Vollständige Genesung anstreben

Philosophin
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Re: Vollständige Genesung anstreben

Beitrag von Philosophin »

Hallo SophsFirebird,

danke für deine anerkennenden Worte. Ich finde es sehr bewundernswert, dass du mit Depressionen Ausbildung und Studium durchgezogen hast. Leider hat mich meine Depression während der Schulzeit getroffen und ich habe es nicht geschafft, mein Abitur zu Ende zu bringen. Das zu akzeptieren fällt mir bis heute schwer, zumal ich gerne studieren würde. Ich habe mir aber mittlerweile einen Weg rausgesucht, der auch ohne Abitur zum Studium berechtigen würde. Dafür müsste ich die dreijährige Ausbildung schaffen, und wahrscheinlich ist dieser langsame Weg auch der bessere für mich.

Heute habe ich den ganzen Tag gearbeitet und fühle mich sehr erschöpft und reizüberflutet. Es kamen noch Überstunden hinzu und eigentlich merke ich, dass 8 Stunden Dienste schon nicht gut für mich sind. Ich glaube, für mich wäre es momentan besser, 4-5 Stunden am Stück zu arbeiten, dafür aber an fünf Tagen in der Woche. Leider ist diese Stundeneinteilung nicht möglich.

Es fällt mir gerade schwer, abzuschalten. Die Atmosphäre auf der Arbeit war entspannt und das Team war sehr nett, trotzdem sind es viele neue Eindrücke und es ist immer noch ungewohnt so viele Stunden am Stück funktionieren zu müssen und ununterbrochen in der sozialen Interaktion zu stehen.

Trotz der Erschöpfung und Reizüberflutung ist es aber auch ein erfüllendes Gefühl, etwas geschafft zu haben, eine sinnvolle Arbeit getan zu haben und mein eigenes Geld verdient zu haben. Ohne meine Ausbildung hätte ich die Aufgaben heute nicht übernehmen dürfen und so kenne auch ich die Momente, wo ich unglaublich froh bin, meine erste kurze Ausbildung durchgehalten zu haben.

Ich bin fest entschlossen, mir zurück zu holen, was die Depression mir genommen hat und mir meine Freiheiten zurück zu erkämpfen. Aber du hast Recht, dass es wichtig ist, langsam vorzugehen, und ich glaube, es ist auch selten ein gradliniger Weg.

Ich wünsche euch allen einen schönen Abend,

liebe Grüße
Philosophin
SophsFirebird
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Re: Vollständige Genesung anstreben

Beitrag von SophsFirebird »

Das klingt doch sehr gut. Ich kann mir vorstellen, dass es oft sehr frustrierend ist, dass es nur in kleinen Schritten voran geht. Zumindest ergeht mir das oft so. Ich finde aber gut, dass du Ziele hast und dir vornimmst. Wissen deine Kollegen denn bescheid? Mir hilft es sehr, dass meine Kollegen im Groben Bescheid wissen und auf mich achten. Sie geben mir den Raum, mich zu finden. Ich weiß, dass das ein Privileg ist, aber zumindest drüber reden, kann viel helfen und UNsicherheiten auf beiden Seiten verringern.
Du hast Recht, geradlinig wird es mit dieser Erkrankung nicht werden.
Weißt du denn, wann du die Ausbildung anfangen kannst? Hast du da schon einen Plan für? Kannst du die Ausbildung neben deiner Arbeit machen (doppelte Belsatung!)?
Philosophin
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Re: Vollständige Genesung anstreben

Beitrag von Philosophin »

Hallo SophsFirebird,

ich habe heute die Zusage für den Ausbildungsplatz ab September erhalten. Der Weg ist also frei; jetzt kommt es nur noch darauf an, ob ich es schaffe, meine Belastbarkeit bis dahin zu steigern. Seit einigen Monaten machen mir Schlafstörungen sehr zu schaffen und erschweren den Arbeitsalltag zusätzlich.
Arbeit und Ausbildung lassen sich für mich nicht vereinbaren. Die Ausbildung ist aber zum Glück vergütet, sodass ich mich weiterhin selber finanzieren könnte. In erster Linie hat die Arbeit für mich auch nur einen Trainingseffekt.
Meine Kollegen wissen nichts von meiner Erkrankung oder meiner schwierigen Vergangenheit. Das sollte in meinem Berufsfeld auch besser nicht rauskommen. Eigentlich ist das schade, denn ich finde, dass ich gerade durch meine psychische Erkrankung besser mit potentiell traumatischen Erfahrungen umgehen kann, mit denen wir regelmäßig konfrontiert werden. (Wobei ich in meiner aktuellen Position auch davor verschont bin).

Es gibt viele Tage, an denen ich mich extrem frustriert fühle und vor Wut über mich selbst platzen könnte. Mir fällt es immer noch schwer, zu akzeptieren, dass die Depression mich zu Langsamkeit zwingt und das Tempo bestimmt. Aber das werde ich wohl noch eine Weile so hinnehmen müssen...

LG Philosophin
Lavendel64
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Re: Vollständige Genesung anstreben

Beitrag von Lavendel64 »

Liebe Philosophin,

ich betrachte die Depression inzwischen nicht (mehr) als Feind. Es war das letzte Mittel meine Seele, mir mitzuteilen, dass es so nicht weitergeht. Eine "Genesung" suggeriert mir (mag ich ja falsch interpretieren), dass es ein Zurück in frühere Zeiten gibt. Diese Gedanken habe ich völlig abgelegt- die früheren Zeiten haben mich in die Klinik gebracht - das brauche ich nicht noch einmal.

