Weihnachten am Hof

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anna54
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Weihnachten am Hof

Beitrag von anna54 »

Weihnachten auf dem Hof!
alle wünschen sich weiße Weihnachten,gab es früher öfter,wir sind auch mal durch fast meterhohen Schnee gestapft.
Meine hochschwangere Schwester bekam davon Wehen und die Fahrt zum weit entferntem Krankenhaus war ein Abenteuer.
Das Baby kam in der Nacht zur Welt und so haben wir ein Weihnachtskind.
Das Leben auf dem Hof ist auch an Weihnachten nicht viel anders,es gab eine große Weihnachtsfeier in der Halle und der Reiterstube,die jungen Leute haben es genossen.
Im Winter ist das Versorgen der vielen Tiere anstrengend,die Wiesen sind im Winter zu,alles Futter muss rangeschafft werden,riesige Mengen Heu liegen vor den Boxen,das duftet auch im Winter.
Kaum in die Boxen geschoben gibt es ein zufriedenes Kauen und das ist Entspannung pur.
Meine Küche ist riesig und meine Töpfe auch,vor Wochen hab ich schon die Vorbereitungen gemacht,Suppen und Soßen sind zeitaufwendig.
Am Samstag gab es eine Erbensuppe nach altem Rezept,mit viel Mettwurst,der Duft steigt den hungrigen Reitern in die Nase und dann stehen dann auch mal zwanzig leere Teller vor der Spüle.
Gestern wurde der riesige Weihnachtsbaum in die Diele gestellt,das ist auch ein Abenteuer,wir haben ja einen jungen Hund!
Bis heute steht er noch,mein Sohn hat mit Freundin und seiner Schwester den ganzen Baumschmuck erst mal geordnet,nun sieht der Baum recht feierlich aus. Das Wohnzimmer ist weihnachtlich geschmückt,nur die riesige Tischdecke muss noch mal gewaschen werden,da war der Hund mit nassen Pfoten wohl drauf.
Meine Mutter war hier und saß im bequemen Sessel mitten zwischendrin und hat Anweisungen gegeben und ganz viel von früheren Weihnachtsfesten erzählt.
Am Abend gab es das Essen,was ich für Heiligabend gedacht hatte,so ist das hier----immer alles weg,aber zufriedene Gesichter vor den Tellern ist mehr wert,vor allem,wenn der Tisch für alle Platz hat.
Das Kaminzimmer muss heute noch mal geputzt werden,da stehen drei große Körbe Holz und das macht einfach Dreck,abends ist dann die Stimmung am Feuer wohltuend.
Morgen erlebe ich Heiligabend im Altenheim,meine Mutter,meine kranke Schwester und ich werden den Nachmittag mit ganz vielen alten Menschen zusammen erleben.
Es ist anstrengend die vielen Autofahrten zu schaffen,aber abends mit den vielen Lichtern zum Hof zurückzukommen ist wohltuend.
Sobald ich in den Wald einbiege beginnt eine andere Zeit,das Haus ist hell erleuchtet,aber alle sind im Stall,wo ist nur der Hund???
Wo hat er neue Löcher gebuddelt,in die ich auch noch fallen könnte?
Also gehe ich in die Ställe und jedes Pferd begrüßt mich schnaufend.
Oft bin ich noch in der Halle,wo die lieben Eltern frieren,weil die Kinder noch nicht nach Hause wollen.
Spontan machen wir dann oft warmen Kakao und suchen nach Plätzchen in den vielen Dosen,früher hab ich mit den Hofkindern noch gebacken,das war eine Herausforderung,besonders die Jungen haben meine Küche in ein Schokoladenzauberland verwandelt.
