Krankheit zweiter Klasse

Wandervogel
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Re: Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von Wandervogel »

Sehr geehrter Herr Niedermeier,

das gemeinsame Entscheiden wird leider auch nicht von allen Ärzten optimal umgesetzt.

Ich kann da auch aus eingener Erfahrung sprechen.

Ich leide an Rheuma. Mein Rheumatologe hat das shared desision making sehr gut umgesetzt. Er hat mich ausführlich über die Krankheit aufgeklärt und was ich als Patienten zusätzlich zu der notwendigen Medikation machen kann, um die Medikamente so gering wie möglich zu halten und den Entzündungsprozess im Körper aufzuhalten. Er hat mir Ernährungsberatung und Rehasport verordnet, mir die Rheumaliaga empfohlen. Wir haben tatsächlich gut zusammengearbeitet, weil er nicht nur die Medikamente überwacht sondern auch meine Erfolge bei der Ernährungsumstellung und dem Rehasport berücksichtigt hat. Ja, ich musste auch einiges selbst bewerkstelligen und es war sehr anstrengend. Es hat sich gelohnt. Mein Rheuma wurde gestoppt und ich brauche keine Medikamente mehr.
Mein Rheumatologe hat sich immer ausreichend Zeit für mich genommen, selbst als Kassenpatientin.

Mein Psychater ist da leider ein anderes Kaliber. Der verschreibt mir immer mehr Medikamente mehr aber auch nicht. Es interessiert ihn die Bohne was ich in der Psychotherapie erreiche. Er fordert noch nicht mal ein Bericht von meiner Therapeutin an. Er hat mich noch nie wirklich beraten, was ich für andere Möglichkeiten habe, um aktiv gegen Depressionen etwas zu tun. Ach ja, "Treibe Sport!", war noch die Krönung seiner Ignoranz und der Spruch, dass ich in die Akktuklinik gehen solle, wenn ich mit seiner Behandlung nicht einverstanden bin.
Er nimmt sich max. 10 Minuten Zeit.

Mein Hausarzt ist ebenso nachlässig.
Ich habe schlechte Blutfettwerte. Er verschreibt Medikamente, wirft mir mein Übergewicht um die Ohren und meint ich solle mal abnehmen und viel Sport treiben.
Keine Beratung. Kein Hinweis auf Ernährungsberatung, die sogar in der Praxis mit angeboten wird. Er fragt auch nicht nach, ob ich vielleicht schon Sport treibe.
Ich habe herausgefunden, das der LDL-Cholesterin auch schlecht vom Quetiapin beeinflußt wird. Diesen Zusammenhang stellte er nicht her, obwohl er eine vollständige Liste aller Medikamente in den Akten hat.
Also von gemeinsamer Entscheidung keine Spur.
Eher ein friß oder stirb Vogel Verfahren.

Aber wie ich in meinem vorherigen Post schon schrieb. Es gibt keine Krankheit zweiter Klasse, sondern nur Behandler zweiter Klasse.
Leider ist es sehr schwierig einen guten Behandler zu finden. Entweder wartet man bis zum St. Nimmerleinstag auf einen Termin, oder man begibt sich auf eine Odysee durch die Ärzteschaft.
Bei Depressionen, die einem eh schon alle Kraft und Energie rauben, ist das beinahe schier unmöglich.

Also meine Frage: "Wo liegt hier der Fehler?" Beim Behandler oder beim Patienten?

Lieben Gruß
Secret
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Re: Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von Secret »

Hallo Foris,
ich habe hier mitgelesen und das Thema hat mich sehr berührt.
Zum einem ist mir die Depression heutzutage nicht mehr so peinlich wie vor 2ß, 30 Jahren. Ich kann auch mal offener darüber sprechen
Bei allen gesundheitlichen Anliegen brauche ich ein gutes Vertrauensverhältnis zu meinem Arzt, sei es nun zum Beispiel der Frauenarzt, Pilzinfektionen sind mir nicht gerade weniger peinlich als eine Depression oder auch der Hausarzt oder Zahnarzt.
Aber das Verhältnis zum Psychotherapeuten ist nun einmal viel näher und emotionaler. Meine Seele zu zeigen finde ich noch intimer als meinen Körper beim Arzt.
Das f32 gekränkt ist kann ich nachvollziehen, aber auch dass man eigenverantwortlich selber mitarbeiten muss. Selbst der Zahnarzt predigt ja auch "Zahnseide, Zahnseide, Zahnseide" und ich muss selber putzen und nicht er (bald auch Sie: ich muss mich da an die Nachfogerin, die Tochter gewöhnen).
Also ich war über 10 Jahre bei einem Psychotherapeuten, der mich zum Anfang sehr verletzt hat. Ich wollte schon zu einem Anderen gehen. Mit dem Anderen habe ich telefonisch geklärt dass er mich übernimmt unter der Voraussetztung dass ich noch ein leztes Mal mit mit dem Therapeuten ausspreche und sage was mich stört. Da habe ich auch keine Blatt vor dem Mund genommen. Er konnte das aushalten und er hatte mich auch unterschätzt. Dann hat er mir lange Zeit geholfen, doch im letzten Jahr hat er sich seeehhhhr zum NEGATIVEN geändert: seine Frau hatte Krebs. Kein Einfühlungsvermögen mehr, die Chemie stimmte nicht mehr und er tat mir einfach nicht gut. Bei der letzten Therapiestunde fing ich an zu weinen, stand auf und ging einfach.... Es tag so weh wie wenn man seine beste Freundin verliert.
Therapeuten sind eben auch nur Menschen. Und machen Fehler bei der Arbeit - so wie das auch in anderen Berufen passiert.
Ich hatte danach nicht mehr die Lust einen neuen Therapeuten zu suchen... die Wartezeiten und Sucherei wie auf mich zu nehmen.
Ich bin ja auch schon viel weiter gekommen, aber nicht nur wegen dem Therapeuten, sondern auch Gruppen, Kliniken... Berufliche Reha..
Also eine Krankheut 2. Klasse ist die Depression wirklich nicht. Nur nicht so greifbar eben, so das ich es oft selber nicht wahrhaben konnte und glaubte.
LG

