Ich ertrag das alles nicht mehr

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Unwissend
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Ich ertrag das alles nicht mehr

Beitrag von Unwissend »

Hallo zusammen

Ich ertrage meine depressive Mutter nicht mehr, ich kann mit der Negativität nicht mehr umgehen. Flüchten kann ich nicht, ich sehe sie täglich (wohne nicht bei ihr). Ich kenne sie nicht anders (bin jetzt 45). All die Jahre kam ich irgendwie zurecht mit ihr, aber jetzt ist irgendwas in mir passiert, ich ertrage das einfach nicht mehr und flüchten kann ich nicht. Mein einziger Wunsch wäre, dass sie einfach die ihr noch verbleibenden Jahren einfach mit mehr Dankbarkeit geniesst. Sie ist ja nicht nur depressive, sie wird auch richtig gemein. Ihr gemotze betr. meines Vaters (ihr Ehemann), ich ertrage es nicht mehr, es ist nach alle den Jahren einfach genug!

Wie haltet ihr das aus? Was hilft euch, dass ihr das nicht so an euch ranlässt. Ich bin wirklich für jeden Tipp dankbar, ich muss lernen nun damit umzugehen, sonst werde ich krank.
flokati
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Re: Ich ertrag das alles nicht mehr

Beitrag von flokati »

Ich glaube wirklich Rat kann dir keiner geben, den die Umstände sind doch bei allen ziemlich unterschiedlich.....wie komme ich zurecht, das frag ich mich auch manchmal, ich hab auch oft das Gefühl ich komme aufgrund meiner Umstände nicht raus aus meiner Situation und ertrag es nicht mehr............
ich versuche nach folgendem Motto zu leben:
Sich Sorgen um Morgen
nimmt die Sorgen von Morgen nicht weg
aber es raubt dir die Kraft für das heute !

Einen Tag nach dem anderen, dankbar sein für das was gut lief und das was schlecht lief abhacken und versuchen es morgen besser zu machen........
Ich weiß nicht was du für möglichkeiten hast....Pflegeheim für die Mam......mal auf Kur gehen....bewußte Auszeiten.......klare Grenzen ziehen......das kommt immer auf die Umstände an......
Ich wünsch dir jedenfalls viel, viel Kraft die braucht man auf alle Fälle
DieNeue
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Re: Ich ertrag das alles nicht mehr

Beitrag von DieNeue »

Hallo Unwissend,

hast du ihr denn schon mal gesagt, dass dich ihr Gemotze über deinen Vater stört?

Liebe Grüße,
DieNeue
Gido
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Re: Ich ertrag das alles nicht mehr

Beitrag von Gido »

Hallo Unwissend,
wohnst du im gleichen Haushalt mit deiner Mutter, oder wie kommt es, dass du sagst, Flüchten sei keine Option?
Liebe Grüße
Gido
Discordia
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Registriert: 9. Sep 2020, 23:14

Re: Ich ertrag das alles nicht mehr

Beitrag von Discordia »

Unwissend hat geschrieben:Hallo zusammen

Ich ertrage meine depressive Mutter nicht mehr, ich kann mit der Negativität nicht mehr umgehen. Flüchten kann ich nicht, ich sehe sie täglich (wohne nicht bei ihr). Ich kenne sie nicht anders (bin jetzt 45). All die Jahre kam ich irgendwie zurecht mit ihr, aber jetzt ist irgendwas in mir passiert, ich ertrage das einfach nicht mehr und flüchten kann ich nicht. Mein einziger Wunsch wäre, dass sie einfach die ihr noch verbleibenden Jahren einfach mit mehr Dankbarkeit geniesst. Sie ist ja nicht nur depressive, sie wird auch richtig gemein. Ihr gemotze betr. meines Vaters (ihr Ehemann), ich ertrage es nicht mehr, es ist nach alle den Jahren einfach genug!

Wie haltet ihr das aus? Was hilft euch, dass ihr das nicht so an euch ranlässt. Ich bin wirklich für jeden Tipp dankbar, ich muss lernen nun damit umzugehen, sonst werde ich krank.
Warum kannst du, wenn du nicht bei ihr wohnst, dem nicht temporär entfliehen? Du sollst ja nicht mit deinen Eltern brechen, aber eine kleine Auszeit von 1-2 Monaten sollte doch kein Problem sein. Ich sehe meine Mutter so alle halbe Jahr - Jahr mal. Hat der Mutter/Tochter Beziehung keinen Abbruch getan und auch deine Mutter wird dich nicht "vergessen".
Unwissend
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Re: Ich ertrag das alles nicht mehr

Beitrag von Unwissend »

Vielen Dank euch allen für die Antworten. Ich werde mir bestimmt das einte oder andere zu Herzen nehmen.

Ich habe noch Tiere bei meinen Eltern um die ich mich täglich kümmere, deshalb sehe ich meine Mutter täglich. Ich weiss, dass ich mich ändern muss, ich darf alles nicht mehr so nah an mich heranlassen, ich muss selber mit Liebe auf sie zugehen. Es wird alles gut, sobald ich meine Einstellung ändere. Man kann Menschen nicht ändern, aber man kann seine Einstellung ändern. Ich hatte am Samstag einen wunderbaren Tag mit ihr, sie hat sich sogar dafür bedankt und mal etwas "Positives" gesagt, das war richtig schön, dass sie mal ein positives Feedback gibt.
Bauchtänzer
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Re: Ich ertrag das alles nicht mehr

Beitrag von Bauchtänzer »

Discordia hat geschrieben:Du sollst ja nicht mit deinen Eltern brechen, aber eine kleine Auszeit von 1-2 Monaten sollte doch kein Problem sein. Ich sehe meine Mutter so alle halbe Jahr - Jahr mal.
2-3 mal/Jahr - so mach ich das auch bei meinen Eltern.

