Kraft für die richtige Entscheidung

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Gabum
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Registriert: 6. Okt 2015, 10:36

Kraft für die richtige Entscheidung

Beitrag von Gabum »

Hallo zusammen,

ich lese schon lange mit, habe aber selten einen Beitrag platziert.

Ich bin seit vergangenen Dienstag in einer Situation, die mich emotional völlig überfordert.
Ich bin bald 63 Jahre alt, weiblich, seit 33 Jahren verheiratet und bin seit Jahrzehnten mit einer
rezidivierenden Depression gesegnet.

Momentan beziehe ich ALB 1 und erhalte ab August 2020 meine Rente. Ich habe in den ver-
gangenen 2 Jahren darum gekämpft, mich aus einem ungesunden Arbeitsverhältnis zu lösen und
finanziell klarzukommen. Das hat mit viel Unterstützung, die ich mir organisieren konnte, gut
geklappt.

In dieser Zeit konnte ich mich um meinen Mann kümmern, der an einer Demenz erkrankt ist,
aber bis April d.J. noch sehr selbständig war. Ich konnte neben ihm auch mein Leben führen,
und wir kamen ganz gut zurecht.

Im April musste ich ihn mit dem Notarzt in's Krankenhaus einliefern lassen, da er über Nacht
eine Gangstörung entwickelt hat. Diagnose: schwerer Infekt, Blasenentzündung. Es folgte
eine geriatrische Reha von 3 Wochen sowie eine Kurzzeitpflege von 3 Wochen.

Am Dienstag habe ich meinen Mann nach Hause geholt, alles ging gut, er konnte laufen und
sogar die Treppe im Haus hoch- und runtergehen, da die Schlafzimmer und das Bad im ersten
Stock sind. Nachts fiel er aus mir unersichtlichen Dingen aus dem Bett, und ich konnte ihn
nicht hochheben. Wieder Notarzt, Einweisung erneut in's Krankenhaus.

Durch Corona nur Telefonkontakt, mit oft sehr unterschiedlichen Aussagen der Ärzte und des
Pflegeteams. Nun setzt mich das Krankenhaus seit Freitag unter Druck, wie es mit meinen Mann
weitergehen soll. Ich habe die gesetzliche Betreuung für ihn.

In Frage kommen erneut Kurzzeitpflege für ca. 3 Wochen, nach Hause mit dann Pflegebett,
das ich in seinem Schlafzimmer wahrscheinlich nicht aufstellen kann, dann also Wohnzimmer
im Erdgeschoss ausräumen und Pflegedienst oder ab für immer in ein Pflegeheim.

Mich zerreißt es innerlich, ich weiß nicht, was mein Mann noch kann, keiner kann mir sagen,
warum er plötzlich aus dem Bett fiel. Ich kann also gar nicht sagen, ob ich meinen Mann nach
Hause holen kann, da ich nicht voraussehen kann, ob ich das kann oder aushalte.

Meinen Mann für immer in ein Heim abzuschieben, erscheint mir emotional genauso unwirklich.
Dazu käme die finanzielle Belastung, da ich alleine unser gemietetes Haus nicht finanzieren kann. Langfristig müsste ich ausziehen.

Ich komme mit dem Organisieren der ganzen Dinge klar, da das die Kernkompetenz meines
Berufes war. Emotional geht nichts mehr, ich schlafe extrem lange, heute bis 16.00 h, meine
Ernährung besteht fast nur noch aus Zucker, keine Kraft für andere Aktivitäten außer dem
Lebensunterhalt.

Ich zermartere mir mein Hirn, was ich schaffen kann oder nicht, ohne die genaue Belastung
zu kennen, und möchte auch im Sinne meines Mannes richtig handeln.

Ich habe mir telefonische Hilfe für die nächsten Tage geholt, weil ich nicht weiter weiß.

Ich bin sicherlich momentan schwer depressiv, meine Psychiaterin hatte bisher keine Termine
wegen Corona, nächste Woche ist sie im Urlaub.

Ich weiß selbst nicht genau, was ich mir mit meinem Post erwarte. Evtl. ein paar Tipps, wie
ich diese Belastung besser emotional aushalten kann. Danke.

