Kuscheln und Kritik

sentiero
Beiträge: 15
Registriert: 16. Mär 2004, 11:48

Re: Kuscheln und Kritik

Beitrag von sentiero »

Das Thema „Kuscheln und Kritik“ ist auch für mich, als Angehörige, ein ganz heißes Thema. Auf irgendeine Art und Weise fühle ich mich auch als Angehörige als betroffen, mit Empfindlichkeiten und allem, was dazu gehört. Einerseits will und muss ich stark sein und Hoffnung ausstrahlen, so gut es geht. Hier im Forum darf ich meine Ängste ausdrücken, die ich sonst kaum wo lassen kann.

Ich weiß im Forum Thomas´ sachliche, aber keineswegs! kalte Art sehr zu schätzen. Sie hat mir schon manche Anregung gebracht. Ich empfinde es aber auch als große Erleichterung, mir meinen Frust von der Seele schreiben zu dürfen. Ich hoffe, ich bleibe nicht darin stecken.

Ich bin nicht sicher, ob der Rest meines Postings noch in diesen Thread gehört. Ich schreibe mal trotzdem weiter, da mir dieses Thema auf den Nägeln brennt. Wenn ihr es für fehl am Platze halte, scrolt einfach drüber hinweg.

Vielleicht könnt ihr direkt Betroffenen, die ihr euch schreibend äußert, mir einen Hinweis zu meinen offenen Fragen im Bezug auf die Reaktion auf meinen Angehörigen geben? Ich finde es wahnsinnig schwierig, Verständnis und Zuversicht zu signalisieren und dabei den Balanceakt zu wahren, bei dem der Depressive unbedingt signalisiert bekommt, dass man zu ihm steht und den Versuchen, ihn dazu zu bringen, selbst aktiv zu werden. („Kritik mag gegenüber einem Depressiven grausam anmuten und nicht immer ist zu erkennen, wo jemand in seiner Depr. steht und was ihm da am meisten nutzt.“). Wo fordere ich, wo überfordere ich? Das Gefühl, den Depressiven rütteln und schütteln zu wollen, kenne ich sehr wohl. Was aber, wenn Druck nur Rückzug erzeugt? Wenn zu schnelles Wechseln der Medikamente oder Höhersetzen der Dosierung nur zu mehr Nebenwirkungen führt? Bin ich ein Zauderer? Schade ich mit meiner vorsichtigen, eher langsamen Art? Muss auch ich mehr zupacken? Oder müssen wir aufpassen, mit dem Kopf nicht durch die Wand zu gehen? So viele Fragen, so wenige Antworten.

Thomas schreibt: „An irgendeinem Punkt der Depr. muss man sich entschließen, ins Leben zurückzukehren und das ist praktisch immer damit verknüpft, sich zu ändern und neue Einsichten zu gewinnen.“ Das ist so richtig!!! Nur, wie kann der in der Depression befangene zu dieser Erkenntnis kommen? Muss man Zeit geben, diese einfach wirken lassen? Muss man fordern? Wieviel Schonung ist nötig? Wieviel Schonung ist zuviel? Was, wenn sich Angehörige über diesen Punkt nicht einigen können?


„Nicht für Kuscheln & Kritik oder auch Pluralität der Meinungen sollte geworben werden, sondern für Toleranz und vielleicht auch etwas mehr emotionaler Distanz, manchmal...“

Auch diesem Statement kann ich mich anschließen. Ich glaube, manchmal kann man Kritik von neutralen Personen (solchen mit mehr emotionaler Distanz) leichter annehmen und in seine Gedanken einfließen lassen. Das kann sehr hilfreich sein.

So, genug für heute. Danke fürs „zuhören“. Sentiero
artemis
Beiträge: 912
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: Kuscheln und Kritik

Beitrag von artemis »

Hallo Sentiero,

ich kenne die Krankheit inzwischen von beiden Seiten. Als mein Ex heftige Episoden hatte, merkte ich, wie auch ich durch die Belastung empfindlicher wurde und ich glaube, das lag nicht nur an meiner eigenen Veranlagung für die Krankheit, denn ähnliches lese ich hier von fast allen Angehörigen.

> Vielleicht könnt ihr direkt Betroffenen, die ihr euch schreibend äußert, mir einen Hinweis zu meinen offenen Fragen im Bezug auf die Reaktion auf meinen Angehörigen geben?

Ich werde es versuchen!

> Ich finde es wahnsinnig schwierig, Verständnis und Zuversicht zu signalisieren und dabei den Balanceakt zu wahren, bei dem der Depressive unbedingt signalisiert bekommt, dass man zu ihm steht und den Versuchen, ihn dazu zu bringen, selbst aktiv zu werden.

