Depressiv und Chef – geht das?

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dolittle909
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Depressiv und Chef – geht das?

Beitrag von dolittle909 »

Hallo Ihr Lieben,

mich quält nun schon seit längerem eine Entscheidung, die ich zu treffen hatte und noch treffen muss: Mein Chef ist befördert worden und hat mich als seinen Nachfolger vorgeschlagen. Bisher war ich sein Vertreter. Wenn alles gut läuft, soll ich mich in drei Monaten auf die Chefstelle bewerben und müsste dann genommen werden. Ich leite dann ein Team von ca. 7 bis 8 netten Leuten, wobei drei davon ähnlich gut qualifiziert sind wie ich.

Doch anstatt mir auf die Schulter zu klopfen, macht mir die ganze Sache Angst. Auch deshalb, weil es mir seit einigen Monaten immer wieder dreckig ging, besonders, als ich eine Beziehungskrise durchzustehen hatte. Dann kann ich mich nicht konzentrieren, habe keine Kraft, bin verzweifelt. Und in diesen Phasen bin ich dann überzeugt, dass es nicht gut gehen kann mit mir, ich das nicht verdient habe, ich dem nicht gewachsen bin, mich blamiere usw.

Dazu muss ich erklären, dass die Gesamtsituation in der Abteilung schwierig ist und ich mich die letzten Jahre in aller Ruhe hinter meinem dominanten Chef gut verstecken konnte. Er hat alles entschieden, er hat die Konflikte mit den Oberbossen (die sind eklige Zeitgenossen) ausgefochten und er hat den Laden zusammen gehalten. Das Betriebsklima war sehr gut. Dafür war mir oft langweilig und ich war unterfordert. Und traute mir auch immer weniger zu. Wenn ich mir sein Wirken und seine Persönlichkeit (emsig, unaufhörlich, fleißig und hochintelligent) ansehe, dann weiß ich: In seine Fußstapfen kann ich nicht treten, die sind zu groß. Dann steht die Überforderung im Raum. Ich bin nicht so dominant und allwissend wie er, sage ich mir. Und das weiß er auch. Doch der Druck, so sein zu müssen, der lastet sehr auf mir.

Als ich erstmals von ihm gefragt wurde, ob ich Nachfolger werden möchte, hatte ich nicht „Nein!“ gesagt, weil ich mich nicht klein machen wollte, weil ich mich nicht in die „Depri-Schublade“ wollte. Weil es eine Chance ist, die die nächsten Jahre nicht wieder kommt, ich nicht zufrieden war mit meinen Aufgaben, weil ich mir das grundsätzlich zutraute, weil meine Freundin meinte "warum nicht?", weil ich mir sagte: „Probiere es, wenn es nicht klappt, ist es keine Schande!“

Aber ein ängstlicher Mensch wie ich, seit 20 Jahren mit Depressionen, vor 10 Jahren ein halbes Jahr Psychiatrie, tut sich schwer mit dem Risiko. Tagelang quälen mich Versagensängste. Es gab auch schon Konflikte mit einer Kollegin, die selbst gerne die Stelle gehabt hätte (aber keine Chance hat) und mir „Chefallüren“ vorwarf und recht zickig war. Da war mir tagelang schlecht. Aber selbst wenn ich mir attestiere „zu weich“ zu sein, können mir solche Konflikte auch ohne Chefposten drohen. Vermeidungsverhalten ist auch nicht gut. Also muss ich da irgendwie durch. Oder?

Handle ich klug? Sorge ich mich ausreichend um mich?

Vielen Dank für Eure Meinung!
d.
DieNeue
Beiträge: 5831
Registriert: 16. Mai 2016, 22:12

Re: Depressiv und Chef – geht das?

Beitrag von DieNeue »

Hallo dolittle909,

ich kann dir natürlich nicht sagen, wie du dich entscheiden sollst.

