Hallo in die Runde!
Dieser Konflikt hatte (mindestens) zwei Ebenen: zum einen in der Sache. Das wurde inzwischen geklärt - das Problem wurde angesprochen ("Sie beenden die Stunden vorzeitig") und die Therapeutin hat ihr Verhalten erklärt ("Ich beende die Stunde nach Themen und nicht nach Minuten") und hiernach können Vereinbarungen getroffen werden, welche für beide funktionieren ("Wir beenden die Stunde pünktlich, fangen aber dennoch kurz vor Schluss kein neues Thema an). Eigentlich ganz einfach.
Aber es gibt noch eine zweite Ebene und die betrifft die Beziehung, was alles andere als einfach ist. Agentcooper hatte Erwartungen, die er:sie nicht geäußert hat. Weil er:sie der Meinung war, dass die Therapeutin das von selber hätte merken müssen. Und mehr noch, nicht bloß merken, sondern direkt erfüllen, ohne dass man das extra anspricht. Natürlich wünscht man sich das, denn es fühlt sich gut an. Aber das ist im echten Leben nun mal nicht besonders realistisch - wenn überhaupt, dann in der Kindheit von den Sorgeberechtigten ("Aaawww, du weinst, das ist weil du Hunger hast und frierst, hier ist was zu essen und eine Decke"), aber der Zug ist halt leider abgefahren. Die Therapie soll uns für das echte Leben fit machen. Wenn wir nun also lernen, dass unsere Bedürfnisse vom Gegenüber selbstständig ohne eigenes Zutun erkannt, benannt und erfüllt werden, dann macht uns das zwar abhängig von diesem Gegenüber (dem:der Therapeut:in), aber wir werden damit auch in unserer Unfähigkeit gelassen, das alleine zu können und es wird uns die Möglichkeit genommen, es lernen zu müssen.
Deshalb können Therapeuten das nicht für uns übernehmen. Erstens können sie es tatsächlich nicht wissen (woher denn?), aber das hat weder etwas zu tun mit fehlendem Feingefühl, noch hat es etwas zu tun mit Unsicherheit oder Inkompetenz oder Hilflosigkeit. Auch der beste Koch der Welt kann nicht vorhersagen, welches Gericht uns schmeckt und welches nicht oder ob wir heute lieber was Salziges oder lieber was Süßes von ihm möchten. Wir müssen ausprobieren und im Falle der Therapie die Phantasie spielen lassen. Es muss ja nicht jede Idee sofort immer richtig sein und tatsächlich funktionieren, wichtig ist erstmal, dass es Ideen gibt - selbst wenn die direkt wieder verworfen werden.
Was hätte geholfen? Das ist eine sehr spannende Frage. Die lässt sich nicht leicht beantworten und das darf man ruhig als langwierige Aufgabe begreifen. Dazu muss man sich aber auf genau diese Frage konzentrieren, ohne das dem:der Therapeut:in aufzudrücken. Was wären mögliche Szenarien gewesen? Wie hätte sich jede einzelne dieser Szenarien mutmaßlich angefühlt? Wie wäre es von da aus weitergegangen? Vielleicht auch: was wäre noch schlimmer gewesen? Einfach mal durchspielen, Stück für Stück, nicht hier sondern gemeinsam mit dem:der Therapeut:in und er:sie kann dann dazu was sagen oder weiterführende Fragen stellen. Aber nicht die Arme verschränken und sagen "Woher soll ich das wisssen, das müssen Sie doch wissen und wenn Sie das schon nicht wissen, dann kann ich das doch erst recht nicht wissen, weswegen bin ich sonst hier".
Was hätte in diesem konkreten Fall die Therapeutin tun, sagen oder schreiben sollen, nachdem Agentcooper sie am Bahnhof gesehen hat? Was hätte Agentcooper tun sollen, was hat er:sie getan, was daran war hilfreich und was daran war ungünstig? Wenn sich eine ähnliche Situation wiederholt, wie würde man dann mit dem jetzigen Wissen darauf reagieren? Was würde man anders machen? Keine Scheu haben vor Phantasien, die unrealistisch oder peinlich sind. Ich habe mir z.B. oft gewünscht, dass mich mein Therapeut in der Krise zu Hause abholt und mit mir gemeinsam einen Spaziergang macht und wir dann reden können. Egal, dass das nie im Leben passiert wäre.
Auch finde ich sehr wohl, dass in einem brandaktuellen Beziehungskonflikt der:die Therapeut:in seinem:seiner Patient:in gegenüber äußern darf, welche Gefühl in ihm:ihr entstehen. Und es ist mir schleierhaft, warum das nicht der Fall sein sollte - wie sonst soll man das Geschehene denn aufklären, wenn man nicht nachvollzieht, welche verschlungenen Wege der Konflikt genommen hat, welches komplizierte Pingpongspiel dazu geführt hat, dass beim Patienten eine suizidale Krise entsteht, weil die Therapeutin fünf Minuten früher in den Feierabend entschwunden ist? Das Besondere an der Therapie ist, dass der:die Threrapeut:in die Gefühle reflektiert - in einem normalen Kontakt ist das eher nicht der Fall. Aber hier ist genau das passiert: die Therapeutin hat gemerkt, dass sie wütend geworden ist, hat diese Wut aber als etwas erkannt, das sie zwar in Bezug setzen kann zu Agentcooper ("Wir hatten doch ein besseres Verhältnis als das...?!"), für das Agentcooper aber nicht verantwortlich zu machen ist. Sie hat deutlich geäußert, dass es ihre eigene Aufgabe ist, mit dieser Wut umzugehen und nicht die von Agentcooper.