Für mich bedeuten diese Tiefs Warnzeichen. Ich weiß, dass ich nicht aus meiner Haut kann, oftmals in Schemen zurückfalle, die ich seit meiner Kindheit kenne. Die Ängste, die dunklen Gedanken sind für mich Warnzeichen - eine Kommunikation der Seele, ein Stop-Aufschrei.
Ich habe mich in den letzten sechs Jahren (Zeit seit der Klinik) langsam erholt. Die Wiedereingliederung war die Hölle, immer die Angst, zu versagen. Bewusste Reduzierung der Pflichten zugunsten von "ich-Zeit" - ein andauernder Kampf gegen meine eigenen Ansprüche an mich selbst. Immer wieder Nachjustieren, immer wieder die Frage "tut mir das gut?" und "muss das JETZT sein"?

Ist das Gesundung? Bedeutet "gesund", das darzustellen, was die Gesellschaft erwartet? Eine 40-stunden-Woche? Oder liegt vielleicht meine persönliche Grenze bei 35? Ist das ein Problem?
ISt diese Entwicklung ein "gesund werden"?

Vor allem: es ist wichtig zu sehen, dass manche selbst mit Hilfe einer Therapie nie die Arbeitsfähgikeit erreichen werden? Ist das schlimm? Für mich nicht - denn wir leben in einer Gesellschaft, in der andere stützen und unterstützen können.

Ich weiß, dass es Phasen geben wird, in denen ich nicht vom Sofa komme und kraftlos bin. Dann ist das eben so. Jemand, der eine chronische Krankheit hat, erlebt genau das gleiche. Manche Situationen sind zu viel und es ist einfacher, das einfach zu akzeptieren. Anstatt zu hadern, dass man diese Hürde eben nicht nehmen kann.

LG Lavendel
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Philosophin
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Re: Vollständige Genesung anstreben

Beitrag von Philosophin »

Hallo Lavendel,

danke für deine Worte. Die ständige Versagensangst in der Wiedereingliederung kann ich sehr gut nachempfinden! Das raubt enorm viel Kraft.
Auch für mich stellen Tiefs ein Warnzeichen dar. Sie sind bei mir bisher nie ohne Grund aufgetreten. Dankbar bin ich meiner Depression trotzdem nicht. Sie ist ja doch ein pathogener "Schutzmechanismus", wenn man sie so sehen mag. Gesunde Menschen erleben auch Phasen von Überforderung und reagieren nicht mit dieser Antriebslosigkeit und Leere, zumindest nicht über solch langen Zeiträume.

Mir geht es nicht darum, eine 40 Stunden Woche zu schaffen, weil die Gesellschaft das von mir erwartet. Ich möchte eine 40 Stunden Woche schaffen, weil es mir ein Herzenswunsch ist, einen bestimmten Berufsabschluss und Bildungsgrad zu erreichen. Ich habe das Gefühl, dass darin für mich ein erfüllendes Leben liegen könnte.

Es gibt nur eine Angst, die schlimmer ist, als meine Versagensangst. Und das ist die Angst, zu sterben, ohne meinen Herzenswunsch erfüllt und mein Leben gelebt zu haben. Die Angst ist nicht so präsent, wie die Versagensangst, weil ich jung bin und der Tod sehr weit weg scheint. Aber manchmal werde ich damit konfrontiert und dann sehe ich voller Furcht den Toten, der vor mir liegt und fühle dieses Entsetzen über die Tatsache der Endlichkeit des Lebens.

Die Zeit ist so kurz und ich sehe nicht ein, dass die Depression mir meine Träume nimmt und mein Leben so stark einschränkt. Oft suggeriert diese Erkrankung, dass ich mich schonen und zurücknehmen sollte, obwohl mir das gar nicht gut tut. Ich empfinde den Heilungsweg als eine Gradwanderung zwischen "mich zurücknehmen" und "mich überwinden" und es gilt immer wieder "nachzujustieren", so wie du es beschreibst.

Meine Depression ist nie für progressive Schritte und jeder Schritt nach vorne ist erstmal ein Kampf, der viel Verzweiflung mit sich bringt. Wenn dieser Schritt getan ist, ist auch wieder ein Stück meiner Depression überwunden. Ich erlebe Tiefphasen, aber ich falle nicht mehr auf die Anfangsstufe zurück, sondern falle auf einem höheren Level.

Ich denke, so kann es weiter gehen, bis vielleicht irgendwann eine vollständige Genesung erreicht ist.

Liebe Grüße
Philosophin
malu60
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Re: Vollständige Genesung anstreben

Beitrag von malu60 »

Liebe Philosophin,ich wünsche Dir sehr,dass es bei Dir so machbar ist,zumal Du jung bist und es ein fester Vorsatz ist,der dich leitet.Meines Wissens brauchst Du weder Medikamente,noch machst Du neuerliche Therapie,daraus läßt sich schon erkennen,dass Du ein "Level" erreicht hast,und mit Dir selbst gut arbeiten kannst.

Depressionen unterscheiden sich.Ich habe meine Episoden nie so erlebt,dass es mit justieren,oder überwinden zu händeln war.Wenn aber kleinste Impulse kamen,ging ich denen nach und ein Tun ergab das nächste....Meine Kraft kam immer zurück,als lichtete sich ein Schleier und ich hätte ein Geschenk bekommen,was ich liebend gern empfing und hoffnungsfroh gelebt hab.....seither mit Vorsicht,denn meine Angst,"die größte",ist die ,vor der nächsten Episode ........ Versagensangst,gar Todesangst hab ich wenig.......die Angst vorm "Dunkel der Depression,der Leere und Machtlosigkeit "sitzt mir allerdings im Nacken,obwohl ich jetzt schon länger nur mal paar schlechte Tage hatte.........wie froh und dankbar ich bin,zeigt sich auch darin,dass ich nun in der Lage bin,alles dafür zu tun,dass es so bleibt......