Einmal kam ein Nikolaus mit vier Pferden vor der Kutsche durch den Winterwald zum Hof gefahren,60Kinder habe ich eingeladen,mit Eltern,zwei Busse standen auf dem Hof.
Die Jäger haben Jadghorn geblasen,und ein alter Mann hat den ganzen Nachmittag die Weihnachtslieder angestimmt und Gott sei Dank hatten wir Zettel zum Mitsingen.
Nur mein Sorgenkind ging an dem Nachmittag fort,das wussten wir seit langem,sie lebte in einer Diagnosegruppe der Jugendamtes,Weihnachten sollte sie zurück zum Vater,weg von der Mutter.
Gerichte und Anwälte zerrten an dem Kind.
Ich habe sie festgehalten,den ganzen Nachmittag,sie war leicht wie eine Feder,wir sind auf jedem Foto nur zusammen zu sehen.
Abends mußte ich abgeben für immer,nie wieder hab ich von ihr gehört.
Ich war viele Jahre eine heimliche Pfelgemutter,ich begleitete Kinder,die zwischen Eltern und Einrichtungen hin un her mußten.
Diese Kinder hatten eine Heimat auf unserem Hof,ganz oft,ganz heimlich,keiner durfte ihre Geschichte und meine Aufgabe erkennen,das gab ihnen Schutz und ein Zuhause auf Zeit.
Ein Kind habe ich wiedergefunden,nach fast zwanzig Jahren,sie war die erste,die bei mir Heimat fand,eine heimliche Heimat,einen Teller auf einem fremdem Tisch,Zeit,vor allem Zeit.
Und die Pferde waren wichtig,das waren immer die Türöffner,mein Hund wurde mehr geliebt als er es von uns im Alltag kannte.
Weihnachten zu hause,das wünscht sich jeder.
Für viele Menschen gibt es das nicht,nicht mehr.
Wenn es eine Aufgabe für mich gab und gibt,ist das immer, ein Zuhause zu schaffen,wo gekocht und gebacken ist,wo ein Kaminfeuer im Winter brennt,wo jeder ankommen,wiederkommen kann.
Viele mußte ich gehen lassen,wer diese Aufgabe annimmt,muss loslassen können egal wie weh das tut.
Es sind die vielen vielen Kinder,die inzwischen ganz woanders sind,an die ich heute denke und nur hoffen kann,sie sind geborgen,irgendwo.
Manchmal denke ich daran den Kontakt wieder aufzunehmen,aber das geht nie.
Auf Zeit eine Heimat,auf Zeit ganz große Nähe,meine eigenen Kinder sind mir nicht so in die Arme geflogen,wie der Vierjährige,gerettet, endlich in Sicherheit auf der Kinderstation,es war auch Weihnachten,der Baum meterhoch in der Eingangshalle,ich hatte ihm erzählt,in einem der großen Geschenke unter dem Baum sei ein Geschenk für ihn.
Er hatte die ganzen Wochen immer alle Pakete überprüft,alle leer.
Natürlich war Heiligabend mein Geschenk für ihn plötzlich unter dem Baum,so sehr hab ich es nie wieder erlebt,viele Patienten waren auch in der Halle,es wurde Weihnachtsmusik gespielt,da dazwischen dieser Junge,er hatte nur einen alten Schlafanzug an,etwas, was auf er Station zu finden war,die Eltern brachten nicht mal Kleidung.
Ich wurde noch gewarnt,vom Chef des Jugendamtes,auch er wird gehen,bald.
Binden Sie ihr Herz nicht zu sehr an die Kinder---wie soll das gehen?
Ich hab es gemacht,wie ich es immer mache,mein Herz und mein Bauch kennen den Weg,immer.
Der Kopf könnte nie das entscheiden,was zu entscheiden ist,wenn die Not so groß ist,dass ein Kind gerettet werden muss.
Weihnachten auf dem Hof,immer eine besondere Zeit,dann erinnert alles an Zeiten,wo ein Zuhause so wichtig ist.
anna54
wohin geht die reise
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Registriert: 16. Sep 2016, 11:44

