Ein reines Generationsproblem?

SunnyMerle
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Ein reines Generationsproblem?

Beitrag von SunnyMerle »

Ich habe vor ein paar Tagen, im Forum gelesen:
"Ich habe den Fehler gemacht, meiner Mutter von diesem Forum zu erzählen"
Dann erinnere ich mich noch, das die weiteren Sätze darauf hinaus liefen, das man schließlich mit der Zeit die man "hier" verbringt, doch etwas sinnvolleres anfangen könnte... ich bin sogar fast sicher das es um Geld ging...

Leider finde ich nicht den Beitrag wieder und kann somit mich nicht persönlich an die fragliche Person wenden, aber falls du das hier ließt.

NEIN, du bist nicht allein!
Ja ich kenne das auch, am Telefon mit meiner Mutter zu sein und dann darüber nachdenken zu müssen... erzählst du ihr jetzt von dieser "kostspieligen" Reise? Sagst du ihr, das du eine Beule ins Auto gefahren hast? Erwähnst du, das du dir ein T-Shirt nur gekauft hast weil du den Druck darauf cool fandest?
Kurz gesagt, teilst du ihr mit, das du deine Zeit oder dein Geld etwas ineffektiven wittmest?

Aber ich habe eine Frage, die du gerne an deine Mutter weiterleiten kannst.
Sie hat wirklich Freizeitaktivitäten, mit denen sie Geld verdient?

Ich weiß, es ist zu lapida zu sagen.
Dies sei eine Freizeitaktivität oder sogar ein Hobby, immerhin ließt man... man beschäftigt sich mit dem gelesenen und dann gibt es Situationen, in dem man antwortet... aus welchen Gründen auch immer.

Das ist ARBEIT, das sind BEITRÄGE, die man WERTSCHÄTZEN kann, nein muss!
Besser gesagt, die hier jeder einzelne wertschätzt!
Meine Meinung... zurück zum eigentlichen.

Denn immerhin ist es nicht das erste Mal, das ich von dieser mir so bekannten Reaktion eines Elternteils lese, geht es mir doch genauso.

So stellt sich mir die Frage... ist das ein reines Generationsproblem?

Alle die um 1955 (Geburtsjahr meiner Mutter) geboren sind, haben die selben Überzeugungen eingeimpft bekommen und geben die auf sehr ungesunde Art und Weise an ihre Kinder weiter?

Nachkriegsopfer? Sparsam sein das oberste Gebot? Verantwortlich für Haushalt und (wenn vorhanden) jüngere Geschwister? Abwesende Vaterfigur (aus welchen Gründen auch immer)? Kriegs- und Krisengeschüttelte Eltern/Mütter/Väter?

Auf LEISTUNG (egal in welcher Form, schulisch, beruflich oder im Haushalt) und/oder ERFOLG getrimmt... und wehe du erreichst es nicht... wehe...

Ich schreibe nicht weiter... nicht weil ich nicht jemanden aus versehen triggern möchte, sondern viel mehr, weil es in meinem Fall wirklich UNAUSGESPROCHENE Drohungen waren. Das heißt ich konnte mir in meinem kleinen Kinderkopf, selbst zusammenreimen, was das bedeutete und ich empfand es als Liebesentzug.

So ist es nicht weiter verwunderlich, das "wir" von "ihnen" zu hören bekommen.
Wir sollten uns nicht so anstellen... vielleicht sogar mit diesem hübschen FRÜHER Beispiel?
Bring Leistung oder du bist wertlos - logisch wo das herkam, wenn man nur Not kannte...

Für mich sieht es wirklich so aus, als wenn die NOTWENDIGKEIT das man sich eben nicht anstellen durfte, das man etwas leisten musste um etwas zu bekommen, zur NORMALITÄT und somit zum guten Ton einer ganzen Generation gehörten.

Ich bin jetzt schon gespannt, auf eure Geschichten... Reaktionen.

Gruß Merle
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Sunshine5678
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Re: Ein reines Generationsproblem?

Beitrag von Sunshine5678 »

Ach ich weiß nicht ob es mit der Generation zu tun hat.
Bei meinen Eltern habe ich von meinen Käufen die Hälfte vom Preis abgezogen wenn ich darüber erzählt habe. Und es war immer die gleiche Antwort: "mein Gott das ist ja wahnsinnig teuer,musste das sein."
Bei meinen Geschwistern war alles immer toll und der Preis war egal. , dabei verdiene ich am meisten.
Leistung war bei mir nie genug, über Beförderung wurde nie eine Anerkennung gegeben. Aber wieder, über die Leistungen meiner Geschwister wurde im Freundeskreis meiner Eltern geprahlt.
:hello:
Kirsten29
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Re: Ein reines Generationsproblem?

Beitrag von Kirsten29 »

Hallo SunnyMerle,

das war mein Satz ;). Und ich freue mich erstmal, dass du meinen Beitrag gelesen hast :).

Ich kann dich gut verstehen. Etwas aus purer Freude zu tun, war für mich bis vor einiger Zeit "verantwortungslos". Das ist kein Witz. Spaß hat man, wenn überhaupt, am Wochenende, im Urlaub. Heute weiß ich, dass mein Verantwortungsbewusstsein und Pflichtgefühl von klein auf einfach nur extrem war. Wie du sagst, so wurde ich auch erzogen.

Allerdings gebe ich meinen Eltern keine Schuld. Besonders meine Mutter kannte es auch nicht anders. Als sie klein war, war es ja aber noch extremer. Sie wurde 1965 geboren (DDR) und meine Oma erzählte mal, dass vom Tratsch der Nachbarn die Wohnung abhängig war...

Trotzdem tut es mir weh, wenn ich bei meiner eigenen Mutter überlegen muss, ob ich ihr etwas aus meinem Leben erzähle oder nicht. Und wenn die Reaktion dann auch noch genau so ausfällt, wie ich es befürchtet habe. Wenn dann diese kurze Pause am Handy eintritt.... Und ich genau weiß, wie sie gerade das Gesicht leicht verzieht... Und dann kommt der erwartete Satz á la: "Es sollte aber auch Geld bringen." Jawohl, Kirsten, gut gemacht ( :roll: ).