Secret
Gertrud Star
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Re: Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von Gertrud Star »

Nochmal hallo,

ich finde, das ist ein schwieriges Thema.

Da der Herr Niedermeier relativ kurz nach Freischaltung meines Beitrags das Thema Stigmatisierung angesprochen hat, sowie das Thema shared desision making, denke ich, dass ich mich kurz dazu äußere.

Als ich vor etwas mehr als 25 Jahren das erste mal eine psychiatrische Praxis kam auf Empfehlung des Hausarztes, der auf einen Hinweis einer Kollegin und Bekannten reagierte, da war man recht fix, sogleich Diagnosen zu vergeben und den Rezeptblock zu zücken, und einen stationären Rehaaufenthalt anzuleiern. Heute würde man das nicht mehr so schnell machen, wenn Beschwerden weniger stark sind.
Man darf nicht vergessen, dass damals in diesen Jahren man wesentlich dabei war, die Gemeindepsychiatrie aufzubauen (was auch bedeutete, dass sich mehr Psychiater niederließen in der Praxis, das war da noch relativ neu, die Tagesstätten wurden aufgebaut und es gab mehr ambulante Therapeuten). Außerdem ging damals gerade eine Sensibilisierung los, wo die Bevölkerung und Hausärzte bezüglich Depressionen aufgeklärt wurden. Meine Vermutung ist, dass diese Einzelkämpfer es schlicht noch nicht ausreichend gelernt hatten, Menschen mit weniger starken Beschwerden ordentlich zu diagnostizieren und zu behandeln, denn das war noch zu neu. Austausch mit Kollegen kannten wenn überhaupt wohl eher die Hausärzte.
Bei mir kam ja noch dazu, dass ich als Ostdeutsche genauso neu war, wie dass man vielleicht erstmals eine Frau als Ingenieurin ausgebildet in der Praxis sitzen hatte, oder einen Hilfsarbeiter, der in Wirklichkeit Akademiker ist.
Das musste alles schief gehen.

Wenn ich mich an die damalige Zeit erinnere, habe ich in der Psychotherapie schon irgendwie ständig mich so ausgedrückt, dass es eine Aufforderung war, mich überhaupt als intelligenten Menschen wahrzunehmen, der motiviert ist und zunächst einmal verstehen will, was es mit mir und der Krankheit auf sich hat - wenn ich jetzt schon diese Diagnosen haben soll und mich kümmern soll, gesund zu werden, also auch was ich denn dauernd falsch mache, was mich immer in so komische Lebenssituationen auch bringt.
Irgendwie habe ich in den Therapiesitzungen auch immer ziemlich gegen die Stigmatisierung angeredet.
Nur wurde das scheinbar gar nicht wahrgenommen. Es war einfach keine Gesprächsbasis herstellbar, aber die Therapien immer weiter verordnet und immer weiter Medikamente ausprobiert.

Was mit mir war oder ist, konnte nie wirklich festgestellt werden.
Und ich denke, dass die Diagnosevergabe selber eine stigmatisierende Wirkung hat. Jeder Behandler ist also Teil davon, weil er Diagnosen vergibt und behandelt - oder aber auch betreut, beschäftigt, aufbewahrt (in Einrichtungen) - er also Akteur im Geschehen ist.
Wäre schön, wenn den jungen Kollegen das auch so beigebracht würde.

Ebenso spielt eine Rolle, dass Behandler verstehen müssen, dass manche Patienten auch aufgrund einer Lebenssituation (nein ich meine nicht die gesundheitliche Situation) einfach kein stressarmes Leben bekommen werden, weil sie immer mehrfach stigmatisiert sind: schlechte finanzielle Verhältnisse, kein Netzwerk, kein Beruf, unpassend aufgewachsen, nicht passend ins Sozialsystem (ja das ist tatsächlich auf viele nicht eingestellt, auch auf besonders begabte).
Ebenso kann man durch Unterlassen oder falsches Tun die Menschen erst recht in Lebenssituationen bringen oder schlechte zementieren. Dann liegt Mehrfachstigmatisierung vor: Armut, Arbeitslosigkeit oder "diskriminierter" Job, Krankheit, Isolation. Da kommt keiner mehr raus, weil die Folgen zu stark sind.

Man trifft selten Behandler, die sich wirklich auf den Patienten einstellen können, wenn die Lebenssituation mehr als suboptimal ist. Meine persönlichen Erfahrungen sind so, dass ausgerechnet die oft belächelten Hausärzte besser mit mir reden konnten, wenn ich das mal gebraucht habe. Als ich jung war, habe ich gemeint, die Psychiater und Psychologen müssten doch mehr Ahnung davon haben, hatten sie aber nicht.