Es ist dennoch so,dass ich nicht glaube,dass es in meiner Macht steht,die Depression zu bannen und durch Lebensplanung zu verhindern.....ich denke,ich werde mit ihr leben und hoffen,sie in Schach zu halten.So ist das bei mir,dass ich in Pension bin,beinhaltet ja auch andere Bedürfnisse

Schönes Wochenende wünscht Dir malu
Leben ist mehr
Lavendel64
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Re: Vollständige Genesung anstreben

Beitrag von Lavendel64 »

Liebe Philosophin,
anhand Deiner Worte denke ich mal, dass ich ein Stück älter bin als Du. In der Klinik habe ich meinen 50. Geburtstag gefeiert. Daher sehe ich die Dinge vermutlich aus einer anderen Perspektive. Das aber nur am Rande und vorweg.

Diese Angst vor dem Sterben kenne ich auch - aus meiner Jugend. Vielleicht ändert sich die Sichtweise. Ich habe das bei vielen Dingen erlebt, was mich ängstigte, erschien später akzeptabel. Auch ich wünsche mir, wenn ich diese Welt verlassen muss, einen gewissen Frieden und das Gefühl, ein erfülltes und schönes Leben gehabt zu haben. Ich glaube aber, man kann das nicht erzwingen oder erarbeiten. Es passiert - und die Wertung des Ganzen obliegt uns selber. Aber da werden wir tatsächlich philosophisch ... was ist Glück? Das dürfte jeder anders definieren, ebenso wie das erfüllte Leben.

Die "anderen", die auf Überforderung nicht mit depressiven Episoden reagieren, haben mit Sicherheit andere "Schwachstellen". Ich habe es ähnlich wie Du erlebt, die Tiefs schwächten sich ab - vielleicht weil ich selber sensibler darauf reagierte?! Dennoch warf eine Ausnahmesituation, der ich nicht ausweichen konnte, in die ich alle Kraft investieren musste, mich noch einmal aus der Bahn (AU für 2 Monate - aber eben nicht mehr für 8... und ohne die Notwendigkeit, klinische Hilfe in Anspruch zu nehmen - also doch ein Fortschritt?). Manchmal erfordert die Situation eben mehr Kraft als man hat - auch das gilt es dann zu akzeptieren. Viele erleben sicherlich die Corona-Situation so, ich bin da glücklicherweise recht entspannt, erlebe aber um mich herum (bei stabilen Menschen) Unsicherheit und Überforderung. Plötzlich verfügt man selber über Skills, Situationen anders zu begegnen.

Der Berufsabschluss ist sicher erstrebenswert - nur so kommt man voran und kann ein unabhängiges Leben (was auch nicht jedem vergönnt ist) leben. Aber wenn eine 40-STunden-Woche nicht möglich ist, tut es auch eine 35-Stunden-Woche. Am wichtigsten ist es, die eigenen Kräfte realistisch einschätzen zu können und die Ziele nicht zu hoch zu setzen. Es ist immer ein Wechsel zwischen zurücknehmen und überwinden. Genauso habe ich es auch erlebt. Und jedes Überwinden birgt eine Erfahrung, die hilft, die nächste Hürde zu nehmen. Wenn die Zeit dafür ist. Anfangs brauchte es therapeutische Unterstützung, hier das Gleichgewicht zu finden, inzwischen kann ich das selber. Denn ich weiß ja: wenn ich mir zuviel zumute, tritt meine Seele auf die Bremse.

Lass Dir gesagt sein: die Schritte werden leichter. Du bekommst mehr Sicherheit, mit jede m Schritt, den Du gegangen bist. Rückschritte gehören dazu - leider.

Genesung würde heißen ... keine Tiefs mehr? Ich glaube, das würde ich gar nicht wollen, denn genau die geben mir die Sicherheit, nicht irgendwann wieder vor einem Abgrund zu stehen.

Liebe Grüße
Lavendel
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Secret
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Re: Vollständige Genesung anstreben

Beitrag von Secret »

Hallo zusammen,

ich bin auch schon älter. Als ich meine Ausbildung und danach eine Fortbildung machte war mir gar nicht klar dass ich depressiv war. Ich hatte das häufig verdrängt. Dabei wurde mir zu Schulzeiten in den 80er Jahren der Schulpsychologische Dienst von der Lehrerin empfohlen. Den ich auch ein Jahr lang besucht habe.
Also ich habe es heute leichter durch eine Ausbildung. Aber ich bin auch froh dass ich diesen Beruf nicht in Vollzeit ausüben muss. Ob ich genesen bin kann ich gar nicht so sagen.
Bin seit über 7 Jahren im Beruf, ich denke wie es uns geht hängt auch zum Teil vom Umfeld ab.
Vielleicht ist man unter bestimmten Vorraussetzungen genesen aber kann nicht alles machen, so in etwa wie ein trockener Alkoholiker?
Als es mir besser ging und das Umfeld auch anders auf mich reagiert frage ich mich ob das eine Genesung ist. Ich weiss es nicht.
Es ist ja auch jede Depression anders. Das habe ich in den Tageskliniken erfahren das da jeder auf einen anderen Level ist.
Im Bett bin ich nie geblieben, dafür war ich zu unruhig.
Nach eventueller Genesung hatte ich immen Angst vor einem Rückfall. Da ich mich seit Corona und noch einem Sterbefall im lezten Jahr immer noch nicht schlechter fühle ist diese Angst sogar weniger geworden.
@Philosophin: ich wünsche dir Erfolg bei der Ausbildung und dass du deine Träume verfolgst. Vielleicht kannst du trotzdem oder auch nach der Ausbildung weniger arbeiten.
LG

Secret
Philosophin
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Re: Vollständige Genesung anstreben

Beitrag von Philosophin »

Hallo zusammen,

vielen herzlichen Dank für eure guten Wünsche an mich!

