Diese Krankheit macht mich so klein

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Max_
Beiträge: 583
Registriert: 19. Jan 2018, 11:46

Diese Krankheit macht mich so klein

Beitrag von Max_ »

Hallo liebes Forum,

ich muss mich heute bei euch ausheulen. Momentan hat mich die Depression wieder so richtig am Wickel, so dass jeder Tag eine mittlere Herausforderung ist. Das Schlimmste ist gerade die sehr negative Selbstwahrnehmung und eine latente Angst, so dass ich mich ab liebsten verkriechen würde.

Zum Beispiel wollte ich heute ins Yoga gehen, und habe mich schon auf den Weg gemacht. Kurz nachdem ich das Haus verlassen habe, musste ich umkehren, weil ich irgendwie Hemmungen davor hatte, mit den anderen Menschen, die eigentlich cool sind, auf engem Raum Yoga machen zu müssen. Ich denke vorallem daher, weil ich mich aufgrund von abwertenden Gedanken dort heute irgendwie fehl am Platz und minderwertig gegenüber den Anderen fühlen würde. Und ob ich überhaupt durchhalten könnte?

Auch fehl am Platz fühle ich mich gerade im Job. Weder ausführende Arbeiten in meinem Kerngebiet noch deren Präsentation traue ich mir zu. Kann keine Haltung mehr zu Dingen einnehmen. Nächste Woche habe ich einen Termin bei einem Auftraggeber, und ich habe jetzt schon Angst davor. Meine Gedanken sind: Was, wenn ich schlecht drauf bin? Was, wenn sie merken, dass was mit mir nicht stimmt? Was, wenn ich nicht den Eindruck vermitteln kann, alles im Griff zu haben? Wenn die Fassade bröckelt... Dabei mache ich das schon seit Jahren und kann das sehr gut, wenn mich die Depression lässt.

Da ich mich selbst (bzw. die Krankheit!!) so abwerte, unterstelle ich jetzt natürlich auch Anderen eine negative Sichtweise von mir. Ob nahe Angehörige oder gute, langjährige Kollegen: die Depression gaukelt mir gerade immer wieder vor, dass man mich kritisiert, abwertet, ärgert, oder – und das ist sehr schmerzvoll – dass mich niemand mehr richtig unterstützt. Also in der Summe, dass eigentlich alles richtig sch… ist! Meine sicher übertriebenen, dünnhäutigen Reaktionen auf wahrscheinlich normale Verhaltensweisen meiner Mitmenschen könnt ihr euch vorstellen.

Kennt ihr diese Gedanken? Was macht ihr dagegen? Wie helft ihr euch da raus?

Durch Therapien habe ich einiges gelernt, wie ich mir Gutes tun kann, aber diesen Gedanken/Gefühlen von Wertlosigkeit, Verlassenheit und Angst habe ich gerade ganz wenig entgegenzusetzen.

Max
Bittchen
Beiträge: 5430
Registriert: 2. Feb 2013, 18:02

Re: Diese Krankheit macht mich so klein

Beitrag von Bittchen »

Hallo Max,

das kenne ich auch sehr gut.
Eine offene Präsentation ,wenn alle hin schauen,ist ja auch nicht leicht.
Auch wenn man aus Erfahrung weiß, ich kann das gut ,offen etwas zu präsentieren.
In einer depressiven Episode ziehe ich mich auch sehr zurück .
Das Risiko ,dass es die Auftraggeber merken, ist schon gegeben,aber muss nicht sein..
Vielleicht kannst du schon vorher sagen,dass es dir nicht gut geht,du aber gerne das Projekt vorstellen würdest.
Kein Mensch hat immer alles im Griff.
Es liest sich schon so bei dir, dass du perfekt sein willst.
Daran scheitern ja ganz viele Menschen.
Deine Gedanken sind auch Symptome der Depression,schreibe deine Stärken auf,denn die hast du ja weiterhin.
Die sind Moment durch deine Zweifel nur vergraben ,aber sie sind noch da.
Alles!!! Sch....ist eher selten.
Es gibt sehr viele Dinge die du noch hast ,für die du auch dankbar sein kannst.
Du kannst noch arbeiten,dein Lebensunterhalt ist gesichert usw,da wird dir noch sehr viel mehr einfallen
Dankbarkeit ist ein gutes Antidepressivum.
Mir hilft da auch weiter machen, in kleinen Schritten mir Gutes tun und denken
"Es geht wieder vorbei".
Da ist wieder Geduld gefragt und Rücksicht auf dein momentanes Empfinden.
Wann du wieder professionelle Hilfe brauchst,scheinst du selbst beurteilen zu können.
Gute Besserung und liebe Grüße
Bittchen
Jeder Tag ist ein neuer Anfang.
aikido_1987
Beiträge: 1133
Registriert: 24. Jul 2011, 20:43