Die heute praktizierende Generation von Ärzten und Psychologen gehen anders vor, stimmt. Sie reden auch allgemein anders mit Menschen. Nur leider können die auch nix ungeschehen machen und keine erleichternden Umstände ins Leben der Patienten zaubern.
Man müsst ihnen beibringen, dass ihre Vorgänger diesen Mist mit verzapft haben, der als Bleidecke auf dem Patienten liegt.
Denn für viele der Behandler und Betreuer scheint es nicht klar zu sein, dass vor nahezu 30 Jahren etwas gründlich verkehrt lief, und das immer noch negativ nachwirkt als Krankheitsfaktor und auch -verstärker.

Es gibt viele Dinge, die einem im Laufe des Lebens die Kraft rauben können, und diese Stigmatisierung scheint viel Kraft zu nehmen.
Man rennt so lange dagegen an, ohne das wirklich wahrzunehmen, gegen was konkret man da anrennt. Man sollte es öfter beim Namen nennen. Schließlich hat das etwas mit gesellschaftlich ausgeübter Gewalt zu tun, und macht so manches Befinden erklärbar.

Krankheit annehmen - oft würde ich einfach sagen: Ja wie denn, wenn niemand etwas von mir versteht und immer zu viel von mir verlangt wird? Auch da wurde damals vor 30 Jahren der Blickwinkel falsch gewählt, oder die Fragen falsch gestellt. Ne hochverschuldete Akademikerin ohne verwertbare Ausbildung - was kann man da therapieren oder für Therapieziele setzen, die nicht zusammen passen mit Motivation, Leistungsfähigkeit, Intelligenz? Da muss man weit weg gehen vom Gewohnten, viel zu weit. So weit können die Wenigsten gehen, Behandler und auch Patient.

Aber so ähnlich habe ich mich schon öfter geäußert.
Und ja, es ist schlimm.

Gruß Gertrud
Kenny
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Re: Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von Kenny »

Hallo zusammen,

ein sehr interessantes, aber auch vielschichtiges Thema. Beim lesen Eurer Beiträge werde ich an so viele Dinge erinnert, die auch bei mir in der Vergangenheit einfach sehr schlecht gelaufen sind. Da sind so viele Gemeinsamkeiten und Parallelen... :cry:

Vor gut 10 Jahren landete ich in meiner insgesamt tiefsten depressiven Lebensphase einmal in einer psychosomatischen Klinik, in der die Devise galt: Sie machen sich ihre Depression selbst! Die Grundlage der Behandlung bestand in Aktivität auf Teufel komm raus. Das Programm begann morgens um 7 Uhr mit Frühsport und endete um 18 Uhr mit dem Abendessen. Zwischen den Therapieangeboten gab es (außer den Mahlzeiten) keinerlei Pausen. Wir hetzten den ganzen Tag von einem Termin zum nächsten. Wenn ein Therapeut mal 5 min. überzog kam man verspätet beim nächsten Angebot an und bekam einen Anschiss. Natürlich war es nicht möglich, diese gesamte Struktur einmal kritisch zu hinterfragen. Wenn ich es wagte, Kritik zu äußern oder darauf hinwies, dass ich dieses Programm weder durchhalten konnte, noch dass es mir irgendetwas brachte (inhaltlich, es wurden halt Grundlagen vermittelt die mir seit 20 Jahren bekannt waren, nichts, was irgendwie hilfreich für mich gewesen wäre...), galt ich als unmotiviert, wollte nicht hart an mir arbeiten, usw....Nach vier Wochen in dieser Anstalt ging es mir schlechter als je zuvor.
Diese "Behandlung" hat mir damals komplett den restlichen Boden unter meinen Füßen weggezogen. Ich habe mich bis heute nicht davon erholt. Und ich weiß, dass ich nie wieder einen Fuß in eine derartige Klinik setzen werde.

Dem ausgeklügelten Klassifikationssystem psychiatrischer Erkrankungen wird ein ebenso ausgeklügeltes System an Behandlungsstrategien entgegen gesetzt. Alles zertifiziert im Rahmen der Kassenleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Wenn dieses System sehr starr umgesetzt wird, jedem Patienten der kommt das gesamte Paket einfach übergestülpt wird, er in ein Programm gezwungen wird das einfach nicht passt, dann können genau solche Entwicklungen stattfinden. Nicht alle Kliniken arbeiten so. Es soll noch Behandlungen geben, die sich an den Bedürfnissen und individuellen Entwicklungsgeschichten der Patienten orientieren. In denen gut reflektierte, empathische Therapeuten sich wirklich motiviert mit der speziellen Problematik einzelner Menschen auseinandersetzen und in gemeinschaftlicher Arbeit mit den Patienten ein sinnvolles Programm erarbeiten, dem Patienten auf Augenhöhe begegnen, ihn als menschliches Individuum respektieren und ihn mit professioneller Wertschätzung ein Stück weit auf seinem schwierigen Weg begleiten. Doch wo kann man diese Behandlungen finden? Ich habe da langsam auch keine Idee mehr. Früher, als ich noch berufstätig war, habe ich meine jeweiligen ambulanten Therapien stets selbst bezahlt. Damals habe ich viele gute Angebote wahrnehmen können. Viele Möglichkeiten haben mich immer wieder eine Zeit lang stabilisiert und "funktionsfähig" gehalten. Nachdem ich nicht mehr arbeiten konnte und dadurch auch ins "Kassenleistungssystem" abgerutscht bin, musste ich mit dem vorlieb nehmen, was angeboten/finanziert wurde. In diesen Angeboten wurde ich nicht mehr als wertvolle Persönlichkeit gesehen, sondern als Mensch 2. Klasse, der zu blöd ist sein Leben alleine auf die Reihe zu bekommen und nun mal einen kräftigen Tritt braucht...Sorry, wenn das nun so negativ rüberkommt, aber das sind einfach meine Erfahrungen.