UNwissend, wie um Himmels willen willst du einen gesunden Abstand zu deiner Mutter herstellen, wenn du sie täglich siehst? Der Umgang mit ihr tut dir nicht gut, das liegt doch klar auf der Hand. Lös das Problem mit den Tieren und distanzier dich von ihr.

Du kannst den anderen nicht ändern, aber du kannst dich ändern. Das ist kein wohlfeiler Spruch,- ich selbst muss mir diese Aussage immer wieder vor Augen führen,- ist nicht einfach, das zu verinnerlichen.
"Freedom's just another word for nothin′ left to lose" - J.J.
Unwissend
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Re: Ich ertrag das alles nicht mehr

Beitrag von Unwissend »

@jupiter19

Auf meinem Weg zur Lösung bin ich übrigens selber über das Thema "Achtsamkeit" gestolpert und ich versuche tatsächlich mit mehr Achtsamkeit zu leben und es hilft, dass ich meine Mutter nun etwas besser ertrage. Ich muss ihr einfach mit mehr Liebe begegnen und es klappt.

@Bauchtänzer

Ich kann den Kontakt nicht zu meiner Mutter nicht reduzieren, ich muss eine andere Lösung finden und die Lösung ist, ihr mit mehr Liebe zu begegnen, ich schaffe. Aber vielen Dank für dein Feedback.
Bauchtänzer
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Re: Ich ertrag das alles nicht mehr

Beitrag von Bauchtänzer »

Ich kann den Kontakt nicht zu meiner Mutter nicht reduzieren, ich muss eine andere Lösung finden und die Lösung ist, ihr mit mehr Liebe zu begegnen ....
Schon gut, Unwissend, es ist DEIN Leben, das du verplemperst.

Ich weiss, wovon ich spreche, war ich doch vor ca. 15 Jahren, als ich in deinem jetzigen Alter war, auch viel zu sehr gedanklich mit meinen Eltern beschäftigt. Muss ich heute dann mit Hilfe einer Therapie nachreifen. Ist bitter. Schade für meine nicht ausreichend intensiv gelebten Jahre, in damals bestem Alter.

Du wirst nicht umhin kommen, dich irgendwann um dich selbst zu kümmern, statt um andere (die Mutter). Was machst du, nachdem deine Eltern gestorben sind? Es kann sehr hart sein, dann - im Alter - auf sich selbst zurückgeworfen zu werden.
"Freedom's just another word for nothin′ left to lose" - J.J.
Unwissend
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Re: Ich ertrag das alles nicht mehr

Beitrag von Unwissend »

@Bauchtänzer

Ich verstehe deine Anmerkungen und ich weiss genau, was du mir sagen willst und ich spüre auch, wovor du mich warnen willst und ich danke dir dafür.

Wir sind drei Kinder. Mein Bruder hat sich schon vor einigen Jahren etwas zurückgezogen. Er sagt, er ertrage die Mutter nicht mehr, ihre Negativität, ihr tägliches Motzen, ihre schlechte Laune. Er ruft sie einmal wöchentlich an und lädt sie und unseren Vater (ihr Ehemann) einmal monatlich zum Essen ein, mehr erträgt er sich nicht.

Meine Schwester hat etwas mehr Kontakt als der Bruder. Sie hatte es schon als Kind sehr schwer mit der Mutter, hat sehr unter ihr gelitten. Heute kann sie besser damit umgehen, erträgt sie besser und weiss, wie man mit ihr umgehen muss. Aber auch sie hat Phasen wo sie sagt, jetzt brauche sie wieder etwas Distanz.

Wir Kinder sind mit einer depressiven Mutter aufgewachsen. Sie hat sich zweimal versucht das Leben zu nehmen, war ein paar Mal stationär in einer Psychiatrie usw.

Mir tut meine Mutter sehr leid, sie hat sich wohl auch nicht so ein Leben gewünscht. Sie ist gefangen in dieser Negativität, sie will ständig Mittelpunkt sein und sie nimmt keinen einzigen, aber wirklich keinen einzigen Ratschlag an. Egal was man ihr rät, sie hat immer das letzte Wort und macht jeden Ratschlag zu nichte und erklärt dann sofort, warum sie den Ratschlag nicht annehmen kann. Sie hatte ix Krankheiten, nicht eingebildet, sondern nachgewiesen. Es gab keinen Monat, wo sie nicht wieder irgendwas hatte und ärztlich betreut werden musste. Sie ist gezeichnet von den Krankheiten, hat Diabetes, musste drei Mal den Rücken operieren und hat täglich Schmerzen, hatte einen Herzinfarkt usw.

Ich habe erst vor kurzem zu meiner Schwester gesagt, dass ich mich davor fürchte, dass ich eines Tages wenn die Eltern nicht mehr leben, in ein Loch falle und selber an Depressionen erkranken könnte. Ich bin es mir gewohnt, dass es sich täglich um die Probleme meiner Mutter und auch meines Vaters handelt und um ihre Unzufriedenheit, deshalb weiss ich, was du mir sagen möchtest.

Aber ich habe ein tolles, schönes und zufriedenes Leben neben meinen Eltern, dafür bin ich so dankbar. Ich bin zwar vor 3 Jahren an einer Angststörung erkrankt und bin nicht mehr so belastbar wie früher, ich brauche mehr Harmonie und die wird natürlich gestört durch meine Mutter. Aber ich kann zwischenzeitlich einigermassen gut umgehen mit der Angststörung. Aber es ist gut möglich, dass ich eines Tages all das Elend meiner Eltern in Therapiestunden aufarbeiten muss. Ich wünschte mir manchmal, ich hätte normale Eltern, Eltern die zufrieden sind und Eltern, die einfach ein tolles Leben hatten. Weder mein Vater noch meine Mutter hatten ein tolles Leben. Wenn ich sehe, was ich alles habe und wie zufrieden ich eigentlich leben darf, macht es mich sehr traurig, dass meine Eltern so ein unglückliches Leben führen mussten.
Bauchtänzer
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Re: Ich ertrag das alles nicht mehr

Beitrag von Bauchtänzer »

Hallo Unwissend,

ich finde es sehr schön, wie du dich heut früh erklärt hast, tx. Ich verstehe dich gut. Und mir ist klar, dass mein eigener Beitrag ganz schön harsch war - ich komm leider schriftlich oftmals holzschnittartig spröde rüber.