Re: Weihnachten am Hof

Beitrag von wohin geht die reise »

Liebe Anna,
das klingt wirklich nach Heimat für diese Kinder, und ich denke, auch wenn sie heute woanders
und längst erwachsen sind, werden sie sich gerne an Weihnachten auf dem Hof erinnern.
Ist es doch etwas, was ihre Sehnsucht nach Geborgenheit und Heimat wenigstens teilweise
erfüllt hat.
Dafür danke!
Als meine Mutter noch lebte, habe ich sie damals auch im Pflegeheim besucht. Natürlich kommen bei mir auch Gedanken hoch, wie anstrengend das war, zumal ich Weihnachten immer arbeiten muss, aber ich glaube, es war gut, dass ich die lange Fahrt zu ihr unternommen habe, denn auch bei ihr kamen viele Gedanken hoch, wie es Weihnachten in der Familie war und so war sie nicht allein.
Ich wünsche dir weiterhin, dass du dein Herz sprechen lässt.
alles Liebe
lore
anna54
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Re: Weihnachten am Hof

Beitrag von anna54 »

Danke,liebe lore
dir schöne Weihnachten!
anna54
janedoe
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Registriert: 6. Mai 2017, 21:17

Re: Weihnachten am Hof

Beitrag von janedoe »

Ich hab Tränen in den Augen, liebe Anna, wenn ich das lese. Solche Erzählungen geben mir den Glauben an das Gute im Menschen zurück. Ein klein wenig jedenfall. Ich hoffe, es wird immer Menschen wie Dich und solche Höfe geben, für die verletzlichsten unter uns.
Frohe Weihnachten wünsch ich Dir.
Janedoe
Katerle
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Re: Weihnachten am Hof

Beitrag von Katerle »

Danke liebe anna für deine berührenden Zeilen und auch ich wünsche dir frohe und besinnliche Weihnachten. Diese Kinder werden bestimmt an diese wundervolle Zeit zurückdenken...

Herzlichst Katerle
Aurelia Belinda
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Wohnort: Mittelfranken

Re: Weihnachten am Hof

Beitrag von Aurelia Belinda »

Liebe anna,
Vielen Dank für diese wunderbare Geschichte aus deinem Leben.
Ja, das hört sich so schön an, wie viel Menschlichkeit du zu geben hattest und hast. Für viele Kinder ein Segen.
Du hast Ihnen Geborgenheit und vor allem Zeit geschenkt. Ein Heimatgefühl das mit nichts zu vergleichen ist.

Hat denn Pepe den Weihnachtsbaum, bzw. den Schmuck noch heile gelassen? Grins
Ich stelle mir das so schön vor wie du mit den Kindern Plätzchen gebacken hast.
Und ich rieche den Duft aus deiner großen Küche....herrlich, es riecht nach Zimt, nach Nüssen, und nach Bratapfel...
Interessant dass du das eine Kind nach 20 J. wieder gefunden hast.

Sehr schön beschreibst du auch den Kontrast, im Pflegeheim zu sein, die längere Autofahrt, und dann....das Abbiegen in eine andere Welt, ein Hof, mit Tieren, mit Kindern, mit Festen wo immer was los ist, wo Natur ist.
Das schimmern der Lichter aus dem Haus, der Geruch von Stroh.

Wirklich sehr schön erzählt.
Ich danke dir für diese Geschichte.

Frohe Weihnacht und alles Liebe.

Herzlich, Aurelia
Alle eure Dinge lasset in Liebe geschehen
anna54
Beiträge: 3713
Registriert: 14. Sep 2010, 15:08

Re: Weihnachten am Hof

Beitrag von anna54 »

Hallo ihr Lieben
danke für eure liebn Zeilen!
Silvester ist hier noch mal Riesenauflauf,da mein Mann Geburtstag hatt und einen Tag vorher mein Schwiegersohn.
Ich habe gern viele Leute im Haus,aber ich liebe auch die Ruhe danach.
Am 29.12. war noch ein großes Treffen meiner Herkunftsfamilie,großes Frühstück.
Diesmal hat meine jüngste Schwester das Treffen organisiert und ich bin voll in eine Falle gelaufen.
Hatte überlesen,dass mein Bruder eine Käseplatte mitbringt und so wurde ichschon in der Tür angegriffen und noch schlimmer bloßgestellt,dass ich nicht mal in Gruppe nachgelesene hatte.
Meine Mutter wollte beschwichtigen,der aber der Mann meiner ältesten Schwester verbat sich jedes Gespräch. (Nicht zu ersten Mal).
Ich hab mir dann einen ruhigen Platz gesucht und gehofft,die Fassung zu bewahren.
Ging aber nicht,als ich in einen Nebenraum ging,gingen die Vorwürfe weiter:"immer diese Leier mit ihren Depressionsen,bin nicht mehr bereit darauf einzugehen,reinste Erpressung sei das,usw,usw.
Meine Tochter hat mich dann abgeholt,aber auch ihr Versuch zu erlären,dass ich unter großen Belastungen stehe wurde nicht angehört,Türen wurden geknallt.
Zuhause bin ich erst mal zusammengebrochen,mußste gestern noch den Kaffeebesuch für meinen Mann schaffen,aber Andre und Claudia haben sehr geholen.
Heute geht es mir besser,ich habe lange schlafen können und werde später zum Altenheim fahren.
Die Falle war,dass ich nicht selbst gefahren bin,solche Ereignisse gibt es immer wieder.
Aber dann konnte ich einfach gehen.
Mein Bruder ist zurück nach Schweden,immer sind es nur Kurzbesuche.Er hat sich sehr über das Zimmer gefreut,dass ich für ihn eingerichtet habe.Er ist mir der liebste unter den Brüdern,er hat den Humor unseres Vaters und auch sein großes Herz.
Meine anderen Geschwistern reagieren nach dem Prinzip: Druck ausüben,wenn das nicht funktioniert Kontakt abbrechen und "ausbluten lassen",beides kann ich nicht aushalten.
Leider ist das jetzt keine schöne Hofgeschichte geworden,sondern Wehklagen.
Ich wünsche allen einen guten Start ins neue Jahr und einen Engel,der über uns wacht!
anna54
Katerle
Beiträge: 11258
Registriert: 25. Sep 2014, 10:30