Ich wünsche Euch noch einen schönen Sonntag.

Liebe Grüße an alle,

Kenny
Zuletzt geändert von Kenny am 24. Jan 2021, 18:18, insgesamt 1-mal geändert.
Peter1
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Re: Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von Peter1 »

Hallo Kenny und alle Anderen
Ich habe bei meinem Psychiater, der psychiatrischen Klinik, und der ambulanten Psychotherapeutin genau gegensätzliche Erfahrungen gemacht. Der Psychiater hat sich beim Erstgespräch 1,5 Stunden Zeit für mich genommen. Danach empfahl er mir einen Aufenthalt in der Psychiatrie. In der Klinik haben die Therapeuten, mit mir zusammen, einen Hilfeplan ausgearbeitet, der genau auf mich und meine Probleme zugeschnitten war. Die Ärzte haben sich bei der Visite für jeden Patienten die Zeit genommen, die er brauchte, auch wenn die Visite erst Abends um acht zu ende war. Bei der ambulanten Therapie haben wir die Themen besprochen; die mir wichtig waren. Jeden Monat musste ich am Rechner Fragebogen ausfüllen, in denen ich mich und mein Verhalten selbst beurteilen sollte. Die Therapie ist jetzt vorbei, nur im April ist noch ein Abschluss Gespräch. Dabei soll festgelegt werden, ob die Therapie verlängert werden muss oder nicht.
Und das alles als Kassenpatient.
Was hat das mit zweiter Klasse zu tun?
Peter
Ich wollte nie erwachsen sein, hab immer mich zur Wehr gesetzt. Von außen wurd ich hart wie Stein, und doch hat man mich oft verletzt (Nessaja P. Maffay=
Kenny
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Re: Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von Kenny »

@Peter
wie schön für Dich.
Bauchtänzer
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Re: Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von Bauchtänzer »

Wenn ich mich recht erinnere, Peter, bist du aber auch zu den Fachleuten gegangen ohne Ansprüche, ohne Erwartungen, mit dem schlichten Satz: "Bitte helft mir". Ob das einen Unterschied macht?
Peter1
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Re: Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von Peter1 »

Hallo
Ich wollte mit meinem Beitrag nur aufzeigen, das man nicht alle Behandler über einen Kamm scheren darf. Erwartungen hatte ich sehr wohl, aber die waren eher gering. Nur hatte mir meine Betreuerin klar gemacht, das ich nur die eine Chance hatte, nämlich zu versuchen, ob die Behandler mir helfen können.

Peter
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Bauchtänzer
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Re: Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von Bauchtänzer »

... "mit geringen Erwartungen, ohne grosse Ansprüche" , so hätte ich es besser formulieren sollen. Jedenfalls warst du damals echt am Ende, wenn ich mich recht an deine damaligen Stats erinnere.

Aber mal zu mir: ich hab in den letzten 20 Jahren Erfahrung nur mit zwei Hausärzten, sowie einer Rehaklinik und einem Psychiater/Psychotherapeuten, den mir der Hausarzt vermittelte und bei dem ich auch gleich blieb/bleiben konnte.

Mal abgesehen von der Rehaklinik, bei der ich letztlich bloss die Zeit runtergerissen habe, da ich mir eine durchgreifende Verbesserung meiner verzweifelten Lage nur durch Erhalt der Frührente versprach (ich lag, rückblickend, voll daneben!), habe ich die o.g. Fachleute als durchgängig bemüht und hilfsbereit erlebt. Die wollten mir helfen. Allmählich problematisch wurde es jeweils erst nach Jahren aufgrund meiner ziemlich speziellen, sagen wir, Beziehungsstörung. Ich wurde schwierig, sperriger und eher unangenehmer im Umgang, ein gängiges Muster bei mir.

Ich neige wirklich zu tiefer Frustriertheit ob meines Lebens, meiner psychischen Handicaps, die mir sowohl berufliche 'Erfüllung' verwehrt als auch Erfolge im Umgang mit meinen Mitmenschen sehr schwer gemacht haben,-
die Grundproblematik liegt aber ganz überweigend auf meiner Seite, ich hab halt Pech gehabt mit meinen hartnäckigen Störungen, da gibt es nun mal nur beschränkte medizin. Möglichkeiten zur durchgreifenden Verbesserung, geschweige denn Heilung, zumal, wenn das Nicht-mehr-können erst in höherem Alter zutage tritt.