Bei mir war´s ein sehr weiter, langer Weg weg vom Vorwurfsvollen (die Herkunftsfamilie betr.) hin zum Verständnis und eher Mitfühlendem. Das Verhältnis zu meiner Mutter (mein Vater ist verstorben) ist nicht schlecht, wir tel. wöchentlich, plaudern, ich geh gut auf sie ein, denk ich. Eine wirklich liebevolle Beziehung ist es allerdings nie gewesen, sie hat zeitlebens geklammert und mich, Gefühle induzierend, manipuliert.

In der Therapie ist mir erst gedämmert, was es mit dem Begriff 'Abgrenzung' auf sich hat und wie enorm wichtig das gerade für mich ist. Für mich wär´s viel besser gewesen, ich hätt mich beizeiten in die Konfrontation mit den Eltern gewagt und einen klaren Schnitt (Kontaktabbruch) gemacht. Tatsächlich hab ich aber schon, als ich in deinem Alter war, vor mir selbst argumentiert, dass die Eltern doch schon viel zu betagt seien, ich ihnen das nicht zumuten könne, meine Mutter doch viel zu schwach sei, ein biologisches Ende doch absehbar sei.

Ich konnte nicht sehen, dass meine Mutter auch stark ist, und dass sie, sicher unbewusst, mit ihrer Hilflosigkeit, ihrem Leid, ihrem Kummer, mich subtil, aber wirkungsvoll manipulierte.

Ich hab´s mir damit leicht gemacht, und mir gleichzeitig geschadet.

Wir hätten die Chance gehabt, uns nach einem klaren Schnitt, nach längerem Zeitraum, auf dann erwachsener, respektvoller Basis anzunähern. Hat sich nie ergeben, schade.

-----

Ich finde ja - wird dich nicht wundern ;-) - das Verhalten deines Bruders sehr gesund. Er kennt seine Grenzen.
Aber es ist gut möglich, dass ich eines Tages all das Elend meiner Eltern in Therapiestunden aufarbeiten muss.
Meinst du nicht, dass du schon heute beginnen solltest?

Alles Gute für dich!
"Freedom's just another word for nothin′ left to lose" - J.J.
Unwissend
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Re: Ich ertrag das alles nicht mehr

Beitrag von Unwissend »

@Jupiter
Vielen Dank für deinen Beitrag. Das "Gedicht" hat mir schon etwas die Augen geöffnet und es erinnert mich so sehr an meine Mutter. Sie geht immer nur bis Punkt 1, tagtäglich, immer wieder und immer wieder. Manchmal habe ich das Gefühl, sie ist süchtig nach all dem Elend, nach dem Schmerz, sie will gar nicht ein schönes Lebensende geniessen, sie will einfach unzufrieden und traurig sein. Sie versucht zeitlebens unsren Vater zu ändern und ich sage ihr immer wieder, dass man Menschen nicht ändern kann, aber das ist ihr egal. Jeden Tag investiert sie so unglaublich viel Energie und schimpft den ganzen Tag mit ihm, ununterbrochen wird er von ihr auf seine Fehler hingewiesen, einfach nur schrecklich. Sie ist so unermüdlich und kämpferisch darin. Meine Mutter wird bis zu ihrem Ableben immer nur bis zum Punkt eins gehen, sie will gar nicht zu Punkt 2 oder 3 oder 4 oder sogar 5. Meine Mutter hat absolut kein Interesse, sich zu ändern, sie will den Vater ändern und gibt ihm für all ihr Elend die Schuld, für ihr verschissenes Leben. Der Vater sitzt am liebsten den ganzen Tag auf dem Sofa, wird immer schwächer, das ist auch kein Leben.

Nun ja, das "Gedicht", ich glaube schon, dass ich auf dem Weg zu Punkt 5 bin, jetzt befinde ich mich vielleicht bei Punkt 2 und falle manchmal zurück zu Punkt 1, alles ist ein Prozess und alles benötigt Zeit. Ich versuche mit mehr Achtsamkeit zu leben und das bedeutet für mich, dass ich einfach auch den Charakter meiner Mutter akzeptiere, dass sie eben immer nur bei Punkt 1 sein wird. Seit Jahren kämpfe ich dafür, dass sie zu Punkt 5 kommt, aber sie will nicht, sie will lieber sich täglich ärgern, diesen Schmerz fühlen, dem Vater für alles Schuld geben und ihn ständig zurechtweisen, etwas anderes will sie nicht, es ist wie eine Sucht.

Das "Gedicht", ich finde es wunderbar, es zeigt unsere Lebensphasen auf, dass wir auch innerlich dazu bereit sein müssen mit einer gewissen Reife, um UNS selber zu ändern, unsere Gedanken zu ändern und dass ich vor allem auch meine kranke Mutter akzeptiere, denn das tue ich nicht. Ich möchte so gerne eine lustige, liebe und gesunde Mutter, welche nicht an Depressionen leidet und daher versuche ich schon so lange, sie auf einen andere Weg zu führen, ihr zu zeigen, dass das Leben sich nicht nur um ihren Mann dreht und sie doch all das Schöne sehen soll, was sie übrigens immer wieder vehement ablehnt. Sie sagt sehr oft, es gäbe nichts Schönes in ihrem Leben.

Eine ganz liebe und weise Freundin hat mir mal bei einem Problem gesagt: hast du dir schon mal überlegt, genau so viel Energie in die Problemlösung zu investieren wie du Energie in das Problem investierst? Es war für mich wie eine Erleuchtung. Genauso fühle ich mich gerade, ich habe wie eine Erleuchtung, dass ich Punkt 5 nur erreiche, wenn ich meine Mutter einfach so akzeptiere wie sie ist, nämlich depressive, traurig und unzufrieden und daran werde ich niemals was ändern können, ich kann ihr nicht helfen.