Re: Weihnachten am Hof

Beitrag von Katerle »

Hallo liebe anna,

erstmal alles erdenklich Gute fürs neue Jahr und beste Gesundheit.
Tja, ich hätte mir auch ganz gerne weiße Weihnachten oder zumindest ein weißes neues Jahr gewünscht, aber es ist halt wie es ist.
Ja, mir geht es auch so, dass ich nach Weihnachten auch ganz gerne die Ruhe geniesse, zumal in dieser besinnlichen Zeit bei uns auch noch Geburtstage sind. Da kann ich dich sehr gut verstehen, dass du dann auch ganz gerne wieder Ruhe hast.
Es tut mir leid, dass du noch gegen Ende des Jahres Stress hattest, wegen einer Käseplatte...
Mein Gott, als wenn es nichts Wichtigeres gäbe in der Zeit. Aber liebe anna, manche legens halt gerne drauf an, noch zu solchen Feierlichkeiten irgendwelchen Stress zu machen.
Und das ist ja echt krass, dass du noch mit solchen massiven Vorwürfen zu kämpfen hattest...
Lass dich davon bitte nicht runterziehen, wie du siehst hast du alles überstanden und nun kannst du dir deine Ruhe gönnen, die du unbedingt benötigst.
Ach liebe anna, ich würde dir so gern noch weiter Mut zusprechen. Konzentriere dich auf das Hier und Jetzt. Solche Leute wird es immer wieder geben, die Stress wollen. Ich habe damit auch schon meine Erfahrung gemacht und ich versuchte dann eher ruhig zu bleiben, was auch gelang.

Denke daran, das neue Jahr, wird besser, als es war... Und wir werden uns auch erneut den Herausforderungen stellen, die geboten werden.

Wünsche dir weiterhin Kraft und Stärke für die Zukunft,

herzlichst Katerle
janedoe
Beiträge: 556
Registriert: 6. Mai 2017, 21:17

Re: Weihnachten am Hof

Beitrag von janedoe »

Liebe Anna,
was für ein trauriger Abend. Ich drück Dich ganz lieb.
Nimm es Dir nicht so zu Herzen. Ich weiß, es ist leichter gesagt als getan. Sammle Deine Kraft aus den guten Menschen, guten Kontakten und aus dem Anteil der Familie, der weiß, was Du leistest, der Dich stützt und trägt.
Ich wünsche Dir den Kopf und die Augen, das auseinanderhalten zu können, die Kraft, die Angriffe auszuhalten und den Mut Dich gegen solche Unmenschen zu wehren.
Janedoe
Camille
Beiträge: 602
Registriert: 3. Nov 2018, 21:35

Re: Weihnachten am Hof

Beitrag von Camille »

Liebe Anna,

Janedoe hat alles so schön in Worte gefasst - ich schließe mich da an.
Ich erlebe dich so warmherzig und sorgsam - bewahre das in deinem Herzen

Sei lieb umarmt
Camille
Christiane1
Beiträge: 583
Registriert: 19. Dez 2013, 09:10

Re: Weihnachten am Hof

Beitrag von Christiane1 »

Liebe anna,

dir und allen hier ein gutes Jahr 2020 von Herzen.