Dieses Wochenende hatte ich endlich wieder Besuch und es war so befreiend! Seit Ende September habe ich außerhalb meiner Arbeit niemanden mehr getroffen und meine gesamte Freizeit allein verbracht. Die Isolation war extrem quälend und hat mir viel Kraft geraubt. Es tat so gut wieder von jemanden in die Arme geschlossen zu werden, gemeinsam zu lachen, zu essen, zu erzählen, Karten zu spielen, spazieren zu gehen. (Ich hatte mich vor dem Treffen extra testen lassen. Eine konsequente Kontaktvermeidung habe ich einfach nicht mehr ausgehalten.)

Es ist, als wäre meine Depression über das Wochenende verflogen, aber ich weiß auch, dass die nächsten Wochen erneut kräftezehrend werden.

Und das bringt mich auch zu der Frage, was für mich überhaupt Genesung ist oder ein gewöhnliches Tief von einer rezidivierenden Depression unterscheidet. Als ich in der schweren Depression gesteckt habe, hat mich über Monate nichts glücklich machen können, nichts wirklich Erleichterung, Freude oder Zufriedenheit auslösen können. Das ist jetzt anders. Ich leide immer noch unter Schlafstörungen, Erschöpfung, Konzentrationsproblemen, innerer Leere und Unruhe, aber die schlechte Stimmung kann recht schnell durch äußere Anlässe unterbrochen werden. Ich kann leichter wieder auftanken und aus den Tiefs ausbrechen. Zu lange Tiefphasen versuche ich zu vermeiden, weil ich sie auch als Warnzeichen und Vorstufe zur (schweren) Depression sehe.
Genesung würde für mich nicht unbedingt bedeuten, dass es keine Tiefs mehr gibt, aber das die verbleibenden Symptome der Depression (z.B. die Erschöpfung) langfristig abschwächen.

Das war es erstmal für heute von mir. Ich genieße noch ein bisschen den Ausklang des Wochenendes und wünsche euch allen schon mal einen angenehmen Start in die neue Woche,

liebe Grüße
Philosophin
SophsFirebird
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Re: Vollständige Genesung anstreben

Beitrag von SophsFirebird »

ich finde es sehr angenehm zu lesen, dass ihr auch oder trotz eurer Krankheit arbeiten geht. Ich bin jetzt fast ein Jahr zu Hause und verliere immer mal wieder den Mut, aber das gibt mir Kraft. Ich möchte ubedingt wieder arbeiten gehen, da ich meine Arbeit (Sozialarbeiterin) sehr liebe. Immer wieder wird mir geraten, dass ich etwas anderes tun soll, aber dafür mache ich es zu gern, da bin ich nicht bereit dafür. Wurde euch auch schon geraten, eine andere Arbeit zu suchen? Ich möchte der Depression nicht gestatten über mein komplettes Leben zu entscheiden, dass macht sie sowieso schon.
Liebe Philosiphin, schön, dass du einen schönen Tag hattest. Ich hoffe du kannst lange davon zehren. So wie du eine Genesung beschreibst, kann ich mir das auch sehr gut vorstellen.
Peter1
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Re: Vollständige Genesung anstreben

Beitrag von Peter1 »

Hallo Philosophin
Deine Vorstellung von einem Leben nach der Depression habe ich erreicht. Ein paar Rest Symptome sind immer noch da.(Wortfindungsstörungen, Morgentief usw.)
Ab und zu kommt auch mal ein Tief, aber da ich jetzt weiß, wodurch das Tief verursacht wird, kann ich es abschwächen. Seit Oktober 18 bin ich ohne Episoden. Die Tiefs dauern höchstens zwei bis drei Tage, die meisten sind aber schon nach einigen Stunden vorbei. Zwischen den Tiefs habe ich meist ein paar Wochen Ruhe, und fühle mich wie ein ganz „normaler“ Mensch.

Alles Gute und Schöne peter
Ich wollte nie erwachsen sein, hab immer mich zur Wehr gesetzt. Von außen wurd ich hart wie Stein, und doch hat man mich oft verletzt (Nessaja P. Maffay=
Katerle
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Re: Vollständige Genesung anstreben

Beitrag von Katerle »

@ Philosophin

Ja Tiefs wird es immer mal wieder geben, aber mit der Zeit hast du gelernt, was dir bisher geholfen hatte, dir da raus zu helfen. Ansonsten ist es angebracht, sich nicht erneut zu überfordern und alles in kleineren Schritten zu bewältigen.

Alles Gute weiterhin,
Katerle
Secret
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Re: Vollständige Genesung anstreben

Beitrag von Secret »