Re: Diese Krankheit macht mich so klein

Beitrag von aikido_1987 »

Hallo Max, ich kann dich verstehen, mir geht es genauso. Die Angst ist überall. Sie schränkt mich sehr ein und wird immer schlimmer. Aber ich habe mir mithilfe etwas Druck von meiner Psychiaterin, ein Herz gefasst und mich zu Kursen an der Volkshochschule angemeldet. Das schlimmste war die erste Stunde Englisch, aber jetzt kenne ich alle und hab zumindest da keine Angst mehr. Ich hatte auch total Angst davor, mich mal wieder beim Radio blicken zu lassen. Habe es ewig hinausgeschoben und heute war ich da und wurde herzlich begrüßt. Das sind jetzt mal 2 Beispiele, wo ich mich der Angst gestellt habe und dafür belohnt wurde.

Ich wollte allerdings auch noch zur Hausärztin weil ich Beschwerden habe und habe mich aber bisher nicht hin getraut, obwohl ich meiner Hausärztin heute vor der Praxis begegnet bin, beim zufälligen vorbei gehen.

Auf Arbeit hat mir auch immer alles Angst gemacht. Genauso wie soziale Kontakte. Ich habe kein Geheimrezept für dich. Vielleicht ab und zu mal der Angst stellen, wo es geht und hinterher belohnen.

Herzliche Grüße, aikido
Regenschirm
Beiträge: 59
Registriert: 23. Jul 2019, 13:26

Re: Diese Krankheit macht mich so klein

Beitrag von Regenschirm »

Lieber Max,
Das tut mir sehr leid, dass du dich so fuehlst. Ich kenne das sehr sehr gut. Ich hab viel Therapie gemacht etc..und sehr gekämpft. Manchmal war es besser, meistens schlimm. Mir hat tatsaechlich die Einnahme eines Antidepressivums grosse Erleichterung verschafft. Deshalb ist auch nicht immer Alles toll, aber diese Riesenqual hatte ein Ende.
Herzliche Grüße
Regenschirm
Max_
Beiträge: 583
Registriert: 19. Jan 2018, 11:46

Re: Diese Krankheit macht mich so klein

Beitrag von Max_ »

Lieben Dank für eure mitfühlenden Worte und Ratschläge.

Bittchen, du hast wohl recht, dass ich perfektionistisch veranlagt bin. Allerdings kann ich mir richtigen Perfektionismus gar nicht mehr leisten, sondern bin froh, wenn ich ein normales Arbeitspensum durchhalte.

An den Satz »Es geht wieder vorbei« hab’ ich heute öfters gedacht und das hat mir ein wenig Zuversicht gegeben. Auch finde deinen Augenmerk auf Dankbarkeit gut – vielen Dank ;)

Aikido, ich erlebe das auch so, dass ich vor sozialen Ereignissen manchmal einen richtigen Bammel habe; ist das Eis aber dann gebrochen, und fühle ich mich »sicher« und geschätzt, kann ich plötzlich richtig aufdrehen. Schätze, das liegt auch wieder am mangelnden Selbstwert und der enormen Angst vor Ablehnung.

Ich denke, dass es sicher immer lohnt, Dinge trotz Angst zu tun. Manchmal ändert das die schlechte Stimmung um 180 Grad… eine gute Begegnung auf der Strasse reicht oft aus. Wünsche dir auch viel Kraft und Überwindung!

Auch dir danke, lieber Regenschirm. Freut mich sehr für dich, dass dir das AD so grosse Erleichterung schafft. Darf ich fragen, welches Medikament du nimmst? Ich kenne das von Fluexetin, dass sich meine Ängte und Hemmungen irgendwie aufgelöst haben, was ein sehr schöner Zustand war. Leider sind die Nebenwirkungen bei mir recht unangenehm, so dass ich es nicht mehr nehmen möchte. Seit ein paar Monaten teste ich nun Tianeurax.