Mit meinen Behandlern mag ich auch Glück gehabt haben, mir war aber immer auch klar, dass grossartige personalintensive Behandlung schlicht nicht zu finanzieren ist. Das ist ne simple Tatsache, find ich. Irgendwann muss man sich also entweder gleich zu Anfang schon abfinden mit der psych. Behinderung, die einem das Leben versaut, oder aber sich aufraffen und eigeninitiativ werden, soweit es halt geht. Ernährungsberatung, wenn ich zu dick bin - nur mal als Bsp. - , wo man sich bestens im Web informieren kann, halt ich für ein überzogenes Anspruchsdenken.
Peter1
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Re: Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von Peter1 »

Hallo Bauchtänzer
Das Wort Eigeninitiative hätte meiner Thera sehr gut gefallen. Es ist klar, das man nicht alle Störungen behandeln kann, aber mit ein bisschen gutem Willen, und der richtigen Unterstützung kann man lernen, mit der Depression zu leben.
Peter
Ich wollte nie erwachsen sein, hab immer mich zur Wehr gesetzt. Von außen wurd ich hart wie Stein, und doch hat man mich oft verletzt (Nessaja P. Maffay=
Kenny
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Re: Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von Kenny »

Hallo Peter,
Peter1 hat geschrieben: Es ist klar, das man nicht alle Störungen behandeln kann, aber mit ein bisschen gutem Willen, und der richtigen Unterstützung kann man lernen, mit der Depression zu leben.
Wenn es so einfach wäre, hätte ich es auch längst geschafft.
Unterstellst Du uns hier, dass es uns an "gutem Willen" mangelt? Das finde ich persönlich ziemlich verletzend.
Mein letzter Therapeut (ein Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie) hat mich im Jahr 2010 nach 3-monatiger ambulanter Psychotherapie (in die ich wirklich all meine noch verbliebenen Kräfte gesteckt hatte) abserviert. Er brach die Therapie von sich aus ab und sagte mir, dass er mir mit seinen Methoden und Fähigkeiten nicht helfen kann. Ich fuhr nach Hause und stürzte noch weiter ab.
Es war nicht der erste Therapeut, der meine Berichte nicht aushielt. Das hatte ich schon vorher erlebt. Danach suchte ich keine neue Therapie mehr. Ich hatte einfach keine Hoffnung mehr, dass mir noch irgendjemand helfen kann.
Wenn ich mit meinem Psychiater spreche bekomme ich jedes mal die Auskunft: "Sie haben einfach schon alle Medikamente durch! Außer dem Elontril wirkt nichts bei Ihnen. Wenn sie das nicht mehr vertragen weil die Nebenwirkungen zu schlimm sind, dann müssen sie es absetzen. Eine Alternative zu diesem Medikament gibt es nicht".

Aber mit ein bisschen gutem Willen und der richtigen Unterstützung kann man ja gut mit der Depression leben. Für mich sind solche Aussagen einfach nur der reine Hohn. Sie verletzen mich zusätzlich, meine jahrzehntelangen Bemühungen um Behandlung jedweder Art zur Verbesserung meiner Gesamtsituation und Erhaltung meiner Arbeitsfähigkeit wird einfach ignoriert.
Das tut einfach nur weh!!!

Lieber Peter, bitte versteh mich nicht falsch. Ich finde es sehr schön, dass Du für Dich diese äußerst hilfreiche Unterstützung in Form guter Ärzte, Therapeutin und Betreuerinnen gefunden hast und ich freue mich für Dich, dass Du auf so einem guten Weg bist. Aber versuche doch bitte einfach auch mal zu respektieren, dass es Menschen gibt, die trotz "gutem Willen" und unzähligen Behandlungsversuchen langfristig keine nennenswerte Verbesserung schaffen. Vielleicht hast Du eine Depression die besser behandelbar ist, oder Du hattest einfach ein wenig Glück mit Deinen Behandlern...aber es gibt hier auch Menschen, bei denen der Verlauf nicht so erfreulich ist.

LG Kenny
Wandervogel
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Re: Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von Wandervogel »

Guten Morgen Kenny, :hello: :hello:


Vielen Dank für Deine Postings.

Auch ich habe hier beim Lesen der Postings anderer und besonders auch von Peter das Gefühl, dass hier einem der fehlende Wille unterstellt wird.

Auch ich bemühe mich seit nun mehr 30 Jahren aus der Depression heraus zu kommen. Habe alle möglichen Bücher gelesen, sämtliche Therapien mit gemacht und diverse Medikamente ausprobiert.
Nichts hat nachhaltig geholfen.
Mich verletzen solche Äußerungen nicht nur. Sie machen mich mittlerweile auch sehr wütend.

Die Aussage, wer zu dick ist soll ne Ernährungsberatung machen ist abfällig, beleidigend und diskriminierend. Ich leide an einer Essstörung (psychogene Adipositas) und habe schon diverse Ernährungsberatungen und Ernährungsumstellungen hinter mir. Bin ich jetzt in Euren Augen nur faul? Das tut echt weh!!!

Auch ich habe immer mehr das Gefühl, dass man gute und hilfreiche Behandler (Ärzte und Therapeuten) zunehmend aus eigener Tasche bezahlen muss. Eine furchtbare Entwicklung in unserem Gesundheitssystem.

Liebe Grüße
malu60
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Re: Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von malu60 »

Guten Morgen in die Runde,
denke,ich kann auch zum Thema etwas sagen.Bin auch seit 30Jahren in den Händen von
Psychiatern und habe diverse Therapien hinter mir.Seither ist mir auch klar,dass selbst als Privatpatient bei diesen Erkrankungen Zufall und Glück sehr,sehr wichtig sind.
Wenn die Chemie stimmt,kann es auch Erfolge in der Behandlung geben,mir haben oft emphatische Behandler durch Worte mehr geholfen,als die "schnellen Verschreibungen"

Seit ich ausgemustert und in Pension geschickt wurde,gab es wenig Unterstützung,hatte
Klinikaufenthalte,wo es darum ging,die Menschen wieder fit für den Job zu kriegen.