Für mich ist der Schlüsselsatz in deinem Beitrag:
"Immer diese Leier mit ihren Depressionen,bin nicht mehr bereit darauf einzugehen,reinste Erpressung sei das,usw,usw."

Das ist die Sichtweise, die ich auch kenne von zuhause, aber ich kann das auch irgendwie gut verstehen.
Ich habe mich zum Beispiel nach dem Tod meines Vaters bereit erklärt meiner Mutter zu helfen, bis es immer mehr wurde; konnte keiner ja ahnen, dass meine Mutter eine echte Grossbaustelle sein würde in vielerlei Hinsicht, und plötzlich sass ich auch in der Falle.
Mein Bruder, der die Kälte unserer Mutter auch erlebt hatte, nannte sie schon sehr früh einen
"Schrotthaufen" und das war nicht meine Meinung, aber er hatte ohne dieses ganze psychologische Gedöns, was wir Frauen gerne haben, für sich erkannt, dass er sie widerlich findet und fertig.

Er hatte sich von Anfang an verabschiedet und kann nicht nachvollziehen, was ich erlebe und wie es mir damit geht. Das werfe ich ihm nicht vor, ganz im Gegenteil, aufgrund unserer Geschichte kann ich ihn bestens verstehen, aber gleichzeitig bin ich nach sieben Jahren
an dem Punkt angelangt, wo ich wütend werde auf ihn. Ich muss gerade höllisch aufpassen, dass ich ihn nicht anschnauze, wenn wir uns sehen.

Die Gründe für meinen Frust sind gemischt und ich versuche es gerade auseinanderzutütteln, was mich so traurig und wütend macht. Es sind mehrere Anteile, die dabei eine Rolle spielen und
einer davon ist, dass ich mich allein gelassen fühle von allen Seiten.
Das kann ich aber kaum jemandem vorwerfen, wenn ich gleichzeitig den Drang verspüre zu helfen, obwohl ich weiss, dass ich selber krank bin.

Mein Bruder und die Familie wissen auch, dass ich nicht fit bin, die sind alle froh, dass
ihre Heidi gut versorgt ist. SIE ist das Problem mit ihrer enormen Bedürftigkeit und es liegt in der Natur der Sache, dass sich andere rausziehen, sobald sie merken, da kümmert sich schon jemand.
Ich bin keine Freundin von Masochismus und muss mich jetzt vermehrt um mich selber kümmern,
da ich ansonsten kaputtegehe, im Ansatz zersetze ich mich auch schon und das muss aufhören
und das ohne Schuldgefühle am besten noch. Es zerrt und zieht an mir, aber mein Bruder hat trotzdem jedes Recht der Welt nein zu sagen zum Kümmern, es ist seine Sache und was ich mache, ist meine Sache.

Momentan ist in meiner Familie einer meiner Onkel seit Monaten schwerkrank und seine Frau,
meine Tante (ich mag beide unheimlich gerne) braucht Hilfe in jeder Hinsicht, aber sie ist schwierig. Natürlich, sie beide hatten ihre Gewohnheiten beim Einkaufen und waren bis vor kurzem fit und gesund und nun drehen einige schon am Rad, weil Muttis Schwester eben nicht
Vorräte für eine Woche kaufen möchte, sondern wie vorher mit ihrem Mann täglich hier und da.

Ich höre mir das von meiner Mutter immer an, was da gerade so los und was soll ich sagen,
es sind sechs Menschen, also Kinder und Enkel, die eng miteinander arbeiten und den beiden helfen und dennoch ist jetzt schon eine Überforderung da auf allen Seiten. Jetzt schon nach wenigen Monaten.
Ich habe Kontakt zu meiner Cousine und bin auf dem Laufenden und mir tut es sehr leid, was sie durchmachen. Aber sie sind zu sechst und ich finde das einfach nur grossartig.

Bei mir ist es überhaupt nicht normal, mich jahrelang allein um die Versorgung eines Menschen kümmern zu müssen, schon gar nicht, wenn man selber krank und kurz vor Pflegegrad 1 steht.
Ich bin müde von der "Familie", viele sind alt und ganz ehrlich, wenn ich die Kraft hätte, würde ich so weit weglaufen vor den Problemen, wie ich nur könnte.