Vielen Dank nochmals Jupiter
Unwissend
Beiträge: 92
Registriert: 20. Apr 2020, 13:28

Re: Ich ertrag das alles nicht mehr

Beitrag von Unwissend »

Hallo Bauchtänzer

Dein Beitrag war für mich nicht harsch, du sprichst von deinen Erfahrungen und ich denke, du möchtest jeden Menschen retten, damit ihm nicht dasselbe widerfährt wie dir und dafür bin ich dir dankbar. Dazu kommt, dass du wohl älter bist und genau spürst, worauf ich zusteuere, da du es selber erlebt hast. Ich sehe meine Mutter täglich 15 Minuten und in diesen 15 Minuten nehme ich jeweils wahr, ob es ihr einigermassen gut oder ob es ihr schlecht geht. Meistens geht es ihr eher schlecht. Wenn ich spüre, dass es ihr nicht gut geht, belastet mich das sehr, denn ich möchte doch, dass es ihr auch gut geht und sie zufrieden ist.

Mich würde auch interessieren, wie du es geschafft hast, du beschreibst einen "langen Weg". Du schreibst, deine Mutter hat die manipuliert, darf ich fragen was sie genau gemacht hat?

Die von dir erwähnte Abgrenzung habe ich mir übrigens bereits genommen. Vor 2 Jahren noch ging ich täglich am Morgen und am Abend nach Hause, einfach, weil ich spürte, dass meine Mutter mit der Problematik "Vater" total überfordert ist. Man kann auch nicht reden mit dem Vater, er hört kaum noch was und die Hörgeräte lässt er nie kontrollieren, er will nicht. So hat meine Mutter nur den Hund und spricht viel mit dem Hund. Für sie war es am Anfang auch schwierig, dass ich am Abend nicht noch kurz vorbeischaue, aber sie hat sich daran gewöhnt.

Meine Schwester und ich sind uns einig, dass wir schauen müssen, dass wir unseren inneren Frieden finden, sie ist schon viel weiter als ich. Wir wollen uns nicht mehr ärgern über die Eltern, so wollen wir sie nicht Erinnerung haben, das wäre grausam. Wir wünschen uns, dass wir noch schöne Erinnerungen aufbauen können, schöne Momente erleben mit ihnen aber dies ist so schwer. Wenn sich ein Mensch über nichts mehr freuen kann und dies ist bei meiner Mutter so, wie willst du dann schöne Erinnerungen aufbauen?

Ich finde es unglaublich, aber du hast mich auch etwas erkennen lassen können, meine Mutter ist auch stark, sie hat so viele Krankheiten überwinden müssen. Sie steht jeden Tag auf, wäscht, putzt, kocht usw. und mein Vater steht jeden Tag auf und verbring den Tag auf dem Sofa und will nichts helfen, lässt sie alles machen. Kein Wunder, ist sie so gefrustet. Den Umschwung ums Haus müssen wir Kinder machen, der Vater kümmert sich um gar nichts mehr.

Kannst du mir bitte etwas mehr darüber erzählen bezüglich deines Satze: Ich konnte nicht sehen, dass meine Mutter auch stark ist, und dass sie, sicher unbewusst, mit ihrer Hilflosigkeit, ihrem Leid, ihrem Kummer, mich subtil, aber wirkungsvoll manipulierte". Ich hab´s mir damit leicht gemacht, und mir gleichzeitig geschadet. Wir hätten die Chance gehabt, uns nach einem klaren Schnitt, nach längerem Zeitraum, auf dann erwachsener, respektvoller Basis anzunähern. Hat sich nie ergeben, schade."

Ja, das Verhalten meines Bruders ist gesund, da hast du recht. Meine Eltern sind so unselbständig geworden. Seite 2 oder 3 Jahren müssen wir Kinder ihnen die Esswaren einkaufen, sie will nicht mehr einkaufen gehen. Jahrelang war ich ihre Putzfrau, wohl bis ich 40 jährig war, habe ich ihr regelmässig das Haus geputzt, weil sie den Haushalt einfach sehr vernachlässigte, es war oft schmutzig und das hat sie nicht gestört.

Meine Eltern sind sehr speziell und wie gesagt, manchmal wünschte ich mir so sehr einfach normale Eltern, die einfach normale Dinge tun und nicht nur rumjammern und so extrem unselbständig geworden sind.
Bauchtänzer
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Re: Ich ertrag das alles nicht mehr

Beitrag von Bauchtänzer »

Hallo Jupiter, hallo Unwissend,

ich versuch mich mal kurz zu fassen, weil a) ich mich schwer tu mit dem Formulieren, b) i.A. rel. wenig Zeit habe, c) ich hier nicht so sehr viel mehr über mich sprechen möchte.
Jupiter19 hat geschrieben:[
Darf ich dich fragen, ob du immer noch Groll in dir verspürst, wenn du dich an diese alten vergangenen Zeiten erinnerst und du darüber schreibst?
Hast du mal überlegt, dir und deiner Mutter zu vergeben? Ober ist es bereits geschehen?
Mit dem Begriff 'Vergeben' tu ich mich schwer, das kann ich in mir i-wie nicht lebendig werden lassen; ich verstehe meine Eltern inzwischen recht gut, hab also Verständnis; sie sind halt in +++-D aufgewachsen... Ich denk, ich hatte halt einfach etwas Pech, vllt. genetisch sehr sensibel, hineingeworfen in ein robustes Elternhaus, in dem Gefühle 'nichts galten', wo man sich zusammenreissen sollte, zu funktionieren hatte. Hat´s damals millionenfach gegeben, war nicht förderlich für mich. Es gab (unausgesprochene) Erwartungen in mich, denen ich nie entsprechen konnte.
Unwissend hat geschrieben:... und ich denke, du möchtest jeden Menschen retten, damit ihm nicht dasselbe widerfährt wie dir
Aber nein, völlig falsch, viel zu romantisch :-) . Ich KANN niemanden retten, ich kann nur von mir erzählen, davon, woran mich andere Beiträge erinnern. Jeder einzelne steht doch letztlich allein und kann mit Erfolg nur sich selbst gut betreuen und sich um eigene Änderung bemühen.
Mich würde auch interessieren, wie du es geschafft hast, du beschreibst einen "langen Weg".
Ist mit deinem Weg nicht vergleichbar, denk ich - mir hat mein Alkoholismus und die daraus resultierenden Langzeitschäden schwer zu schaffen gemacht. Meine Mutter hat i.ü. sicher das Beste gewollt für mich (aber auch für sich). BTW: Einen Zugang zu meinen Gefühlen hab ich erst durch die jetzige Therapie erfahren.