Das Beste für mich waren Selbsthilfegruppen und in Kontakt zu bleiben,damit ich den Tag irgendwie struktiert kriegte.aus wirtschaftlichen Gründen bin ich aufs Land gezogen,kein Auto,weite Wege.das Alter erschweren hier momentan Alles,nicht zuletzt Corona.

Von Ärzten erwarte ich hier nix mehr.Ich weiß,dass ich versuchen muß,aktiv zu bleiben,unter Menschen zu gehen und auf mich zu achten.Hier habe ich eine Psychiaterin,die Zweite Ihrer Art,die mich in 10Minuten abserviert,ich muß selbst wissen,was ich bräuchte.ich glaube,
sie sagte auch mal ich wisse so gut Bescheid über die Erkrankung,sie sieht sich nur als Verordner.
Da kein Interesse zu spüren ist,nehm ich nur die Verordnungen für Ergo,meist telf. und auch
einen Klinikaufenthalt und Ernährungstherapie verordnete sie auf meine Anregung.Sie ist doch die Ärztin.....von ihr kam nie was......noch nicht mal ein gutes Wort.

Wenn das Mitarbeiten ist,finde ich es sehr traurig.Diese Verordnungen verdanke ich auch nur der Tatsache,dass ich Privatpatient bin.Die Praxis ist 20Km entfernt.Mit Depression sich auf den Weg zu machen ist eh immer schon ein schwerer Angang...bei ihr fühle ich mich aber hinterher noch mieser als vorher...menschlich kommt da nix,eher denk ich,sie möchte einen schnell wieder raus haben...schlechte Stimmung könnte anstecken.Deshalb mache ich seit 1 Jahr alles telefonisch,Corona sei Dank,geht das auch,ich brauch ja die Verordnungen.

Richtig gute Hilfe hab ich hier bei einem Hausarzt gefunden.Der hat mir lange zu gehört,mir Mut gemacht......er hat mit mir Lösungen gesucht,wie ich es schaffen kann,Freundeskreis,Hobby,Hilfsangebote anzuleiern.Der Mensch ist Internist,aber was mir da so half,ist Zeit und Emphatie.ich gehe sehr ungern unter Menschen,wenn ich so fertig bin,Auch bei Ärzten find ich mich so erbärmlich und unwert.....ich versteck mich immer,bis es vorbei ist....

Mir war immer klar,dass ich selbst den "alten Mist " aufarbeiten muß,aber es sollten doch Fachleute die Taschenlampe auf dem Weg halten.Kleine Heilungspflänzchen müssen gehegt und gepflegt werden.Dazu braucht man Zeit und mal ein gutes Wort.Der Hausarzt macht das.......

Viele Psychiater erscheinen mir Distanz halten zu wollen,als wäre man ansteckend.
Wenn ich mich selbst schon ganz schwer annehmen kann,meine Daseinsberechtigung in Zweifel ziehe,wäre es so wünschenswert,Wertschätzung zu erfahren.

ich hatte vor meinem Umzug eine Psychiaterin über 10 Jahre,der ich blind vertrauen konnte.
"Wenn ich krank und elend vor ihr saß,sagte sie"das kriegen wir wieder hin"
Leider ist sie zu weit weg,vielleicht auch schon in Rente,aber Ihre Worte und Ihre liebevolle
tatkräftige Art wirken bei mir bis heute.Sie sagte auch:Sie müssen garnix,nur trinken und Ihre Medizin nehmen"......das hat mir schon in schweren Zeiten sehr geholfen.

Hoffnung und Entlastung geben hat mir immer zurück ins Leben geholfen.Das Jemand an mich glaubt und mich ernst nimmt ist so wichtig in Depressionszeiten.
Leider kommen ja immer wieder diese Episoden,egal was ich schon alles in Therapien lernen durfte,mein Gehirn ist dazu garnicht fähig,wenn ich so leer bin,ist die Festplatte gelöscht.

Oft dachte ich,ich bin zu blöd,all die Therapien haben nichts gebracht...doch mit fast 60jahren hat mir mein guter Hausarzt einen VT aus dem Nachbarort empfohlen.
Da bekam ich sofort einen Termin,der 1.sogar als Hausbesuch,da war ich platt.

Es geht soviel,wenn Behandler wirklich aus Berufung helfen wollen.Das ist in allen Berufen so.
Wenn man mit Menschen arbeitet,ist es besonders wichtig,sich als Mensch zu zeigen.
Vertrauen und auch Vorbild hat bei mir das meiste bewirkt.Bei diesem Therapeuten hatte ich die beste Therapie......wir haben gute Schritte erarbeitet,den Pflegegrad 1 beantragt,hab mir Freizeit
angebote,Ehrenamt,Freundeskreise,mein E-Bike erschlossen und zugelegt.
Diese 40 Stunden haben mir konkrete Verbesserungen gebracht,ich konnte fühlen,was ichbrauch um einigermaßen zufrieden mit meiner Erkrankung zu leben.Ich bin gut genug,wie ich bin.

Ich bin nicht gesund,aber ich weiß,was mir hilft.Seit 2 Jahren habe ich ErgoTherapie statt Medikamente bei der Psychiaterin durchgeboxt.Hier ist es auch wieder die menschliche Begegnung,das aktive tun,was hilft.Dafür ist aber in der Regel kein Geld im System,denn alles was hilft braucht Zeit und die kostet......Psychisch kranke Menschen werden mit Tabletten und Psychiatrie abgespeist,dabei sind grad hier Zuwendung,Gespräch,Kontakt das A und O.