Gabum
Sul
Beiträge: 440
Registriert: 25. Dez 2019, 12:33

Re: Kraft für die richtige Entscheidung

Beitrag von Sul »

Hallo Gabum,
das ist eine wirklich schwierige Situation, in der du dich befindest. Vielleicht täte dir eine Verschnaufpause gut? Gibt es für dich die Möglichkeit dich irgendwo ein wenig umsorgen zu lassen, damit du wieder auftanken kannst?
Warum nicht noch einmal Kurzzeitpflege? Dann könntest du sehen, was dein Mann noch kann. Und du hättest Zeit für weitere Entscheidungen gewonnen.
Ich persönlich finde Pflegeheim kein Abschieben, sondern oftmals eine sehr verantwortungsbewusste Entscheidung für den Betroffenen und für sich selbst. Aber vielleicht wäre auch eine 24 Stunden-Pflegekraft eine Möglichkeit, falls ihr im Haus Platz habt.
Viele Grüße, Sul
Kirsten29
Beiträge: 461
Registriert: 18. Apr 2020, 21:11

Re: Kraft für die richtige Entscheidung

Beitrag von Kirsten29 »

Hallo Gabum,

wie Sul auch sagt, klingen deine Worte für mich eher nach dem Wunsch, mal in den Arm genommen zu werden, was Nettes und Aufmunterndes zu hören und die Sorgen mal kurz abzulegen. Wenn ich mit der Empfindung falsch liege, sag es bitte. Du schreibst ja, dass das Organisieren deine Stärke ist und du dich um Telefontermine gekümmert hast. Ich habe irgendwie das Gefühl, dass es weniger um einen konkreten Tipp geht, sondern eher um etwas "Auffangendes, Haltendes" (entschuldige, ich weiß, das ist ein bisschen vage).

Liebe Grüße
Kirsten
Der Schatz liegt hinter dem Drachen.

"Es gibt nur ein Muss: Du musst wissen, dass du nichts musst." (aus: "Komm, ich erzähl dir eine Geschichte", J. Bucay)
enduro
Beiträge: 232
Registriert: 7. Dez 2019, 17:43

Re: Kraft für die richtige Entscheidung

Beitrag von enduro »

Hallo,
das ist ein sehr harter Brocken den du da mit dir rumschleppst. Das ist sehr belastend, ich kenne dies weil mein Vater auch Demenz hatte und es gibt glaube ich nichts schlimmeres.

Wir haben damals sehr lange, viel zu lange damit gewartet ihn in ein Pflegeheim zu geben.
Im nachhinein war es für alle beteiligte das beste, man konnte sich in dem Pflegeheim wirklich gut um ihn kümmern.

Wenn wir die Zeit zurück drehen könnten würden wir es viel früher machen.
Planlose_Micky
Beiträge: 7
Registriert: 5. Jun 2020, 19:08

Re: Kraft für die richtige Entscheidung

Beitrag von Planlose_Micky »

Hallo,

ich verstehe, dass dich die Situation sehr mitnimmt. Es ist für Angehörige nie leicht über so etwas zu entscheiden.
Meine Oma hat auch Demenz und Pflegestufe 4. Wir hatten sie anfangs zuhause gepflegt, aber das ging nur ein 3/4 Jahr gut, denn es hat uns allen sehr viele Nerven gekostet und vor allem hatten wir so gut wie kein Familienleben mehr, weil sich alles nur um die Pflege gedreht hat. Es ist auch nicht leicht einen Demenzkranken 24/7 zu pflegen. Du hast dann keine Zeit mehr für dich selbst und das ist genau das falsche. Man darf sich selbst nicht vergessen! Und vor allem nicht, wenn man bereits depressiv ist.
Vielleicht hilft es dir, ihn in eine Tagespflege oder Nachtpflege zu geben. Oder ihn erstmal nochmal in Kurzzeitpflege, dann hast du Zeit die Entscheidung zu treffen bzw. deine Gedanken zu sortieren und wieder klaren Fuss zu fassen.


Wegen den finanziellen Sorgen: hat dein Mann eine Pflegestufe? Es gibt die Möglichkeit Sozialhilfe zu beantragen. Bei meiner Oma werden da jetzt fast alle Kosten übernommen, abzüglich dem Teil aus der Pflegekasse. Schau mal hier: https://www.pflege-durch-angehoerige.de ... zur_Pflege" onclick="window.open(this.href);return false;" onclick="window.open(this.href);return false;

Ich wünsche dir viel Kraft und alles Gute!
Unwissend
Beiträge: 92
Registriert: 20. Apr 2020, 13:28

Re: Kraft für die richtige Entscheidung

Beitrag von Unwissend »

Lieb Gabum

Was möchte denn dein Mann? Kann er sich dazu noch äussern? Habt ihr Kinder, die mithelfen können bei der Entscheidung.