@SophsFirebird: Ja, mir wurde auch mal geraten meinen Beruf nicht mehr auszuüben. Das war ein anderer Teilnehmer während meiner beruflichen Rehabilitation. Ich bin Bilanzbuchhalterin und er meinte das sei ja ein gutes Zeugnis aber wenn ich nochmals in der Buchhaltung arbeiten würde wäre ich nach mindestens 2 Jahren wieder in einer Tagesklinik. Ich sei ja ganz nett aber zu langsam und ich solle lieber in einem Museum zum Mindestlohn Aufsicht machen. Da bräuchte ich nur anwesend zu sein und nichts zu tun. Als Mutter von Kindern hätte ich ja mit dem Haushalt genug zu tun.
Ich war danach ziemlich fertig weil ich das geglaubt habe. Wenn man während der REHA Probleme hatte konnte man jederzeit mit Psychologen reden.
Der Typ der das sagte war entweder neidisch weil ich ein Jobangebot bekommen habe und er nicht. Oder einfach nur so ein Pessimist das er meinte mir mit so einer Warnung etwas gutes zu tun. Ich bin froh das ich nicht auf Ihne gehört habe. Den Job habe ich heute noch und wenn man unterfordert wird dann kann das auch depressiv machen.
Aber jeder muss selber probieren was er kann. Ich arbeite nur 5 Stunden täglich. Ich brauche zwar geistige Herausforderung aber brauche da nicht sehr schnell zu arbeiten. Wie zum Bsp. bei einem Steuerberater mit Zeitnachweis.
@Philosophin: Morgentiefs habe ich noch, Trauer , Stress, etc. von einer Depression zu unterscheiden ist auch manchmal schwierig. Mein früherer Therapeut sagte mal dass man nie komplett nicht mehr verletzbar sein wird, denn das sind gesunde Menschen auch nicht.
Ich fühle mich zur Zeit komplett genesen, aber ich habe nie die Gewissheit das es auch so bleibt. So ist das ja auch bei anderen Krankheiten.
LG

Secret
SophsFirebird
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Re: Vollständige Genesung anstreben

Beitrag von SophsFirebird »

Hallo secret,
Danke für deine Antwort. Das klingt ja schon schlimm beim lesen, ziemlich anmaßend das der Mensch dir das gesagt hat. Gut das du es geschafft hast, trotzdem bei deinem Beruf zu bleiben und du da gut angekommen bist. 5 Stunden am Tag kann ich mir auch sehr gut vorstellen, das bespreche ich demnächst mit meiner Psychiaterin.
Secret
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Re: Vollständige Genesung anstreben

Beitrag von Secret »

Hallo SophsFirebird,

das freut mich von dir zu hören/lesen :)

Mir hat es auch gut getan mir das mal von der Seele zu schreiben. Obwohl das ja auch schon über 8 Jahre her ist.
Ich war ziemlich sauer auf diesem Typen, aber eins habe ich gelernt: glaube nicht immer alles was man dir sagt, bzw. was du selber denkst.
LG

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Lavendel64
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Re: Vollständige Genesung anstreben

Beitrag von Lavendel64 »

Hallo,

Peter1, Du hast es ziemlich genau getroffen. Mir ergeht es ähnlich. Situationen, bei denen man ein Tief vorher erahnen und darauf bereits vorab reagieren kann. Manchmal sieht man sie kommen, kann aber wirklich gar nichts tun, weil ein Handeln notwendig ist. Dann wiederum passieren Dinge, man möchte die Skills abrufen und merkt, wie die Mauer, die man zu bauen versucht, um sich selber zu schützen, einstürzt. Das darf nicht entmutigen, das passiert. Für mich ist es am Wichtigsten zu wissen, dass ein Tief vorüber geht. Bei mir ist es inzwischen auch ein Tag, es folgen zwei Tage mit bleierner Müdigkeit, danach geht es wieder aufwärts. Dauert es länger, habe ich auch kein Problem damit, einen Arzt zu konsultieren. Ich weiß, wer mir helfen kann und der Gedanke allein trägt ungemein.

Doch nun zur Arbeit: Arbeit, so anstrengend sie ist, kann durchaus stärken und aus einem Tief hinaus führen. Wenn sie allerdings Ursache der Depression ist, ist ein Wechsel ratsam. Ich habe immer Spaß an der Arbeit gehabt, war in einem sicheren guten Team und habe selbst während der langen (Tages)klinikzeit einmal wöchentlich die Kollegen besucht und mich über die Empathie gefreut. Die Therapeuten waren anfangs auch skeptisch ... haben das aber irgendwann aufgegeben.

An Deiner Stelle würde ich ehrlich hinterfragen, was mir der Beruf bedeutet. Ob das Team in Ordnung ist, ob die Arbeit in Ordnung ist. Wenn ja, würde ich diese Sicherheit unbedingt behalten wollen. Eine Depression bedeutet nicht, große Dinge im Leben verändern zu müssen. Manchmal ist es einfach nur die Einstellung (was schon schwer genug ist) . Das Gesundwerden bedeutet, das bisherige Leben zu hinterfragen und Gefühle zuzulassen.

LG Lavendel
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Philosophin
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Re: Vollständige Genesung anstreben

Beitrag von Philosophin »

Hallo zusammen,

danke für eure Beiträge. Das macht mir Mut, dass einige von euch die Depression so weit überwinden konnten, dass nur noch ein paar wenige Rest-Symptome zurückgeblieben und die Tiefphasen deutlich weniger geworden sind.

Ich komme gerade von der Arbeit und fühle mich wie so oft nach dem Dienst gereizt und aggressiv. Das ist mir unheimlich. Ich kenne so eine stark gereizte Stimmung überhaupt nicht von mir. Anfangs dachte ich, dass ich nur mal einen schlechten Tag habe, aber es geht mir nach der Arbeit ständig so- an den freien Tagen fühle ich mich wieder ausgeglichen und fast wie "befreit". Morgen muss ich wieder arbeiten und mir schnürt sich der Magen zu.

Ich stecke in einer monotonen Tätigkeit fest, weil ich mir momentan noch nicht zutraue, den Beruf auszuüben, den ich erlernt habe. Dafür sind meine Schlafstörungen zu massiv und ich bin nicht fit und konzentriert genug. Das ist extrem frustrierend und löst so eine starke Wut auf den aktuellen Job und mich selbst aus.

Ich weiß nicht, wie ich die Stabilität erlangen kann, die ich für meinen Beruf brauche. Anfangs dachte ich, mein derzeitiger Job könnte ein "Training" sein, aber irgendwie geht der Plan nicht auf. Kündigen kann ich aber auch nicht, weil ich dann nicht mehr krankenversichert wäre und auf das Geld angewiesen bin.