Ich denke aber, dass es bestimmte Eigenschaften gibt, die eine Führungskraft haben muss, damit sie gut klarkommt.
Mein Vater war vor 10 Jahren in einer ähnlichen Lage, er war auch mit seinem damaligen Arbeitsplatz unzufrieden und hat die Stelle als Leitung einer anderen, viel größeren Abteilung angeboten bekommen.
Ich weiß nicht, wie lange es gedauert hat, vielleicht ein Jahr, dann hatte er einen Burnout, war ein Jahr krank zuhause und ist danach in der Firma auf seinen alten Arbeitsplatz zurückgekehrt.
Seine Probleme bei der neuen Stelle waren:
- er wollte es jedem Recht machen
- er kann schlecht Entscheidungen treffen
- er wollte, dass die Leute verstehen, warum sie etwas machen sollen, damit sie motiviert sind und hat seine Entscheidungen erklärt, das führte dann aber auch zu unnötigen Diskussionen, Gegenwind, trotzdem Gemeckere, Unsicherheit, ob die Entscheidung richtig war und Verzögerungen im Produktionsablauf. Man muss auch Anweisungen geben können ohne zu erklären und es allen Recht zu machen, man muss sich ohne schlechtes Gewissen durchsetzen können.
- er konnte sich schlecht wehren gegen die fiesen Leute, die über ihm standen
- er musste nicht nur die eigenen Konflikte mit anderen lösen, sondern auch noch die seiner Untergebenen
- er hat von sich mehr verlangt als von seinen Untergebenen (z.B. alle mussten eine Zeit lang jeden 2. Samstag arbeiten. Er war aber jeden Samstag da, kam als erster und ging als letzter, denn er war ja der Chef und für alles verantwortlich)

Auf der anderen Seite war er aber auch ein netter, geduldiger und fairer Chef.

Was auf jeden Fall in einer solchen Position wichtig ist: Du brauchst einen Ausgleich dafür!

Es gibt ja den Spruch "Je weiter man auf der Karriereleiter kommt, desto weniger Freunde hat man". Ob der immer so stimmt, keine Ahnung, aber der Aufstieg zum Chef wird, denke ich, die Beziehungen untereinander schon etwas verändern.

Zu dem Satz:
"Probiere es, wenn es nicht klappt, ist es keine Schande!“
Stimmt generell. Allerdings solltest du dich fragen, was du zum einen berufsmäßig machst, wenn du es nicht hinkriegst (Kannst du wieder zurück auf den alten Platz? --> Vielleicht im neuen Vertrag sicherheitshalber vereinbaren!, oder musst du was neues suchen?) und zum anderen, wie es dir gehen würde, wenn du es nicht schaffst (Was denkst du dann über dich? Was traust du dir dann noch zu? Wie reagieren die Kollegen? Fühlst du dich dann als Versager oder steckst du das locker weg?)
Für meinen Vater war es gefühlsmäßig nicht so einfach. Auch die Rückkehr an die alte Stelle gestaltete sich schwierig, weil sein Vorgesetzter, glaube ich, ihm viel schlechtere Bedingungen angeboten hat, obwohl er das gleiche machen sollte, und da sehr stur blieb.

Könnt ihr nicht die Leitung irgendwie zu zweit übernehmen oder einer deiner Kollegen mit der ähnlichen Qualifikation und du dann als Vertreter mit erweitertem Aufgabengebiet, so dass du nicht direkt in der "Schusslinie" stehst?
Du schreibst, dass du auch so Konflikte haben kannst, aber wie oben geschrieben, hast du dann nicht mehr nur deine eigenen Probleme zu lösen, sondern auch deine Untergebenen werden sich immer wieder an dich wenden.

Ich hoffe, ich konnte dir etwas weiterhelfen. Vielleicht kannst du ja mal noch googlen, wie eine gute Führungskraft sein sollte und kannst das ein bisschen mit deinen eigenen Eigenschaften (auch ganz unabhängig von der Depression) abgleichen.

Liebe Grüße,
DieNeue
Frau_Wal
Beiträge: 134
Registriert: 6. Aug 2018, 19:18

Re: Depressiv und Chef – geht das?