Wenn ich nun deine Mail lese habe ich das Gefühl zu erkennen, dass du folgendes am Überlegen bist (dies aufgrund er Reihenfolge deiner Erzählung):

1. Du möchtest die Kurzzeitpflege in Anspruch nehmen
2. Erdgeschoss ausräumen, Pflegebett und Pflegedienst organisieren
3. Überlegung, ob Pflegeheim doch besser wäre?
4. Gedanken, was dein Mann noch alles kann und ob du ein Zusammenleben aushältst
5. Ihn für immer in ein Heim abzuschieben kannst du dir nicht wirklich vorstellen, auch weil du aus dem Haus ausziehen müsstest, weil die es finanziell nicht möglich ist
6. Organisatorisch traust du es dir zu, ihn nach Hause zu nehmen
7. Emotional geht aber gar nichts mehr, du hast einen innerlichen Zusammenbruch und bist kraftlos
8. Die Gedanken kreisen, was ist richtig und was ist falsch?
9. Telefonische Hilfe bringt etwas Linderung

Gibt es kein Forum für Demenzkranke bezüglich Pflege zu Hause? Wie stark ist seine Demenz? Wie viel Pflege ist zu Hause nötig, damit er zu Hause bleiben kann?

Ich würde mich an deiner Stelle wirklich jetzt nicht unter Druck setzen lassen, denn es ist eine Entscheidung, die du nicht alleine treffen musst, es gibt Fachleute, die dich dabei unterstützen können.

Wäre ich an deiner Stelle möchte ich jetzt folgendes wissen:

1. Wie selbständige ist dein Mann noch?
2. Wie schwer ist seine Erkrankung und was erwartet dich als Partnerin mit einem solchen Partner?
3. Wo braucht dein Mann Hilfe?
4. Wie stark ist seine Demenz?
5. Ist eine Pflege durch dich möglich?
6. Ist ein Leben für deinen Mann zuhause noch möglich?

Gehe mit diesen Fragen zum Arzt und er soll sie dir beantworten?

Wenn du dich entscheidest, deinen Mann nach Haus zu nehmen, hast du diese Entscheidung für dich getroffen. Dann hast du dich entschieden, es zu versuchen. Sollte der Versuch nicht klappen, wird dein Mann leider in ein Pflegeheim gehen müssen und du wirst dein Heim verkaufen oder du wirst eine WG gründen, es gibt genug Menschen, die alleine Leben und vereinsamen.

Es kommt nun ein neuer Lebensabschnitt für dich, welcher sicherlich nicht einfach sein wird. Im Schlusseffekt musst du dich an erster Stelle stellen und das leisten, was du leisten kannst, geniess diesen Lebensabschnitt nicht nur mit voller Aufopferung, sondern lebe auch noch etwas.

Ein Schritt nach dem anderen.
Gabum
Beiträge: 42
Registriert: 6. Okt 2015, 10:36

Re: Kraft für die richtige Entscheidung

Beitrag von Gabum »

Hallo zusammen,

erst einmal vielen Dank für die lieben und sehr verständnisvollen Antworten. Damit hatte ich
nicht wirklich gerechnet. Ich bin tief berührt, wie sehr ihr erfasst habt, was ich mir eigentlich wünsche.

Nämlich mal keine Entscheidungen treffen müssen, in den Arm genommen werden, mal gedrückt
werden. In meinem privaten Umfeld gibt es nur noch meine Mutter, die mir, Gott sei Dank, finan-
zielle Hilfe angeboten hat, damit ich in unserem gemieteten Haus bis Jahresende bleiben kann,
falls mein Mann wirklich vollstationär gehen muss.

Leider gibt es zwischen meiner Mutter und mir keine tiefe, emotionale Verbindung, bleibt alles
an der Oberfläche.

Ich hatte heute Mittag ein Gespräch mit der Psychotherapeutin in der PIA, in die ich seit 1 1/2
Jahren angebunden bin. War recht hilfreich, sie hat gemeint, ich hätte mich schon ent-
schieden, könne das aber noch nicht akzeptieren.

In einem wahren Telefonkrimi zwischen zwei Pflegeheimen und dem Krankenhaus, in dem mein
Mann liegt, habe ich vor 1 Stunde erst erfahren, dass ein Pflegeheim an unserem Wohnort ab
Freitag einen Platz für die Kurzzeitpflege und, wenn notwendig, danach für die vollstationäre
Pflege frei hat.