Du mußt nicht immer Zuversicht signalisieren, wenn du nicht zuversichtlich bist. Du darfst auch zeigen: Ich stehe zu dir, aber ich habe auch nicht immer DIE Lösung parat. Ich habe dich lieb, aber auch ich habe angst. Ich denke, der zu perfekte Partner, dem es scheinbar nie schlecht geht und der immer eine Lösung weiß kann dem Kranken auch mit seinem Perfektsein Angst machen. Angst nie selber so perfekt sein zu können. Das Ganze ist natürlich auch eine Gradwanderung zum Schuldgefühle auslösen. Aber übertriebene Rücksicht bringt es auch nicht. Ehrlichkeit miteinander ist mehr wert. Eine von dir nur vorgespielte Zuversicht wird dein Mann bemerken und dann entsteht eine Mauer des Schweigens zwischen euch.

> Wo fordere ich, wo überfordere ich?

Das ist eine richtige Frage, auf die es aber keine pauschale Antwort gibt. Aus meiner Erfahrung muß ich sagen, daß ich wohl eher zu wenig gefordert habe - nämlich gar nichts. Es gibt aber Spielregeln an die sich auch ein Depressiver sehr wohl halten kann. Gar nichts fordern ist falsch, muß ich heute sagen. Wieviel geht und einem doch wenig erscheint muß ausgelotet werden. Vielleicht mit Hilfe eines Therapeuten?

> Das Gefühl, den Depressiven rütteln und schütteln zu wollen, kenne ich sehr wohl.

Jou, kenne ich auch. Bringst aber wohl nichts, da es auch schon nichts bringt, wenn ich mich selber als Betroffene selber zu sehr schüttle.

> Was aber, wenn Druck nur Rückzug erzeugt?

So hoch darf der Druck nicht sein. Zumindest darf er keinen langfristigen Rückzug zur Folge haben. Mal ne kleine Denkpause kann aber auch hifreich sein.

> Wenn zu schnelles Wechseln der Medikamente oder Höhersetzen der Dosierung nur zu mehr Nebenwirkungen führt?

Bei den Medikamenten bedarf es Geduld und absolute Ehrlichkeit gegenüber dem betreuenden Arzt. Von zu schnellen Wechseln halte ich nichts. Wenn NWs erträglich sind, sollte man schon schauen was mittelfristig mit Wirkung und Nebenwirkungen ist. Wenn NWs erträglich sind und sich wenigstens etwas Wirkung zeigt, ist höher Dosieren ein üblicher, oft erfolgreicher weg. Andererseits bring zu heftiges Zähnezusammenbeißen da auch nichts, denn wenn es hilft, muß man das Medie ja mehrere Monate nehmen. Diese Abwägung ist etwas, daß man wirklich am besten mit dem Doc seines Vertrauens macht. Ehrlich sein, alles erwähnen was man erlebt und denkt, dann aber auch Vertrauen haben, daß der schon weiß, was er tut. Auf diese Weise bin ich nie ganz schlecht gefahren.

> Bin ich ein Zauderer?

Das weiß ich nicht. Aber Zaudern = Mißtrauen(?) ist ja nicht gleich was schlechtes, solange es ein gesundes Mißtrauen bleibt und man nicht hinter jeden Ecke gleich was Böses erwartet.

> Schade ich mit meiner vorsichtigen, eher langsamen Art? Muss auch ich mehr zupacken? Oder müssen wir aufpassen, mit dem Kopf nicht durch die Wand zu gehen?

Wenn Angehörige eher langsam sind schadet das weniger, als wenn sie zu schnell sind, denke ich. Und du kannst eh nicht Dinge anpacken, die dein Partner anpacken muß. Ja, lieber langsam und Schitt für Schritt, denke ich. Nichts übers Knie brechen. Was langsam selbst erarbeitet ist, ist meist dauerhafter.

So, nun bist du wahrscheinlich genauso klug, als wie zuvor. Aber das ist es, was mir zu deinen Fragen eingefallen ist. Vielleicht hilft es trotzdem weiter. Das ganze ist halt eine Gradwanderung, bei der man sich aber auch als Abgehöriger seine Grenzen eingestehen und kundtun sollte.