Komischerweise bin ich bei meinen Geschwistern wesentlich nachsichtiger (ich bin die älteste). Wenn sie mir erzählen, dass sie einen Netflix- oder Playstation-Tag hatten, freue ich mich für sie. Wirklich. Doch wenn ich irgendeine Folge einer Serie gucke, meldet sich ganz schnell das schlechte Gewissen. Ich fühle mich schuldig und es kommen die typischen Gedanken wie "Machst du jetzt mal Vernünftiges?" und "Was soll denn aus dir werden?". Immerhin bin ich diesen Gedanken heute nicht mehr ausgeliefert. Das klingt vielleicht jetzt seltsam, aber ich bin im Moment dabei, ganz bewusst das Spaßhaben im Alltag zu üben. Damit hoffentlich irgendwann diese Schuldgefühle komplett verschwinden.

Ich höre erstmal auf an der Stelle. Ich merke gerade, dass ich eine ewiglange Tapete schreiben könnte, das will ich euch aber gerade nicht zumuten :). Danke, SunnyMerle, für den Thread!

Liebe Grüße
Kirsten
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Monchen12345
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Re: Ein reines Generationsproblem?

Beitrag von Monchen12345 »

Hallo Merle,

Meine Mutter ist nur ein Jahr jünger als deine.
Im Bezug auf meine Ausgaben kenne ich das auch. Wobei Manches in den Augen meiner Mutter total okay ist, anderes nicht. Ein festes Schema kann ich da nicht erkennen und es ist/war stellenweise auch unlogisch.
Vor ein paar Jahren hab ich an einem Abnehmkurs von der Krankenkasse teilgenommen. Die 50€-Gebühr haben nicht gestört, aber dass man da ein paar Unterlagen per Post hin schicken musste, war dann das was nicht ging. 4x60 cent Porto waren der Grund das Ganze abzulehnen.
Früher war es okay, wenn ich Getränke von zu Hause mitgenommen habe. Aber wirklich Theater gab es, wenn ich eine Pfandflaschen vergessen hatte.
Ratschläge was ist mit meinem Geld besser machen könnte, haben in letzter Zeit deutlich abgenommen, genau genommen seit dem Umzug. Sie bekommt nicht mehr soviel direkt mit.
Denke sie hat inzwischen auch verstanden dass das meine Sache ist.
Bei meinem Bruder hat sie irgendwie Scheuklappen auf. Der Junge braucht das eben, alles was er macht ist goldrichtig.
In Sachen LARP hat sie keine Vorstellung wie teuer das so werden kann, bei mach anderen Dingen auch nicht. Aber Geld für Urlaub ausgeben ist bei ihr grundsätzlich okay.
Crazybunch
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Re: Ein reines Generationsproblem?

Beitrag von Crazybunch »

Diese ständigen Auseinandersetzungen mit meiner Mutter kosten mich so viel Kraft. Ich habe gestern einen Stand-Up-Paddling-Kurs gemacht. Es war so schön: endlich mal wieder Sport, Wasser, Wind, es hat einfach Spaß gemacht und es hat mir gut getan. Es ging zur Abwechslung mal um mich.
Schon als ich an den Strand fuhr, merkte ich, das sie damit nicht einverstanden war. Als ich wieder zurück kam, kam keine Frage, wie es denn war. Es kam nur wieder die Stichelei, dass ich dann ja "reinhauen" könnte. Sie muss mich nämlich auch wegen meines Gewichtes und dem, was ich Esse, ständig kritisieren.
Heute versuchte ich dann noch mal, davon zu erzählen. Es kam nur, dass ich für den Muskelkater selbst Schuld sei. Außerdem hätte ich lieber im Garten und im Haus arbeiten sollen. Da wurde mir schlagartig klar, dass alles, was auch nur im Ansatz Spaß machen könnte, verboten ist. Ob es meine Hunde sind, ob es nun das Stand-Up-Paddling ist, das ist Vergnügen und das ist verboten.
Ich weiss, woher das kommt, aber ich habe diese ständige Auseinandersetzung satt. Es verletzt mich so sehr und sie merkt noch nicht mal, wie sehr mich das verletzt.
DieNeue
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Re: Ein reines Generationsproblem?

Beitrag von DieNeue »

@ Crazybunch: Das hört sich ja echt ätzend an. Hast du das bei ihr schon mal angesprochen?
Kirsten29
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Re: Ein reines Generationsproblem?

Beitrag von Kirsten29 »

Hallo Crazybunch,

was du beschreibst, kenne ich von früher. Meine Mutter ist da heute nicht mehr so extrem eingestellt. Aber wenn wir früher irgendwas vorhatten, was auch nur im Ansatz nach Spaß und Freude klang und wir sie um Erlaubnis baten, war die pauschale Antwort "Nein." Immer. Dann rang sie sich ein "Na guuut, aber hast du schon xyz gemacht?" ab. Damit war die Freude dann dahin. Zuerst mussten die Pflichten erfüllt werden. Das verfolgt mich bis heute, wird aber langsamer besser.

Ich kann verstehen, dass dir ihre Worte weh tun. Trotzdem finde ich es toll, dass du dir was Gutes tust und das genießen kannst!

Liebe Grüße
Kirsten
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Kirsten29
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Re: Ein reines Generationsproblem?

Beitrag von Kirsten29 »

Was mir erst in der Therapie bewusst wurde, war, wie tief sich meine Schuldgefühle eingebrannt hatten. "Wie kann ich es wagen, Mama zu fragen, ob ich noch eine Stunde raus kann/ins Kino gehen darf/länger aufbleiben darf?" etc. Dieses "Wie kann ich nur?" war mir über die Jahre in Fleisch und Blut übergegangen. Und tief in mir drin war ich immer so derart neidisch auf alle anderen, die mehr Freiheiten hatten. Was ich aber nach außen hin niemals zugegeben hätte. Neid war ja wiederum nicht "vorbildlich", passte nicht ins Bild von der "großen, verantwortungsbewussten, aufmerksamen Kirsten". Und über diese Rolle definierte ich mich so lange...
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Crazybunch
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Re: Ein reines Generationsproblem?