Den Erleichterungsschrei hättet ihr in ganz Deutschland hören müssen. Mein Mann wird jetzt
am Freitag aus dem Krankenhaus entlassen und zur Kurzzeitpflege gebracht. Das war genau
mein Wunsch, denn hier vor Ort kann ich ihn hoffentlich öfter besuchen und mir dann ein
eigenes Bild über seinen Zustand machen. Und dann hoffentlich besser entscheiden können,
was ich mir zutraue oder nicht.

Mein Mann selbst möchte am liebsten nach Hause, kann aber wohl seinen Zustand nicht mehr
genau einschätzen. Seine Tochter aus erster Ehe ist leider keine Unterstützung, mir bleiben
3 enge Freunde zum Reden, momentan halt nur telefonisch.

Ich kann jetzt hier vor Ort seine Hausärztin einschalten, wie mir ein User geraten hat.
Außerdem kann ich jetzt in Ruhe prüfen lassen, wie es im Haus mit einem Pflegebett geht
oder nicht.

Ein kleines Highlight am Horizont. Mit dieser Lösung habe ich vor ein paar Stunden noch
nicht gerechnet.

Wenn es nicht nervt, werde ich entweder in diesem Threat berichten, wie es mir geht oder
mich in einen laufenden einklinken, dann das erlebte Verständnis und die Vorschläge von
euch haben mir sehr gut getan. Danke dafür.

Gabum
Unwissend
Beiträge: 92
Registriert: 20. Apr 2020, 13:28

Re: Kraft für die richtige Entscheidung

Beitrag von Unwissend »

Liebe Gabum

Das sind sehr tolle Neuigkeiten. Ich finde, du schreibst und denkst sehr klar, das beeindruckt mich sehr. Kein jammern, kein Selbtmitleid, sondern einfach Fakten und Gegebenheiten, Schritt für Schritt.

Du machst das super und wie gesagt, ich bin sehr beeindruckt über deine klaren Gedanken, nicht jeder Mensch hat diese Eigenschaften. Ich denke, du siehst nach vorne und das ist gut so.

Es kommt sowieso wie es kommen muss und nimm jegeliche Hilfe auch an, die dir angeboten wird.

Alles wird gut.
Kirsten29
Beiträge: 461
Registriert: 18. Apr 2020, 21:11

Re: Kraft für die richtige Entscheidung

Beitrag von Kirsten29 »

Hallo Gabum,

ich freu mich wirklich für dich, dass sich eine gute Lösung für dich und deinen Mann aufgezeigt hat. Deine Erleichterung ist fast spürbar :).

Was mich zusätzlich sehr berührt, ist dein eher versteckter Wunsch nach Geborgenheit und Fallenlassen. Die Last abgeben, mal die Verantwortung ablegen, mal ganz tief und frei durchatmen, während dich jemand umarmt und stützt. Wenn ich das so schreibe, fällt mir eine Frage ein: Hattest du schon immer (zu) viel Verantwortung?

Liebe Grüße
Kirsten
Der Schatz liegt hinter dem Drachen.

"Es gibt nur ein Muss: Du musst wissen, dass du nichts musst." (aus: "Komm, ich erzähl dir eine Geschichte", J. Bucay)
Gabum
Beiträge: 42
Registriert: 6. Okt 2015, 10:36

Re: Kraft für die richtige Entscheidung

Beitrag von Gabum »

Hallo zusammen,

jetzt hatte ich gerade einen sehr langen Text über meinen seelischen Zustand geschrieben, eine falsche Taste, alles weg.

Könnte mich an die Wand klatschen und habe jetzt erst mal keine Lust mehr, alles noch mal zu formulieren.

Nur kurz: Stimmung im Keller, nur noch den Wunsch nach Schlafen, antriebslos.

Mein Mann ist seit gestern in der Kurzzeitpflege an unserem Wohnort, und ich kann am Freitag für eine
Stunde sehen. Und das dann 3x pro Woche.

Es wäre also jetzt etwas Zeit, mir selber etwas Gutes zu tun, aber das gelingt nur sehr schlecht. Keine
Lust, in der neuen Situation etwas alleine oder mit Bekannten ohne meinen Mann zu verbringen. Ich
schaffe es etwas, mir Gedanken über mein bisheriges Essverhalten zu machen und plane, mich etwas
gesünder zu ernähren. Aber richtiger Antrieb und Lust sieht anders aus.