Beitrag von Frau_Wal »

Hallo dolittle909,

ich würde die Entscheidung weniger von der Depression abhängig machen, sondern davon, ob du die Position haben möchtest oder nicht. Die Neue hat schon viele Punkte angesprochen, die mir auch durch den Kopf gegangen sind. Was mir sonst noch einfällt:

Dass du in dieser Situation Angst hast, finde ich absolut verständlich. In diesem Fall finde ich die Angst sogar nützlich, wenn du es schaffst, dich davon nicht lähmen zu lassen. Wovor genau warnt die Angst dich denn und wie realistisch sind diese Befürchtungen? Fällt dir etwas ein, wie du mit beängstigenden Situationen umgehen könntest? Das kann dir bei der Entscheidung helfen. Schreib ruhig mal auf, was dir so alles zu dem Thema durch den Kopf geht, um dir einen besseren Überblick zu verschaffen.

Hast du in deinem persönlichen Umfeld schon mal Erfahrung mit einer Form der "Chef-Rolle" gemacht? Warst du zum Beispiel schon mal Trainer in einem Verein, Organisator einer Party oder Koordinator mehrerer Leute in einem gemeinsamen Projekt? Wenn ja, was waren denn deine Erfahrungen damit?

Meiner Meinung nach muss ein guter Chef nicht dominant und allwissend sein, sondern eher zuverlässig und entscheidungsfreudig. Diplomatisches Geschick, die Fähigkeit zu Delegieren und Organisationstalent sind auch nützliche Eigenschaften. Du bist du und nicht dein bisheriger Chef. Wenn du die Stelle annimmst, wirst du deinen eigenen Weg finden, ein Chef zu sein, auf deine Art.

Wenn ein Mitglied eines Teams zum Chef aufsteigt, sorgt das auch für eine besondere Gruppendynamik. Rollen, Positionen und die Art der Zusammenarbeit müssen sich neu einspielen. Einen Vorgeschmack darauf hast du ja schon durch deine Kollegin bekommen und ich habe den Eindruck, dass dich das ziemlich fertig gemacht hat. Traust du dir zu, das häufiger durchzuhalten? Du wirst bestimmt auch mal Entscheidungen an dein Team weitergeben müssen, die nicht bei jedem auf Gegenliebe stoßen. Als Chef vermittelst du auch gelegentlich in team-internen Konflikten und muss evtl. auch mal jemandem unangenehme Dinge sagen. Wenn dir schon der Gedanke an solche Situationen Magenschmerzen bereitet, willst du diese Position dir selbst zuliebe vielleicht nicht übernehmen.

Wenn Leute aus dem Team zum Teamchef gemacht werden, sollte man meiner Meinung nach den Arbeitsvertrag und die Bezahlung im Auge behalten. Da sollte sich der Aufstieg entsprechend wiederspiegeln und zwar vom ersten Tag in der neuen Rolle an. Es gibt Firmen, die gerne noch eine Weile beim geringeren Gehalt bleiben möchten, weil der neu Aufgestiegene ja noch keine Erfahrung hat. Er hat aber vom ersten Tag an die Verantwortung und das muss sich (meiner Meinung nach) im Gehalt niederschlagen. Mit der Erfahrung kommt dann die zusätzliche Gehaltserhöhung. :D

Könntest du auch auf der Stellvertreterposition bleiben? Wenn dir der Chefposten attraktiv erscheint, du ihn dir jetzt aber (noch) nicht zutraust, könntest du vielleicht als Stellvertreter weitere Erfahrung sammeln, dich öfter mal aus der Deckung wagen und dich entsprechend weiterbilden. Dann kannst du bei der nächsten Gelegenheit zugreifen (in deiner Abteilung, einer anderen Abteilung in deiner Firma oder sogar in einer anderen Firma).

Wenn du dich gegen den Aufstieg entscheidest und dir in deiner aktuellen Position langweilig ist, könntest du eventuell dein Aufgabengebiet erweitern/verändern, Zusatzqualifikationen erwerben, die Abteilung wechseln oder zusätzliche Rollen übernehmen (Sicherheitsbeauftragter, Ersthelfer, Betriebsrat, Pate für neue Kollegen, was es in deiner Firma so gibt). Das wäre dann auch eine günstige Gelegenheit, sowas anzusprechen, so nach dem Motto: ich habe darüber nachgedacht und ich will eigentlich gar kein Chef werden, ich möchte viel lieber...

