Psychosomatische Symptome: kognitive Einschränkungen

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_bee_
Beiträge: 9
Registriert: 19. Mai 2021, 18:42

Psychosomatische Symptome: kognitive Einschränkungen

Beitrag von _bee_ »

Hallo zusammen,

ich bin neu hier und brauche ein bisschen Hilfe im Umgang mit kognitiven Einschränkungen.

Ich bin 43 und vor ca. 11 Jahren mit Depressionen diagnostiziert worden. Seitdem hat es mich alle 2-3 Jahre wieder in eine Klinik verschlagen. Die Aufenthalte haben mir jedes Mal geholfen – bis auf den letzten 2018/19. Seitdem habe ich ein paar somatische Symptome, die vorher noch nie aufgetreten sind und bin arbeitsunfähig. Ich habe Konzentrationsschwierigkeiten, Unfähigkeit mich zu erinnern, schlechtes Kurzzeitgedächtnis, vermindertes Reaktionsvermögen (kann z.B. nicht mehr Auto fahren) und manchmal fühlt es sich an, als wären meine Gedanken in Wolken gepackt und verhindern, dass ich über irgendwas nachdenken kann.

Hat jemand von euch Erfahrungen mit solchen Symptomen? Ich würde mich darüber gerne austauschen. Besondern schön wäre es natürlich von jemandem zu hören, der diese Symptome hatte und sie wieder losgeworden ist. Ich vertraue darauf, dass sie mit Hilfe meiner Psychotherapie wieder verschwinden, diese ist im Moment ein bisschen ins Stocken gekommen, unter anderem weil ich das Gefühl habe, dass meine Therapeutin sich mit diesen Symptomen nicht gut auskennt.

Vielleicht noch zur weiteren Erklärung: die Ursache der Depressionen liegt in meiner frühesten Kindheit. Meine Eltern sind beide sehr ängstliche und unsichere Personen (beide mit Kriegskinderhintergrund). Als ich 14 Monate alt war, wurden meine Brüder (Zwillinge) geboren und von da an musste ich funktionieren. Die Eltern haben uns versorgt, Liebe haben sie nie empfunden, Streit, Kritik etc wurde sofort unterbunden, weil meine Eltern so was immer zutiefst persönlich genommen haben. Ich habe immer gespürt, dass wir keine „normale Familie“ waren. Geborgenheit, Liebe, Unterstützung oder Lebensfreude gab es nie. Stattdessen hatte das Funktionieren immer oberste Priorität. In der Therapie fällt es mir schwer, mir selbst Geborgenheit zu geben, Komplimente anzunehmen oder mich selbst zu trösten. Ich glaube mittlerweile, dass es daran liegt, dass ich dafür einfach keine Vorbilder oder Beispiele habe und möchte das in der Therapie mehr üben. (Meine Therapeutin scheint das oft zu vergessen, weil ich in ihren Augen trotz meiner ungünstigen Ausgangssituation so viel erreicht habe. High-functioning depression…)

Was immer ich hier schreibe, fühlt sich unvollständig an und so werde ich meinem Hirn eine Pause gönnen und hoffen, dass ein paar von euch meine Situation bekannt vorkommt und wir uns gegenseitig ein bisschen helfen können.
Bee
Philofax
Beiträge: 16
Registriert: 22. Jan 2021, 12:09

Re: Psychosomatische Symptome: kognitive Einschränkungen

Beitrag von Philofax »

Hallo _bee_,
ich bin auch so ähnlich aufgewachsen mit einer depressiven Mutter, welche jeden Streit erduldet hat und immer zu mir gesagt hat " Du darfst dich nicht wehren, das geht so vorbei". Da wurde auch alles unterdrückt und bei Problemen ausgewichen " Andere haben auch...". Da habe ich auch früh gemerkt dass etwas nicht stimmt und ich konnte mich nie richtig wehren.
Die Konzentrationsstörungen kenne ich auch, nimmst du Medikamente welche das auslösen ?
Durch Grübeln bzw. über etwas Nachdenken verliert man schnell den Faden und deshalb schreibe ich mir oft wichtige Sachen sofort auf.
Einmal hatte ich richtige Wortfindungsstörungen und stand z.B. manchmal im Garten und wusste nicht mehr was ich eigentlich machen wollte. Dazu kam eine starke Nervosität vor banalen Ereignissen. Nach einem Schilddrüsencheck hatte ich dann die Ursache, mein TSH war viel zu hoch und beim Facharzt bekam ich die Diagnose Hashimoto. Nach Einnahme von Schilddrüsenmedikamenten hat es sich gebessert.

