Leben mit angezogener Handbremse...

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Phoenix2019
Beiträge: 256
Registriert: 8. Jan 2020, 23:45

Leben mit angezogener Handbremse...

Beitrag von Phoenix2019 »

Hallo zusammen,
schon lange, aber vor allem, nachdem ich vor kurzem 40 geworden bin und Bilanz über die letzten 10 Jahre gezogen habe, musste ich erkennen: Ich habe so viel Schönes im Leben verpasst und stehe nun hier - als alleinstehende Frau ohne Partner und Kinder. Ich hatte auch nur eine Beziehung so um die 20. Das heißt, ich habe mich bisher allein durchs Leben gekämpft und so wird es wohl auch bleiben. Dieses Thema beschäftigt mich gerade sehr und mir wird jetzt erst klar, welche Tragweite Depressionen eigentlich in meinem Leben hatten/haben. Man lebt, finde ich, irgendwie mit angezogener Handbremse, weil man mit seiner Kraft haushalten muss. Kennt ihr diese Gedanken? Und wie geht ihr damit um?
Gute Nacht & viele Grüße!
DieNeue
Beiträge: 5832
Registriert: 16. Mai 2016, 22:12

Re: Leben mit angezogener Handbremse...

Beitrag von DieNeue »

Hallo,

ja, die Gedanken kenne ich nur zu gut. Mir hat es etwas geholfen mitzubekommen, dass es bei den Familien auch Probleme gibt und nicht alles Gold ist, was glänzt.
Ganz gefeit bin ich trotzdem nicht vor diesen Gedanken und Gefühlen. Bei mir sind es auch ca. 10 Jahre, in denen ich nur gekämpft habe.

Liebe Grüße, DieNeue
Sul
Beiträge: 444
Registriert: 25. Dez 2019, 12:33

Re: Leben mit angezogener Handbremse...

Beitrag von Sul »

Hallo,
das Bild mit der angezogenen Handbremse kenne ich gut. Und auch die Vergleicherei. Und "krankheitsgedingt" sehe ich immer wieder nicht, was in meinem Leben gut gelungen ist. Und da gibt es einiges. Sage ich im Moment, wo es mir recht gut geht.
Viele Grüße, Sul
heutesomorgenso
Beiträge: 43
Registriert: 1. Okt 2015, 15:39

Re: Leben mit angezogener Handbremse...

Beitrag von heutesomorgenso »

Hallo,
das geht mir auch so. Ich werde jetzt dieses Jahr 50 und bin auch alleine. Es gab zwar Beziehungen, meistens Wochenendbeziehungen. Gehalten hat nichts. Teilweise fühlte ich mich sogar mit Partner alleine.
Angezogene Handbremse umschreibt es wirklich treffend, die fehlende Kraft bremst mich schon lange aus.
Zur Zeit bin ich am überlegen, ob ich wieder mit Medikamenten anfangen soll.
Viele Grüße
mime
Beiträge: 1323
Registriert: 6. Sep 2013, 13:28

Re: Leben mit angezogener Handbremse...

Beitrag von mime »

Hallo Phoenix2019,

so eine 10-Jahres-Bilanz ist nicht so schön, dass du da ins Nachdenken kommst, ist verständlich.

Andererseits: Kann es nicht auch von Vorteil sein, ohne Kinder und Partner zu sein? Ich kann verstehen, wenn das für dich ein nicht schöner, bisweilen auch schmerzlicher Zustand ist... welcher Single kennt das nicht? Doch vielleicht lässt es sich etwas leichter damit leben, wenn man sich gedanklich arrangiert? Oder sich die positiven Aspekte des Alleinseins wieder etwas mehr ins Bewusstsein rückt?

Und: es muss ja nicht auf ewig so bleiben, auch wenn du schon längere Zeit alleine lebst. 40 ist doch noch kein Alter (wenn du jetzt 80 oder 90 wärst und so schreiben würdest, könnte ich das verstehen, aber 40 ist doch jung ;)!).

Das Bild jedoch, sich mit "angezogener Handbremse" im Leben zu bewegen, kenne ich (ebenso wie das Alleinsein) auch. Ich denke, dass man sich kleine (erreichbare) Ziele stecken kann, um dem Leben im postiven Sinne etwas mehr Schwung zu geben. Vielleicht erst einmal, mit sich (seinen guten wie nicht so guten Eigenschaften) ins Reine zu kommen, sich akzeptieren zu lernen, sich nicht abhängig machen von der Meinung / Zuwendung von anderen.