Ich vermisse ihn schrecklich, komme mit dem Alleinsein kaum zurecht, und mein Hirn erinnert mich
bei fast allen Dingen an die gemeinsame Zeit.

Das war jetzt die Kurzform, auch etwas gejammert, aber es fällt mir wirklich sehr schwer, mich einmal
in den Mittelpunkt zu stellen und mir auch zu sagen, dass ich auch ein Recht habe, mich mal erholen
zu dürfen.

Gabum
Kirsten29
Beiträge: 461
Registriert: 18. Apr 2020, 21:11

Re: Kraft für die richtige Entscheidung

Beitrag von Kirsten29 »

Hallo Gabum,

irgendwie scheint es etwas paradox oder? Da sehnt man sich nach Ruhe und Erholung und kaum ist die Zeit für solche Sachen da, da wünscht man sich wieder den Trubel :).

Ich kann verstehen, dass dir dein Mann fehlt. Und auch die Fürsorge, das Kümmern, ja sogar das Besorgtsein. Als ob man erstmal in ein Loch fällt. Ich finde es da auch verständlich, dass dir dann einfach momentan der Antrieb fehlt.

Aber trotzdem stimmt es mich traurig, dass du dich selbst so wenig in den Fokus nimmst. Du schreibst es ja selbst am Ende deines letzten Beitrags. Wie fühlst du dich, wenn du an dich denkst?

Liebe Grüße
Kirsten
Der Schatz liegt hinter dem Drachen.

"Es gibt nur ein Muss: Du musst wissen, dass du nichts musst." (aus: "Komm, ich erzähl dir eine Geschichte", J. Bucay)
Unwissend
Beiträge: 92
Registriert: 20. Apr 2020, 13:28

Re: Kraft für die richtige Entscheidung

Beitrag von Unwissend »

@Gabum

Muss man denn immer Lust und Antrieb haben? Es ist etwas passiert in deinem Leben, stehe dir doch einfach diese Phase der Unlust zu, der Traurigkeit, der Ungewissenheit, nimm dir auch Zeit für diese Phase.
Gabum
Beiträge: 42
Registriert: 6. Okt 2015, 10:36

Re: Kraft für die richtige Entscheidung

Beitrag von Gabum »

Ich mal wieder...

Nun sind seit meinem letzten Eintrag gut 3 Wochen in's Land gezogen, und es hat sich einiges geklärt. Ich habe meinen Mann dann doch in eine Kurzzeitpflege gegeben. Gott sei Dank hat sich ein Pflegeheim an unserem Wohnort gefunden, das einen Platz frei hatte.

Seit vergangenem Dienstag ist mein Mann dort in die vollstationäre Pflege aufgenommen worden.
Ich besuche ihn jetzt 3x in der Woche für je 1 Stunde, jeweils mit Maske. Am vergangenen Sonntag konnten wir ihn mit dem Auto abholen und waren bei meiner Mutter zum Kaffee trinken. Hat gut geklappt und für ihn war es der erste Ausflug in eine normale Umgebung, die uns allen gut getan hat.

Diesen Wochenrhythmus wollen wir jetzt beibehalten, solange noch Corona herrscht.
Es hat sich etwas Struktur entwickelt, die mir Halt gibt.

Ich habe es in diesen 3 Wochen auch geschafft, die Entscheidung zu treffen, mich von unserer sehr alten und verbeulten, großen Limousine zu trennen und mir mit familiärem Rat ein
gebrauchtes, kleines "Stadtauto" zu kaufen, auf dessen Auslieferung ist jetzt warte.

Ich werde mich nach Jahren wieder an ein Schaltgetriebe gewöhnen müssen, worüber ich
mir jetzt schon Gedanken mache. Dieser Schritt fiel mir relativ leicht, weil er mit einer
jährlichen, erheblichen Kostenersparung verbunden ist.

Da mein Mann jetzt im Pflegeheim bleiben wird, geht seine gesamte Rente für die Heim-
kosten drauf. Das gemietete Haus, in dem wir zusammen 35 Jahre wohnen, wurde bisher
gleichberechtigt von uns beiden finanziert. Sein Anteil fällt jetzt also weg. D.h. ich muss
Kosten reduzieren, wo ich kann.

Ich habe letzte Woche mal so nebenbei wegen einer kleineren Wohnung für mich alleine
gesurft und prompt 2 Angebote an unserem Wohnort gefunden. Eine habe ich am Montag
besichtigt; sie kommt aber nicht in Frage, da im Dachgeschoß mit Schrägen, so dass unsere
Schränke nicht passen.