Ich bleib dabei, Unwissend, dass du - ähnlich wie ich damals - viel zu sehr mit deinen Gedanken um deine Eltern kreist. Nicht gesund. - Hast du eigentlich einen Partner?

Shit, ist doch wieder viel zu lang geworden -

Grüsse,
Bauchtänzer
"Freedom's just another word for nothin′ left to lose" - J.J.
Unwissend
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Re: Ich ertrag das alles nicht mehr

Beitrag von Unwissend »

Hallo Bauchtänzer

Deine Worte haben mich etwas leer Schlucken lassen und sie haben mich auch nachdenklich gemacht. Du schreibst, dass du wohl einfach Pech hattest in einem Elternhaus ohne Gefühle aufwachsen zu müssen und das Erwartungen vorhanden waren, denen du nie entsprechen konntest. Ich denke, es hat auch die nötige Liebe deiner Eltern gefehlt. In Gedanken drücke ich dich gerade ganz fest, ich spüre irgendwie das Elend, welches du erleben musstest.

Es freut mich, dass du den Zugang zu deinen Gefühlen gefunden hast, das gelingt nicht allen Menschen. Der Weg dorthin ist oft mit Ablenkung versehen, so, dass wir oft im Dunkeln umherwandern.

Natürlich ist es nicht gesund, wenn sich die Gedanken ständig um die Eltern kreisen. Ich würde mir "normale" Eltern wünschen, Eltern, welche ihren letzten Lebensabschnitt einfach noch geniessen. Eltern, welche ihre Probleme selber lösen und sie nicht ständig durch ihre Kinder lösen lassen. Meine Eltern sind schon so viele Jahre unbeständig und wir Kinder unterstützen sie schon so lange, sie brauchten immer irgendwelche Hilfe, sei es finanziell oder auch bezüglich Mithilfe im Haus. All die Probleme, welche sie haben, all die Unzufriedenheit, sie tragen das alles auf unserem Rücken aus und dies schon seit so vielen Jahren.

Sag mir, wie sollen sich da die Gedanken nicht ständig um sie drehen? Sie zwängen sich so auf diesbezüglich. Ich liebe meine Eltern aber ich würde mir wirklich wünschen, ich würde sie nochmals glücklich und zufrieden sehen und vielleicht ist genau dies mein Wunsch und meine Hoffnung, dass eines Tages der Tag X kommt, wo ich sie nochmals glücklich und zufrieden erlebe, bevor sie sterben. Mein Vater ist schwach, er sitzt nur noch den ganzen Tag auf dem Sofa, hat eine schwere Darmkrankheit, aber er ist zufrieden so, wenn er den ganzen Tag auf dem Sofa sitzen kann. Er beschwert sich nie aber es tut weh, ihn so zu sehen. Ich denke, er leidet unter Depressionen, daher fehlt ihm jegliche Kraft aus dem Elend rauszukommen. Die Körperpflege ist ihm nicht mehr wichtig, das tut weh ihn so zu sehen.

Ganz ehrlich, ich möchte doch meine Eltern nicht so in Erinnerung behalten? Vor kurzem zeigte mir eine Kollegin ein Foto von ihren 84 jährigen Eltern und sie sagte mir, das sei ihr Lieblingsbild und ich sagte zu ihre, dass ihre Eltern glücklich und zufrieden aussehen und sie bestätigte mir das und ich wurde so traurig, weil ich keine Eltern habe, die glücklich und zufrieden sind. Ich werde meine Eltern für immer nur so in Erinnerung haben dürfen, sie haben mir die Chance genommen, sie anders in Erinnerung zu haben.

Ich habe einen tollen Partner und bin seit fast 6 Jahren glücklich liiert, ich habe wirklich das Glückslos gezogen mit ihm, das bin ich mir bewusst.

Lebst du in einer Partnerschaft?
Salvatore
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Registriert: 10. Feb 2010, 18:35
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Re: Ich ertrag das alles nicht mehr

Beitrag von Salvatore »

Hallo Unwissend,

deine Wünsche sind schon angemessen: jeder wünscht sich seine Eltern so. Bei euch sind die Rollen vertauscht, ihr müsst als Kinder die Elternrolle für eure Eltern übernehmen, als wären sie die Kinder. Das ist falsch, so gehört das nicht. Eure Eltern haben euch geprägt, aber nicht auf gute Weise.

Es ist fast eine philosophische Frage: haben wir einen freien Willen? Entscheiden sich deine Eltern für ihr Elend und könnten sie demnach auch entscheiden, glücklich und zufrieden zu sein?
Oder können sie nicht, weil sie nicht wissen, wie es geht? Weil sie selbst geprägt sind durch ihr Elternhaus und vielleicht gelernt haben, dass Glück eine sehr unzuverlässige Sache ist? Es ist ja so, dass sich viele gar nicht trauen, Glücksmomente zu erleben, weil sie die Erfahrung gemacht haben, dass das eh wieder weggeht und dann umso mehr weh tut, wenn man etwas Tolles hatte und das dann wieder verliert. Irgendwann wird man misstrauisch. Fühlt sich gut an? Dann ist da was faul. Es kann nicht stimmen.