Was unterscheidet mich grundsätzlich von meinem Bruder, frage ich mich oft. Die Antwort darauf ist leicht, wir sind grundverschiedene Menschen, auch Mann und Frau, und er hat die deutlich gesünderen Abwehrmechanismen und ein gutes Ego. Gott sei Dank, kann ich nur sagen, einer kam durch, wie im Film.

Was du machst, liebe anna, klingt oft nach Katastrophenalarm, aber so ist es, glaube ich, gar nicht. Du hast es gern dich zu kümmern und knickst oft ein, stehst wieder auf, aber ich habe nie den Eindruck, dass du damit völlig unzufrieden bist.
Du bist dageblieben und die anderen nicht, einer wohnt in Schweden. Du könntest doch auch weggehen, oder nicht?
Niemand versteht Depressionen, ausser selber erlebt, man geht davon aus, was jemand macht und nicht fühlt. Und du machst. Das ist das, was die anderen sehen.

Liebe Grüsse
Christane
Katerle
Beiträge: 11258
Registriert: 25. Sep 2014, 10:30

Re: Weihnachten am Hof

Beitrag von Katerle »

Hallo liebe Christiane,

danke und wünsche dir auch alles Gute und beste Gesundheit für das neue Jahr 2020.

Wollte dir nur kurz mitteilen, dass ich es voll und ganz nachvollziehen kann, dass du dich von allen alleingelassen fühlst in Bezug um das Kümmern um die Mutter.
Mir ging das ähnlich, obwohl ich auch verstehen konnte, warum die anderen es nicht konnten/wollten. Sie hatten ihre Gründe un dennoch fühlte ich mich verantwortlich und gleichzeitig alleingelassen. Und ich verspürte auch etwas Wut, aber inzwischen ist die verflogen.

Liebe Grüße
Katerle
Christiane1
Beiträge: 583
Registriert: 19. Dez 2013, 09:10

Re: Weihnachten am Hof

Beitrag von Christiane1 »

Hi liebe Katerle,

du hast das Dilemma grad so gut beschrieben in kurzen Worten, danke dafür.

Ich glaube, es geht wahnsinnig vielen Menschen so wie uns und das macht auch sprachlos zum Teil, wer sich kümmert um alte Eltern und wer nicht und warum. Die Gründe dafür sind
ja genau so unterschiedlich wie unsere Köpfe und ich finde es ganz bitter, wenn sich Geschwister untereinander deswegen auch noch entzweien oder gegenseitig angiften.

Ich bin zwar auch traurig und ab und zu sauer, dass mein Bruder fort ist, andererseits hätte ich das ja auch sein lassen können mit der Unterstützung meiner Mutter. Bei mir spielte der Zufall eine grosse Rolle, weil ich zum Zeitpunkt des Todes meines Vaters bereits berentet war. Hätte ich auch keine Zeit gehabt durch meinen Job, hätte Muttis Familie, also vier Geschwister, einspringen müssen, aber nun ergab es sich, dass ich Zeit hatte und Buskarte, also was solls. Ihr Sohn hatte sich ja sowieso von Anfang an verabschiedet, er wäre auch nach spätestens einem Monat gegangen, da er
viel zu viel Wut im Bauch auf seine Mutter trägt und ich verstehe das sehr gut. Sie wirkt immer wie eine freundliche Nachbarin auf uns Kinder und mein Bruder verträgt diese Distanz weitmehr weniger als ich. Sich dann auch noch kümmern müssen wie ein Pflegedienst ist eine Zumutung oder kann es sein, er hat jedenfalls das Spielfeld früh verlassen mit roter Karte für sie. Für mich natürlich sehr schlecht.

Übrigens, das ist vielleicht eine Anekdote wert, unsere Eltern hatten sich ein paar Jahre vor dem Tod unseres Vaters entschieden, uns Kindern die Grabpflege zu ersparen und sich stattdessen der Anatomie der Uni-Klinik zu Verfügung zu stellen und später auf dem
Uni-eigenen Friedhof per Urne niederzulassen. Ein hübscher Friedhof ist das. Ich hatte mich bei der Vorstellung ja schon gegruselt und als es so weit war und mein Vater starb, bekam ich die Bilder (von Anatomie) gar nicht mehr aus dem Kopf.