Alles Gute für dich,
Frau_Wal
dolittle909
Beiträge: 296
Registriert: 14. Sep 2008, 18:00

Re: Depressiv und Chef – geht das?

Beitrag von dolittle909 »

Vielen Dank für Eure ausführlichen Gedanken!

Leider habt Ihr Beide die wunden Punkte sofort erkannt und tief darin rumgestochert. Und die machen mir ziemlich Angst.

Ich habe zwar einige Jahre an der Uni unterrichtet, war aber da den Studenten haushoch überlegen und hatte die Freiheit, dort zu tun, was ich wollte. Dann habe ich einige Monate an anderen Stellen den Chef vertreten oder war Chef, aber da war ich immer der Höchstqualifizierte und somit im Vorteil. Die letzten Jahre zwar ich zwar auch Stellvertreter, aber mein Chef war so dominant, dass ich da kaum eigene Erfahrungen sammeln konnte. Der Dreh war immer "Warten wir, was der Chef dazu sagt..."

Jetzt habe ich zum einen Kollegen, die sich nicht einfach unterordnen werden. Und zum Anderen einen schwierigen Oberchef. Die Gefahren sind mir sehr präsent und die Beschreibung von DieNeues Vater
DieNeue hat geschrieben:- er wollte es jedem Recht machen
- er kann schlecht Entscheidungen treffen
- er wollte, dass die Leute verstehen, warum sie etwas machen sollen, damit sie motiviert sind und hat seine Entscheidungen erklärt, das führte dann aber auch zu unnötigen Diskussionen, Gegenwind, trotzdem Gemeckere, Unsicherheit, ob die Entscheidung richtig war (...).
- er konnte sich schlecht wehren gegen die fiesen Leute, die über ihm standen
- er musste nicht nur die eigenen Konflikte mit anderen lösen, sondern auch noch die seiner Untergebenen
- er hat von sich mehr verlangt als von seinen Untergebenen (...)

Auf der anderen Seite war er aber auch ein netter, geduldiger und fairer Chef.
Autsch, die Darstellung passt gut auf mich.
Frau_Wal hat geschrieben:Meiner Meinung nach muss ein guter Chef nicht dominant und allwissend sein, sondern eher zuverlässig und entscheidungsfreudig. Diplomatisches Geschick, die Fähigkeit zu Delegieren und Organisationstalent sind auch nützliche Eigenschaften. Du bist du und nicht dein bisheriger Chef. Wenn du die Stelle annimmst, wirst du deinen eigenen Weg finden, ein Chef zu sein, auf deine Art.
Die Entscheidungsfreude ist so ein Ding, wenn man Angst davor hat. Und diese Angst ist bei mir natürlich ziemlich neurotisch. Im Grunde kann bei meinen Entscheidungen nicht viel passieren, außer dass sich ein paar wichtige Leute aufregen. Weil ich das nicht möchte, bin ich auch diplomatisch, suche nach Kompromissen, bin moderierend und vermittelnd. Ich bin fair, lüge nicht und der Meinung, es braucht ein paar anständige Chefs. Einfach ist das nicht, wenn man gefühlt im Haifischbecken unterwegs ist.

Passieren kann mir sofern nicht viel, weil ich mich erst in drei Monaten auf diese Position bewerben soll. Bewerbe ich mich nicht, werde ich es nicht. So lange bin ich Vertreter, muss aber schon ran. Mein (ehemaliger) Chef hätte mich nicht vorgeschlagen, wenn er mich nicht für geeignet gehalten hätte. Genau genommen hat er mich in diese Rolle gedrängt, weil er nicht wollte, dass eine andere Dumpfbacke das in Zukunft macht. Insofern ist da auch Druck da, ich will ihn nicht enttäuschen.