Ich frage mich, wie deine Eltern wohl aufgewachsen sind und wie das für sie war. Ich hatte mal vollkommen verbitterte und isolierte Nachbarn, die sich mit allen zerstritten haben und deren Kinder den Kontakt längst abgebrochen hatten. Wie ist das passiert, dass diese Menschen so wurden? Die waren doch irgendwann mal Babys. Unschuldig. Die müssen als Kleinkinder doch auch gegluckst und gelacht und gekräht haben, wie es Kleinkinder nun mal tun. Die müssen sich im Kindergartenalter über ihre eigenen Fortschritte gefreut haben, müssen sich hilfesuchend an die Eltern gewandt haben, müssen ihre Erfolge zu teilen versucht und Kontakt eingefordert haben. Sie sind wie alle Kinder hingefallen und haben geweint - wurden sie getröstet? Hatten sie Menschen, die ihnen zugewandt waren und haben sie jemals erlebt, dass Glück etwas Schönes ist, das vielleicht nicht auf Dauer bleibt, aber dafür immer wieder auftaucht und einfach genossen werden darf? Haben sie je erlebt, dass sie gemocht und gewertschätzt werden, nicht für ihre Leistungen sondern einfach als Person und Persönlichkeit?

Wie konnte es dazu kommen, dass Eltern sich von ihren Kindern be-eltern lassen? Sich nicht um sich selbst kümmern, um das Haus, um die Finanzen? Wie kann es sein, dass jemand immer nur motzt und der Ehemann sich immer nur anmotzen lässt? Niemand WILL so leben und sucht sich das absichtlich so aus. Vielleicht haben sie kein Konzept davon, wie es anders gehen soll - Gewohnheiten schleichen sich ein und verfestigen sich im Laufe der Zeit, ohne dass man es merkt. Auch Denkgewohnheiten und aus Denken wird Fühlen und Handeln. Oder eben Nicht-Handeln wie im Falle deines Vaters. Jede Veränderung erzeugt Angst, denn man läuft ja dann erstmal ins Ungewisse. Jede Veränderung bedeutet auch Verlust und Gefahr. Auch Unglück kann sich gut anfühlen, weil es vertraut ist, weil man es einschätzen kann.

Du kannst nicht machen, dass deine Eltern den Weg aus der Verbitterung herausfinden und zufriedener werden. Sie müssten sich dafür entscheiden, diesen Weg suchen zu gehen - leider sieht es ja nicht danach aus, als würden sie das wollen. Oder begreifen, dass es an IHNEN liegt. Den Grund für die eigene Unzufriedenheit in der Außenwelt zu suchen, ist ein Vermeidungsverhalten. Die Konfrontation mit den eigenen Fehlentscheidungen tut weh, wahrscheinlich noch mehr wenn man bereits im fortgeschrittenen Alter ist und vieles nicht wieder gutmachen kann. Wenn auch in der Zukunft nur noch der Tod zu liegen scheint. Wie krass es sein muss, sich der Wirklichkeit zu stellen, dass man als Eltern versagt und seinen Kindern für immer geschadet hat.

Überlege dir, was du bereit bist für sie zu tun und was nicht. Aber nur für deine Eltern als deine Eltern und nicht dafür, dass sie dich mit Zufriedenheit belohnen - denn der "Tag X" wird vielleicht leider niemals kommen.
Du musst dir das Gemotze deiner Mutter nicht anhören. Es ist okay zu sagen, wir können über viele Dinge reden, aber über manches nicht; z.B. werde ich mir keine Schimpftirade über Papa anhören und wenn du davon nicht ablassen kannst, verlasse ich sofort das Haus. Redest du mit deiner Mutter darüber, wie es dir geht? Sagst du ihr, dass es dich traurig macht, wenn sie so gar nichts gutes im Leben findet?

Vielleicht solltest du überlegen, eine Therapie nicht erst dann anzufangen, wenn deine Eltern tot sind. Warum nicht jetzt schon? Warum nicht erörtern, wie du sie für den Rest ihres Lebens begleiten kannst, ohne dir selbst dabei zu schaden und sie trotzdem so zu nehmen, wie sie nun mal bedauerlicherweise sind?
Hilfe findest du übrigens auch beim Sozialpsychiatrischen Dienst in deiner Stadt. Das ist etwas niedrigschwelliger zu erreichen als ein Psychotherapeut und sie beraten dort auch Angehörige von psychisch Kranken.

Alles Gute für dich,
Salvatore
Blog: http://www.oddyssee.de
Instagram: Oddysee@meine_oddyssee
Unwissend
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Re: Ich ertrag das alles nicht mehr

Beitrag von Unwissend »

Hallo Salvatore

Ich habe noch nie so viel interessantes Feedback auf eine Problematik erhalten. Es eröffnen sich mir hier ganz neue Horizonte, Gedanken, Wege. Ich bin so dankbar, habe ich hier meine Problematik erzählt. Langsam aber sicher fügt sich alles für mich zu einem Puzzle zusammen, ich fange an zu verstehen und ich bin mehr als nur berührt, es hat mein Herz voll erreicht. Somit möchte ich auch dir wirklich von Herzen danken, dass du dir so viel Zeit genommen hast um eine solches Feedback geben zu können.

"deine Wünsche sind schon angemessen: jeder wünscht sich seine Eltern so. Bei euch sind die Rollen vertauscht, ihr müsst als Kinder die Elternrolle für eure Eltern übernehmen, als wären sie die Kinder. Das ist falsch, so gehört das nicht. Eure Eltern haben euch geprägt, aber nicht auf gute Weise."

Kurz und bündig, genauso ist es, es gehört sich nicht so wie es ist. Es ist eine Prägung und die ist auf keine Art und Weise gut.

"Es ist fast eine philosophische Frage: haben wir einen freien Willen? Entscheiden sich deine Eltern für ihr Elend und könnten sie demnach auch entscheiden, glücklich und zufrieden zu sein?"