Beitrag von Crazybunch »

Ich weiß, warum meine Mutter so ist, wie sie ist. Sie gehört zu der so genannten "Kriegskindergeneration" und musste mit ihren Eltern und Großeltern im Alter von nur drei Jahren von Westpreußen nach Schleswig-Holstein fliehen. Ihr Vater war Gutsverwalter und verlor durch den Krieg alles: sein Ansehen und sein Reichtum. So wuchs meine Mutter als Älteste von sieben Geschwistern in bettelarmen Verhältnissen auf. Es gab häufig nicht genug zu Essen für alle. Und wenn meine Großmutter vor Weihnachten ein Stück Schokolade für jedes ihrer Kinder kaufte, wurde sie von ihrem Mann verprügelt, weil sie Geld veschwendet hatte.
Es muss viel gewaltätige Auseinandersetzungen zwischen meinen Großeltern gegeben haben, die meine Mutter mitansehen musste. Sie hat eigentlich nie darüber gesprochen und ich weiß nicht, ob ich durch die Therapie einfach genauer zuhöre oder nachfrage, jedenfalls fängt sie langsam an, davon zu erzählen, wie es bei ihr zu Hause war. Da gab kein Vergnügen, sondern nur Arbeit und insbesondere meine Mutter hatte als Älteste viel Verantwortung zu tragen. Ich schätze mal, das, was sie mir heute Morgen um die Ohren geschmissen hat, war genau das, was sie von ihrem Vater gehört hatte. Arbeit und Vergnügen ist total überfüssig.
Darum kann ich meiner Mutter nicht richtig böse sein. Ich bin nur so verdammt wütend darüber, dass die Schwierigkeiten meiner Großeltern mich treffen. Ich bin nicht Schuld an dem Krieg, nicht Schuld an der Flucht, an der Tatsache, dass meine Großeltern sich entschieden haben, einen Bauernhof zu kaufen, obwohl weder meine Großmutter noch mein Großvater Bauern waren. Ich kann nichts dafür und muss mich doch immer wieder damit auseinandersetzen. Mit dem, was als "Traume" von einer Generation zur nächsten weitergegeben wird. Das macht mich so wütend!
So langsam fange ich aber an, mich dagegen zu wehren. Es nicht mehr stumm hinzunehmen und erst letztens hatten meine Mutter und ich ein richtig gutes Gespräch, aber sie wird sich nicht mehr ändern. Dafür wird es zu spät sein, denn es kommen jetzt noch andere Faktoren des Alters dazu, die eine Aufarbeitung schwierig machen.
Ich werde lernen müssen, damit umzugehen. In diesen Situationen erkennen, dass eigentlich ihr Vater es ist, der aus ihr dann spricht. Und mir immer wieder ins Gewissen rufen, dass ich nicht Schuld bin!!! Das ist meine große Herausforderung.
Das Ganze kostet mich noch enworm viel Kraft, macht mich so unglaublich traurig und hat Einfluss auf meine zwischenmenschlichen Beziehungen. So häufig wünsche ich mir, dass ich unter "normalen" Umständen aufgewachsen wäre, dass dieser blöde Krieg nicht gewesen wäre, denn er hat nicht nur Städte und Menschen körperlich kaputt gemacht, sondern tiefe psychische Wunden hinterlassen.
Ich weiss zwischenzeitlich, das ich nicht alleine bin, sondern zu den so genannten "Kriegsenkeln" gehöre; zu den Kindern, die in der Zeit zwischen 1965 und 1972 als Kinder von den so genannten "Kriegskindern" auf die Welt kamen. Studien zeigen, dass die Kriegsenkel an Schuldgefühlen, Angststörungen insbesondere an Verlustängsten leiden und ein Helfersydrom entwickeln. Sie bleiben häufig unverheiratet und kinderlos. Bis vor kurzem wusste ich noch nicht mal, dass es sowas gibt,denn erst seit 2008 setzen sich Studien damit auseinander.
Und wenn ich dann sehe, wie wir Kriege weiterhin billigen und sogar durch die Waffenindustrie unterstützen, wir Flüchtlinge dieser Kriege an der europäischen Grenze mit Tränengas und Wasserwerfer zurückdrängen, sie in Lager sperren, ihnen die Handys wegnehmen, damit sie ihre Angehörigen nicht informieren können, wo sie sind, sie keine anwaltliche Vertretung erhalten, oder Schutz vor dem Corona-Virus, dann kann ich das einfach nicht begreifen. Vielleicht ist das auch der Grund, warum mich die Ereignisse in Griechenland in diesem Frühjahr so bewegen, mich so sehr frustieren. Vielleicht weil ich weiss, wie viele Kinder, deren Kinder oder Enkel mit den Folgen zu kämpfen haben werden und das wünsche ich niemanden!
Bitte entschuldigt, wenn ich vom Thema abgekommen bin!
Crazybunch
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Re: Ein reines Generationsproblem?

Beitrag von Crazybunch »

Ich sollte vielleicht noch etwas ergänzen, was bei meiner Emotioanlität untergegangen ist. Nicht jeder "Kriegsenkel" wird die Symptome haben, oder das Traume von den Eltern übernehmen. Es kommt immer darauf an, wie gut die Resilienz des Kindes ist und dabei kommt es unter anderem darauf an, dass Kinder von irgendjemanden bedingungslos geliebt werden. Diese Person gab es leider in meinem Leben nicht und das ist der maßgebliche Unterschied, der mir mein Leben so schwer macht!
Kirsten29
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Re: Ein reines Generationsproblem?

Beitrag von Kirsten29 »

Ich finde, du triffst genau den Punkt. Und finde es toll von dir, dass du die Geschichten deiner Eltern und Großeltern sehen und schätzen kannst. Ich finde, nur so kommt man der Vergebung einen großen Schritt näher.

Während meiner Therapie und all den Dingen, die ich ausprobiert habe, habe ich immer wieder Menschen getroffen, die sich teilweise einfach weigerten, die Geschichten ihrer Vorfahren erfahren zu wollen (unabhängig vom Alter). Dann wunderten sie sich aber, warum sie auf der Stelle treten und einfach nicht weiterkommen. Kriege, Vertreibungen, Vaterverlust, Armut, Gewalt, Lieblosigkeit, Missbrauch, Sucht... Das zieht sich durch so viele Familien. Um ehrlich zu sein, ist es mir ein Rätsel, wie man davor die Augen verschließen kann.

