Und wieder holt es mich ein...!

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SadAgain
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Registriert: 4. Jun 2021, 17:23

Und wieder holt es mich ein...!

Beitrag von SadAgain »

Hallo Zusammen,

vor 11 Jahren wurde bei mir ein Burnout (Depression und Angststörung) diagnostiziert. Ich war 1 Jahr lang krank geschrieben, habe eine Therapie gemacht und nach Citalopram.

Die letzten Jahre habe ich mich einigermaßen gut über Wasser halten können.

Die Angststörung kam plötzlich vor 3 Jahren wieder und trat ab und an wieder auf. Depressionen hatte ich keine mehr.

Nach etlichen Versuchen während der letzten Jahre, Citalopram abzusetzen, habe ich es Anfang dieses Jahres geschafft. Während der letzten Jahre habe ich es, wie gesagt, immer wieder versucht, hatte aber immer schlimme Schwindelanfälle und fühlte mich weder während der Arbeitszeit noch während eines Urlaubs dazu in der Lage, dem weiter nachzugehen. Zumal es mir doch gut ging und mein Hausarzt mir auch bestätigte, dass ich die 10mg sowieso so gering wären, und ich diese auch ohne Probleme weiter nehmen könnte. Als ich dann zu Beginn dieses Jahres arbeitslos wurde, kam ich mental endlich mal zu Ruhe und sah den Zeitpunkt gekommen. Warum weis ich gar nicht. Ich denke, ich wollte einfach das Gefühl haben, nicht mehr Tablettenabhängig zu sein. Mittlerweile war ich runter auf 5mg und mein Hausarzt bestätigte mir, dass er sich wunderte, dass ich überhaupt etwas beim Absetzen merke, da die Wirkung sowieso so gering sei bei 5mg.

Ich bin nun also seit ca. Februar weg von Citalopram - und jetzt kommen die Depressionen wieder! Eigentlich geht es mir total gut, aber das dachte ich vor 11 Jahren auch. Mein Mann und ich kommen finanziell gut über die Runden, die Jobsuche nervt mich Null, im Gegenteil. Ich genieße die freie Zeit, und, dass ich mir den Tag so gestalten kann, wie ich das möchte. Wenn man das zu Zeiten der Pandemie überhaupt so sagen kann.

Als wir nun zum ersten Mal seit langem wieder raus gingen und Menschen trafen, kam meine Angststörung mit einem Mal wieder heftig zurück! Die Pandemie hat mir nicht gerade in die Karten gespielt. Ein introvertierter Mensch, der sich unter Menschen sowieso nicht wohl fühlt, hockt nun seit März 2020 zu Hause (erst Homeoffice, dann arbeitslos). Die ganze Zeit seit diesem Ereignis im Mai denke ich nur daran, wie ich nach der Pandemie weiterleben soll. Jetzt im Sommer, wenn alles öffnet, wenn alle sich freuen, wieder raus zu gehen - bekomme ich Panik!

Zunächst fing es damit an, dass ich total gereizt auf meinen Mann reagierte. Die kleinste Kleinigkeit und ich rastete aus. Vorletzte Woche gab es dann den ersten richtigen Schub. Ich weinte und weinte und konnte nicht mehr aufhören. Letzte Woche dann der nächste Schub. Die Tage dazwischen waren super. Ich trieb Sport, ging zum einkaufen, telefonierte bester Laune mit Freundinnen, buchte Sommerurlaub. Auch die erste Impfung versetzte mich in Bestlaune und ich tanze vor Freude auf den Termin durch die Wohnung. Ich WOLLTE doch wieder raus!!

Heute ist wieder ein schlechter Tag. Meine Beine fühlen sich schwer an wie Blei, jeder Schritt eine Qual. Ich bin kurz vor dem Heulen und ich weis einfach nicht, warum. Ich wolllte einkaufen, zum Gartencenter und leckeren Kuchen backen. Und nein, vor dem Einkaufscenter habe ich auch keine Panik. Es sind eher andere Gelegenheiten. Ich dachte, dass der Sommer und die Sonne mich aufwecken. Aber es ist nicht so. An einem Tag wie heute möchte ich wieder Citalopram nehmen. An Tagen wie gestern, frage ich mich, wer diese depressive Person überhaupt ist. Bin ich das? Wie kann das sein?

Mit meinem Mann konnte ich endlich nun mal reden. Er versteht es nicht. Hat von der ersten großen Depression scheinbar nicht viel mitgenommen. Er meint "Schau mal, total gut, was Du geschafft hast, Du nimmst die Tabletten nicht mehr, Du kannst so stolz auf Dich sein!" während ich resigniert antworte: "Ich bin gerade auf dem besten Weg in eine große Depression, wie schon 2010!". Er war ganz erstaunt und weis auch nicht weiter.