Existentiell ist das nicht: Weil der Betrieb ein paar tausend Leute hat, kann ich auch ohne Beförderung woanders unterkommen und weiter kleine Brötchen backen. Aber so richtig wohl ist mir dabei auch nicht. Zu oft fühle ich mich wie ein Fisch auf dem Trocknen und nicht wie im Wasser. Die letzten Jahre war die Arbeit kaum noch Quelle meines Selbstwerts. Ich konnte mir kaum auf die Schulter klopfen, ich war lethargisch und desinteressiert. Deshalb fällt es mir so schwer, diese Herausforderung (und Auszeichnung) zurückzuweisen. Die Hoffnung, darin bestehen zu können steht gegen die Angst, es von vorneherein nicht versucht zu haben - oder zu scheitern.

Vielen Dank,
d.
DieNeue
Beiträge: 5831
Registriert: 16. Mai 2016, 22:12

Re: Depressiv und Chef – geht das?

Beitrag von DieNeue »

Hallo dolittle909,
dolittle909 hat geschrieben:Mein (ehemaliger) Chef hätte mich nicht vorgeschlagen, wenn er mich nicht für geeignet gehalten hätte. Genau genommen hat er mich in diese Rolle gedrängt, weil er nicht wollte, dass eine andere Dumpfbacke das in Zukunft macht. Insofern ist da auch Druck da, ich will ihn nicht enttäuschen.
An der Stelle bin ich etwas hängengeblieben...
Ich denke, nur weil er dich für denjenigen hält, der die Aufgabe noch am besten hinkriegt, heißt das ja nicht, dass du es gut hinkriegen würdest bzw. für eine Führungsposition auch geeignet bist. Zum einen kann er sich irren, zum anderen
wenn er die anderen alle für Dumpfbacken hält und nicht mag, ist es klar, dass er lieber dich und nicht wen anders vorschlägt.
Ist denn auch vorgesehen, die Stelle extern auszuschreiben? (Sorry, falls ich's überlesen habe)
Bei uns war es mal so, dass dem Leiter des Vertriebs-Innendienstes gekündigt wurde, aber vom Konzern her kein neues Personal eingestellt werden durfte. D.h. der Abteilung fehlte der Leiter und der wurde dann intern gesucht. Man hat sich von allen Abteilungsleitern den ausgesucht, dem man noch am ehesten zugetraut hat (gab jetzt auch nicht so viele) zwei Abteilungen gleichzeitig zu leiten. Den hätte ich zwar auch ausgesucht, aber prinzipiell hätte ich jemanden extern gesucht, denn zwei verschiedene Abteilungen auf einmal zu leiten ist sehr schwierig und anstrengend. War es dann auch und ich weiß nicht,wie lange er das durchgehalten hat.

Vielleicht wäre ein anderer Chef gar nicht so dominant und du würdest mehr zu Zug kommen als beim jetzigen?

Ich denke, du solltest besser nicht so draufschauen, dass du den Chef nicht enttäuscht, sonder darauf was für dich gut ist. (Wo wir schon gleich wieder bei dem Problem sind: es allen Recht machen, niemanden enttäuschen wollen, sich beeinflussen lassen. ;) Überleg dir mal, wie oft so im Durchschnitt bis jetzt Stress von oben kam und wie lange es dauert, bis du allgemein von Stress wieder runterkommst. Und dann überleg dir, in welcher Häufigkeit du das packen würdest ohne kaputt zu gehen. )

Liebe Grüße,
DieNeue
dolittle909
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Registriert: 14. Sep 2008, 18:00

Re: Depressiv und Chef – geht das?

Beitrag von dolittle909 »

Hallo DieNeue,

Du hast es wieder ziemlich gut getroffen!

Mein Chef kennt mich schon sehr lange und weiß auch um mein "Handicap". Er will mir wohl auch was Gutes tun, indem er mir den Aufstieg ermöglicht. Ob er richtig einschätzen kann, welche Sorgen und Nöte mich quälen (und wie sehr manchmal), das wohl eher nicht. Und in der Tat: Jemand anderes als ich war auch nicht da.

Insofern ist sein Vorschlag auch ein Ego-Ding. Aber das ist wohl immer so. Die Stelle muss ausgeschrieben werden, aber sie wird so ausgeschrieben, dass ich der einzige passende Bewerber wäre.