Ich wünsche dir von Herzen, dass du dich für die Vergebung öffnen kannst. Wut ist aus meiner Sicht der erste wichtige Schritt, um diese schweren Schuldgefühle ablegen zu können (oder sie sich zumindest bewusst zu machen) bzw. zu sagen "Ich hab da echt keinen Bock mehr drauf!". Ich mache leider oft die Erfahrung, dass viele dann aber in dieser Wut stecken bleiben und so auch keinen Frieden finden.

Natürlich "muss" man nicht vergeben. Das steht ja jeder/-m frei, ob sie/er das möchte. Aber Feindbilder legt man so eben leider auch nicht ab.

Ich finde ein Zitat von Ghandi an der Stelle sehr passend, vielleicht kennst du es: "Sei du selbst die Veränderung, die du in der Welt sehen willst."
Der Schatz liegt hinter dem Drachen.

"Es gibt nur ein Muss: Du musst wissen, dass du nichts musst." (aus: "Komm, ich erzähl dir eine Geschichte", J. Bucay)
Aurelia Belinda
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Re: Ein reines Generationsproblem?

Beitrag von Aurelia Belinda »

Hallo allesamt!

Ich füge mich hier auch mal solidarisch mit ein...
Meine Mutter ist nämlich auch so ein “Prachtstück“, hab da ähnliches erlebt wie ihr, und erlebe es noch.
Im Gegensatz zu früher gehe ich nur anders damit um.

LG Aurelia
Alle eure Dinge lasset in Liebe geschehen
SunnyMerle
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Re: Ein reines Generationsproblem?

Beitrag von SunnyMerle »

@ Kirsten:
Es freut mich wahnwitzig, das du meinen Beitrag gefunden hast.
Es war einfach so, das dieser Satz mich so extrem traf und ich dir schon da sagen/schreiben wollte, das es offensichtlich vielen so geht.

Genau, deine Mutter passt genau in den „Zeitrahmen“, den ich mir vorgestellt habe.

Andererseits denke ich auch an die Mitglieder die über 60 sind, durchaus ähnliche Geschichten erzählen.

Ich kann mir das nur folgendermaßen zusammen reimen. Entweder vielen in der fraglichen Zeit bei Gleichalterigen auf oder sie haben sich in der fraglichen Zeit „zusammen gerissen“ bis dann ihre Seele ein lautes NEIN entgegen brüllte.

Man könnte auch sagen sie seien sensibler als andere Menschen… was wieder die Aufforderung „Reis dich zusammen“ ausgelöst hatte. Ein furchtbarer Teufelskreis…

Während ihre Altersgenossen, weiterhin sich ihren Gefühlen versperrten, unnahbar für Familie und Freunde. Alles was Spaß macht/machte verurteilen, nicht die Fülle die ihnen das Leben jetzt liefern KÖNNTE ohne das sie sich großartig „zusammen reißen“ oder sogar „anstrengen müssten“. Leiden diejenigen, die ihrer Seele zuhören darunter das sie, von den anderen verurteilt werden.

Mobbing nennt man das heute….

Faszinierend finde ich auch noch etwas anderes was mir aufgefallen ist. Das dieses Problem tatsächlich Länderübergreifend ist.

Damit ist nicht gemeint das ich die ehemalige DDR für ein anderes Land halte, jetzt nicht mehr, vor 30 Jahren aber. Es muss wohl etwas damit zu tun haben, das der Besuch von Familienmitgliedern die dort wohnten, extrem lange Fahrzeit beanspruchte und um 1990 noch ein Teil der Grenzkontrollen zumindest zu sehen waren. Ich verglich es jedenfalls mit der Überquerung der holländischen Grenze . Außerdem sah es dort ziemlich anders aus, die Gebäude, die Straßen und allen voran die Autos. So war es nicht weiter verwunderlich das ich es liebevoll „Trabbiland“ nannte.

Interessant ist allerdings, das die „anderen“ Umstände in der ehemaligen DDR trotzdem ein „ähnliches“ verhalten an den Tag zauberte.

Gekoppelt mit dem Gefühl, andauernd überwacht zu werden… Gerüchte die dann die Runde machten, man entsprach nicht der Norm… geht wieder in die Richtung „Wehe...“

War dir als Kind/Jugendliche diese Umstände klar? Das macht mich jetzt doch neugierig.

Nicht das es mir da besser ging… meine Oma oder meine Mutter haben mich schließlich auf Schritt und Tritt überwacht und ich musste mich regelmäßig an- bzw. abmelden. Hatte mit 14 Jahren ein schlechtes Gewissen wenn ich mit einer Freundin, Zug fuhr nach… keine Ahnung… Münster vielleicht?

Ne, ich meine meine Chefin, die ich auch in diesem 1945 – 1965 Zeitraum fällt und gebürtig aus Russland kommt.

Die kann das nämlich auch ganz gut, in solchen Richtungen reden. Wen es interessiert kann in meinem Thread „Wie gefühle einen Standpunkt beeinflussen können. nachlesen.

“Hast du denn schon XYZ gemacht?
Mir ist der Satz mehr in der „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“ Form bekannt.
Das einen das noch immer verfolgt, ist mir auch durchaus nicht unbekannt.

Manchmal allerdings nachvollziehbar, aber es ist auch schon passiert das die Küche aussah wie ein Schlachtfeld und ich habe ERST mit meiner Tochter gespielt und dann abends als sie schlief aufgeräumt habe.

@ sunshine:
Dein Beitrag erinnert mich an Dinge, die ich von meiner Patentante hörte. Ich vermute auch meine Mutter, hat teilweise gelogen wegen Geld. Doch zugeben hat es mir gegenüber, eben nur meine Patentante.

Sie war allerdings auch mein Vorbild, wenn man so möchte. Denn sie hat sich eben nicht alles gefallen lassen.

@ Monchen:
Auch dein Bericht erscheint mir nicht wirklich unbekannt.
Vielleicht kommt es auch nur davon, das man sich eben wirklich nichts dabei denkt von „Zeitvertreib“ mit seiner Mutter sprechen zu wollen… und dann ziemlich „unerwartet“, als erwachsener Mensch, für sich selbst verantwortlich, trotzdem noch einen dafür drauf bekommt.