Immerhin habe ich noch Citalopram hier, und einen guten Hausarzt. Bei ihm werde ich mir noch heute einen Termin geben lassen, und ihn fragen, ob ich wieder Citalopram nehmen soll. Es war doch so viel besser MIT Citalopram. Und es ist doch total egal, ob ich sie ein Leben lang nehmen muss, oder nicht. Denn SO ist das Leben für mich nicht lebenswert. Ich empfinde Tage der Depression und die Depression an sich als schlimmer als körperliche Schmerzen, Dagegen kann man etwas tun, und sie gehen irgendwann vorbei.

Gibt es eigentlich jemanden von Euch, der es OHNE Antidepressiva raus aus der Depression geschafft hat?

Und jetzt kommt's: Ich bin auf eine Seite gestoßen, auf der steht, dass sich eine Depression bei Männern ganz anders bemerkbar macht als bei Frauen, und ich bin mittlerweile davon überzeugt, dass auch mein Mann eine Depression hat. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass er niemals zum Arzt gehen wird damit. Wie schafft man das, bei Männern? Er ist selbständig, hält uns gerade über Wasser, was nicht einfach ist während Corona, und er hat scheinbar massive Existenzängste. Diese betäubt er mit exessivem Sport. Frisst ansonsten alles in sich rein.

Nun habe ich ganz schön viel geschrieben, und mich nicht mal aufgerafft, bisher, meinen Hausarzt anzurufen. Irgendwie auch eine Art Angst, am Telefon zu sagen, um was es geht. Aber ich muss. Und ich werde das heute machen.

Ich freue mich auf jeden Fall auf Austausch, denn das hat mir damals auch sehr geholfen!

Viele Grüße
Bittermandel
Beiträge: 2554
Registriert: 10. Apr 2021, 09:32

Re: Und wieder holt es mich ein...!

Beitrag von Bittermandel »

Hallo

Also ich nehme seit einigen Jahren ein AD. Natürlich möchte niemand dauerhaft Medikamente nehmen. Aber eine chronische Depression lässt sich nun mal nicht aussitzen. Den Satz mit der Medikamentenabhängigkeit halte ich für daneben. Wenn jemand hohen Blutdruck hat kommt auch niemand auf die Idee von einer Abhängigkeit zu sprechen. Es gibt viele andere chronische Krankheiten wo die Medikamente keine Smarties sind.

Ich würde mit deinem Medikament wieder anfangen und schauen ob die Symptome besser werden. Vermutlich wird es dir bald besser gehen. Und vergiss den Bla Bla wegen Abhängigkeit. Manchmal ist eine dauerhafte Einnahme unumgänglich und nötig. Keiner bekommt eine Medaille weil er tapfer diese grässliche Krankheit aushält.

Wenn du wegen deinem Mann im Internet recherchiert hast, solltest du aufpassen und ihm keine Diagnose anhängen. Vielleicht ist er einfach nur gestresst und braucht Ruhe um den Kopf frei zu bekommen.

Liebe Grüße Bittermandel
DieNeue
Beiträge: 5839
Registriert: 16. Mai 2016, 22:12

Re: Und wieder holt es mich ein...!

Beitrag von DieNeue »

Hallo SadAgain,

ich kann mich Bittermandel nur anschließen. Es ist keine Schande, wenn du deine Medikamente weiterhin nimmst. Ich habe meine auch mal abgesetzt, aber der Schuss ging total nach hinten los. Bin dann paar Monate später komplett zusammengebrochen. Ich dachte auch immer, ich muss sie irgendwann loswerden, aber heute sehe ich das etwas anders. Wenn es einem damit besser geht und man keine schlimmen Nebenwirkungen hat, warum sollte man das nicht wieder weitermachen? Es bringt ja nichts, wenn du dann zwar tapfer ohne Medikamente lebst, aber es dir eigentlich immer schlecht geht. Anderen zuliebe würde ich das auch nicht machen, egal wie toll sie das finden würden, denn die müssen nicht dein Leben leben, sondern du musst damit klarkommen.
Du brauchst dir auch bei deinem Hausarzt nicht blöd vorkommen. Dass gesagt wird, dass man bei Reduzierungsschritten nichts merkt, man aber trotzdem jede kleinste Änderung merkt, habe ich auch schon erlebt. Das ist halt bei jedem verschieden und manchmal ist es besser, man reduziert oder steigert die Dosis in kleineren Schritten über einen längeren Zeitraum als einem gesagt wird.
Ich würde schauen, dass du so bald wie möglichst mit dem Arzt sprichst. Ich habe damals meine Medikamente wieder genommen, aber es war schon zu spät. Einen Tag lang wieder genommen, am nächsten Tag totaler Zusammenbruch.