Bist du derzeit in einer Therapie? Oder gibt es sonst noch etwas in deinem Leben, was für kleine Veränderungen sorgen könnte?

LG Mime
Wir müssen lernen,
die Menschen weniger auf das, was sie tun und unterlassen,
als auf das, was sie erleiden, anzusehen.

(Dietrich Bonhoeffer)
Peter1
Beiträge: 3399
Registriert: 15. Apr 2018, 12:06

Re: Leben mit angezogener Handbremse...

Beitrag von Peter1 »

Hallo Phoenix
Erstens Ist 40 noch lange nicht alt, du kannst noch sehr viel erleben.
Zuerst sollte dir klar sein, was du in den letzten zehn Jahren geleistet hast. Wenn du schon eine Liste hast, was du nicht geschafft hast, dann mache bitte noch eine Liste, von den Dingen, die du vollbracht hast. Welche der Listen ist wohl länger, wenn du ehrlich zu dir selbst bist?

Zweitens Vergiss das Vergleichen, mit anderen Menschen. Wir sind alle Individualisten, keiner ist so, wie der Andere.

Drittens Solltest du dir darüber klar werden, ob du in deiner Wohnung alleine bist, oder einsam. Ich lebe sehr gerne alleine, wenn ich auch hin und wieder ein wenig Einsamkeit spüre, aber das geht schnell vorbei, denn mein Hund fordert sehr viele Streicheleinheiten, wenn sie merkt, das ihr Herrchen traurig ist.

Mime hat geschrieben,
Das Bild jedoch, sich mit "angezogener Handbremse" im Leben zu bewegen, kenne ich (ebenso wie das Alleinsein) auch. Ich denke, dass man sich kleine (erreichbare) Ziele stecken kann, um dem Leben im postiven Sinne etwas mehr Schwung zu geben. Vielleicht erst einmal, mit sich (seinen guten wie nicht so guten Eigenschaften) ins Reine zu kommen, sich akzeptieren zu lernen, sich nicht abhängig machen von der Meinung / Zuwendung von anderen.

Diese Worte hätten auch von mir oder meiner Thera sein können

Alles Gute und Schöne Peter
Ich wollte nie erwachsen sein, hab immer mich zur Wehr gesetzt. Von außen wurd ich hart wie Stein, und doch hat man mich oft verletzt (Nessaja P. Maffay=
saneu1955
Beiträge: 2433
Registriert: 6. Jul 2014, 19:18

Re: Leben mit angezogener Handbremse...

Beitrag von saneu1955 »

Hallo Phönix, also ich kann heute mal Bilanz ziehen, da ich heute 65 Jahre alt geworden bin, schön, dass ich dieses Ziel erreicht habe, manchmal sah es nicht danach aus. Ich lebe mit meinen Krankheiten und nicht nur Depression seit mehr als 30 Jahren, mal tief, mal unterirdisch tief, mal etwas höher, manchmal gut und doch möchte ich es so nicht missen.

Mit den Jahren haben sich meine Ansprüche an mich relativiert und mit zunehmenden Alter muss ich noch mehr Abstriche machen. Und trotzdem stehe ich jeden Tag wieder auf in der weisen Voraussicht, dass es mindestens ein paar schöne Momente geben wird, sie sind kleiner als früher, aber wichtiger als die großen. Wenn mich unsere Hündin morgens begrüßt, dann ist das der erste Moment, wenn ich über Stunden schmerzarm sein kann, dann ist das super.

Ich hatte gerade eine ziemliche Krise mit meiner besten Freundin, unser Leben verläuft in verschiedene Richtungen, während sie ihre Sorgen, Trauer, Alleinsein mit Aktivitäten versucht in den Griff zu bekommen, geht dies bei mir nicht, weil ich teilweise bestimmte Dinge nicht mehr kann. Ich erfreue mich dann an meinen kreativen Fähigkeiten, backe kleinere Brötchen.

Klar geht manchmal auch gar nichts, dann nehme ich das mittlerweile so hin, ist halt so, deswegen gebe ich noch lange nicht auf.

Was ich damit sagen möchte, sich nicht nach anderen richten, sondern das machen, was dir gut tut, was dir die Lebensqualität erhöht. Es geht immer wieder voran, es ist kein Leben mit angezogener Handbremse, sondern du bestimmst die Geschwindigkeit und die ist mal schneller und mal langsamer.