Also ich bleib dabei,es ist viel Glück im Spiel,wenn es klappt mit dem Arzt.Vielleicht bei jeder Krankheit,bei Depressionen ist es noch lebensnotwendiger,dass es paßt. Schöne Grüße Malu
Leben ist mehr
Peter1
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Re: Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von Peter1 »

Hallo
Ich verstehe diesen ganzen Rummel nicht. Ich wollte weder jemandem etwas unterstellen, noch ihn beleidigen. Trotzdem ist für mich klar, das ohne Eigeninitiative, und guten Willen, überhaupt nichts läuft, bei der Behandlung von Depressionen. Das ist nun mal Fakt !
Wenn der erste Versuch, einen vernünftigen Therapeuten zu finden fehlschlägt, suche ich mir den Nächsten. Klappt es bei dem auch nicht, ist Nr 3 dran.
Ohne eigen Initiative geht dabei gar nichts.
Sagt ein Psychiater zu mir, er kann mir nicht mehr helfen, oder er kennt kein Medikament mehr, das mir helfen könnte, wäre ich das letzte Mal bei ihm gewesen.
Sicher hört sich das ein wenig überheblich an, aber wie geschrieben, ohne ein wenig guten Willen, geht gar nichts.

Peter
Ich wollte nie erwachsen sein, hab immer mich zur Wehr gesetzt. Von außen wurd ich hart wie Stein, und doch hat man mich oft verletzt (Nessaja P. Maffay=
f32-axolotl
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Re: Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von f32-axolotl »

Lieber Peter,

leider ist Eigeninitiative das einzige, was Psychotherapeuten oder Psychiater mir verordnen. Wenn man dann genauer nachfragt, was mit "Sie müssen an sich arbeiten" dann gemeint ist, kommt nichts. Wären die Ratschläge der Behandler wenigstens handlungsorierntiert, dann könnte man damit vielleicht etwas anders. Aber ein formalisiertes "Tja" finde ich nicht heilsam.

f32
Secret
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Re: Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von Secret »

Hallo Foris,

ich kann beide Seiten verstehen: ich bin durch Therapie weiter gekommen als wenn ich gar nichts gemacht hätte. Aber ich wurde auch vom Therapeuten und Ärzten gekränkt wenn ich die nicht mehr weiter wussten, gekränkt sein ist das was mich in die Depression bringt.
Aber eine Krankheit 2. Klasse ist es nicht. Das Behandler überheblich sein können, ist mir auch schon beim Orhopäden passiert wenn der nicht mehr weiter wusste und den meine Schmerzen völlig egal waren. Da hatte ich beim Hausarzt dann mehr Empathie und Behandlung bekommen.
LG

Secret
Secret
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Re: Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von Secret »

P.S. Meine Depression äussert sich ja auch häufig so dass ich mich nicht traue mich zu etwas zu äussern oder etwas zu unternehmen wenn das mit Konflikten behaftet ist. Dann halte ich ich oft raus und ärgere mich nachher über meine Passivität. Was ja auch nicht heissen soll das es immer falsch ist sich rauszuhalten oder zurückzunehmen. Aber ich suche halt den goldenen Mittelweg wenn es da einen gibt.
LG

Secret
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Re: Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von Secret »

Soll heissen irgendetwas fehlt noch in meinem Leben wegen der Depression. Ich war nie im Mittelpunkt oder hätte für etwas gebrannt. Träumte mal davon mich für irgendwas zu Engagieren und dachte mir lass mal bringt nur Ärger
LG

Secret
Mooseba
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Re: Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von Mooseba »

Eigentlich wollte nichts mehr öffentlich schreiben, aber ich fühle mich bei diesem Thread schon irgendwie dazu genötigt.

Nein, ich denke nicht, dass es eine Krankheit oder eine Behandlung zweiter Klasse ist.

Aber: Dieses ewige Hilfe-zur-Selbsthilfe-Geleier kann ich bald auch nicht mehr hören. Was ist dies eigentlich anderes als ich bisher schon mein ganzes Leben mache, nämlich mich zwingen, hart zu mir sein etc.? Wozu brauche ich dann überhaupt eine Behandlung, wenn diese 1:1 genauso aussieht wie mein Leben bisher schon? Dann muss ich nicht in Behandlung, sondern sollte genauso weitermachen wie bisher. Das ist übrigens etwas, das mir das Behandlungssystem auch vermittelt. Mein Psychiater hat mich noch nie krankgeschrieben bzw. mir eine Krankschreibung angeboten. Er ist sehr dafür, dass ich mich zum Funktionieren zwinge, ja dass ich mich generell zwinge. Dazu kommen dann Sprüche wie "Warum suchen Sie sich nicht eine Freundin?" (Ein Verhaltenstherapeut sagte mir vor über 10 Jahren mal das Gegenteil: "Hören Sie doch auf, sich ständig mit dem Thema Freundin zu beschäftigen. Es gibt so viele Menschen in unglücklichen Beziehungen."). Sport muss natürlich auch sein, egal wie oft ich erzähle, dass er mir nicht antidepressiv hilft. Jaja, eine Psychotherapie wäre vielleicht ganz hilfreich, aber auf jeden Fall nicht aufgeben, sich zwingen, weiterkämpfen etc. Dass ich jetzt in eine Klinik will, hat ihn schon sehr erstaunt und wenig begeistert. Eine Einweisung bekam ich dennoch. Was Medikamente betrifft, gehen die letzten Versuche ganz auf meine Initiative zurück. Von ihm aus kam nichts mehr in letzter Zeit.
Auch haben mir Psychotherapeuten etc. noch NIE geraten, kürzer zu treten. Für mich heißt das immer mehr, dass ich eigentlich nur so weitermachen muss wie bisher und irgendwann wird die Wiederholung schon zum Erfolg führen. Ich habe sowieso ständig den Eindruck, dass eine starke Antriebslosigkeit das Stiefkind unter den Symptomen ist, v.a. bei einer Psychotherapie. Mir wurde schon gesagt in Vorgesprächen, dass ich für eine ambulante Psychotherapie eigentlich ungeeignet bin. Eine konservative Arbeitsmoral scheint immer und überall zu gelten: Zwing dich, sonst wird es nicht besser! Das mache ich schon mein Leben lang. Dann mache ich ja alles richtig und brauche keine Behandlung, die nur aus genau dem besteht. Dieses Hilfe-zur-Selbsthilfe heißt für mich nur eines: Zwing dich, arbeite hart! Das mache ich aber schon lange.