LG Philosophin
Lavendel64
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Re: Vollständige Genesung anstreben

Beitrag von Lavendel64 »

Liebe Philosophin,

das einzige, was mir gerade bei deinem letzten Beitrag einfällt ist: Auszeit, wobei ein urlaub vermutlich zeitlich nicht ausreichen würde. Man braucht einige Wochen, um überhaupt an einem Punkt zu sein, an dem man ernsthaft nachdenken kann.

Wie man das in Deinem Fall umsetzen kann, weiß ich nicht. Ob es Anlaufstellen gibt, die Dich da unterstützen können ... der sozialpsychiatrische Dienst könnte da hilfreich sein.

LG Lavendel
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TheTower12
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Re: Vollständige Genesung anstreben

Beitrag von TheTower12 »

Hallo Philosophin,

genau diese Thematik mache ich aktuell auch durch... Zur Zeit gehe ich 3 Tage arbeiten und nutze die beiden anderen Tage zum auftanken. Es fühlt sich so an, als ob es aktuell nicht anders machbar ist! Wenn der Tag auf der Arbeit "anstrengend" ist, zeigt mir mein Körper abends dann auf, was ich machen muss.
In der Regel gehe ich dann bereits gegen 20:30 - 21 Uhr schlafen...
Meine Therapeutin sieht das als positives Zeichen, ich nehme mich so war, dass ich in der Lage bin Rücksicht zu nehmen.

Es fällt mir zwar schwer, aber ich muss lernen dies als positiv für mich zu nutzen/sehen!

Langfristig denke ich darüber nach, eine "leichtere" Tätigkeit zu machen oder die Stunden zu reduzieren.
So wie ich das lese, hast du diesen Schritt bereits gemacht, musst Ihn aber noch für dich akzeptieren.

Liebe Grüße

TheTower
Vieles, was uns Kummer bereitet, entsteht dadurch, dass wir Dinge anders haben wollen, als sie sind. *Dalai Lama

Ich glaube, es dauert eine Zeit, bis man lernt, entspannt zu sein … es ist wie mit Muskeln, die man
trainieren muss… *Dalai Lama
Philosophin
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Re: Vollständige Genesung anstreben

Beitrag von Philosophin »

Der Arbeitstag heute war zum Glück etwas besser, trotzdem fühle ich mich reizüberflutet. Der Small Talk strengt mich an, ununterbrochen brummt eine Lüftungsanlage, alles ist weiß und grau, die Beleuchtung grell und es gibt an meinen Stationen kein Fenster. Mein Team heute war aber zum Glück sehr nett, wir haben gut zusammengearbeitet und viel geschafft.
Am Wochenende habe ich meine erste Nachtschicht, allerdings an einem anderen Arbeitsplatz. Ich bin gespannt, wie sich das mit meinen Schlafstörungen und der Depression vereinbaren lässt. Ich könnte mir vorstellen, dass mir die Ruhe in der Nacht ganz gut tut, aber ich habe auch ein bisschen Sorge, mich kaum wachhalten zu können. Die Müdigkeit am Tag ist schon belastend.

@TheTower, danke für deinen Beitrag! Ich habe immer noch ein bisschen die Hoffnung, dass ich meine Belastbarkeit steigern kann und in ein paar Monaten fit genug für eine Vollzeitausbildung sein werde. Während meiner letzten Ausbildung bin ich einer sehr anspruchsvollen Tätigkeit nachgegangen, die mich ab und an in potentiell traumatische Situationen geführt hat- trotzdem war ich viel glücklicher und ausgeglichener als jetzt. Die Arbeit hat mich erfüllt und sich zutiefst sinnvoll angefühlt. Als Auszubildende war meine Verantwortung nur nicht so hoch wie sie jetzt wäre, deshalb schrecke ich noch vor einer Arbeit in diesem Beruf zurück, leider!
Ich glaube, auf lange Sicht ist es wichtig, einer Tätigkeit nachzugehen, die erfüllt. Vielleicht ist die Stundenzahl dann auch nicht mehr das Entscheidende.

Ich wünsche euch allen eine gute Nacht,
Philosophin
SophsFirebird
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Re: Vollständige Genesung anstreben

Beitrag von SophsFirebird »

Liebe Philosophin,

Dein letzter Satz hat mich berührt. Ich denke auch, dass es auf lange Sicht einfacher ist, einen Beruf zu haben der einen mit Sinn erfüllt und das dann die Stundenzahl wirklich nachrangig wird. Ich denke aber auch, dass es schwierig ist, so einen "Jackpot" zu finden. Ich finde, du bist auf einen guten Weg, du scheinst deine Grenzen gut wahrnehmen zu können. Vielleicht kann dir das bei deiner Genesung und deinen weiteren Weg helfen, denn du scheinst zu wissen, was dir gut tut und was nicht. Versuch das zu nutzen :) Kannst du denn ausmachen, woran es liegt, dass du oft gereizt bist? Also nach der Arbeit? Sind es die Bedingungen, die du beschrieben hast oder das Team oder gewisse Arbeitsabläufe? Vielleicht kann dir das helfen auf deinen Weg.
Winterkind04
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Registriert: 27. Sep 2020, 06:52

Re: Vollständige Genesung anstreben

Beitrag von Winterkind04 »

Guten Morgen zusammen,

mich beschäftigt seit dem ich diesem Thema hier folge, eine Frage - was ist den wirklich Genesung?
Für mich inzwischen, da die Depressionen auch nach langer Therapie nicht weg sind - meine Tage zu meistern. Wieder arbeiten zu können, mal besser oder schlechter meinen Haushalt machen zu können und die Depressionen zu akzeptieren.
Sul
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Registriert: 25. Dez 2019, 12:33

Re: Vollständige Genesung anstreben

Beitrag von Sul »

Hallo,
ich habe mir auch die Frage gestellt: Was ist eigentlich Genesung für mich? Bzw. Was ist psychische Gesundheit? Und ich habe bei Dami Charf eine sehr gute Beschreibung gefunden, die ich einfach zitieren möchte, auch wenn es viel Text ist.