Heute Nachmittag habe ich mir dann die zweite Wohnung angesehen, ein Dreifamilienhaus,
die Wohnung ist im 1. Stock. Der Vermieter, ein etwas älterer "Kautz" wohnt im EG, im 2.
Stock eine alleinstehende Frau. Der Vermieter möchte nur an Singles vermieten, da er wohl
sehr korrekt ist, seine Ruhe liebt und keine kleinen Kinder im Haus haben möchte.

Jetzt kommt es: die Wohnung ist ein Traum, alles gerade Wände, ich könnte alle Möbel mit-
nehmen, die Miete ist günstiger als hier im Haus, ich würde in eine deutlich bessere Umgebung
ziehen als jetzt, aber doch in Fußnähe zu Geschäften und zu meinem Mann.

Die Wohnung ist sofort frei. Also keine großen Hindernisse, evtl. der ruhige Vermieter, dessen Rasen mit der Nagelschere getrimmt ist. Ein sauberes, ruhiges und deutsches Haus.
Der Vermieter war im persönlichen Gespräch ok., ich weiß natürlich nicht, wie es in der
Realität verlaufen würde.

Meine Frage: ich habe gerade die Sorge um meinen Mann etwas reduzieren können und bin
etwas innerlich zur Ruhe gekommen. Ich koche ab und zu mal wieder für mich und ziehe
auch mal wieder ein Shirt in einer anderen Farbe als dunkelblau oder schwarz an.

Wenn ich mich für die Wohnung entscheide, komme ich finanziell besser klar und ich ver-
bessere mich räumlich sehr. Aus einem 100 Jahre alten Haus in ein schön saniertes Umfeld,
was perfekt für unsere Möbel passen würde.

Kann ich mir nach all der Hektik der letzten Wochen auch noch vorstellen, einen Umzug zu
managen? Ich müsste sehr viel ausmisten, wegwerfen, mich trennen und nach 35 Jahren
auch räumlich den Schritt in ein neues Leben wagen! Ich darf gar nicht an die viele Arbeit denken, die auf mich zukäme, das würde ich evtl. noch schaffen. Aber emotional noch
mehr in Richtung "neues Leben" zu bewältigen, löst beim Gedanken nur Panik aus.

Eine sehr gute Freundin hat mir in dieser Woche klar auf den Kopf zugesagt, dass mir der
Abschied vom Haus auch in einem halben Jahr die Seele belasten würde, da dies ein großer
Schritt und Abschied vom alten Leben wäre.

Ich fühle mich innerlich zerrissen zwischen Verstand und Gefühl. Ich käme mit meinem Geld
besser klar, müsste keinen Gärtner und keine Bürgersteigreinigung und keinen Winterdienst mehr bezahlen und sogar die Kosten für die Garage fielen weg. Also eine erhebliche Erleichterung. Und dazu kommt, dass die Wohnung toll geschnitten ist und ich keine hohen Ausgaben für neue Anschaffungen hätte.

Was bleibt, ist die Frage: kann ich mir das zumuten?

Danke im Voraus für Eure Überlegungen. Gabum
LukaRo
Beiträge: 129
Registriert: 9. Jul 2020, 15:59

Re: Kraft für die richtige Entscheidung

Beitrag von LukaRo »

Gabum hat geschrieben:
Was bleibt, ist die Frage: kann ich mir das zumuten?

Danke im Voraus für Eure Überlegungen. Gabum
Liebe Gabum,

Du zählst nur positive Dinge auf. Alles scheint zu stimmen und zu passen. Ich glaub deine Frage ist emotionaler Natur, obwohl ja letztlich schon alles auf dem Weg ist. Der Umzug, die Aufgabe des alten Hauses - das sind sinnvolle und notwendige Schritte. Vor allem schwer umzusetzen, weil sie dann endgültig klar machen, dass ein neuer Lebensabschnitt beginnt und nichts mehr wird wie früher.

Das tut weh, aber im praktischen hat der Abschnitt ja schon begonnen, der Abschied auch. Dein altes Haus ist nur ein Symbol. Das Haus zu verlassen verdeutlich nur nochmal, dass Du Dich nach vorn orientieren musst. Das ist sicher schwer, aber selbst wenn Du bleiben würdest und könntest, die Veränderungen mit deinem Mann werden sich ja nicht mehr rückgängig machen lassen.

So oder so, dein Leben wird anderes. Ich denke nicht, dass es schwieriger wird in der neuen Wohnung, als im alten Haus.

