Warum jetzt auch noch diese Krise?

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caba
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Warum jetzt auch noch diese Krise?

Beitrag von caba »

Ich leide seit 6 Jahren an dieser schrecklichen Krankheit: schwere Depris und Panikattacken! Klinik, nicht mehr Auto fahren können; Job verloren; Freunde verloren; aufgerappelt; Mann und Kind getröstet: es wird schon wieder; Mutter, Vater und Schwester getröstet: es wird schon wieder; bin bald wieder die Alte, die immer für Euch da ist; Tabletten geschluckt; zugenommen; Depris bekommen; abgenommen usw. usw.: Ihr kennt das alles! Dieses Jahr:
mittlerweile 20Kg zugenommen, aber wieder zur Arbeit gekommen (habe mich selbstständig gemacht); Eltern, Freunde und Bekannte übetzeugt, wieder zu funktionieren: jetzt das Aus meines Partners (seit 20 Jahren) und gleichzeitig Ehemanns (seit 14 Jahren): "Was glaubst Du wie schwierig es ist, mit einer ständig Kranken umzugehen?". Ich habe so gekämpft, wofür? Ich habe Angst vor einem Rückfall, aber auch Angst es gar nicht mehr zu packen! Ich glaubte, so tapfer zu sein; ich habe mich so bemüht - für meine Familie -
wieder da zu sein? Wofür meine Kämpfe?
Die Leute, die nichts von mir wissen, finden mich lebenslustig, fürsorglich und liebeswürdig!? Na o.k., das war ich mal und wann werde ich es wieder? Was soll ich noch alles verlieren? Wieviel Prüfungen noch?
Hilfe!
Carina
albert
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Re: Warum jetzt auch noch diese Krise?

Beitrag von albert »

Hallo Carina,
depressiv sein und trotzdem funktionieren, dazu mit einer Fassade oder Maske nach außen, das kenn ich gut. Ich kann für mich nicht ändern, dass immer wieder ein depressiver Schub kommt. Aber ich weiß inzwischen in welchen zeitlichen Abständen das droht und ich kenn die auslösenden Umstände. Also richte ich mich damit ein. Ich habe das "Ding", die Krankheit Depression für mich akzeptiert, ich kann das auch sagen, mich dazu bekennen; es ist ja ein Teil von mir.
Natürlich muss ich gegenarbeiten: mit Techniken zur Entspannung und in den schubfreien Zeiten mit therapeutischen Gesprächen. Heute nach mehr als 15 Jahren bin ich freilich ein anderer Mensch. Da gab es mehr als einmal eine Anstellung, und gefeuert, dann wieder selbstständig, das war und ist ein regel-unregelmäßig-regelmäßiger Wechsel- wenn es mal schlimm kommt, gehe ich den nächsten Wechsel an.
Es gibt immer die Möglichkeit zur Veränderung.
Herzliche Grüße
Albert
albert
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Re: Warum jetzt auch noch diese Krise?

Beitrag von albert »

Emily
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Re: Warum jetzt auch noch diese Krise?

Beitrag von Emily »

Hallo Carina,

ich habe vieles ähnlich erlebt wie du. Und aus deinem Posting lese ich auch einen ähnlichen Fehler heraus wie bei mir: Ich dachte auch lange, ich müsste für die anderen Familienmitglieder wieder gesund werden, müsste für SIE wieder funktionieren. Man ist das aus seiner Frauenrolle heraus auch so gewöhnt, kennt es jahrelang gar nicht anders. Aber eine Depr. kann man schwerlich hauptsächlich für die anderen überwinden. Es ist besser zu lernen, dass man sie zu allererst mal für sich selbst überwinden muss, damit es ein Weiterkommen gibt. Das hat mit Egoismus vielleicht nur insofern was zu tun, als man eine gesunde Art von Egoismus mühsam erst mal lernen muss. Du sagst, du hast so sehr gekämpft - für die anderen. Hast du auch mal daran gedacht, dass du für dich kämpfen musst, d.h., dass du zu allererst mal auf dich, deine Grenzen und deine Befindlichkeit achten musst?