Wegen deiner Panik wegen den Corona-Lockerungen: Mich stresst das auch extrem. Ich denke, dass Leute ganz unterschiedlich reagieren. Für manche ist es super, dass sie wieder Freizeitmöglichkeiten haben, die ihnen gegen Depressionen helfen, und bei anderen ist es so, dass ihnen die Ruhe gut tat und sie jetzt zu rotieren anfangen. Meine Betreuerin meinte neulich, dass sie das bei ihren Klienten auch so erlebt. Die einen freuen sich, die anderen sind gestresst. Eine Ärztin im Impfzentrum meinte neulich zu mir, dass man es langsam angehen sollte, wenn einen das stresst. Man muss nicht alles gleich mitmachen.

Ich hoffe, ich konnte dir ein bisschen weiterhelfen.

Liebe Grüße,
DieNeue
SadAgain
Beiträge: 4
Registriert: 4. Jun 2021, 17:23

Re: Und wieder holt es mich ein...!

Beitrag von SadAgain »

Hallo Zusammen,

ich freue mich über Eure Antworten, das tut so gut, das glaubt Ihr garnicht! :hello:

Ich komme gerade von meinem Hausarzt, und er hat mir ohne mit der Wimper zu zucken sofort ein Rezept für Citalopram ausgestellt. Da ich sie immer morgens nehme, werde ich gleich morgen damit beginnen. Zusätzlich habe ich auferlegt, nun jeden Tag Muskelentspannung zu machen und ausgiebig spazieren zu gehen. Mein Hausarzt hat bemerkt, wie sehr ich unter Strom stehen (Augenzucken z.B.), das hat mich doch sehr überrascht.

Mir fehlen am allermeisten Personen, mit denen ich darüber sprechen kann. Und das kann ich (außer bei einer Therapie) nur hier. Freunde verstehen es nicht. Obwohl ich mich da auch schon öffne und es nicht mehr verstecke. Denn ich finde, dass Depressionen mehr Beachtung brauchen.

@Bittermandel und DieNeue: Ihr habt so Recht! Ich weis auch gar nicht, warum ich da so blöd war, es abzusetzen. Aber der Doc meinte, dass nach einer Woche schon eine Wirkung einsetzen sollte. Wegen meine Mann habe ich nicht recherchiert, sondern bin zufällig darauf gestoßen.

LG
Bittermandel
Beiträge: 2554
Registriert: 10. Apr 2021, 09:32

Re: Und wieder holt es mich ein...!

Beitrag von Bittermandel »

Hallo Sadagain

Bei mir hat es Jahre gedauert bis ich akzeptieren könnte chronisch an schweren Depressionen erkrankt zu sein. Da können wir uns wohl alle die Hand reichen. Und du wirst merken daß es dir besser geht.

Das Corona hat bei vielen Menschen eine Schneise der Verwüstung hinterlassen. Sich wieder an eine relative Normalität zu gewöhnen ist nicht leicht. Besonders wenn dann plötzlich draußen wieder viel los ist kann das schnell zuviel sein. Und ich denke du hast die Motivation für dich etwas Gutes zu tun Spaziergang und ähnliches.

@ Malu schön von dir zu lesen. Ich habe auch einen Job und fange nächste Woche an.

Liebe Grüße Bittermandel
Bittermandel
Beiträge: 2554
Registriert: 10. Apr 2021, 09:32

Re: Und wieder holt es mich ein...!

Beitrag von Bittermandel »

Hallo Malu

Torten herstellen finde ich super. Am Sonntag habe ich die Sendung großes Backen gesehen. Die machen da ganz tolle Sachen.

Ja über den Job freue ich mich sehr. Wird am Anfang anstrengend. Und vielleicht kann ich mich auch in einem Tanzstudio anmelden. Das würde mir Spaß machen.

Liebe Grüße Bittermandel
Annelie86
Beiträge: 17
Registriert: 19. Feb 2021, 15:08

Re: Und wieder holt es mich ein...!

Beitrag von Annelie86 »

Hallo,

erst einmal finde ich es sehr schade, dass du wieder schlechte Phasen hattest.
Viel Kraft dafür!
Dann mag ich aber beitragen, dass es für mich so klingt, als sei da eine unterschwellige Angst immer da gewesen "Schaffe ich es ohne Medikament? Bestimmt werde ich wieder depressiv!" und diese negative Voraussage ist dann tatsächlich auch eingetreten.
Evtl. hast du psychisch die kleine Menge von 5-10 mg gebraucht(die ja tatsächlich gar nichts mehr bewirkt, sondern eher für das gute und sichere Gefühl steht)
Nun würde ich an deiner Stelle nicht gleich den Teufel an die Wand malen und dich vor dem "Hineinschlittern in eine neue große Depression" sehen.
Wir Depressive müssen auch lernen damit umzugehen, dass sich auch andere Menschen nicht jeden Tag toll und wohl fühlen.
Man darf auch mal einen schlechten Tag haben, gereizt sein oder weinen ohne das es der neue große Ausbruch oder eine Total-Verschlechterung sein muss.