Soweit meine Gedanken dazu.

Saneu1955
Phoenix2019
Beiträge: 256
Registriert: 8. Jan 2020, 23:45

Re: Leben mit angezogener Handbremse...

Beitrag von Phoenix2019 »

Guten Abend zusammen,
vielen Dank für die vielen Ermutigungen und Anregungen!:)
Ein zentraler Grund, der mich in den letzten Jahren sehr viel Kraft und Zeit gekostet hat, ist definitiv mein Beruf - deshalb auch die Reduzierung ab Mitte des Jahres. Ich bin schon gern allein, kann dann meist am besten regenerieren. Aber zurzeit fühle ich mich eben dich sehr einsam und empfinde mein Leben als sehr leer, sobald ich beruflich mal nicht so eingespannt bin. Tja, und die Zwischenbilanz ist eben nicht so super ausgefallen. Aber ihr habt Recht: Kleine Schritte setzen. In einer Therapie bin ich zurzeit nicht. Habe einige erfolglose Versuche hinter mir, werde aber in der Hinsicht auch wieder aktiv werden.
Euch eine gute, nicht so stürmische Nacht!
John81
Beiträge: 1
Registriert: 5. Feb 2020, 13:32

Re: Leben mit angezogener Handbremse...

Beitrag von John81 »

Hey Phoenix2019,

mir geht es ähnlich wie dir mitten in meinem Leben.

Durch meine Depressionen und Ängste habe ich das Gefühl viele Chancen verpasst bzw. ungenutz gelassen zu haben.
Das Gefühl der Einsamkeit kommt noch dazu, und schlägt mich manch mal wie ein Hammer.

Dieses Jahr habe ich mir eine Selbsthilfe Grp gesucht und gefunden. Ich habe mich hier im Forum angemeldet, und versuche weitere Wege zu finden mich auszutauschen, da mir das hilft, und ich viele gleichgesinnte kennen lernen die mir neuen Input geben. Dadurch möchte ich mit meinen Problemen besser klar kommen, um als nächstes meine Einsamkeit angehen zu können.
Katerle
Beiträge: 11385
Registriert: 25. Sep 2014, 10:30

Re: Leben mit angezogener Handbremse...

Beitrag von Katerle »

Hallo Phönix,

selbst wenn du ohne Partner und Kinder dastehst, bist du weit gekommen. Und auch wenn man Familie und Kinder hat, dann hat man halt mit anderen Problemen zu kämpfen.
Hatte auch mal zwischendurch das Gefühl, was verpasst zu haben... und auch weil andere mit mir unzufrieden waren, da ich nicht deren Erwartungen erfüllte.(haben es mir auch spüren lassen und das war alles andere als hilfreich).
Finde es positiv, dass du dich erneut nach einer Therapie bemühen möchtest und vielleicht hilft dir auch der Austausch in einer Selbsthilfegruppe parallel dazu, um auch deiner Einsamkeit ein Stück zu entkommen. Wünsche dir alles Gute bei deinem weiteren Weg und drücke ganz fest die Daumen.

@ John

Mir erging es ähnlich. Meinen Glückwunsch, dass du eine geeignete SHG gefunden hast, in der du dich auch austauschen kannst mit anderen in deiner Umgebung und natürlich das Forum kann da ebenfalls eine ganz hilfreiche Unterstützung sein. Auch dir wünsche ich weiterhin viel Kraft und Durchhaltevermögen bei deinem Weg.

Herzliche Grüße
Katerle
Phoenix2019
Beiträge: 256
Registriert: 8. Jan 2020, 23:45

Re: Leben mit angezogener Handbremse...

Beitrag von Phoenix2019 »

Hallo Katerle, hallo John,
danke für eure Beiträge. Dein Schritt in eine Selbsthilfegruppe motiviert mich.
Jetzt, wo es langsam Frühling wird, geht es stimmungsmässig bergauf und ich empfinde wieder mehr Lust auf Gesellschaft. Allerdings raubt mir mein Beruf gerade viel Kraft, sodass ich doch den überwiegenden Teil des Wochenendes allein verbringe, da ich so am besten regeneriere. Ich hoffe, es wird alles Schritt für Schritt.
Euch einen schönen sonnigen Tag!
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