Ich traue mich nicht zum Arzt

Antworten
Celine20
Beiträge: 2
Registriert: 28. Jun 2020, 20:33

Ich traue mich nicht zum Arzt

Beitrag von Celine20 »

Hallo erstmal.
Schon seit einiger Zeit geht es mir mental nicht mehr so gut und ich bekomme langsam und umso mehr ich mich mit dem Thema beschäftige, das Gefühl, dass ich depressiv bin.
Ich fühle mich immer öfter einfach nur leer und ich spüre eine Art Druck in mir, der mich runter zieht, sobald ich allein bin. Es ist nicht so schlimm, dass ich daran denken würde mich selbst zu verletzen, aber oft, wenn ich mal einen schönen Tag habe und eigentlich glücklich sein müsste, dann fühle ich gar nichts. Ich frage mich nur warum ich nicht total gut drauf bin, aber es ist als hätte ich verlernt, wie man glücklich ist.

Ich denke einen großen Teil davon trägt meine Ausbildung bei, die ich absolut nicht ausstehen kann. Ich habe 2018 mein Abi gemacht und bin zur Zeit 20. Eigentlich will ich Animation studieren. Ich zeichne seitdem ich denken kann und bin auch nicht schlecht, aber die einzige staatliche Uni, die diesen Studiengang anbietet ist eine richtige Elite-Uni. Die nehmen nur maximal 10 Studenten im Jahr an. Mir wurde von den Professoren zwar schon mehrfach gesagt ich kann es schaffen, wenn ich jeden Tag zeichne, aber ich habe schon seit Jahren nicht mehr die Motivation, regelmäßig zu zeichnen. Jedes Mal wenn ich anfange merke ich wie weit mein Weg noch ist und verzweifle, auch wenn ich ganz genau weiß, dass weiter zu machen meine einzige Chance ist auf diese Uni zu kommen. Mittlerweile empfinde ich nicht mal mehr Freude daran. Ich schätze die wird von der Angst überschattet, dass ich es nicht schaffe.

Jedenfalls wurde ich beim ersten Mal nicht angenommen und habe dann eine Ausbildung in der örtlichen Stadtbibliothek angenommen. Abgesehen davon, dass meine Chefin mich hasst, weil sie vorher die Ausbilderin meiner Cousine an einer anderen Bibliothek war und die beiden sich nicht ausstehen konnten, sitze ich tagtäglich vor den stumpfsinnigsten Aufgaben die sich auch nur irgendjemand hätte ausdenken können. Oft sitze ich einfach nur rum und langweile mich, weil es für mich nichts zu tun gibt. Wenn ich dann nach Hause komme habe ich das Gefühl ich hätte den ganzen Tag nichts geleistet (was ja im Endeffekt auch so ist). Der Hintergedanke bei dieser Ausbildung ist, Geld für ein Studium zu sammeln und meine Fähigkeiten in den drei Jahren zu verbessern. Zumindest sind das meine Gedanken.
Meinen Eltern wäre es am liebsten, wenn ich für immer da bleiben würde. Ich verdiene gutes Geld für unsere Region, habe einen sicheren Job und die Chance, dass ich weg ziehe ist relativ gering. Sie glauben beide nicht daran, dass ich an der Uni angenommen werde und das zieht mich permanent runter.

Ich wohne noch Zuhause, was ein weiteres riesiges Problem für mich ist. Mein Vater hatte eine schwere Kindheit und hat sich (in meinen Augen) zu einem Narzissten entwickelt. Wir hatten sein sehr gutes Verhältnis als ich noch ein Kind war, aber umso älter ich wurde umso mehr habe ich gemerkt was für ein bitterer, respektloser, hasserfüllter Mensch er ist. Ich komme nicht damit klar, dass er rassistisch und homophob ist. Er ist so voller Hass und Negativität, dass man sich nicht mal mehr normal mit ihm unterhalten kann. Es endet immer in irgendeiner Tirade oder einer Predigt. Er lässt nicht mit sich diskutieren und verhält sich die meiste Zeit entweder wie ein komplettes Arschloch oder wie ein kleines Kind.

Meine Mutter hat sich daran adaptiert indem sie mir von klein auf beigebracht hat, die Klappe zu halten und bloß niemals Kritik an einem Erwachsenen zu üben. Das gilt übrigens auch für sie. Keiner meiner Eltern sieht mich als einen ebenbürtigen Gesprächspartner. Ich habe versucht mit meiner Mutter über meine Gefühle zu sprechen, aber sie hat weniger Interesse daran wie es mir geht. Ihr geht es meistens nur darum, dass ich Leistung erbringe und mich anderen unterordne, immer schön höflich bin, nie Streit anfange etc.