Hab doch mehr Vertrauen in dich selbst und den guten Weg, den du geschafft hast: Ein aktives, zufriedenes Leben mit Höhen und Tiefen!

LG Anne
Empathie58
Beiträge: 273
Registriert: 23. Okt 2017, 21:48

Re: Und wieder holt es mich ein...!

Beitrag von Empathie58 »

Hallo SadAgain,

herzlich willkommen im Forum!

Die folgende Passage in Deinem Beitrag hat mich aufmerken lassen:

"... Und jetzt kommt's: Ich bin auf eine Seite gestoßen, auf der steht, dass sich eine Depression bei Männern ganz anders bemerkbar macht als bei Frauen, und ich bin mittlerweile davon überzeugt, dass auch mein Mann eine Depression hat. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass er niemals zum Arzt gehen wird damit. Wie schafft man das, bei Männern? Er ist selbständig, hält uns gerade über Wasser, was nicht einfach ist während Corona, und er hat scheinbar massive Existenzängste. Diese betäubt er mit exessivem Sport. Frisst ansonsten alles in sich rein. ..."


Die Frage, ob auch Dein Mann eine Depression hat, kann ich nicht seriös beantworten. Aufgrund meiner eigenen Erfahrungen wäre ich mit einer solchen Vermutung sehr vorsichtig.

Es mag sein, dass Männer eher dazu neigen, Angst, Wut und Trauer in sich hineinzufressen, die Zähne zusammenzubeißen und den Helden zu spielen, weil sie glauben, dass dies (durch die Frauen?) von ihnen erwartet werde und sie stets "fehlerfrei" funktionieren müssten. Sie wollen keine Schwäche zeigen. Dabei zeugt es in Wahrheit von Stärke, sich mit solchen vermeintlichen "Unzulänglichkeiten" zu zeigen, sich damit anzuvertrauen.

Es geht jedoch auch anders herum: Meine erste Frau hat sich seinerzeit sehr lange gegen die Tatsache gewehrt, an einer Depression erkrankt zu sein. Sie doch nicht, die perfekte Alleskönnerin. Ärztliche Behandlung? Brauche sie nicht. Da war "Burnout" für sie der bessere Begriff, vermutlich, weil er suggeriert, dass es nicht um Schwäche geht, sondern um Überarbeitung und damit um gezeigte (Höchst-) Leistungen.

Letztlich war ihre Krankheit jedoch stärker und hat sogar zur vorzeitigen Dienstunfähigkeit (und damit noch größerer Unzufriedenheit) geführt.

Ich glaube, dass der Umgang mit der Krankheit eher vom Persönlichkeitstyp abhängt als vom Geschlecht.

Für Deinen Mann als Angehörigen dürfte sich die Situation ebenfalls als eine große Herausforderung darstellen. Er versucht, für Dich da zu sein und Dir Mut zuzusprechen. Das ehrt ihn, wird jedoch nicht reichen, um Dich gesunden zu lassen. Der Partner kann kein Therapeut sein (in diese Rolle bin ich damals, zunächst unbemerkt, geraten).

Von daher bestärke ich Dich in Deinem Entschluss, Dich um ärztliche Unterstützung zu bemühen, auch wenn Dir das - verständlicherweise - schwerfällt. Ich wünsche Dir viel Kraft für die Aufgaben, sowohl für Deine Gesundheit zu sorgen als auch Deinen Beitrag zum Bestand und zur Qualität Deiner Ehe zu leisten.

Liebe Grüße
Empathie58
DieNeue
Beiträge: 5839
Registriert: 16. Mai 2016, 22:12

Re: Und wieder holt es mich ein...!

Beitrag von DieNeue »

Hallo,
Annelie86 hat geschrieben: die ja tatsächlich gar nichts mehr bewirkt, sondern eher für das gute und sichere Gefühl steht)
Weiß nicht, ob man das so pauschal sagen kann, denn man schleicht die Tabletten ja auch mit der geringeren Dosis ein. Wenn der Körper da gar nicht drauf reagieren würde, bräuchte man das ja nicht machen. Und jeder reagiert ganz anders auf Medikamente. Ich hatte mal 375 mg Venlafaxin und hatte keine Nebenwirkungen, ein Mitpatient hatte 37,5 mg und ist fast schlafend vom Stuhl gefallen, weil er so müde davon wurde.

Liebe Grüße,
DieNeue
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