LG Philofax
_bee_
Beiträge: 9
Registriert: 19. Mai 2021, 18:42

Re: Psychosomatische Symptome: kognitive Einschränkungen

Beitrag von _bee_ »

Hallo Philofax,

bei mir handelt es sich bei den Konzentrationsstörungen und der verminderten Reaktionsfähigkeit fast sicher um psychosomatische Symptome der Depression. Antidepressiva nehme ich zur Zeit nicht und meine Schilddrüse wird jährlich kontrolliert. Diese Symptome können auch rein psychische Ursachen haben. Meist wird auch auf den Fragebögen der Kliniken danach gefragt, die man am Anfang und Ende des Aufenthalts bekommt, um den Fortschritt zu dokumentieren.

Meine Therapeutin hat mal gesagt, dass es eine Möglichkeit der Psyche ist sich vor Überlastung zu schützen und weil ich meine Kindergefühle von Anfang an wegdrücken musste und ich es nicht mehr schaffe, die Abwehr gegen diese aufrecht zu erhalten, sich die Psyche dann neue Möglichkeiten sucht.

Was das Erinnern betrifft: meine Handy ist mein bester Freund und ich habe für alles eine Erinnerung, die aufpoppt, egal wie nichtig. Außerdem benutze ich die Notizfunktion und die Sprachmemos... ohne das, wäre ich aufgeschmissen ;-)

Lieben Dank für deine Antwort!
Einen schönen Abend allerseits :-)
Windwolke
Beiträge: 188
Registriert: 6. Mai 2021, 11:02

Re: Psychosomatische Symptome: kognitive Einschränkungen

Beitrag von Windwolke »

Hallo bee,

mir geht es im Moment gut, aber was du beschreibst, kenne ich aus meinen Depressionsphasen, wenn sie nicht nur leicht waren. Konzentrationsstörungen, Langsamkeit im Kopf bis zum Blackout, in Wolken gepackte Gedanken u. v. m. erinnere ich sehr gut. Die Stärke dieser Symptome ist ja sehr unterschiedlich. Ich konnte z. B. immer Auto fahren, aber ich konnte meinen Verwaltungsberuf nicht mehr ausüben, weil ich nicht mehr gut denken konnte. Das sind für mich eindeutig Symptome der Depression. Botenstoffe im Gehirn fließen nicht mehr so, wie sie sollen. Ich nehme seit langer Zeit und für immer nun Antidepressiva und mache immer wieder Psychotherapie. Dadurch komme ich immer wieder aus tieferen Depressionen raus. Bei mir ist es so, dass ich trotzdem durch Erlebnisse im Alltag immer mal wieder auch schwanke oder trotz der Medikamente sogar abstürze. Aber ich muss nicht mehr in der Klinik, seit ich das für mich passende Medikament gefunden habe. Und die kognitiven Fähigkeiten sind nur schwach eingeschränkt. Mein Partner merkt z. B. in schlechten Phasen, dass ich unkonzentriert bin, aber das gehört inzwischen dazu, wenn es mir schlecht geht. Öfter geht es mir aber richtig gut, so dass ich mich sogar depressionsfrei fühle. Doch bis dahin war ein langer Weg.