Wenn dein Mann zu dir sagt, wie schwer es doch sei, mit einer ständig Kranken umzugehen (was natürlich einerseits stimmt), dann kann er wohl nicht sehr gut nachempfinden, wie schwer es andererseits erst für den Kranken ist, ständig mit dieser Krankheit zu leben, und das notfalls sogar über Jahre.
Versuche mal, die Dinge so zu betrachten, dass du durchdenkst, wo du engere Grenzen zu deinem eigenen Schutz ziehen kannst, wo du "nein" sagen kannst, wo du dich zu sehr verausgabst, ohne dass es dir weiterhilft. Solche Felder genauestens zu durchforsten und dann gezielte Abstriche zu machen, kann schon weiterhelfen.
Du sagst, du hättest deine Familie mit den Worten getröstet, bald wieder die "Alte" zu sein. Ich habe die Erfahrung gemacht mit meiner insgesamt 8j. Krankheit, dass man die Krankheit dann zu überwinden beginnt, wenn man die Vorstellung aufgibt, hinterher wieder die "Alte" zu sein, sprich wieder hervorragend für alle anderen zu funktionieren, den Laden perfekt am Laufen zu halten etc. Das kann man nur, wenn man gesund ist, aber nicht mehr, wenn man krank ist. Und wenn man schwer krank ist, muss man sein Dasein neu zu definieren lernen, denn kein Mensch kann sich ewig ausschließlich und ungestraft über das "Funktionieren" definieren. Andere Dinge zählen auch: nach innen schauen, Grenzen spüren und setzen, kein schlechtes Gewissen mehr haben, wenn man die Ansprüche, die alle anderen ganz selbstverständlich an einen stellen, nicht mehr erfüllen kann und mag. Mir hilft heute eine andere Art von "Funktionieren": funktionieren ja, aber nicht mehr um jeden Preis, und sei es der Preis der eigenen Gesundheit. Funktionieren ist nicht alles im Leben. Sicher, es gehört dazu bis zu einem gewissen Grad, aber du hast auch eine Daseinsberechtigung aus dir selbst heraus.

Liebe Grüße,
Emily
MPo
Beiträge: 9
Registriert: 11. Jun 2004, 19:27

Re: Warum jetzt auch noch diese Krise?

Beitrag von MPo »

winnie
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Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: Warum jetzt auch noch diese Krise?

Beitrag von winnie »

Liebe Emiliy,

danke für Deinen Beitrag!
Auch für mich sehe ich darin vieles, woran ich noch arbeiten muß.


Liebe Mary, liebe Carina,

es kann verdammt lange gehen, daß man sich völlig überflüssig auf der Welt vorkommt, so daß man wirklich daran glaubt, nur über seine Nützlichkeit für andere seine gewisse Daseinsberechtigung zu haben.
Allerdings glaube ich, daß das nicht allein in der Depression begründet ist - das steckt tiefer. In der Depression reißt es einen dann nur extrem in den Abgrund, WEIL man eben nicht mehr nützlich sein kann. Und jede entsprechende Bemerkung anderer empfindet man dann sozusagen als Hinrichtung...


Lieben Gruß,
Winnie
Emily
Beiträge: 1217
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: Warum jetzt auch noch diese Krise?

Beitrag von Emily »