Meine Erfahrung mit Stress und Belastungen sind folgende: Am schlimmsten ist immer die Angst vor dem, was noch nicht da ist. Vor dem Unbekannten. Dann befürchte ich die Höllen, die schon geschehen sind. Rückblickend habe ich dagegen viele Stresssituationen ganz gut überstanden, je besser, je geübter ich war und je "sportlicher" das nehmen konnte. Es gibt bei mir auch Grenze zwischen Belastung und Verletzung. Verletzen können mich andere (kommt selten vor, kommt aber vor) und vor allem ich selbst, wenn ich mich als schwach, klein, ohnmächtig erlebe.

Ich denke mir: Wenn ich jetzt meine Ängste durchstehe, dann wird der neue Job besser laufen als gedacht. Wenn ich meine Ängste mitnehme, dann wird es nicht lange gut gehen, weil ich irgendwann keine Kraft mehr habe. Dann werde ich länger krank sein und im Betrieb in einem Bereich landen/gehen, der relativ weit weg vom Tagesgeschäft ist und Grundlagenfragen bearbeitet.

Die Frage ist halt, ob ich so weit gehe, bis ich umfalle (was die letzten 10 Jahre nicht passiert ist). Oder ob ich statt des "MUSS/KANN ich das?" ein "MÖCHTE ich das?" entwickeln kann. Ja: MÖCHTE ich da hin - oder MÖCHTE ich hier weg?

d.
Selbsterkenntnis
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Registriert: 2. Apr 2019, 13:12

Re: Depressiv und Chef – geht das?

Beitrag von Selbsterkenntnis »

Hallo Dolittle,

also meine Meinung ist ziemlich klar: Wenn man zu Depressionen neigt,
ist Stressabbau und nicht -aufbau oberstes Gebot.
Ich verstehe schon, dass da ein innerer Antreiber ist, der dir sagt "Ergreife deine Chance. Du schaffst das schon. Enttäusche deinen Chef nicht!"
Allerdings ist dieser innere Antreiber, den ich gut von mir kenne, wohl eher für die Entstehung von Depressionen gut als für deren Vermeidung.

Ich bin übrigens selbst auch Chef, weil ich an der Spitze eines Unternehmens stehe, das ich selbst gegründet habe. Und als mich die Depression vor 25 Jahren so richtig erwischt hat, wurde mir erst klar, dass ich seit vielen Jahren über meine Verhältnisse lebte, was meine Kraftreserven und meine Fähigkeit angeht, mit Stress umzugehen. Sich jahrelang Sorgen zu machen kann einfach krank machen.

Deine Überlegung sollte einfach sein, ob du die Erwartungen anderer erfüllen willst oder ob du es dir selbst wert bist, deine Gesundheit vorne anzustellen. Das ist KEINE Kapitulation und kein Zurückweichen vor Herausforderungen sondern Vernunft.

Dein Chef kann, ohne Depressionen selbst erfahren zu haben, bestimmt nicht einschätzen, ob er dir da wirklich etwas Gutes tut. Und ich glaube wie du, dass er auch eigene Interessen verfolgt und sein "Werk" in würdige Hände geben will.

und vor allem ich selbst, wenn ich mich als schwach, klein, ohnmächtig erlebe.

Je größer der Druck der Verantwortung, umsö größer auch die Chance, dass du dich genau so fühlst.

Alles Gute!
T.
Wolkenvorhang
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Registriert: 1. Jul 2019, 14:17

Re: Depressiv und Chef – geht das?

Beitrag von Wolkenvorhang »