Die Themen, die du in der Psychotherapie beschreibst, sind meiner Meinung nach TOP! Genau diese Themen bilden für mich den roten Faden, an dem ich mich, egal was passiert, entlang hangele, und mit deren Hilfe ich viel schneller wieder Boden unter den Füßen bekomme. Sich selbst gute Mutter zu sein und sein inneres Kind durch alle Hochs und Tiefs liebevoll zu begleiten ist eine wunderbare Form von heilender Selbstliebe! Das habe ich wirklich zutiefst erfahren. Gerade wenn man, wie wir beide, in der Kindheit Liebe und emotionale Geborgenheit vermisst hat, bringt es unglaublich viel, immerzu zu üben. Auch mir ist es lange Zeit schwergefallen, liebevoll mit mir umzugehen, weil ich die Art meiner Mutter - mich niederzumachen - übernommen hatte und darin sehr talentiert war. Aber es wird immer besser und inzwischen liebe ich mich, bin mitfühlend und verständnisvoll mir gegenüber, selbst wenn ich mich mal falsch verhalte! Das ist eine große Leistung, macht mich aber sehr stabil, weil ich nie mehr allein bin. Und je stabiler ich bin - bis hin zum Glücklichsein -, desto besser funktioniert mein Kopf. Wenn ich glücklich bin, sind diese kognitiven Symptome völlig verschwunden.

Ich kann dir also nur Mut machen dranzubleiben und daran zu glauben, dass du eines Tages sehr froh und dankbar sein wirst. Ich gehe aber mal davon aus, dass Antidepressiva schon wichtig wären, damit die Botenstoffe im Gehirn richtig arbeiten können.

Liebe Grüße!
Mechthild
Lottalike
Beiträge: 18
Registriert: 21. Dez 2020, 09:58

Re: Psychosomatische Symptome: kognitive Einschränkungen

Beitrag von Lottalike »

Hallo bee,
auch ich kenne deine Art der Sympthome leider ziemlich gut.

Im Moment geht es mir besser, aber ich hatte auch sehr starke kognitive Einschränkungen und Konzentrationsprobleme. Konnte nicht mehr einkaufen gehen, weil ich trotz Einkaufszettel nicht in der Lage war meine Sachen in den Wagen zu legen. Konnte keinen Absatz/Satz lesen, keine Serie, keinen Film, kein TV schauen.
Schlimm war auch, dass ich mir Inhalte aus Gesprächen nicht merken konnte. Manchmal, dass ich mich überhaupt vor ein paar Tagen mit Menschen getroffen hatte. Das war schlimm.
Ich habe mich auch gefühlt, als sei mein Hirn in Wolken/Watte gepackt. Dazu dann noch das ständige Gedanken-Ping-Pong, nicht schlafen können, psychosomatische Auswirkungen etc.
Ich konnte lange Zeit noch arbeiten, habe aber in der freien Zeit nix mehr hinbekommen und mich immer weniger um mich selbst gekümmert.
Ich denke diese Phase ging mit Auf-und-Abs bestimmt 2 Jahre (3 Jahre davor gab es auch eine Phase).
Inzwischen bin ich seit 8 Monaten krankgeschrieben, baue mich immer weiter auf. Unheimlich gut tat mir eine Tagesklinik - die Gruppe dort, Menschen die einen genau verstehen, mit denen man viele Gemeinsamkeiten hat, obwohl man sich eigentlich überhaupt nicht kennt, die (Gruppen-)Gespräche...das war toll.
Auch meine Psychotherapie hilft mir gut.
Ich merke jeden Monat mehr, dass es mir immer besser geht und frage mich, wie es weitergeht, wann Schluss ist mit dem "immer besser". Das zeigt mir einfach wie krass schlecht es mir lange gegangen ist, und das ich das gar nicht so real mitbekommen habe. Ich habe auch immer noch "Rückschläge", falle in alte Verhaltensmuster rein und grabe mich dann in meine Löcher. Aber ich denke das gehört dazu. Wer lange krank war, braucht oft auch lange um gesund zu werden.

Ich möchte dich ermutigen am Ball zu bleiben, mach deine Therapie weiter (das hört sich gut an!), vielleicht helfen dir auch Medikamente (brauchen teilweise extrem lange bis sie wirken, da ggf. nicht den Mut verlieren), vielleicht Sport oder etwas Bewegung draußen, vielleicht viel ausruhen... Das musst du natürlich für dich selbst herausfinden.

Es wird besser!
Lottalike
Beiträge: 18
Registriert: 21. Dez 2020, 09:58

Re: Psychosomatische Symptome: kognitive Einschränkungen

Beitrag von Lottalike »

... du hattest ja nach den Symptomen gefragt. Wenn du dazu noch Fragen hast, oder ich schreiben soll was mir persönlich geholfen hat, melde dich gern nochmal.
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