"Was ist eigentlich psychische Gesundheit? wir machen uns wesentlich mehr Gedanken darüber, was es bedeutet „eine Störung“ zu haben, als darüber was psychische Gesundheit eigentlich sein könnte. Wir streben also noch Veränderung oder Heilung, ohne uns darüber bewusst zu sein, was unser Ziel eigentlich ist oder sein könnte.

Die meisten Menschen wissen grundsätzlich eher, was sie nicht wollen, als das was sie wollen. Es scheint uns leichter zu fallen zu sagen, wo wir nicht hin wollen als unsere Ziele zu definieren....

Welche Fähigkeiten muss ein Mensch haben, damit er sich im Leben zurechtfinden, Bindungen eingehen und ein kohärentes (zusammenhängendes/stimmiges) Selbstgefühl haben kann?

Daniel Siegel – ein sehr bekannter amerikanischer Neuropsychologe und Gründer der Methode „Interpersonal Neurobiology“ – hat die zehn unten aufgeführten Punkte zusammengefasst, die er für unabdingbar für unsere soziale und persönliche Integrität hält.

1. Die Regulation des Körpers
Dies ist eine grundlegende Funktion, die gegeben sein muss, damit wir uns wohlfühlen. Schmerzzustände deuten auf eine Dysregulation in diesem Bereich hin. Der Körper versucht, so lange wie nur irgend möglich alle Funktionen aufrecht zu halten. Kann er dies nicht mehr leisten, so kompensiert er durch Schmerzen.

2. Die Balance von Emotionen
Wir brauchen die Regulation von optimalem Flow – nicht zu hoch und nicht zu niedrig erregt. Die Balance von Emotionen ist eine der wichtigsten Regulationssysteme überhaupt. Wer einmal depressiv oder von Ängsten geplagt war oder wer zu Wutanfällen neigt, weiß was es bedeutet, wenn diese Funktion nicht gut ausbalanciert ist.

3. Eingestimmte Kommunikation
Dies ist die Fähigkeit, sich auf jemanden einzustimmen und ihm oder ihr voll präsent zugewandt zu sein.

4. Angstbegrenzung, Verhinderung von Angst
Dieser Punkt ist selbsterklärend – niemand mag gerne mit Angst durch die Welt laufen.

5. Die Fähigkeit, zwischen Reiz und Reaktion zu pausieren
Die Fähigkeit, adaptiv und flexibel zu sein, wird häufig unterschätzt, vor allem ihre Auswirkung darauf, wie viele Gestaltungsmöglichkeiten wir dadurch im Leben haben oder nicht haben. Es bedeutet, auch bei einem starken Reiz noch die Möglichkeit zu haben, darüber zu entscheiden, wie man reagieren will, und nicht erst zu reagieren und dann mitzubekommen, welche Konsequenzen sich aus der Reaktion ergeben.

6. Die Einsicht, sich selbst bewusst wahrnehmen
Ein nicht ganz unwesentlicher Bestandteil für ein erfülltes Leben ist die Fähigkeit, sich selbst im Fluss der Zeit wahrzunehmen und das eigene Verhalten und Wirken realistisch einzuschätzen. Schaut man ab und an Castingshows, so kann man manchmal daran zweifeln, dass dies noch eine verbreitete Fähigkeit ist….

Sich selbst im Fluss der Zeit wahrzunehmen ist sehr wichtig für eine Zukunftsplanung und auch dafür, Dinge hinter sich lassen zu können.

7. Empathie
Die Fähigkeit, sich in jemand anderen einzufühlen, ist ungeheuer wichtig für jede Art von Beziehung und sozialem Miteinander.

8. Die Kapazität für Moralempfinden
Menschen können nur miteinander leben, wenn sie sich an bestimmte kulturelle Regeln halten. Moral enthält diese Regeln, und es ist sehr bedeutsam, dass Menschen eine Empfindung dafür haben, wenn sie moralische Grenzen überschreiten.

9. Bindungsfähigkeit
Durch diese Fähigkeit entstehen erst alle anderen Fähigkeiten. Ohne Bindung und die damit verbundene Sicherheit kann der präfrontale Kortex nicht optimal reifen. Dazu an anderer Stelle wesentlich mehr. Außerdem ermöglicht uns Bindungsfähigkeit, schöne und vertrauensvolle Beziehungen zu führen.

10. Intuition und Interozeption (innere Wahrnehmung der Körperempfindungen)
Durch das Empfangen der Körperdaten über den Hirnstamm und deren Auswertung wissen wir über unseren inneren Zustand Bescheid und können gegebenenfalls gegenregulieren, sodass zum Beispiel ein Burn-out gar nicht erst entstehen kann.
Die Repräsentation des Körpers ist für jede tägliche Tätigkeit wichtig. Erst durch Interozeption wird Empathie möglich. Dies bedeutet, dass wir andere nur fühlen können, wenn wir uns selbst fühlen.

Der Sitz der Persönlichkeit

All diese Prozesse werden im sogenannten mittleren präfrontalen Kortex, der direkt hinter den Augen sitzt reguliert. Du kannst dir das Gehirn als Modell vorstellen, in dem du deine Hand zur Faust machst und den Daumen mit den Fingern umschließt.

Wenn du die Handinnenfläche zu dir drehst, siehst du nun das Gehirn von vorne.