Ich zieh mal einen vielleicht unpassenden Vergleich. Stell Dir vor, Du wärst Mitte 20, nach Jahren einer Beziehung plötzlich getrennt.Schmerzvoll. Auch da muss man loslassen. Alle Fotos vom Ex, Briefe, sms auszubewahren, vielleicht sogar weiter Kontakt zu haben, verhindert das Loslassen.

Du hattest Glück. Deine Ehe hat Bestand, Du hast gute Erinnerungen. Und immer noch die Gegenwart, Kontakt und Gemeinsamkeit mit deinem Mann. Er erkennt Dich offenbar noch. Trotzdem wird Dich dein altes Haus immer daran erinnern, dass dein Mann darin fehlt. Dann bist Du fortwährend im Verlustgefühl, in der Veragangenheit.

Nimms als positive Chance der Veränderung. Deine neue Wohnung nur für Dich so zu gestalten, dass Du Dich darin selbst wiederspiegelst. Etwas eigenes, was nur mit Dir zu tun hat. Nach langer Ehe allein zu leben kann schwierig sein. Auch in Rente zu schauen, wie man die Lücken füllt, wenn vorher Rund-um-die-Uhr-Sorge für den Ehemann das Leben gefüllt hat.

Veränderungen brauchen Zeit, auch sich wieder selbst zu finden. Das wird nicht über Nacht passieren. Der Umzug ist ein erster, notwendiger Schritt. Und sich neu einzurichten, ein anderes Umfeld zu haben ein guter, erster und positiver Impuls. Ich wünsch Dir viel Mut und Kraft, und such Dir ggf. Hilfe bei anderen, falls Du sie brauchst. Wenn die Wohnung steht, versuch neue Kontakte zu knüpfen, deine eigenen Interessen zu entdecken. Gibt reichlich Selbsthilfenetzwerke von ähnlich Betroffenen. Vernetz Dich.

Liebe Grüße,

Lukas
DieNeue
Beiträge: 5365
Registriert: 16. Mai 2016, 22:12

Re: Kraft für die richtige Entscheidung

Beitrag von DieNeue »

Hallo Gabum,

erstmal zu dem Auto: Mach dir da keine Sorgen wegen der anderen Schaltung. Ich bin auch Jahre lang Automatik gefahren und letztes Jahr musste ich wieder auf normal umsteigen. Mein Vater hat mir das Auto auf eine Landstraße gefahren und hat mir in Ruhe sämtliche Knöpfe und Besonderheiten erklärt usw. und dann haben wir nochmal das Schalten geübt, sind einfach in Ruhe über Landstraßen gefahren. Bisschen wie in der Fahrschule. Hat aber ganz gut geklappt mit der Umstellung. Und komme auch konzentrationsmäßig beim Autofahren mit der neuen Schaltung klar, das läuft jetzt automatisch. Ich glaube, da kommst du auch schnell wieder rein. Ist wie Fahrradfahren, das verlernt man nicht so schnell.

Wegen der Wohnung... Ich persönlich bin immer etwas skeptisch, wenn der Vermieter mit drin wohnt. Bei meiner Schwester lief es gut, meine Vermieter bisher würde ich lieber nicht im Haus haben. Und wenn der so penibel ist, kommt es halt auch drauf an, was er dann von seinen Mietern erwartet. Grad in depressiven Phasen kann man ja oft nicht so wie man will und dann muss man auch mal fünfe gerade sein lassen.

Das andere, was ich mir gedacht habe, ist, dass die Wohnung im 1.Stock liegt. Gibt es da einen Aufzug? Ich nehme mal an, dass du, wenn du mal älter bist, so lange wie möglich in deinen eigenen vier Wänden wohnen und nicht nochmal umziehen möchtest. Da würde ich darauf schauen, dass du auch im Alter gut in der Wohnung klarkommst. Also kein Treppensteigen, geräumiges Bad, sowas...

Damit will ich dir die Wohnung nicht madig machen, das ist nur das, was mir so ins Auge gesprungen ist.