Das ist einer der Hauptgründe dafür, dass ich mich nicht traue, zu einem Arzt zu gehen. Wenn ich ihr davon erzählen müsste, dann würde sie mich entweder gar nicht ernst nehmen oder, wenn ich noch mehr Pech habe, so ernst, dass sich mein Leben von da an um nichts anderes mehr drehen würde. Sie würde sich dann noch mehr über mich stellen und versuchen, mein Leben unter Kontrolle zu bekommen. Meinem Vater würde ich noch weniger davon erzählen wollen. Ich kann vor ihm weder Gefühle, noch irgendeine Art von Schwäche zeigen, weil er dann sofort damit anfängt so mit mir umzugehen als wäre ich sechs Jahre alt und geistig behindert. Ich habe kein vertrauensvolles Verhältnis zu ihm und er ist auch viel zu stolz als dass das jemals der Fall sein könnte.

Meine Mutter hat extrem Angst davor, dass ich irgendwann ausziehe und sie mit meinem Vater und ihrer kaputten Ehe alleine im Haus ist. Alle sagen mir, dass es Geldverschwendung wäre, mir jetzt eine eigene Wohnung zu suchen, was ich auch einsehe. Ich werde noch über zwei Jahre Zuhause sitzen und so lange optimistisch und motiviert zu bleiben ist fast unmöglich. Ich war letztes Jahr für zwei Monate nicht Zuhause weil ich ein Praktikum an besagter Uni gemacht habe. In dieser Zeit ist mir aufgefallen wie eine negative Umgebung einen runter ziehen kann. Ich hatte schon fast Angst davor, wieder nach Hause zurück zu müssen. Eigentlich weiß ich ja, dass ich einfach nur durch halten muss. Irgendwann wird alles wieder besser, aber momentan habe ich keine Motivation für irgendwas.

Mit etwa vierzehn hatte ich schon mal eine Phase, in der es mir sehr schlecht ging. Ich hatte toxische Freunde und war sehr wütend in dieser Zeit. Ich habe oft daran gedacht, mir was anzutun. Nie ernsthaft. Ich wollte nicht mich verletzen, sondern die Menschen die mir weh getan haben. Meine Eltern und meine Freunde. Ich wollte, dass es ihnen Leid tut.
Als ich dann den Freundeskreis gewechselt habe ging es mir eine Zeit lang besser. Aber inzwischen habe ich keinen Kontakt mehr zu den Freunden die ich in der Schulzeit regelmäßig gesehen habe. Nach dem Abi haben wir uns vielleicht noch ein, zwei mal getroffen und ich bin dankbar für die Zeit die wir hatten. Aber inzwischen haben diese Leute neue Freunde und ein neues Leben.

In meinem Ausbildungsbetrieb gibt es leider nur einen einzigen anderen Azubi und der ist sehr damit beschäftigt es allen recht zu machen. Ich hatte nie so wirklich eine beste Freundin die für mich da war. Meine beste Freundin lebt sehr weit weg und deswegen hatten wir nie ein so enges Verhältnis, dass ich ihr alles erzählt hätte. Wenn ich bei meinen Eltern jammere, dann geben sie mir das Gefühl ich muss das alles ab können. Ich erzähle ab und zu meinem Freund wenn es mir schlecht geht. Aber er erzählt leider selbst nie was von seinen Problemen, deswegen habe ich immer das Gefühl ich bin die einzige die ständig nur rum jammert.

Oh Gott, war das jetzt viel.

Also wenn irgendjemand Tipps für mich hat, ich wäre sehr dankbar. Ich weiß nicht wie ernst die ganze Situation ist, deswegen würde ich nur sehr ungern zu einem Arzt. Allerdings weiß ich auch nicht, ob das nicht vielleicht unvermeidlich ist.

Danke schon mal.
Peter1
Beiträge: 3399
Registriert: 15. Apr 2018, 12:06

Re: Ich traue mich nicht zum Arzt

Beitrag von Peter1 »

Hallo Celine
Eigentlich musst du nicht unbedingt zum Arzt. Du kannst auch zu einem psychologischen Psychotherapeuten gehen. Der kann dir genau so eine Diagnose stellen, und dich behandeln. Zum Arzt musst du erst, wenn der Therapeut eine medikamentöse Begleitung der Therapie empfiehlt. Eine Depression lässt sich leichter behandeln, je früher du zum Therapeuten gehst.