Herzliche Grüße
Max
Regenschirm
Beiträge: 59
Registriert: 23. Jul 2019, 13:26

Re: Diese Krankheit macht mich so klein

Beitrag von Regenschirm »

Lieber Max,
Ich nehme Sertralin. Ich hab erfreulicherweise nicht wirklich mit Nebenwirkungen zu tun. Natürlich beim Einschleichen oder Reduzieren. Das ist immer furchtbar. Aber selbstverständlich muss ich mich in meinem Alltag auch emotional regulieren. Ich freue mich ganz oft ueber kleine Dinge im Alltag.Zwischenmenschliche Begegnungen, die von Freundlichkeit, Frieden im Herzen oder Humor geprägt sind z. B. Und erstaunlicherweise erlebe ich das ganz schön häufig. Ausserdem bin ich wirklich ganz oft dankbar für meine Trockenheit, für meine erstaunlich gut gelungene erwachsene Tochter, dafür dass ich mit fast 60 zwar Einen an der Waffel habe, aber dennoch relativ gesund bin. Hab noch Arme, Beine, Augen, Nase, Mund...und mit Sertralin gelingt es mir eben relativ liebevoll mit mir umzugehen....
Liebe Grüße
Regenschirm
Lebenslöwe
Beiträge: 68
Registriert: 21. Sep 2019, 13:34

Re: Diese Krankheit macht mich so klein

Beitrag von Lebenslöwe »

Hallo Max,

das Gefühl, dass du beschreibst, kenne ich gut. Aber kennst du diese Sprungfedern? Die man runter drücken kann und wenn man dann loslässt, springen die total hoch oder total weit?
Ich glaube, das ist mit der Depression auch so und das kann total helfen, wenn man sich das klar macht. Die Krankheit macht dich klein, kann sein, aber alles, was in dir drin ist an Stärken und Talenten, an Erinnerungen, an Werten an Träumen, das kriegt die Depression nicht aus dir raus, sie kriegt es nur zusammen gestaucht.
Die Depression drückt einen zu Boden, aber sie drückt einen nicht in den Boden rein. Wir sind immer noch da. Und irgendwann, wird der Druck weniger - und dann können wir aufspringen, wie diese Sprungfedern. Weil wir unsere Energie gesammelt haben, weil wir uns besser kennen gelernt haben, weil wir wissen, was uns gut tut und was nicht.

Vielleicht ist die Depression wie ein Trainingslager. Und da kommt auch erst der Muskelkater und dann der Trainingsfortschritt.

Bei Fröschen und anderen Tieren ist das glaube ich auch so. Dass sie sich erst klein machen und alle Energie in sich sammeln, und dann federn sie sich ab - und hüpf. :-)

Die Depression kann auch ein Sprungbrett sein (das auch erst mal nach unten federn muss). Ein Sprungbrett in eine bessere und glücklichere Zukunft. Und genau so, wie in einem kleinen Apfelkern ein riesiger Baum steckt, steckt auch in dir, egal, wie klein du dich gerade fühlst, ein riesiges Potenzial für ein wunderbares und glückliches Leben.
Es ist kein Versagen, dass der große Apfelbaum nur so kleine Kerne hat, sondern seine große Stärke. Denn nur weil die Apfelkerne so klein sind, können der Wind und die Vögel ihn an den Ort tragen, wo er hingehört. Wo er wachsen und gedeihen kann.

Lass dich nicht unterkriegen, du hast die Größe eines Apfelbaums tief in dir drin. Und nur, weil du sie noch nicht sehen kann, heißt es nicht, dass sie nicht da ist! :D

Viele Grüße und viel Kraft dir,
Lebenslöwe

P.s.: Was mir auch dabei hilft, ist die sogenannte Berg-Meditation aus dem Achtsamkeitstraining. Die kann helfen, sich seiner inneren Stärke und Stabilität immer wieder bewusst zu werden. :-)
Max_
Beiträge: 583
Registriert: 19. Jan 2018, 11:46

Re: Diese Krankheit macht mich so klein

Beitrag von Max_ »

Hallo Regenschirm,

das hört sich doch ganz gut an bei dir! :) Dass du häufig gute Begegnungen erlebst, liegt sicher an dir selbst bzw. deiner Ausstrahlung. Ich finde es erstaunlich, was man alles anstossen kann, wenn es einem selbst gut geht. Bei mir passiert das gerade nicht sehr oft, aber ich denke und hoffe, dass sich das auch mal wieder ändern wird. Momentan bin ich aber eher am reagieren als am agieren.

Freut mich für dich, dass du ansonsten gesund bist. Tust du viel dafür? Ist die Achtsamkeit ein Nebenprodukt deiner depressiven Erkrankung?

Herzliche Grüße
Max
Max_
Beiträge: 583
Registriert: 19. Jan 2018, 11:46

Re: Diese Krankheit macht mich so klein

Beitrag von Max_ »

Hallo Lebenslöwe,

vielen Dank für deine Unterstützung. Ich mag’ die Bilder, die du beschreibst.

Es wäre toll, wenn nach der Stauchung die große Befreiung käme! Es gibt ja immer wieder Menschen, die rückblickend eine schwere Erkrankung als Ausgangspunkt für eine Wendung zum Besseren betrachtet haben.