Aber sie wussten ganz genau, dass keiner von uns Kindern Lust hätte immer wieder ein ordentliches Grab zu pflegen, so wie sie es aus seiner und ihrer Generation kannten.

Leider hatten wir nie über Versorgung gesprochen, man denkt auch nicht daran, bis es soweit ist und einer übrig bleibt. Damals war mir noch nicht klar, dass ich als Einzige übrigbleibe.

Ich hoffe, dass ich anna jetzt nicht ans Bein gepiescht habe, das wollte ich auf keinen Fall.

Inzwischen seit über einem Jahr hat sich die Situation bei mir verändert, seit ich mehr Ruhe habe.
Das war auch dringend nötig. Jetzt läuft alles erstmal so weiter und die Aufgaben bei der Versorgung meiner Mutter sind gut gedrittelt, ich mache lediglich die vielen Begleitungen zum Augenarzt und Diverse und den Behörden- und Bankkram, Putzen und Grosseinkäufe sind
längst verlagert, alles läuft für mich besser. Bis die nächste Phase bei ihr eintritt, also Schwerstpflegebedürtigkeit, dann muss man neu schauen und Pläne entwickeln.

Bei mir ist die Grenze beim Verständnis für vieles schon lange überschritten. Auch Blinde, Taube oder sonstwie Hilfebedürftige sind für mich in erster Linie Menschen, deren Charakter sich nicht massgeblich verändert durch eine Krankheit, wogegen Krankheiten nicht dazu führen sollten, dass man sie höher einstuft als den Menschen selbst. Ich habe das leider getan und mir tat es überhaupt nicht gut im Nachhinein und sooo oft wie in den letzten Jahren wollte ich meine Mutter nun wirklich nicht sehen, es ist ein Drama mit uns beiden. Meistens denke ich, dass es ihr besser geht als mir, und im psychologischen Bereich trifft das auch zu.

Naja, es wird langsam. Wenn die Mutter schon mal versteht, dass die Tochter über kein so heiteres Wesen wie sie verfügen kann und irgendwie doch tatsächlich krank sein muss, ist
schon etwas gewonnen. Und Aussenstehende sehen ja nur, was ich mache seit Jahren und
ehrlich gesagt kam mir selber auch schon mal spöttisch der Gedanke, dass ich eigentlich wieder richtig arbeiten gehen könnte, wenn ich so etwas Grosses wuppen kann wie eine Rundumversorgung.

Diese ganzen negativen Gedanken mag ich aber nicht und sind so aussichtslos.
Gut, dass deine Wut verflogen ist, Katerle, ich übe noch ein bisschen.

Ganz liebe Grüsse zurück,
Christiane
Katerle
Beiträge: 11258
Registriert: 25. Sep 2014, 10:30

Re: Weihnachten am Hof

Beitrag von Katerle »

Hallo liebe Christiane,

das bringst du auch treffend auf den Punkt, was Geschwister betrifft.

Ich war schon immer irgendwie in Sorge um meine Mutter, zumal sie auch sehr unter den Alkoholausbrüchen meines Vaters litt...
Und da ich eh KS war, kümmerte ich mich eh, in erster Linie aber, weil ich sie liebte.

Mit dem Uni - Friedhof ist für mich echt Neuland. Aber wenn das für euch eine gute Lösung war, okay.
Ich war anfangs die Einzigste, die sich um das Grab meiner Mutter kümmerte... Seit einiger Zeit hilft aber auch meine S., wofür ich auch sehr dankbar bin.

Durch meine Krankheit habe ich mich schon verändert, aber eher für mich im positiven Sinne.
Beruflich einsteigen könnte ich nicht mehr, da ich ja so schon merke, wie sehr es mich anstrengt, mal für meine Enkel da zu sein. Ja, stimmt schon, so ne Rundumversorgung, wenn du selbst krank bist, ist schon eine sehr große Herausforderung für einen.