Ich möchte noch einmal wegen deinem abgebrochenen Kurs nachfragen.

Die 50 Euro Beitrag gingen dir leicht ab, aber das Porto war dir zu viel… oder kam diese Intension von Außen… wobei man auch fragen könnte, ob dir der Gedanke „Was soll meine Mutter, bloß denken?“ gekommen waren.

Ist vermutlich auch besser so, das sie nicht weiß wie teuer ein Live Rollenspiel Wochenende sein kann… ich werde es ihr mit Sicherheit nicht verraten… aber ich habe meiner Mutter von den Conventions erzählt auf denen ich war.

Als Helfer war „nur“ die Unterkunft und das leibliche Wohl ein Kostenpunkt. Die Autogramme waren GRATIS. Ich hab meine Mum fast aus den Schuhen gehauen, als ich ihr erzählte das ich einen Wert von 200 - 250 Euro in Autogrammen nach Hause brachte, das hätte ich nämlich ausgegeben wenn ich bezahlen hätte müssen.

@Crasybrunch
WIE COOL!
Wo geht ihr den hin zum… ähm… paddeln? Wie sagt man dazu? Ich habe riesigen Respekt vor diesem Sport, weil ich vermutlich andauernd vom Brett fallen würde.
Klar bekommt man da Muskelkater, vermutlich in den Beinen, weil man andauernd damit beschäftigt ist, es auszugleichen?
… woher das kommt...
Das frage ich mich allerdings auch immer wieder, ich bin allerdings schon so weit das ich meine Mutter darauf ansprechen kann.

Die Antwort ist… ich bin nun einmal so… ich kann das nicht ändern…

Auf der anderen Seite, wird von dir vermutlich das gleiche verlangt wie bei mir, wenn diese Themen oder Auseinandersetzungen (sehr viel passender) aufkommen, solltest du ruhig bleiben? Je mehr Gegenargumente, das es dir Spaß macht, förderlich für deine Gesundheit und/oder deinem Wohlbefinden allgemein sind, wird als Angriff gewertet und du brichst einen Streit der sich gewaschen hat vom Zaun?

Kenne ich…

Auch bekannt ist mir, das ein gewisses Geschlechtsmerkmal einem quasi einen Freifahrtschein gibt...
Aber das ist eben die Generation "Stammhalter", wenn es nach den Männern gegangen wäre, wäre die Menschheit schon vor ca. 150 Jahren ausgestorben.
Die Japaner machen es ja gerade großartig vor.
Nur ein Kind Politik und die meisten wollen einen Jungen... so weit ich weiß, müssen sie sich die Mädels fast schon von den Dörfern "kaufen". Davon, das die Japaner auch noch beziehungsunfähig sind, weil sie ein Idealbild von einem Mitmenschen haben, fange ich erst gar nicht an. Nur kurz, sie führen wirklich Beziehungen mit "digitalen" und rein programmierten Figuren.

Faszinierend und erschreckend zugleich das es bei meiner Mutter wirklich genau so ist… sie versteht nicht, das gewisse Themen (oder die Wiederholungen von gewissen Themen), verletzend sind.

Egal ob es nun auf den gewählten Lebensstile:
- ich liebe es mit meinen Hunden raus zu gehen
- ich mache Stand-up Paddeling

oder auf die Wohnung gemünzt ist… und das immer und immer wieder…
- ihr könntet das Wohnzimmer besser dort hin stellen, wo jetzt euer Computer Zimmer ist… das was jetzt Wohnzimmer ist, könnte dann Spielzimmer und Computerraum sein… bla bla bla und die Schränke da und dort hin
- also ich würde die Kleider im Kleiderschrank so hinhängen das…
(okay, da hab ich jetzt einen Riegel vor geschoben…)
- das Bett ist viel zu Kalt, wo ist die Übergangsjacke von der Kleinen, wieso machst du das nicht so und so?

Bäähhh… zum k#*!….

Was ich hier als schon fast einheitlichen Kontext lese ist, das die meistens… Mütter… ziemlich gut darin war fraglicher Person ein schlechtes Gewissen zu machen. Schuldgefühle ihres Gegenübers aus zu nutzen… oder wer weiß, vielleicht haben sie es als Verantwortungsbewusstsein missverstanden, das man auch noch so „blöd“ war nach zu fragen… statt es heimlich zu machen… was vermutlich die anderen Kids im gleichen Alter gemacht haben.

Irgendwie sehe ich in dieser Diskussion tatsächlich den Bogen zu den aktuell statt findenden Demonstrationen.

Frei nach dem Motto:
„Ich musste mir schon als Kind/Jugendlicher von meinen Eltern vorschreiben lassen, was ich zu tun und zu lassen hab… jetzt wo ich erwachsen bin, muss ich mir das nicht wieder vorschreiben lassen! Das muss aufhören! Jetzt!“

Ich freue mich jetzt schon auf weiteren Austausch.

Gruß SunnyMerle
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Schlumpffine
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Re: Ein reines Generationsproblem?

Beitrag von Schlumpffine »

Hallo,
ich finde die hier getätigten Aussagen interessant, da sie den Generationskonflikt sicherlich gut wiederspiegeln.
Ich,Baujahr 64, kenne noch die Zeiten, wo sich die Toilette einen halben Stock tiefer und sich im Keller das Gemeinschaftsbad befand.
Ein für heutige Zeiten und Generationen schwer ein vorstellbarer Zustand.
In einer größeren Wohnung bei uns im Haus, befand sich bis Ende der
60er, noch jemand der eine Wohnungszwangseinweisung hatte.
Für alle Wünsche, die ich hatte, musste ich in irgendeiner Form bezahlen, sei es durch Vericht,Sparen oder durch erarbeiten.
Gerade in der Coronakrise,vermisse ich, da wo alle Fitnesstudios und Schwimmbäder geschlossen sind, die Improvisationen/Kreativität aus meiner Kindheit. Fitness kann man auch per Fahrrad, schwimmen in Gewässern oder durch selbstgebaute Fittnesgeräte erlangen, nicht nur im Studio.
Sicherlich fällt die nachvollziebarkeit dieser Einstellung, gerade für eine jüngere Generation, schwer.
Spaß und Freude, sind sicherlich wichtig- wenn die entsprechenden Voraussetzung vorhanden sind.