Bei akuten Depression, die in absehbarer Zeit »geheilt« werden, kann ich mir gut vorstellen, dass danach mehr Achtsamkeit vorhanden ist und der Blick positiv geschärft wurde. Bei einer chronischen Erkrankung tue ich mir mit dem Gedanken aber etwas schwerer, da ich denke, dass die Feder mit der Zeit schon an Spannkraft und Elastizität verliert. Sie kann dann evt. gar nicht mehr so richtig stark zurückschnellen. Aber warten wir’s ab… :)

Heute habe ich es übrigens geschafft, meine Stimmung der letzten Tage etwas zum Guten zu ändern! Ausschlaggebend war, dass ich meinen besten Freund angerufen habe, und erstmal ziemlich lang über alles Mögliche, und dann über die hier beschriebene Problematik gequatscht habe. Neben Trost haben sich vorallem auch neue Ideen und Pläne ergeben, und nicht zuletzt stellte sich dann auch wieder dieses Gefühl ein, nicht ganz alleine auf dieser Welt zu sein. Daher Learning zum 100ten mal: rufe jemand Nahes an, wenn du dich sehr schlecht fühlst – es hilft immer ein bisschen, manchmal sogar richtig viel... :)

Herzliche Grüße
Max
Lebenslöwe
Beiträge: 68
Registriert: 21. Sep 2019, 13:34

Re: Diese Krankheit macht mich so klein

Beitrag von Lebenslöwe »

Hallo Max,

ich kenne das Gefühl, dass einem bei einer chronischen (bei mir rezidivierenden) Depression irgendwann auch die Hoffnung fehlt. Aber ich glaube nicht, dass die Feder ausleihert oder so. Ich glaube auch nicht, dass die irgendwas verliert. Es gibt Samen, die warten 20 Jahre lang in der Erde, bis irgendwann das Wetter passt und sie anfangen, auszutreiben, weil sie wissen, es ist der richtige Zeitpunkt.

In Apfelkernen zum Beispiel steckt ein Stoff (Enzym oder so), der den Apfelkern am austreiben hindert. Und dieser Stoff geht erst nach einer bestimmten Anzahl an Frostnächten kaputt. Und das nicht, weil er den Apfelkern ärgern oder kleinhalten will, sondern im Gegenteil: Weil er den Apfelkern davor beschützen möchte, schon im Herbst auszutreiben und im Winter total kaputt zu gehen. Dieses Enzym, dass den Apfelkern klein hält, ist das, was dafür sorgt, dass er eines Tages groß werden kann.

Kennst du Jerichorosen? Vielleicht ist das mit der Depression so ähnlich.
Eine Jerichorose, die nicht blüht, ist nicht kaputt. Sie wartet nur auf den richtigen Zeitpunkt. Genauso ist das vielleicht auch mit uns. Unsere Talente, unsere Kraft und unsere Lebenslust sind IMMER in uns. Sie können nur nicht immer aufblühen.

Und statt jetzt sauer auf die unblühende Rose in uns zu sein und uns selbst kaputt zu machen, sollten wir überlegen, wie wir die Rose in uns gießen können, selbst, wenn es nur Tropfen sind. Aber irgendwann wird die Rose aufblühen, schöner und kraftvoller als je zuvor. :D

Ich glaube an die Rosen in euch!!
Lebenslöwe
Max_
Beiträge: 583
Registriert: 19. Jan 2018, 11:46

Re: Diese Krankheit macht mich so klein

Beitrag von Max_ »

Hallo zusammen,

ich möchte euch kurz eine positive Rückmeldung geben (meistens geht es ja um Negatives).

Lebenslöwe, nochmal vielen Dank für deine warmen Worte und die passenden Metaphern aus dem Pflanzenreich :)

Ich habe die oben erwähnte Präsentation überlebt, auch wenn es richtig zur Sache ging! Hilfreich war, dass ich an dem Tag mental recht uneingeschränkt war, so dass ich auch mit diversen Unwägbarkeiten sehr gut zurechtkam. Danach sind wir mit erhitzten Köpfen raus, und als wir alleine waren, hat mir meine Kollegin ziemlich emotional ihre Anerkennung ausgesprochen: dass ich auf jede Frage eine Antwort gewusst hätte, und dass ich es nicht besser hätte machen können!

Nach all den selbstzerstörerischen Grübeleien der letzten Woche könnt ihr euch vorstellen, dass ich mich über ihre Worte unheimlich gefreut habe!! Ich war sehr, sehr dankbar dafür, und auch, dass sich die Depression an diesem Tag soweit zurückgehalten hat...

Soviel von den guten Dingen, die es zum Glück auch noch gibt! :)

Max
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