Das ist meine Meinung und Sicht der Dinge.
Arte
sari_maniac
Beiträge: 9
Registriert: 4. Mai 2004, 17:27

Re: Kuscheln und Kritik

Beitrag von sari_maniac »

=)da hier so positiv viel werbung fuer dich gemacht wird... koenntest du mir deine meinung zu meinem posting schreiben? (warum immer wolken vor die sonne ziehen)
waer toll...
fuer andere meinungen bin ich natuerlich auch offen...
sentiero
Beiträge: 15
Registriert: 16. Mär 2004, 11:48

Re: Kuscheln und Kritik

Beitrag von sentiero »

Hallo, Arte

Danke für Deine Antwort. Ich habe kein Patentrezept erwartet, ich weiß, dass es das nicht gibt. Mittlerweile weiß ich aber, dass es mir gut tut, Zweifel und Fragen auszusprechen. Das ich nicht die erste und einzige mit diesen Problemen bin, ist mir völlig bewusst. Aber jeder Angehörige muss offensichtlich seinen Weg finden, sich mit den Dingen auseinander zu setzten. In diesem Sinne hilfst auch Du mir. Danke.

Um einen Irrtum aufzuklären: Mein lieber depressiver Mensch ist nicht mein Mann, sondern mein gerade 18-jähriger Sohn! Und zur Zeit (nicht immer) bin ich zuversichtlich, dass er eine echte Chance hat. Nur er glaubt es nicht! Wenn ich mit ihm (meinem Sohn) einen ordentlichen Konflikt hinbekäme, wären wir schon ein Riesenstück weiter, aber so ist es noch nicht. Die Meinungsverschiedenheiten habe ich mit meinem Mann: er – zupackend, ungeduldig, ich – manchmal mutlos, abwartend „zaudernd“. Ich habe Sorge, dass unser Sohn unter diesen Meinungsverschiedenheiten leidet.

Sentiero
artemis
Beiträge: 912
Registriert: 13. Feb 2003, 09:52

Re: Kuscheln und Kritik

Beitrag von artemis »

Hallo Sentiero,

sorry für die Verwechslung zwischen Partner und Sohn. Aber das, was ich geschrieben habe, denke ich weitgehend auch dann, wenn der Betroffene liebe Angehörige der Sohn und nich der Partner ist. Aber das hast du ja auch so interpretiert.

Und auch sonst hast du recht. Jeder, egal ob betroffen oder Angehöriger muß seinen Weg finden, es gibt einige Wegweiser und manchmal führt auch ein Umweg letztlich schneller zum Ziel. Man kann von den Erfahrungen anderer profitieren aber letztlich ist jeder Weg individuel.

Euer Sohn kann unter eurer Meinungsverschiedenheit leiden aber auch davon profitieren. Heile Welt vorspielen bringt nichts, das merkt er eh. Er kann sich zwischen euren Polen seinen Weg suchen oder auch was abseits davon für sich entwickeln.

Einen ordentlichen, alles klärenden Konflikt mit deinem Sohn wirst du aber erst dann hinbekommen können, wenn er eigentlich schon wieder gesund ist. Vorher werden Konflikte wahrscheinlich nicht total klärend ablaufen können. Du kannst deinen Sohn nicht wachrütteln. Aber mal was kontrovers diskutieren und dann ohne abschließende Lösung stehen lassen, kann auf allen Seiten langfristig was bewirken.

Arte
Ann-Louis
Beiträge: 48
Registriert: 21. Nov 2003, 13:48

Re: Kuscheln und Kritik

Beitrag von Ann-Louis »

Hallo Caro, Thomas und alle anderen Mitleser,

ich kann Thomas und Caro nur voll zustimmen, verstehe aber auch dass es Zeiten zum jammern gibt. Wenn es mir gut geht meine ich immer es muss (zumindest die nächsten Stunden) so bleiben. Trotzdem kann mich dann ein Wort total aus der Fassung bringen. Bei mir kommt es ganz anders an, als es gemeint war und mir rollen dann die Tränen durchs Gesicht und ich ziehe mich total zurück. Obwohl ich von der Grundtendenz das Gefühl habe es geht mir besser, bin ich nicht sicher ob ich nicht in mein altes Verhaltensmuster zurückgefallen bin. Ich wollte perfekt sein und alles unter Kontrolle haben. Versuche ich nicht wieder so gut es geht meine Gefühle und mein Verhalten zu kontrollieren und sind die plötzlichen Abrutscher dann nicht nur ein Kontrollverlust? Ich weiss es nicht, aber ohne Eure Beiträge hätte ich bestimmt nicht mehr als einmal mitgelesen und sogar selbst etwas geschrieben.