Gruß
Schlumpffine
Schlumpffine
Beiträge: 429
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Re: Ein reines Generationsproblem?

Beitrag von Schlumpffine »

Auch kann ich mich erinnern, das mein Vater an den Streiks für die 40 Stundenwoche teilgenommen hat.
Egal was man getan hat, es musste immer eine genaue Abwägung der Prioritäten erfolgen.
Schön, wer sich nicht damit auseinandersetzen muss.
Schlumpffine
Schlumpffine
Beiträge: 429
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Re: Ein reines Generationsproblem?

Beitrag von Schlumpffine »

:oops: „Ich musste mir schon als Kind/Jugendlicher von meinen Eltern vorschreiben lassen, was ich zu tun und zu lassen hab… jetzt wo ich erwachsen bin, muss ich mir das nicht wieder vorschreiben lassen! Das muss aufhören! Jetzt!

Ein guter Vorsatz, sofern man ihn ohne Unterstützung von Vater Staat;Verwandten oder Eltern realisieren kann.
Also kein Hartz 4, sondern nur durch Einkünfte aus eigener Arbeit-bitte mal darüber nachdenken :hello:
Kirsten29
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Re: Ein reines Generationsproblem?

Beitrag von Kirsten29 »

Hallo SunnyMerle,

Danke für dein Interesse und die lebhafte Diskussion. Ich finde es für mich sehr wertvoll, dass so viele Meinungen und Ansichten zusammenkommen.

Habe ich als Kind/Jugendliche schon solche Zusammenhänge gesehen...? Hm, ja und nein. Die Verbindung zwischen meiner Mutter und mir ist allerdings sehr komplex. Für die Antwort auf deine Frage würde ich jetzt eine ewiglange Nachricht schreiben. Ich sag mal so: Ich fühle schon immer sehr stark mit meiner Mutter mit. Bzw. war es früher extremes Mitleid und auch ein gewisses Verantwortungsgefühl ihr gegenüber. Heute würde ich es als gesundes Mitgefühl beschreiben.

Aber das war auch ein sehr schmerzhafter Weg. Meine Mutter ist als Kind und Jugendliche immer wieder schlimm von ihrem Stiefvater für alles mögliche und völlig willkürlich verprügelt worden (zusammen mit ihren Brüdern). Sie erzählt heute noch, dass sie als Kind die Toilette mit der Zahnbürste putzen musste. Sie hat auch mit ansehen müssen, wie er besoffen meine Oma mit einem Messer bedroht hat. Sowas war damals bei ihnen Alltag. Sie sagt bis heute, dass sie sich im Leben nicht getraut hat, zu fragen, ob sie mal zu einer Freundin darf oder sowas. Daher weiß ich und kann gut nachvollziehen, warum meine Mutter solche Probleme mit allen möglichen Sachen hat, die auch nur im entferntesten etwas mit Spaß und Entspannung zu tun haben KÖNNTEN.

Ich habe lange lange lange extrem darunter gelitten, wie meine (Stief-)Großeltern mit ihr und ihren Brüdern umgegangen sind. Dass niemand, aber wirklich niemand da war, der ihnen irgendwie geholfen hätte. Und genau dieses Muster (keine Hilfe) hat sich dann auch bei uns wiederholt. Meine Mutter hatte von ihrer Mutter gelernt, dass solche Umstände auszuhalten sind.

Und auch wenn es an der Stelle heute bei uns wesentlich ruhiger geworden ist, nimmt meine Mutter bis heute keine/kaum Hilfe an. Vor knapp 3 Jahren, am Geburtstag meiner Mutter, schloss uns ihr jetziger Mann auf dem Balkon aus. Im 10. Stock. Nachts um 11, keine Mensch war unterwegs. Angeblich unbeabsichtigt. Wir hatten nur dünne Sommerklamotten an und es zog ein Gewitter auf, es wurde also richtig unangenehm und kalt. Toilette? Ein Eimer. Für diese Erniedrigung fehlen mir bis heute die Worte. Meine Mutter saß stundenlang an der Balkontür und schaute ins Wohnzimmer, sie sagte die ganze Zeit NICHTS. Kein einziges Wort. Irgendwann reichte es mir und ich schaute, ob nicht doch irgendeine Menschenseele unterwegs war. Zum Glück war jemand mit seinem Hund unterwegs (wir erfuhren später, dass es da gegen 3 Uhr früh gewesen war) und ich nahm allen Mut zusammen und brüllte zu dieser Person.

Und die Reaktion meiner Mutter und weshalb ich das Ganze schreibe? Nach Stunden der Schweigsamkeit zischt sie mich plötzlich völlig feindselig an, ich soll ruhig sein, was ich da bitte mache... Als dann kurz darauf gottseidank die Polizei kam, war sie es, die mit ihnen vom Balkon runter sprach. Meine Mutter hätte das Warten durchgezogen, bis ihr Mann wieder aufgestanden wäre. Er hat sich übrigens bis heute dafür nicht entschuldigt.

Ich sehe gerade, dass es jetzt doch ein langer Text geworden ist. Das wollte jetzt irgendwie raus :).
Der Schatz liegt hinter dem Drachen.

"Es gibt nur ein Muss: Du musst wissen, dass du nichts musst." (aus: "Komm, ich erzähl dir eine Geschichte", J. Bucay)
Aurelia Belinda
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Re: Ein reines Generationsproblem?

Beitrag von Aurelia Belinda »

@ Merle,
Du hast einen entscheidenden Satz gepostet, das nennt man heute Mobbing.
Ja, es sind permanente Erniedrigungen, Schuldzuweisungen, schlechtes Gewissen einreden, Fehlersuche am laufenden Band, Ignoranz, null Selbsteinsicht.

Deshalb,
@ Kirsten, nach einer Entschuldigung darf man sich zwar sehnen. Diese Sehnsucht bleibt aber unerfüllt.