Ich hatte immer das Gefühl, dass man einen freien Willen hat und sich doch selber entscheiden kann, ob man glücklich oder unzufrieden durchs Leben geht, dass man es nur Wollen muss. Deine folgenden Worten haben mir nun aber die Augen geöffnet.

"Oder können sie nicht, weil sie nicht wissen, wie es geht? Weil sie selbst geprägt sind durch ihr Elternhaus und vielleicht gelernt haben, dass Glück eine sehr unzuverlässige Sache ist? Es ist ja so, dass sich viele gar nicht trauen, Glücksmomente zu erleben, weil sie die Erfahrung gemacht haben, dass das eh wieder weggeht und dann umso mehr weh tut, wenn man etwas Tolles hatte und das dann wieder verliert. Irgendwann wird man misstrauisch. Fühlt sich gut an? Dann ist da was faul. Es kann nicht stimmen."

Ich glaube, dass hier der Hund begraben liegt. Genauso denkt meiner Mutter, das wird mir jetzt klar. Sie kann es nicht mehr zulassen aus den von dir genannten Gründen.

"Ich frage mich, wie deine Eltern wohl aufgewachsen sind und wie das für sie war. Ich hatte mal vollkommen verbitterte und isolierte Nachbarn, die sich mit allen zerstritten haben und deren Kinder den Kontakt längst abgebrochen hatten. Wie ist das passiert, dass diese Menschen so wurden? Die waren doch irgendwann mal Babys. Unschuldig. Die müssen als Kleinkinder doch auch gegluckst und gelacht und gekräht haben, wie es Kleinkinder nun mal tun. Die müssen sich im Kindergartenalter über ihre eigenen Fortschritte gefreut haben, müssen sich hilfesuchend an die Eltern gewandt haben, müssen ihre Erfolge zu teilen versucht und Kontakt eingefordert haben. Sie sind wie alle Kinder hingefallen und haben geweint - wurden sie getröstet? Hatten sie Menschen, die ihnen zugewandt waren und haben sie jemals erlebt, dass Glück etwas Schönes ist, das vielleicht nicht auf Dauer bleibt, aber dafür immer wieder auftaucht und einfach genossen werden darf? Haben sie je erlebt, dass sie gemocht und gewertschätzt werden, nicht für ihre Leistungen sondern einfach als Person und Persönlichkeit?"

Meine Mutter ist ein Einzelkind und ihre Eltern hatten eine Bäckerei. Sie musste extrem viel mithelfen, denn über den Mittag kamen viele Menschen und wollten ein Mittagessen und meine Mutter musste servieren nach der Schule und danach musste sie wieder in die Schule. Ihre Eltern hatten kaum Zeit für sie, sie musste immer alleine zurechtkommen. Ihr Vater war sehr streng und ich weiss, dass ihre Eltern sich auch viel gestritten haben. Meine Mutter ist extrem enttäuscht von ihrer Ehe, weil sie einen langweiligen Mann geheiratet hat, der nichts unternehmen wollte und lieber immer zu Hause rumsitzen wollte, alles war ihm zu gefährlich. Als er pensioniert wurde hat sie sich erhofft, dass er nun Dinge mit ihr unternimmt und das geht jetzt leider auch nicht, weil er eine Darmerkrankung hat, aber er hätte wohl auch ohne diese Darmerkrankung nichts mit ihr unternehmen wollen. Meine Mutter ist so traurig, dass ihr Ehemann all die Jahre sich einfach nicht um sie gekümmert hat und meinte, sie hätte schon Eltern gehabt, die nie Zeit gehabt hätten, etwas mit ihr zu unternehmen. Aber für mich sind das Ausreden, denn wir 3 Kinder haben verdammt viel mit ihr unternommen, meine Schwester hat sie überall mit hin mitgenommen, in die Ferien, auf Ausflüge usw. Der Vater war immer froh, wenn wir zu ihr geschaut haben. Aber eigentlich will sie mit ihrem Ehemann etwas machen, danach sehnt sie sich.

"Wie konnte es dazu kommen, dass Eltern sich von ihren Kindern be-eltern lassen? Sich nicht um sich selbst kümmern, um das Haus, um die Finanzen? Wie kann es sein, dass jemand immer nur motzt und der Ehemann sich immer nur anmotzen lässt? Niemand WILL so leben und sucht sich das absichtlich so aus. Vielleicht haben sie kein Konzept davon, wie es anders gehen soll - Gewohnheiten schleichen sich ein und verfestigen sich im Laufe der Zeit, ohne dass man es merkt. Auch Denkgewohnheiten und aus Denken wird Fühlen und Handeln. Oder eben Nicht-Handeln wie im Falle deines Vaters. Jede Veränderung erzeugt Angst, denn man läuft ja dann erstmal ins Ungewisse. Jede Veränderung bedeutet auch Verlust und Gefahr. Auch Unglück kann sich gut anfühlen, weil es vertraut ist, weil man es einschätzen kann."

Ich denke definitiv, dass du hier den Hammer voll auf den Nagel getroffen hast. Diese Gewohnheit hat sich tatsächlich verfestigt, bleibt unwiderrufbar bis an ihr Ende bestehen, ist in den Stein gemeisselt. Genau diese Angst vor der Veränderung hat sie mir gestern bestätigt beim Spazieren. Ich habe ihr gesagt, dass wir doch ein Inserat machen könnten um eine auch ältere Dame mit Hund zu finden, die mit ihr zusammen Spaziergänge machen könnte. Ihre bissige Antwort "ich will aber nicht um Punkt 08.00 Uhr dann laufen gehen müssen" und ich meinte "wie kommst du jetzt darauf, es wäre doch einfach schön, jemanden zu haben, mit dem man Lachen und reden kann" und ihre Antwort "ich will vielleicht dann nicht immer reden" und ich sagte zu ihr "meine Güte, sage doch einfach, wie toll das wäre, warum bist du immer nur so negativ und suchst nach negativen Worten, erkläre mir das" und ihre Antwort war "das Unbekannte macht mir halt Angst". Meine Mutter hat nicht mehr die Kraft und den Mut, 2 Tage lang zufrieden zu sein, es kommt ihr immer etwas dazwischen.