Liebe Mary,

wie lange es dauert, bis man trotz Krankheit zu einem lebenswerten Zustand zurückfindet, ist natürlich sehr unterschiedlich und hängt von vielen Faktoren ab. Bei mir wurde es dann besser, als ich endlich die richtige Therapie gefunden hatte. Das war fast 4 J. nach Beginn der Krankheit. Aber auch wenn man einen sehr guten Therapeuten findet, muss man sehr vieles mit sich alleine abmachen. Dr. Niedermeier hat mal hier im Forum gesagt, dass "Therapie" eigentlich das ist, was ZWISCHEN den einzelnen Therapiesitzungen zuhause stattfindet. Genauso war es bei mir. Ich habe irgendwann für mich erkannt, dass ich entweder die alten Denkbahnen verlassen musste, egal wie weh das tat, oder es hätte sich - trotz guter Therapie - für mich bei weitem nicht genügend geändert hin zu einer Besserung der Krankheit. Als ich endlich nach langem und hartem inneren Kampf zu dieser Erkenntnis gekommen war, dass ich das Schema an Anforderungen an mich gründlichst hinterfragen musste, gab es sozusagen "kein Halten" mehr. Ich habe zuhause unzählige Stunden damit zugebracht, mein ganzes Leben mit all seinen Facetten (Familie, Beruf, Freizeit, etc.) dahingehend zu hinterfragen, welche Bereiche zu viele und zu hohe Anforderungen an mich stellten, und warum das so war. Vor allem habe ich mir dabei u.a. auch die Frage gestellt, warum ich in den vielen Jahren vor der Krankheit diesen Anforderungen immer in einer beinahe selbstverständlichen Weise gerecht geworden war, ohne jemals zu überprüfen, ob ich vielleicht nicht doch in manchen Fällen die falsche Anlaufstelle für diese Anforderungen gewesen war. Logisch, wenn man top funktioniert, dann fühlt man sich von jedermann geachtet und anerkannt. Das ist ein gefährliches Verlockungsmittel, von dem man leicht abhängig werden kann. Und dann kommen irgendwann die Depris. Und wenn man in der Depr. dann die Anforderungen fast gar nicht mehr erfüllen kann, dann geht es einem genauso, wie Winnie es oben geschildert hat: "In der Depression reißt es einen dann nur extrem in den Abgrund, WEIL man eben nicht mehr nützlich sein kann." Das habe ich genauso empfunden. Man fühlt sich wertlos, nutzlos, überflüssig, als eine Last für alle anderen. Dabei liegt der grundlegende Irrtum in einem selbst: Man meint, man müsste immer, in jeder Situation, zu jeder Tages- und Nachtzeit allen und allem gerecht werden. Das ist u.a. auch eine Folge des Rollenverhaltens, wie es einem die Medien zu suggerieren versuchen: Frauen sollen jederzeit topmäßig funktionieren, Beruf und Familie und Haushalt perfekt unter einen Hut bringen, und dabei immer noch allzeit gut gelaunt sein und selbstverständlich schon frühmorgens topmodisch gestylt und frisiert sein.... Eine völlig überzogene Anspruchshaltung, die Frauen in schwere innere Konflikte stürzt, wenn sie krank werden und auf keinem einzigen Feld mehr die Leistung bringen können, die sie vorher immer gebracht haben.

In meiner Krankheit begannen sich die Dinge positiv zu verändern, als ich erkannte, dass ich in 1. Linie mir selbst gegenüber eine Verpflichtung hatte, denn mein Therapeut konnte mich nicht heilen, wenn ich meine Anspruchshaltung ggü. mir selbst nicht grundlegend durchdachte und änderte. Dem Therapeuten waren diese überzogenen Ansprüche an mich in meinem Leben sowieso sofort sonnenklar, aber man muss diesen beschwerlichen Weg hin zu mehr kritischer Betrachtung seiner Lebensumstände und dann zu verstärkter Eigenverantwortlichkeit im eigenen Leben selbst gehen.

Liebe Mary, du hast noch gefragt, wie lange es gehen kann, dass man sich so schrecklich nutzlos und verkehrt fühlt. Auch dafür gibt es wohl keine generelle Antwort, bei mir ging es jahrelang so, weil die althergebrachten Denkmuster wie Beton in mir festsaßen. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, jemals die Dinge anders sehen zu können, als ich das über viele Jahre hinweg eben gewohnt gewesen war. Aber man kann das Umdenken lernen. Es ist ein Prozess über einen langen Zeitraum hinweg. Er wird fortdauern, denn die Anforderungen können sich ja immer wieder ändern. Aber ich ziehe heute die innere Notbremse, wenn mich die Anforderungen unter zu großen Druck setzen. Dann nehme ich mir Tage oder sogar Wochen bewusst Zeit zum intensiven Nachdenken, mache da Abstriche, wo ich sie am leichtesten machen kann. Und ich versuche, kein schlechtes Gewissen mehr dabei zu haben, denn niemandem in meiner Familie ist damit gedient, wenn ich bis zum Umfallen "funktioniere". Und die gewonnene Zeit investiere ich bewusst in meine eigene Regeneration und mache Dinge, die mir Freude machen und mich entspannen oder mir einfach gut tun. Ich habe nämlich überhaupt keinen Bock mehr auf Depris, und die kämen garantiert wieder, wenn ich immer noch nichts dazugelernt hätte...

Liebe Grüße,
Emily
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