Grüsse an alle, Aurelia
Alle eure Dinge lasset in Liebe geschehen
Kirsten29
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Re: Ein reines Generationsproblem?

Beitrag von Kirsten29 »

Huhu Aurelia,

da hast du Recht. Ich sehne mich auch nicht (mehr) nach einer Entschuldigung. Ich wollte damit sagen, dass diese Umgangsweise für sie normal ist. Sie weiß zwar grundsätzlich, dass es nicht ok ist. Aber...tja...so ist es eben (in ihrer Vorstellung) :?.
Der Schatz liegt hinter dem Drachen.

"Es gibt nur ein Muss: Du musst wissen, dass du nichts musst." (aus: "Komm, ich erzähl dir eine Geschichte", J. Bucay)
Aurelia Belinda
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Re: Ein reines Generationsproblem?

Beitrag von Aurelia Belinda »

Hallöchen liebe Kirsten,

Ich weiss. Es ist traurig.
Aber uns bleibt wohl nichts, ausser uns damit abzufinden.
Ich kenne halt nur diese Sehnsucht.....dass man lange Zeit hofft, bei der anderen Seite macht es eines Tages Klick!!
Aber da kann man warten bis man schwarz wird.
Deshalb finde ich es so wichtig, den eigenen Umgang damit ( Blickwinkel ) zu verändern.
Du scheinst auch deinen Umgang damit gefunden zu haben.

Liebe Grüsse, Aurelia
Alle eure Dinge lasset in Liebe geschehen
Peter1
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Re: Ein reines Generationsproblem?

Beitrag von Peter1 »

Hallo Kirsten
Du hast an Crazybunch geschrieben,

„Ich wünsche dir von Herzen, dass du dich für die Vergebung öffnen kannst. Wut ist aus meiner Sicht der erste wichtige Schritt, um diese schweren Schuldgefühle ablegen zu können (oder sie sich zumindest bewusst zu machen) bzw. zu sagen "Ich hab da echt keinen Bock mehr drauf!". Ich mache leider oft die Erfahrung, dass viele dann aber in dieser Wut stecken bleiben und so auch keinen Frieden finden.

Natürlich "muss" man nicht vergeben. Das steht ja jeder/-m frei, ob sie/er das möchte. Aber Feindbilder legt man so eben leider auch nicht ab.

Ich finde ein Zitat von Ghandi an der Stelle sehr passend, vielleicht kennst du es: "Sei du selbst die Veränderung, die du in der Welt sehen willst."“

Ich bin Jahrgang 54. Mein Vater war bei Kriegsende 16 Jahre alt, und ohne Vater aufgewachsen. Er hat vom Krieg eigentlich nicht viel mit bekommen. Er übernahm von seiner Mutter einige schlechte Eigenschaften, ich kann nicht sagen, ob er Gefühle hatte, gezeigt hat er sie nie. Die einzige Emotion, die er mir gegenüber zeigte, war Wut. Wut, weil ich nicht so war, wie er seinen Sohn sehen wollte, wie er ihn sich gewünscht hatte. Ich war eher, der stille, nachdenkliche, emotionale Typ, genau wie meine Mutter.
Den Rest der Geschichte sparen wir uns lieber.
Ich habe meinem Vater nie verziehen, was er meiner Mutter und mir angetan hat. Ich weiß gar nicht, ob ich das will. Meine Thera hat mich aber so weit gebracht, das ich in ihm nicht mehr den Täter sehe, sondern das Opfer seiner Erziehung durch Mutter, Schule und HJ. Gefühle zeigen war damals verboten, wie sollte er es dann als Erwachsener können? Meiner Meinung nach hat er nie gemerkt, das ihm etwas fehlt. Ich habe ihn mein ganzes Leben hindurch gehasst, bis die Thera mir sagte, wo mein Fehler war. Seit der Zeit geht es mir viel besser, denn Hass ist ein sehr starkes Gefühl, und verbraucht sehr viel Kraft, die ich an anderer Stelle viel besser gebrauchen kann.

Alles Gute und Schöne Peter
Ich wollte nie erwachsen sein, hab immer mich zur Wehr gesetzt. Von außen wurd ich hart wie Stein, und doch hat man mich oft verletzt (Nessaja P. Maffay=
hirn_schiet
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Registriert: 15. Mai 2020, 15:21

Re: Ein reines Generationsproblem?

Beitrag von hirn_schiet »

Hey Ihr!

Ich bin 25, habe einen Bachelor in Psychologie, war bereits schwer depressiv und in Therapie. Ich verarbeite das Ganze mittlerweile in Briefen auf http://www.hirn-schiet.de" onclick="window.open(this.href);return false;" onclick="window.open(this.href);return false; und habe in meinem neuen Brief viel über unsere empathielose Gesellschaft nachgedacht. Unsere Netzgeneration muss auf jeden Fall mit vielen neuen Problematiken kämpfen - die sogenannte Mangelgesellschaft hat großen Einfluss auf unsere Entwicklung.

Vielleicht schaut Ihr mal rein! Die Diskussionsforen, Instagram und Blogs haben mir erheblich weitergeholfen Dinge zu verarbeiten.

Eure

Berta

LINK:
http://www.hirn-schiet.de" onclick="window.open(this.href);return false; (Der Blog ist von mir privat geschrieben und aus freien Stücken, das hat hier nichts mit Werbung und co. zutun) <3
Crazybunch
Beiträge: 41
Registriert: 14. Aug 2018, 03:03

Re: Ein reines Generationsproblem?