Außerdem habe ich keinen Bock auf Therapeuten, die mir nur die Floskeln sagen, welche mir auch Max Mustermann, nachdem er ein bisschen im Netz recherchiert oder einen simplen Lebensratgeber gelesen hat, sagen kann. Und das habe ich schon oft erlebt. Aber bei Menschen mit anspruchsvollem Studium und nach einer schweren Ausbildung zum Psychotherapeuten erwarte ich mehr als "Sie müssen sich verzeihen können." oder "Sie müssen gelassener werde.". Mal ganz abgesehen vom ständigen Imperativ.

Den Hinweis, dass die gesellschaftliche Akzeptanz ja so gewachsen ist, ist mir auch egal. Denn mich interessiert nur, wie sieht es in meinem Umfeld aus. Und da bedeutet höhere gesellschaftliche Akzeptanz v.a.: "Es gibt so viele Angebote, selbst schuld, wenn du nichts machst.". Hat man schon einiges erfolglos hinter sich, wird einem durch die Blume gesagt, dass man entweder zu verwöhnt oder zu weich ist, auf jeden Fall strengt man sich immer noch nicht genug an. Diese höhere gesellschaftliche Akzeptanz findet auch nur innerhalb der schlimmen Verhältnisse statt, denn sie ist auch nur geprägt von einer konservativen Arbeitsmoral: Streng dich an, immerhin gibt es so viele Angebote. Geht es einem dann immer noch nicht besser, kann man mal wirklich sehen, wie es um diese vermeintlich höhere Akzeptanz bestellt ist. Ich merke in meinem Umfeld nichts davon und werde mich deswegen auch nicht öffnen. Auch zu meinem engsten Umfeld meide ich mittlerweile aus gutem Grund den Kontakt. In einer Gesellschaft, die in allen Bereichen auf Funktionieren ausgelegt ist, wird diese Erkrankung immer ein Makel sein, v.a. dann, wenn sie chronisch ist und verschiedene Behandlungen keine Besserung gebracht haben.
Zuletzt geändert von Mooseba am 26. Jan 2021, 13:54, insgesamt 5-mal geändert.
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"Wenn man aus einem protestantischen Land kommt, ist man immer etwas beschämt, wenn man bei der Arbeit nicht gelitten hat."

(Lars von Trier)
Kenny
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Re: Krankheit zweiter Klasse

Beitrag von Kenny »

Hallo Wandervogel,

danke für Deine Rückmeldung, das hat irgendwie richtig gut getan...ich fühlte mich verstanden. :)
Wandervogel hat geschrieben:Mich verletzen solche Äußerungen nicht nur. Sie machen mich mittlerweile auch sehr wütend.
Geht mir ähnlich, und Wut ist auch die gesündere Alternative...wir sollten uns viel öfter trauen, mal wütend zu sein und diese Wut auch zu äußern. Gerade auch bei abfälligen Bemerkungen bezüglich Adipositas. Grenzen setzen, sich selbst schützen, aber das ist verdammt schwer, wenn Menschen immer die sensibelsten Bereiche einer eh schon psychisch instabilen Person angreifen. Das kann dann so verletzend sein, dass die eigenen Abwehrstrategien erst mal komplett ausfallen. Kenne ich auch aus eigener Erfahrung. Für mich sind solche seelischen Verletzungen, besonders von Personen zu denen ich eine emotionale Beziehung habe, meist der Auslöser für eine weitere Krise...da kann ich mich einfach nicht schützen, das trifft mich immer, als würde mir derjenige ein Messer ins Herz rammen.

Über elementare Grundlagen wie Eigenverantwortung und Selbstwirksamkeit möchte ich eigentlich nicht mehr diskutieren. Diese Dinge habe ich bereits vor 30 Jahren verinnerlicht. Ist mir inzwischen einfach zu abgedroschen und wird auch gerne missbraucht....

Pass gut auf Dich auf und ernähre Dich am besten so, wie Du es selbst magst. Ich esse grundsätzlich nur wenn ich Hunger habe, wenn ich satt bin höre ich auf...damit fahre ich gut und kann mein Gewicht halten.

Liebe Grüße

Kenny
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