Das Handgelenk und der Übergang zur Handinnenfläche stellt das sogenannte Stammhirn dar, welches alle Instinkte und Körperreaktionen steuert. Die Finger repräsentieren das Großhirn, also den Kortex. Die Nägel und das erste Glied der Finger sind dann der präfrontale Kortex. Darunter liegt dein Daumen, welcher das limbische System, den Sitz der Emotionen darstellt.

Der präfrontale Kortex, von dem man bis vor 15 Jahren noch fast nichts wusste, gilt heute als Sitz der Persönlichkeit, und je integrierter und organisierter dieser ist, desto freier sind wir von schädlichen Mustern und desto mehr können wir unser Leben genießen und fühlen uns mit anderen Menschen und der Welt verbunden.

Nun hast du einen kurzen Überblick darüber, was man unter psychischer Gesundheit verstehen kann. Letztendlich ist meiner Meinung nach ausschlaggebend für unser Leben, wie wir uns fühlen. Ist deine Grundstimmung eher aufgehellt und positiv und du kannst dich über dein Leben freuen? Dann ist es gut. Sind deine Tage eher von Leiden und Unzufriedenheit geprägt, dann willst du sicher irgendwann etwas ändern. Und das ist gut so.

Ein wichtiger Faktor ist die Qualität deiner Beziehungen und was andere Menschen dir als Rückmeldung geben. Es gibt den Spruch, dass wir die Summe der 5 Menschen sind, die uns am nächsten sind. Tatsächlich sagen deine Freunde sehr viel über dich aus. Wie ist ihr Leben? Sind sie glücklich?

Außerdem ist die Rückmeldung anderer Menschen nicht zu unterschätzen. Leider gibt es viele Menschen, die sich für vollkommen in Ordnung halten – aber ihr Umfeld leidet erheblich.

Ein Ausbilder sagte mal: „Es gibt Probleme, die sind wie Zwiebeln und andere wie Knoblauch. Bei Zwiebeln weint die Person selbst, bei Knoblauch leiden nur alle anderen“

Sollten deine Beziehungen und Freundschaften von Nähe, Vertrauen und Freude aneinander geprägt sein, so besteht die gute Chance, dass recht viel in Ordnung mit dir ist!

Und unter uns: Macken wirst du immer haben und behalten – man nennt sie auch manchmal Charaktereigenschaften.

So lange du gut mit ihnen leben kannst und dein Umfeld auch, ist alles in Ordnung mit dir. Menschen sind nicht auf der Welt um perfekt zu sein, sondern um zu lernen, zu wachsen, zu leben und zu lieben."

Gerade die Punkte von Daniel Siegel sind für mich eine gute Richtlinie und Anleitung, wo ich hin möchte, an welchen Punkten ich mit mir weiterarbeiten kann, wo ich aber auch schon Erfolge sehe.

Viele Grüße, Sul
Schlumpffine
Beiträge: 381
Registriert: 3. Mai 2020, 18:29

Re: Vollständige Genesung anstreben

Beitrag von Schlumpffine »

Hallo an alle,
ich bin per Zufall auf diesen Thread gestoßen.
Ich kann die Gedankengänge von Philosophin sehr gut nachvollziehen.
Letzlich geht darum die Depression als Erkrankung zu begreifen und sie auch als SOLCHE zu AKZEPTIEREN.
Wer also seine Erkrankung voll akzeptiert hat,geht und sieht andere Möglichkeiten und Wege damit umzugehen.
Er versucht konstruktive Lösungen zu erarbeiten ,den Umgang damit zu üben und ggf. auch neue "Wege" zu gehen.
Diejenigen, die noch auf der Suche nach dem "Becher der Erkenntnis" sind haben selbstverständlich andere Prioritäten.
Ob eine Depression "heilbar" ist hängt sicherlich vom einzelnen Individium ab und auch damit wie derjenige damit umgeht.
Ich kann d.h. Philosophin sehr gut verstehen, wenn sie Betroffene sucht, die sich schon intensiv damit beschäftigt haben "Wege" aus der Erkrankung zu suchen und auch zu gehen .
LG Schlumpffine
Philosophin
Beiträge: 375
Registriert: 26. Jan 2015, 12:42

Re: Vollständige Genesung anstreben

Beitrag von Philosophin »

Hallo an alle,

danke Sul für deinen wertvollen Beitrag! Als ich von dem Abschnitt über Freundschaft las, dass man die Summe seiner 5 Freunde sei, kam Traurigkeit in mir auf. Ich glaube, auf 5 Freunde komme ich nicht mehr. Eine Freundschaft geht gerade in die Brüche und ich habe keine nähere Vertrauensperson mehr an meinem Wohnort. Meine Familie wohnt 360 Kilometer entfernt und aufgrund der Corona-Situation traue ich mich nicht, nach Hause zu fahren. Zu groß ist die Angst, jemanden anzustecken.

Ich merke, wie sehr mich das Alleinsein belastet und ich weiß nicht mal, ob das nach der Pandemie anders sein wird. Beim Aufbauen neuer Freundschaften bemerke ich jedes Mal, dass mir meine Depression im Weg ist. Zu groß ist die Angst, mich als psychisch krank "zu outen", gerade in meinem Alter, wo doch erwartet wird, dass man fleißig lernt, studiert und am besten noch einen Nebenjob hat. Wie erkläre ich, dass mein Leben nicht so ist?
Ich spüre meine Enttäuschung über viele unerwartete Beziehungsabbrüche und ziehe mich ins Alleinsein zurück, weil das sicherer erscheint, auch wenn es einsam und belastend ist. Eine weitere zwischenmenschliche Verletzung verkrafte ich gerade nicht.

LG Philosophin
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