Hallo Dolittle,

habe schon vor einigen Tagen deinen Thread gelesen. Ist mir total ins Auge gestochen weil ich mich in einer sehr ähnlichen Situation befinde wie du.
Zu deiner Frage kann man Chef sein obwohl man depressiv ist? Meine Antwort definitiv JA.
Und zwar aus einem ganz einfachen Grund. WIR haben etwas in uns dass nicht Betroffene nicht verstehen. Man kann dieses „Handicap „aber auch als Chance nutzen. Und zwar deshalb weil wir meist besser wie kein anderer wissen wie sich der absolute Tiefpunkt anfühlt. Und genau daraus kann man Kraft schöpfen und dies an andere weiter geben.
Ich selbst bin auch stellvertretende Leitung einer Kinderstation. Habe genauso wie du ebenfalls eine sehr dominante und perfektionistische Leitung über mir. Aber genau weil ich eben anders bin und den Mitarbeitern auf Augenhöhe begegne wurde ich zu dieser Position gewählt. Auch ich gerate häufig an meine Grenzen. Phasenweise hat meine Chefin bis zu 10 h / Woche neben der Arbeit mit mir telefonieren wollen weil SIE Bedarf hatte. Natürlich muss ich gerade jetzt wieder vermehrt auf mich aufpassen.
Dass ich Depressionen habe ist in meinem Team bekannt. Ich habe das vor 3 Jahren offen kommuniziert.
Bisher war ich auch 2x in stationärer Behandlung. Vielleicht werd ich es irgendwann auch ein drittes Mal machen. Dennoch bist du oder ich vielleicht auch gerade WEIL wir anders sind in dieser Position.
Man lernt am Besten durchs Erleben und Üben.
Selbst wenn du aktuell die Stelle nicht annehmen kannst / willst wird eine neue Tür aufgehen.
Nimm dir selbst den Druck raus.....
Alles kann, nichts muss.
Liebe Grüße
:hello: :idea: :ugeek: :?:
dolittle909
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Registriert: 14. Sep 2008, 18:00

Re: Depressiv und Chef – geht das?

Beitrag von dolittle909 »

Natürlich können Depressive auch Chef sein! Das hängt neben der grundsätzlichen Stabilität aber auch von den Rahmenbedingungen ab.

Ich denke, viele depressive Menschen sind sehr verständnisvoll, kollegial, ausgleichend, zuverlässig, moderierend, verantwortungsbewusst, diplomatisch und können auch nach außen hin eine gute Figur abgeben. Sie können ein Team zusammenhalten, Menschen motivieren und für gute Leistungen und Ergebnisse sorgen. Meiner Ansicht nach sollte es auch solche Chefs geben und ein paar mehr davon sorgen für besseres Arbeitsklima und mehr Menschlichkeit im Job. Und vielleicht auch für bessere Ergebnisse.

Fraglich ist, ob genau diese Eigenschaften gefragt sind. Will man einen Menschenschinder oder einen Machtmenschen, dem es vor gar nichts graut, dem Empathie fremd ist, ist man als Mensch mit Depressionen fehl am Platz. Muss man permanent Entscheidungen treffen, die einen überfordern, weil man nicht weiß, ob sie richtig oder falsch sind, ist das auch die Hölle.

Dabei kann die Entscheidungsfreude ganz unterschiedlich gefragt sein: Ich entscheide entweder intuitiv anhand eines Rasters aus Erfahrung und Qualifikation - oder nach reiflicher Überlegung und Abwägung. In beiden Fällen bin ich mir dann ziemlich sicher. Notfalls modifiziere ich eine Entscheidung, suche einen Mittelweg oder Kompromiss. Schwierig wird es, wenn ich nicht überzeugt bin oder - das ist die Achillesferse - wenn alle Entscheidungsmöglichkeiten zu Konflikten oder Horrorszenarien führen können. Eigentlich bin ich dafür ausgebildet, Entscheidungen zu fällen, nur in meiner bisherigen Arbeiten trafen diese Entscheidungen immer die anderen. So fehlt mir die Übung und das ist das unbekannte Land.

In meinem Fall ist das schlimmste, was passieren kann, dass sich ein paar sehr wichtige Leute oder meine Mitarbeiter über mich bzw. meine Gruppe ärgern. Eine Stationsleitung in einem Krankhaus hat hier viel mehr Verantwortung, hier hängt Wohl und Wehe für Leib und Leben der Patienten ab, das ist eine ganz andere Nummer!

Liebe Grüße
d.
ßßßß

Re: Depressiv und Chef – geht das?

Beitrag von ßßßß »

@dolittle909

ich habe mich dagegen entschieden.

die frage die du dir beantworten musst ist, bringt es dir mehr als es dich kostet?
das kann durch aus eine klassische +/-liste sein. oder psychotherapeut/coach.
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