lieber auf eine einfachere und nicht so schmerzhafte Weise gelernt oder es zumindest nicht so lange ertragen müssen.

Liebe Grüße,
DieNeue
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