Beitrag von Crazybunch »

Hallo Ihr Lieben,
ich bin ganz gerührt von Euren Beträgen und Euren Erfahrungen, denn es gibt mir gerade das Gefühl, nicht alleine zu sein.
Die Frage nach Vergebung habe ich mir bislang nicht gestellt, denn so narzistisch und manipulativ meine Mutter auch ist, ich liebe sie dennoch. Sie ist nach wie vor meine Mutter und ich weiss, dass sie wie eine Löwin für mich kämpfen würde, um mich zu beschützen. Darum war ich immer sehr dankbar, dass mich meine Therapeutin nie dahingehend gezwungen hat, mich gegen meine Mutter zu entscheiden.
Ich gebe Peter Recht, dass meine Mutter Opfer ist. Sie hat sich diesen narzistischen, manipulativen Charakter zugelegt, um psychisch zu überleben. Anders hätte sie die Entbehrungen, die Gewalt, die frühe Verantwortung nicht durchgestanden. Dennoch ist das kein Freifahrtsschein, andere zu verletzen.
Ich glaube, was ich tun kann, sind Grenzen zu ziehen. Das ist momentan noch sehr laut, mit Wut und Frust beladen. Aber ich habe zumindest angefangen, Grenzen zu ziehen, es nicht stumm hinzunehmen. Mein Wunsch ist es, es irgendwann mit mehr Gelassenheit und vielleicht auch mit Humor zu nehmen. Soweit bin ich aber noch nicht.
Wenn ich darüber nachdenke, stellt sich mir die Frage nach Vergebung eher bei meiner Großmutter und meinem Großvater. Warum mussten sie in so einer schweren Zeit sieben Kinder in die Welt setzen und dann nicht in der Lage sein, sie weder mit Nahrung, Kleidung noch emotional zu versorgen? Warum noch ein und noch ein Kind? Das ist die Frage, auf die ich noch keine Antwort gefunden habe und die mich so wütend macht.
Vielleicht kann mir hier jemand eine andere Sichtweise darauf geben, damit ich es besser verstehen kann?
Liebe Grüße
Crazybunch
Sul
Beiträge: 441
Registriert: 25. Dez 2019, 12:33

Re: Ein reines Generationsproblem?

Beitrag von Sul »

Hallo Crazybunch,

mit "Vergebung" kann ich nicht viel anfangen, ist nicht mein Weg. Mir hilft zu sehen und zu verstehen - ohne zu beschönigen -, dass z.B. meine Großmutter Kind ihrer Zeit war, arm, ohne Bildung, ohne Verhütungsmittel, verheiratet mit einem gewalttätigen Alkoholiker, Flüchtling. Sie hatte es nie gelernt - und hatte auch nicht so viele Möglichkeiten - sich oder ihre Kinder zu schützen, Grenzen zu setzen, sich zu emanzipieren.

Meiner Mutter "vergebe" ich ihre Bösartigkeiten nicht, aber ich habe ihr deutliche Grenzen gesetzt. Da bist du auf einem guten Weg aus meiner Sicht.

Viele Grüße, Sul
Crazybunch
Beiträge: 41
Registriert: 14. Aug 2018, 03:03

Re: Ein reines Generationsproblem?

Beitrag von Crazybunch »

Ich glaube, jeder muss seinen Weg fnden, um mit dem, was uns als "Päckchen" mitgegeben wurde, zurecht zu kommen. Für einige scheint die "Vergebung" - was immer damit gemeint ist - der richtige Weg zu sein. Für andere ist es das Verstehen, warum etwas so ist, wie es ist, wichtig.
Rein aus dem Gefühl heraus kann ich meiner Mutter nichts vergeben, weil es gar nichts zu vergeben gibt. Sie hat mich mit den Möglichkeiten erzogen, die ihr zur Verfügung standen, sowohl zeitlich als auch emotional.
Und auch ihre Mutter hat sie so erzogen, wie ihr es möglich war. Ich weiß, dass meine Großmutter bereits unter manischen Depressionen litt und darum meine Mutter mit ganz jungen Jahren viel zu viel Verantwortung für ihre Geschwister übernehmen musste. Warum meine Großmutter psychisch so krank war, weiß ich nicht. Ich kann es nur vermuten, denn darüber gesprochen wurde nicht.
Und wenn ich mir die familiäre Seite meiner Mutter angucke, dann ist dieses Schweigen etwas, was sich durch die letzten Jahre wie ein roter Faden zieht, obwohl mehrere meiner Cousins und Cousienen unter Depressionen leiden und mehrere Geschwister meiner Mutter jetzt im Alter große psychische Probleme bekommen. Ich kann mich noch gut daran erinnern, als ich Anfang 20 meine erste Therapie begann und davon erzählte. Da wurde ich mit großen Augen angeguckt, so als würde ich erzählen, ich sei auf den Mond geflogen. Weder die psychische Erkrankung meiner Oma noch die meiner beiden Cousins wurde ernst genommen frei nach dem Motto "sie sollen sich nicht so anstellen bzw. meine Tante hätte sie besser erziehen sollen".
Erst jetzt bricht der jüngste Bruder meiner Mutter das Schweigen. Er erzählt, was meine Oma ihnen als Kinder an den Kopf geworfen hatte, nämlich, dass sie ihre Kinder am liebsten gegen die Wand geworfen oder ertrunken hätte. Dieser Gesprächsfetzen hat mich dazu gebracht, meine Mutter darauf anzusprechen und da erzählte sie davon, wie meine Großeltern sich stritten und sie das mitansehen musste. Mir wurde dann schlagartig klar, warum meine Mutter vor Weihnachten immer so nervös wird, warum sie ständig das Gefühl hat, als würde ihr jemand die Kehle zu schnüren (mein Opa hat seine Frau manchmal fast bis zur Besinnungslosigkeit gewürgt und meine Mutter hat das mitbekommen).
Ich habe bislang nur mit meiner "Cousine" lange über dieses Gespräch gesprochen und auch mit meiner Tante (der Frau von dem jüngsten Bruder meiner Mutter) spreche ich viel darüber. Ich hatte mich gefragt, ob ich mit anderen aus der Familie darüber sprechen sollte, dann fiel mir aber wieder ein, dass es nicht meine Verpflichtung ist, Aufklärung zu betreiben, was nicht heißt, dass ich nicht darüber sprechen würde, wenn mich jemand fragt.
Irgendwie geistert aber noch immer der Gedanke in meinem Kopf herum, die Familiengeschichte aufzuschreiben; für mich und für alle, die irgendwann sich Fragen stellen, warum Dinge so sind, wie sie sind. Damit Informationen nicht verloren gehen, denn die Generation, die noch Fragen beantworten könnte, wird bald nicht mehr da sein.
Puh, ich merke beim Schreiben, wie sehr mich das alles noch bewegt. Wie mitten drin ich noch bin und wie wenig ich es mit einem gesunden Abstand betrachten kann.
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