"Du kannst nicht machen, dass deine Eltern den Weg aus der Verbitterung herausfinden und zufriedener werden. Sie müssten sich dafür entscheiden, diesen Weg suchen zu gehen - leider sieht es ja nicht danach aus, als würden sie das wollen. Oder begreifen, dass es an IHNEN liegt. Den Grund für die eigene Unzufriedenheit in der Außenwelt zu suchen, ist ein Vermeidungsverhalten. Die Konfrontation mit den eigenen Fehlentscheidungen tut weh, wahrscheinlich noch mehr wenn man bereits im fortgeschrittenen Alter ist und vieles nicht wieder gutmachen kann. Wenn auch in der Zukunft nur noch der Tod zu liegen scheint. Wie krass es sein muss, sich der Wirklichkeit zu stellen, dass man als Eltern versagt und seinen Kindern für immer geschadet hat."

Ich denke auch, die eigenen Fehlentscheidungen tun weh, ihr wird bewusst, dass ihr auch nicht mehr viel Zeit bleibt und ich denke, sie würde das Rad gerne zurückdrehen und einiges anders machen.

"Überlege dir, was du bereit bist für sie zu tun und was nicht. Aber nur für deine Eltern als deine Eltern und nicht dafür, dass sie dich mit Zufriedenheit belohnen - denn der "Tag X" wird vielleicht leider niemals kommen. Du musst dir das Gemotze deiner Mutter nicht anhören. Es ist okay zu sagen, wir können über viele Dinge reden, aber über manches nicht; z.B. werde ich mir keine Schimpftirade über Papa anhören und wenn du davon nicht ablassen kannst, verlasse ich sofort das Haus. Redest du mit deiner Mutter darüber, wie es dir geht? Sagst du ihr, dass es dich traurig macht, wenn sie so gar nichts gutes im Leben findet? Vielleicht solltest du überlegen, eine Therapie nicht erst dann anzufangen, wenn deine Eltern tot sind. Warum nicht jetzt schon? Warum nicht erörtern, wie du sie für den Rest ihres Lebens begleiten kannst, ohne dir selbst dabei zu schaden und sie trotzdem so zu nehmen, wie sie nun mal bedauerlicherweise sind?
Hilfe findest du übrigens auch beim Sozialpsychiatrischen Dienst in deiner Stadt. Das ist etwas niedrigschwelliger zu erreichen als ein Psychotherapeut und sie beraten dort auch Angehörige von psychisch Kranken."

Wenn ich meiner Mutter sage wie ich mich mit ihrem Verhalten fühle kommt 0% Mitgefühl, sie kann nie darauf eingehen, sondern schiebt dann sich vorweg und wie es ihr ginge, sie sieht sich überall als Opfer. Man kann nichts von sich erzählen, schon erzählt sie sofort was über sich und was sie für eine arme Person ist. Der Tag X wird niemals kommen. Ich will ihr wieder mit mehr Liebe begegnen, ihr zuhören ohne zu urteilen sondern eher "ja ich verstehe dich, das tut mir auch leid usw." Ich will keine Ratschläge mehr geben und versuchen Lösungen zu bieten, denn jeder Ratschlag und jede Lösung werden umgehend vernichtet, sie wird niemals aus dieser Opferrolle rauskommen. Ich glaube, es ist ihr zuhause geworden diese Opferrolle, für sie ist es normal, so sein zu müssen.

Ich danke dir wirklich, deine Worte haben gesessen und deine Worte haben mir wirklich Licht ins Dunkeln gebracht.

Dir auch alles Gute.
Unwissend
Beiträge: 92
Registriert: 20. Apr 2020, 13:28

Re: Ich ertrag das alles nicht mehr

Beitrag von Unwissend »

Hallo Jupiter

Ein interessanter Denkanstoss. Ich weiss, dass Menschen am Ende ihres Lebens dankbar wären, wenn sie noch einige Gedanken loswerden könnten und sicherlich würde ich sehr gerne zuhören wollen und ihnen beistehen. Mich interessieren ihre Geschichten, ihr Leben, ich mag sehr alte Menschen, sie können aus einer Zeit erzählen, welche ich nur auf Bildern betrachten kann.
Schön, welchen Weg du vor 18 Jahren gegangen bist, du konntest bestimmt viel diesen Menschen bieten und ihnen auch das nötige Mitgefühl und die nötige Sicherheit schenken.

Warum hast du diesen Weg aufgegeben? Ich könnte zum heutigen Zeitpunkt diesen Weg noch nicht gehen, es würde mich zu sehr aufwühlen, das Gesehene, die Vergänglichkeit, das Ende vom Leben, damit käme ich noch nicht klar.

Inwiefern hat dir dieser Kurz geholfen bezüglich deiner Mutter?

Liebe Grüsse
Linabel
Beiträge: 10
Registriert: 19. Dez 2017, 09:14

Re: Ich ertrag das alles nicht mehr

Beitrag von Linabel »

Hallo Unwissend,
Auch ich hab mir oft gewünscht anders aufgewachsen zu sein. Erst eine Traumatherapie hat mir eine ganz andere Sichtweise gegeben. Dadurch das ich mich geändert habe, hat sich auch meine Familie geändert. Klare Grenzen zu setzen löste zuerst Wut und Missverständnis aus, mit dem Ergebnis das wir jetzt ein liebevolleres Verhältnis haben.

Sag nie, das schaff ich schon irgendwie, sondern akzeptiere deine Grenzen.

Du hast ja geschrieben das du putzt bei deiner Mutter. Diese Aufgabe könnte eine Haushaltshilfe übernehmen, dafür muss man nur einen Antrag stellen.
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