Alles Gute und Schöne Peter
Ich wollte nie erwachsen sein, hab immer mich zur Wehr gesetzt. Von außen wurd ich hart wie Stein, und doch hat man mich oft verletzt (Nessaja P. Maffay=
Lana2
Beiträge: 11
Registriert: 25. Jun 2020, 18:14

Re: Ich traue mich nicht zum Arzt

Beitrag von Lana2 »

Liebe Celine,

danke für deinen Beitrag, es ist schön, dass du hier bist! :hello:
Ich bin 22, also fast so alt wie du und kann vieles, was du gerade bzgl Eltern, Wohnverhältnissen, Unzufriedenheit bzgl derzeitiger Lebenssituation sehr gut nachempfinden. Zunächst möchte ich mit dir meine Erfahrungen bzgl Arztbesuch und Eltern teilen. Als bei mir die depressive Episode schon einige Zeit anhielt habe ich mich vehement dagegen gewehrt dies zu akzeptieren und mir immer gesagt "was quatsch mich trifft sowas doch nicht". Ich war glücklicherweise zu der Zeit schon länger bei einer Psychologin meiner Uni und die Gespräche mit ihr haben mir sehr zu mehr Akzeptanz meiner Problematik verholfen. Folglich konnte ich mehr und mehr auch akzeptieren, dass ich um ärztliche Hilfe nicht herum komme, wenn ich heil aus der Sache herauskommen möchte. Aber dieser Weg war ein längerer Prozess und noch immer hadere ich mit der ganzen Akzeptanzgeschichte.

Für mich war der Gedanke unmöglich meinen Eltern von all dem zu erzählen, weil ich mich unglaublich dafür geschämt habe und dachte sie könnten mich für schwach halten oder das Ganze als "nicht so schlimm" abstempeln und ich sie damit auch nicht belasten wollte.
Vor einigen Wochen, nach Monaten, konnte ich mich endlich nach vielen Psychologengesprächen dazu durchringen meinen Eltern und meinem Bruder von meiner Problematik zu erzählen, auch weil ich wusste, dass das ein essenzieller Baustein für eine Besserung ist. Das war erleichternd, weil ich nun nicht mehr ständig diese Maske von "alles ist supi" tragen muss. Allerdings war mir von vornherein klar, dass ich nicht allzuviel Verständnis und Empathie erwarten kann, nicht weil meinen Eltern nichts an mir und meinem Wohlbefinden liegt, sondern einfach, weil sie nicht so bewandert sind auf dem Gebiet psychischer Krankheiten und da viele Vorurteile haben. Damit solltest du, deiner Beschreibung nach, bei deinen Eltern wohl auch rechnen. Was mir sehr geholfen hat mich der Familie gegenüber zu öffnen, war das Wissen, dass da noch andere Menschen hinter mir stehen. Also zb hatte ich es zuvor einigen engeren Freunden erzählt, die Psychologin stand hinter mir und eine von einer Mailberatung. Das war dann sozusagen mein "Netz", was immer noch da gewesen wäre, auch wenn meine Eltern richtig blöd reagiert hätten. Indem ich Freunden erstmal von meinem Problem erzählt habe, konnte ich sozusagen auch "proben", wie ich Dinge am besten formuliere, wenn du weißt was ich meine.

Wenn du das Gefühl hast vor einer Wand zu stehen, selber keinen für dich allein gehbaren Weg siehst aus deiner Situation heraus, dann such dir Hilfe. Das muss nicht gleich ein Arzt sein. Von Hausärzten halte ich bzgl psychischen Krankheiten eh nicht so viel ... Aber es gibt Beratungsstellen an Unis, Diakonie etc. Google mal, die können dir eine erste Einschätzung geben und mit denen wählst du dann deine nächsten Schritte. Wenn du dringender einen Facharzt zu brauchen glaubst, dann gibt es in jeder Stadt psychiatrische Ambulanzen wo man nicht sooo lange auf Termine warten muss, wie zb bei niedergelassenen Psychiatern.
Ich hoffe ich konnte dir einigermaßen helfen.

Wenn du noch irgendwas hast, dann kannst du mir gerne schreiben. :)

Liebe Grüße :)
Salvatore
Beiträge: 3868
Registriert: 10. Feb 2010, 18:35
Kontaktdaten:

Re: Ich traue mich nicht zum Arzt

Beitrag von Salvatore »

Hallo Celine,

ich möchte Peter anschließen: du musst gar nicht zu einem Arzt. Es ist eine Möglichkeit, jedoch kein Muss.
eine Psychotherapie kann dir helfen, deine Gedanken und Gefühle zu sortieren und ggf. eine Zukunftsperspektive zu entwickeln. Deine Eltern müssen davon nichts erfahren; und abgesehen davon ist es die Aufgabe deiner Mutter, mit ihren eigenen Ängsten bzgl. deines Auszuges umzugehen und nicht deine Aufgabe, diese für sie zu erledigen. So ist nun mal der Lauf der Dinge: Kinder ziehen irgendwann aus.