Und danke für die Grüße,
ebenfalls Katerle.
Lieblingsuli
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Registriert: 28. Sep 2018, 12:22

Re: Weihnachten am Hof

Beitrag von Lieblingsuli »

Katerle hat geschrieben:das bringst du auch treffend auf den Punkt, was Geschwister betrifft.
Achtung, Triggergefahr!
"Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern"

Lothar de Maizière
anna54
Beiträge: 3713
Registriert: 14. Sep 2010, 15:08

Re: Weihnachten am Hof

Beitrag von anna54 »

Hallo ihr Lieben
wieder einmal komme ich nicht zeitnah zum Lesen und meine Antwort kommt spät.
Danke für eure Beiträge,familienmüde bin ich bis zum umfallen,danke für das Wort!
Immer kriege ich es nicht hin genau zuzuornden,wer welchen Denkanstoß gegeben hat,aber ich lese durchaus auch kritischen Anmerkungen als sehr wichtig für mich.
Ich verrenne mich sehr oft,weil der Abstand fehlt,der zu eine Vorsortierung und Aussortierung der einzelnen Wichtigkeiten nötib wäre.
Später,viel später kommt erst Klarheit und oft dann aber auch ein riesiger Schmerz,wieder nicht verstanden worden zu sein, nicht gesehen worden zu sein,auch in meinem Leid.
Als 2. von 10Kindern kenne ich meine "Pappenheimer" nur zu gut.
Jetzt wird meine kranke Schwester operiert,Vollnarkose,große Sorge um eine erneute Psychose----und keiner kümmert sich----"wie,Op. weiß ich nicht,hab keine Zeit usw.
Die Umsorgung meiner kranken Schwester werde ich nie aufgeben,weil ich das auch nicht will,ich stehe ihr bei und bin immer wieder erstaunt,wie wichtig und einfach Zuwendung,Zuhören und Aushalten ist.
Meiner Mutter geht es gut,sie hat viel Aufmerksamkeit,die Geschwister machen sich wichtig und jetzt werden die "Kostbarkeiten" schon mal aus dem Elternhaus gesichert,natürlich jeder für sich.
Ich werde mich daran nicht beteiligen.
Mein Erbe ist die unendliche Kraft und unendliche Sorge um das Miteinander und damit meine ich nicht nur Familie,damit meine ich jeden,der mein Leben kreuzt,das hat mir mein Vater geschenkt,ich gehe gern zu seinem Grab,es ist eine kleine Auszeit.
Ich habe Medikamente nehmen müssen,um ein kleines Stückchen Ruhe zu bekommen.
Gespräche gab es nicht,Termine fallen aus oder sind durch Urlaub erst Ende des Monats möglich.
Oft habe ich das Telefon nicht mehr aus der Hand legen können,aber die Telefonseelsorge ist fast immer besetzt----wie auch anders?
Immer geht es mir nach dem Jahreswechsel besser,aber das Wissen ist nicht als Vorsorge zu bewahren.
Dauerschlaf würde ich mir wünschen.
Der Tod von Steffi ist mir immer noch sehr nah im Herzen und ich muss den nächsten Schritt wagen,weil ich ihr Grab noch nicht kenne.
Verletzt und riesig enttäuscht bin ich immer noch von dieser unsäglichen Familienfeier,dieser "Zuschreibung" zu denen,denen man ja nichts glauben kann,die ja nur erpressen und fordern zu Unrecht---???
Keiner meiner Geschwister,alle Hochschulstudium hat sich jeh beteiligt in Angehörigengruppen oder im Trialog,wenn ich von einem gutem Buch gesprochen habe,das war alles schon zuviel----entsorgen war angesagt-----nicht ansprechbar sein war angesagt.
Aber ich will nicht jammern,das ist es nicht,es ist die tiefe Verletzung,dass psychsich Kranke abgestempelt werden und damit in keinster Weise ein Austausch auf Augenhöhe möglich ist.
Daher ist mir jede Gruppenarbeit um so wichtiger,da kommen ähnliche Erfahrungen zur Sprache und ein fast wortloses Verstehen ist möglich und Trost----ein Wort,dass mich fast einmal umgebracht hätte,so trostlos war ich.
Kreuz und Quer meine Gedanken und Gefühle,jetzt fahre ich zu meiner Schwester,ein wenig Angst auflösen,hoffentlich.
Allen die besten Wünsche für 2020 und ganz viel Hoffnungsschimmer,allerorten!!!
Umarme euch
anna54
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