@DieNeue: Ich sehe hier keine Wertung...? Und sie ist auch nicht beleidigt...? Sie hat sachlich ihre Sicht der Dinge beschrieben. Was ist daran falsch?
DieNeue hat geschrieben:Es hätte definitiv eine bessere Art gegeben das Problem zu lösen als beleidigt zu sein und mir das auch noch reinzudrücken.
Aber genau so geht es doch: Was wäre denn zum Beispiel eine bessere Art gewesen? Und als nächstes: WAR der:die Therapeut:in beleidigt oder WIRKTE er:sie auf dich beleidigt? Was sagt er:sie denn darüber?
Gefühle und Behauptungen sind keine Beweise - ein:e gute:r Therapeut:in beschäftigt sich damit, wenn der:die Patient:in Gefühle bei ihm:ihr verortet; zum einen kann das ganz einfach stimmen und dann wird man hoffentlich offen darüber sprechen können, ohne dass dann wiederum der:die Patient:in beleidigt ist (und da auch nicht wieder raus findet). Zum anderen kann der Eindruck fehlinterpretiert sein, dann kann der:die Therapeut:in aufklären, welches Gefühl in ihm:ihr stattdessen wirklich aufkam. Es kann Übertragung sein (in Wahrheit war es der:die Patient:in, die beleidigt war und durfte sich das aber selbst nicht zugestehen). Und so weiter.
Ein: schlechte:r Therapeut:in weigert sich, dieses Thema weiter zu beleuchten, belässt jegliche Verantwortung bei dem:der Patient:in und beendet dann das Thema. Die Therapeutin vom TE hat das aber nicht gemacht, sondern sie hat eine Teilverantwortung übernommen und verstanden, dass ihre Arbeitsweise missverstanden werden kann. Sie möchte an dieser Stelle ihr Verhalten in Zukunft korrigieren. Aber sie hat auch festgestellt, dass es da bestimmte Triggerpunkte im TE gibt, die in der Vergangenheit liegen und die ihren Teil dazu beigetragen, dass es überhaupt erst so weit kommen konnte, wie es kam. Die Kombi hat es erst explosiv gemacht.
Liebe:r Agentcooper: sorry, dass ich hier so viel in der dritten Person von dir geschrieben habe. Du musst nicht jetzt die Entscheidung treffen, ob du die Therapie bis zum Ende durchziehst. Aus meiner Sicht hat deine Therapeutin souverän reagiert. Du darfst verletzt sein! Es waren einige sehr schwierige Tage, die dich stark belastet haben. Es ist schmerzhaft, aber das ist kein falsches Gefühl, das so schnell wie möglich weg muss. Nimm eine Station nach der anderen und triff keine voreiligen Entscheidungen, ganz besonders dann nicht, wenn du stark aufgewühlt bist. Beziehungen, Bedürfnisse, Enttäuschungen - das ist eine Lebensaufgabe, damit ist niemals jemand "fertig". Du kannst aber lernen, dass es nicht noch einmal so eine schlimme Wendung nimmt wie dieses Mal. Zur nächsten Therapiestunde wirst du wahrscheinlich gehen - sprich mit dir über deine Verletzungen, deine Verunsicherung bzgl. der Therapie und deine Zweifel. Die dürfen alle ihren Platz haben. Und dann schaust du von da aus, wie es weitergeht. Ich finde, man sollte immer zumindestens
versuchen, sich im Guten zu trennen. Nicht immer geht das, weil es ja auch vom anderen abhängt. Aber mir ist das sogar mit einer Therapeutin gelungen, die ich wirklich absolut auf höchstem Niveau inkompetent fand, was mich sehr lange beschäftigt hat und womit ich lange nicht abschließen konnte. Trotzdem war es möglich, in einem letzten Gespräch zu sagen: Wir kommen einfach nicht zusammen, es ist nicht möglich, wir haben kein Verständnis füreinander und deshalb sind wir als Therapeutin und Patientin nicht füreinander geeignet - trotzdem alles Gute. Ich bin jetzt mit dem Abstand von vielen Jahren sehr froh darüber, dass es ein Abschied war, der freundlich ablief. [Spannenderweise kennt mein Ex-Therapeut sie als Kollegin und auch privat und hat eine völlig gegensätzliche Wahrnehmung von ihr und ich kann kaum glauben, dass es sich um dieselbe Person handeln soll.]
LG, Salvatore