Liebe Grüße,
DieNeue
LukaRo
Beiträge: 129
Registriert: 9. Jul 2020, 15:59

Re: Kraft für die richtige Entscheidung

Beitrag von LukaRo »

Ich will nicht per se intervenieren, nur das Stichwort "penibel" hab ich oben bei Gabums Schilderungen nirgendwo gefunden. Der neue Vermieter ist älter, mag Ruhe und keine Kinder, möglichst Singles. Passt doch ggf. also optimal. Meine Sicht auf die abstrakte Schilderung. Man sollte nicht zu sehr projizieren von sich auf andere @DieNeue. Letztlich muss Gabum selbst auf "ihr" Bauchgefühl hören, weniger auf unseres. Man sollte keine Ängste schüren, auch von deiner Seite nicht, es geht nicht um Dich oder mich, sondern Gabum, wo der Weg nach vorn erstmal positiv scheint und gefördert werden will und sollte. Und bei sich bleiben, jeder ist anders gestrickt, sollte individuell wahrgenommen werden. Unterstützt und befördert werden. Zumal die Sachlage klar ist, das alte Haus ist zu teuer. Was hilft da Angst machen vor Veränderung? Sorry.

Lukas.
DieNeue
Beiträge: 5365
Registriert: 16. Mai 2016, 22:12

Re: Kraft für die richtige Entscheidung

Beitrag von DieNeue »

Hallo Lukas,

das Wort "penibel" steht da auch nicht ;)
Dafür das hier: Sie schreibt, der Vermieter sei ein "Kauz" und "sehr korrekt" und
Gabum hat geschrieben: Also keine großen Hindernisse, evtl. der ruhige Vermieter, dessen Rasen mit der Nagelschere getrimmt ist.
Wer seinen Rasen mit der Nagelschere trimmt, IST penibel. Und laut Gabum könnte das durchaus ein Problem werden.

Natürlich ist es klar, dass es sinnvoll ist, sich eine andere Wohnung zu suchen, wenn das Haus zu teuer ist. Die Frage war ja, ob sie sich einen Umzug zumuten kann. Ich würde mir dazu die Frage stellen, ob die Wohnung, in die ich überlege zu ziehen, wirklich zu meinem zukünftigen Leben passt. Denn nur, wenn das der Fall ist, würde ich mir einen Umzug zumuten.
Wenn einem jetzt schon ein Umzug fast zu viel ist, wird man wohl kaum in fünf Jahren nochmal gerne umziehen. Von daher würde ich da keine halben Sachen machen.

Ich wollte mit meinem Beitrag keine Ängste schüren und ich finde, er drückt das auch nicht aus. Gabum hat uns nach unseren Überlegungen gefragt und nicht darum gebeten, dass man ihr nach dem Mund redet. Natürlich braucht es Ermutigung generell für einen Umzug, und du hast das auch gut geschrieben, aber man darf auch vor lauter "Die Wohnung scheint so perfekt zu sein" trotzdem realistische mögliche Einwände und Gedankenanstöße bringen.
Ob Gabum diese für wichtig hält und wie sie diese gewichtet, ist dann natürlich ihre Sache.

Liebe Grüße,
DieNeue
LukaRo
Beiträge: 129
Registriert: 9. Jul 2020, 15:59

Re: Kraft für die richtige Entscheidung

Beitrag von LukaRo »

Da hast Du auch wieder recht. Aber ohne Umzug wird es wohl nicht gehen. Am besten man hat noch 1-2 weitere Alternativen, soweit hab ich gestern nicht gedacht. Am besten ist immer, man hat eine Auswahl und entscheidet sich unter mehreren Alternativen.

LG, Lukas
Gabum
Beiträge: 42
Registriert: 6. Okt 2015, 10:36

Re: Kraft für die richtige Entscheidung

Beitrag von Gabum »

Danke für Euren Input.

Wieder einmal bin ich erstaunt, wie schnell ihr als Außenstehende und als "Leser" meine
Bedenken dieser Wohnung gegenüber erkannt habt. War alles eher im gefühlsmäßigen Bereich,
wobei mir der akkurate Rasen eigentlich schon genug hätte aussagen können.

Ich habe am vergangenen Samstag den Makler kontaktiert und um einen weiteren Termin für
das Ausmessen der Wohnung gebeten. Sollte heute stattfinden.

Und jetzt kommt es: ich habe keinerlei Nachricht erhalten, so als sei der Makler auf Tauchstation
gegangen. Gestern habe ich auch noch eine recht deutliche SMS an ihn geschickt, auch ohne
jede Reaktion. Ich habe natürlich vom Mieten dieser Wohnung abgesehen.

Wieder einmal lerne ich, wie wichtig die innere Stimme ist. Es gibt weitere Angebote in meiner Stadt, ich bin weiterhin auf der Suche und bin ja nicht allzu sehr unter Zeitdruck.

Gabum
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