Hallo Sentiero,

als Mutter von drei älteren Kindern denke ich, dass zu der Depression auch noch eine verzögerte Pubertät/Ablösungsprozess vorliegen kann. Mein Mann und mein Ältester haben auch Konflikte. Mein Mann erwartet von ihm mehr Selbständigkeit und Eigenverantwortung. Mein Sohn hatte m. E. auch Probleme, was durch meine Depression natürlich nicht gerade besser wurde. Gleichzeitig besteht mein Sohn darauf erwachsen zu sein, ist aber finanziell nicht unabhängig. Es ist schon schwer mit einem depressiven Partner umzugehen, aber als nicht depressiver Mann den eigenen Sohn relativ hilflos in seiner Depression zu sehen, dürfte in dem Alter des Sohnes, wo es meistens sowieso schon normale Vater-Sohn-Konflikte gibt, besonders schwierig sein.
Durch den Druck des Vaters wird der Sohn wahrscheinlich nur noch Gegendruck aufbauen (war bei uns so). Das verstärkt vermutlich die Depression eher, als hilfreich zu sein.
Mag dein Sohn Tiere? Vielleicht wäre es gut ihm einen kleinen Hund oder eine kleine Katze zu schenken. Ein Tier fordert Aufmerksamkeit und Verantwortung. Der Druck der Forderung wird in der Regel auch nicht als so stark empfunden. Mit einem Tier kann er sprechen, es hört zu und er kann ihm dass sagen, was er sonst keinem so schnell anvertraut und es gibt ihm Zuneigung.

Ich wünsche Allen noch einen schönen Tag, ohne falsche Worte

Ann-Louis
sentiero
Beiträge: 15
Registriert: 16. Mär 2004, 11:48

Re: Kuscheln und Kritik

Beitrag von sentiero »

Hallo, Ann-Louis,

mein Sohn mag Tiere sehr und wir haben einen Hund. Es gehörte immer schon zu den (meist gern erledigten) Kinderpflichten, mit dem Hund zu gehen. Das hat er auch in dunkelsten Zeiten getan. Er beschäftigt sich regelmäßig mit dem Tier. Ich stimme Dir zu, dass ein Tier sehr positive Auswirkungen hat. Mit ihm ist auch Körperkontakt möglich, der bei einem 18-jährigen mit den Eltern unmöglich ist.

Ich hoffe, ich habe meinen Mann nicht als unmöglich geschildert. Das habe ich nicht gemeint. Er bemüht sich sehr um unseren Sohn. Nur ist sein Ansatz so ganz anders als meiner. Aber vielleicht macht er es ja viel besser?

Ich wünsche Dir viel Kraft und Stabilität und allen einen schönen Tag ohne Mißverständnisse
Sentiero
Ann-Louis
Beiträge: 48
Registriert: 21. Nov 2003, 13:48

Re: Kuscheln und Kritik

Beitrag von Ann-Louis »

Hallo Sentiero,

ich finde nicht, dass Du deinen Mann als unmöglich geschildert hast. Es ist die meiner Meinung nach typische Verhaltensweise bei Männern, die selbst noch nie betroffen waren. Ich hab eine sehr guten Mann und trotzdem kommt es hin und wieder dazu, dass er sagt: wieso geht es dir jetzt so schlecht, viele Stressfaktoren sind doch nicht mehr da (Beschäftigung und die Kinder sind inzwischen grösser und seltener zuhause). Aber die Depression wird durch Stressfaktoren vielleicht stärker, aber sie ist nicht weg, bloss weil die Stressfaktoren weg sind. Vor ein paar Jahren sagte ich meiner Ärztin, dass meine Kinder, vor allem meine Tochter nicht damit klar kommt. Sie meinte, dass es normal wäre, in diesem Alter wollten sie eine taffe Mutter und ich war alles andere als das. Väter wollen glaub ich auch immer taffe Söhne, die Krankheit macht ihnen Angst und sie wissen nicht damit umzugehen. Also möglichst ignorieren und Forderungen stellen. Das ist nicht böse gemeint, sondern der Glaube, dass wenn man sich zusammenreisst es auch klappt und die Krankheit weg ist. Es ist sein Zeichen von Hilflosigkeit. Mütter wollen ihr Kind immer umsorgen wenn es krank ist. Sie schonen es meist zu sehr, indem sie ihm alles abnehmen.
Aber es ist auch schwierig die Grenze zu ziehen. Hast Du ein gutes Verhältnis zu deinem Sohn? Wenn ja, versuch es doch mal mit einer Bitte am Tag. Wenn er aufsteht, könntest Du ihn bitten ein kleines Teil im Laufe des Tages zu erledigen und wenn er es getan hat, sag ihm, dass es dich freut. Dann bekommt er wahrscheinlich langsam auch zutrauen zu sich selbst. Alles Gute und noch einen schönen Tag

Ann-Louis
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