Deine Krankenkasse kann dir genau erklären, wie du einen Psychotherapeuten findest (Google weiß das auch ;) ), ein erstes Gespräch sollte innerhalb weniger Wochen möglich sein. Ein niedrigschwelligeres Angebot hat der Sozialpsychiatrische Dienst deiner Stadt, dort kannst du meist relativ kurzfristig Beratungsgespräche vereinbaren.

Bei alledem gilt: wenn du es deinen Eltern nicht erzählen kannst oder willst, dann musst du ja nicht.
Alles Gute für dich,

Salvatore
Blog: http://www.oddyssee.de
Instagram: Oddysee@meine_oddyssee
Celine20
Beiträge: 2
Registriert: 28. Jun 2020, 20:33

Re: Ich traue mich nicht zum Arzt

Beitrag von Celine20 »

Hallo Unscheinbar,

leider hat das Arbeiten in der Bibliothek nicht so viel mit der Welt der Bücher zu tun wie man vielleicht denkt. Es sei denn man steht drauf, mindestens sechs Stunden am Tag Folien drum zu kleben oder an der Theke zu stehen und sich mit Erna rum zu schlagen, die schon wieder vergessen hat, die Bücher rechtzeitig abzugeben und jetzt die Mahngebühren nicht bezahlen will. Ich dachte auch erst, das würde mir Spaß machen, weil ich auch selbst viel schreibe und gerne lese. Aber es ist leider ziemlich eintönig.

Ich versuche das Geld, das ich während der Ausbildung verdiene, für das Studium zu sparen. Ich weiß, dass das ziemlich viel Zeit in Anspruch nehmen wird und mir dann wahrscheinlich nicht viel Zeit für einen Nebenjob bleibt. Außerdem würde meine ganze Familie, also meine Eltern, Großeltern und älteren Geschwister einen riesen Aufstand machen, wenn ich das Geld jetzt "verschwenden" würde, wo ich doch kostenlos Zuhause wohnen kann. Ich habe Angst, die finanzielle Unterstützung meiner Eltern zu verlieren, wenn ich ohne "Erlaubnis" ausziehe. Wie man merkt haben sie, vor allem meine Mutter, immer noch großen Einfluss auf mich. Ich kann schlecht einschätzen wie weit sie wirklich gehen würde, um ihren Willen zu bekommen und ich will nicht gleich die gesamte Familie hinter mir lassen, nur um zwei Jahre eher auszuziehen.

In meiner Nähe gibt es Beratungsstellen und einen Sozialpsychiatrischen Dienst, aber mir fällt es ziemlich schwer, mir das Ganze überhaupt so richtig bewusst zu machen. Ich habe eine Zeit lang sehr vehement versucht, mir einzureden ich habe bestimmt nur Nebenwirkungen von der Pille oder vertrage die Hormone eventuell nicht. Das wird zur Zeit auch schon abgeklärt, aber leider vergibt meine Frauenärztin ihre Termine nur sehr sporadisch und ich will nicht nicht ein halbes Jahr warten bevor ich wirklich anfange etwas zu unternehmen.
Es ist mir quasi erst vor Kurzem bewusst geworden, dass da möglicherweise noch ein paar andere Probleme mit rein spielen. Und ich kann mir nur sehr schwer vorstellen, durch die Vordertür zu marschieren und testen zu lassen, ob ich vielleicht Depressionen habe. Ich will nicht, dass die Leute in meinem Umfeld anfangen, komisch zu werden und mich zu behandeln wie ein rohes Ei, wenn ich ihnen davon erzähle. Ich habe jetzt schon genug Probleme damit, Ernst genommen zu werden.

Aber ich schätze da werde ich meinen Mut wohl mal zusammen nehmen müssen. Ich denke ich werde dieses Wochenende meiner Cousine davon erzählen. Sie hat selbst schon Erfahrungen mit Psychotherapeuten gemacht und ist da ein bisschen aufgeschlossener.
MaWe
Beiträge: 182
Registriert: 8. Feb 2020, 10:03

Re: Ich traue mich nicht zum Arzt

Beitrag von MaWe »

Hallo Celine,

ich finde es gut, dass du deine schwierigen Eltern so klar und ungeschminkt mit all ihren Schwächen siehst und dir die Situation nicht schön redest. Das ist viel wert.
Zum Thema Psychotherapeuten ist noch zu ergänzen, das die alle auch Sprechstunden anbieten. In so eine Sprechstunde kannst du ganz unverbindlich gehen (solltest dafür auch ziemlich schnell einen Termin kriegen) und dich beraten lassen, was eine mögliche Behandlung / Therapie betrifft und evtl. auch gemeinsam mit der/dem TherapeutIn überlegen, was du in deiner Situation möglicherweise tun könntest. Eine Überweisung von einem Arzt brauchst du für den Psychotherapeuten nicht.
Deine Eltern müssen von so einem Termin ja nichts erfahren.

MW
Antworten