Erkenntnis: Depression als wohlmeinende Freundin annehmen

undansonsten
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Erkenntnis: Depression als wohlmeinende Freundin annehmen

Beitrag von undansonsten »

Die Depression ist meine Freundin geworden.

Denn sie zwingt mich zum Stillstand und dazu, mich mit mir selbst, meinen Erwartungen, meinen Ängsten auseinanderzusetzen. Sie zeigt mir, dass ich Dinge ändern muss, um zu wachsen. Dieses innere Wachstum erreiche ich leider nur durch den Schmerz. Der wird so unerträglich durch die Depression, dass ich nicht anders kann, ich kann untergehen oder ich muss endlich schwimmen statt herumzulamentieren und dauernd darauf zu warten, dass mein Mann oder mein Sohn mich am Rettungsring hinter sich herziehen. Sie haben das seit Jahren gemacht und sie sind erschöpft davon. trotzdem ziehen sie mich weiter und ich hab immer was auszusetzen. "Schwimm schneller" oder "nicht so schnell" oder "Falsche Richtung" oder was weiss ich.

Die letzten Jahren waren Stillstand. Ein langer ruhiger Fluss der „Glückseligkeit“. Aber wohl nur für mich! Einfach weil alle um mich herum versucht haben, meine Wünsche zu erfüllen... mein Kind, mein Mann... Die ausgesprochenen und die unausgesprochenen Wünsche und Erwartungen. Ich war ein Despot. Und hab mich aber gefühlt, als wäre ich die Unterdrückte. Nein, nicht ich war der Despot. Mein inneres Kind war es. Es hat sich all das aus der jetzigen Familie geholt, das es gebraucht hat, bis jemand STOPP gesagt hat. Und dann hat es sich in die Schmollecke verzogen und sich komplett verweigert.

Total absurd. In den letzten Tagen ging es mir so schlimm, dass ich kaum noch atmen konnte. Der Seelenschmerz war so groß. Es waren Wehen. Und heute dann die Geburt und da konnte ich es endlich sehen: Warum die Depression gekommen ist. Was mein Anteil ist. Warum mein Sohn gerade so ist wie er ist, und in Anbetracht dessen, was ich ihm in seinen Rucksack mitgegeben habe, ist er ein LAMM.

Gestern dann auch noch ein Durchbruch in meiner Beziehung zu meinem Mann.

Ich danke dir, Depression. So hart du zu mir bist, so sehr du mich herausforderst, du hast mich an den Rand meiner selbst geführt. Ich habe eine wahnsinnige Entwicklung in den letzten zwei Monaten hingelegt und bin sicher, dass du mich auf einen guten Weg der Gesundung führst. Ich will dich nicht länger als zu bekämpfenden Feind sehen sondern als liebevolle Freundin, die mich zu mir selbst führen wird - ohne Rücksicht und mit allem Nachdruck.
Selbsterkenntnis
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Re: Erkenntnis: Depression als wohlmeinende Freundin annehme

Beitrag von Selbsterkenntnis »

Hallo undansonsten,

ja, eine Depression ist eine Herausforderung und sie kann sagen: "Du hast falsch gelebt, du hast verdrängt, du stellst dich nicht dem, was in dir ist."
Das ist ganz zweifellos ein wichtiger Aspekt und wenn man diese Herausforderung annimmt, wird man davon profitieren. Ich selbst sage häufig, wenn ich danach gefragt werde, dass meine Depression eine sehr schwere Krise und extrem schmerzhaft war aber auch ein Entwicklungsimpuls, der einfach fällig war und für den ich heute dankbar bin. Und meine schwersten Zeiten liegen 25 Jahre zurück!

Aber ich habe auch erfahren, dass die Erwartung, die Depression würde sich freundlich verabschieden, wenn ich mich nur richtig ins Zeug lege und meine Hausaufgaben mache, so nicht stimmt. Hier lauert eine Falle, denn wenn man glaubt, die Depression sei nur so lange vorhanden, bis ich meine Hausaufgaben erledigt habe, wird man vielleicht anfangen, immer tiefer in sich graben zu wollen, weil es einem immer noch nicht gut geht. Und dann wirds stressig.

Also obwohl ich ein lebenswertes Leben führe in diesen 25 Jahren "danach", ist die Depression doch nie ganz von mir gewichen. Gibt es also immer noch etwas, was unerledigt geblieben ist? Ich glaube nicht. Oder besser gesagt, ein Stück weit kann eine Depression einfach eine Neigung bleiben, ohne dass man sie wegtherapieren kann. Eine Neigung, unter Stress im weitesten Sinne depressiv zu reagieren, ist bei mir geblieben. Aber darauf kann ich mich einrichten.

Ich will nur sagen, baue nicht zu 100% auf deine eigenen Möglichkeiten und dass du das in den Griff bekommen kannst, vielleicht bist du sonst enttäuscht von dir selbst. Aber nimm die Herausforderung, dich zu entwickeln, unbedingt an! Vielleicht werden dir Grenzen gesetzt, dann akzeptiere sie und denke nicht, es läge an dir und du wärst immer noch so oder so - also nicht richtig

In deinem Post klingt in meiner Wahrnehmung recht viel Schuldbewusstsein an, oder ist es Selbstverantwortung? Es wäre wichtig, das zu unterscheiden.

Beste Grüße, T.
Clown
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Re: Erkenntnis: Depression als wohlmeinende Freundin annehme

Beitrag von Clown »

Hallo Undansonsten,

was du schilderst, finde ich sehr beeindruckend, so viel Selbsterkenntnis! Ich wünsche dir sehr, dass das, was du erlebst, weitergeht und dir (und deinen Angehörigen) Heilung bringt.

Mich würde interessieren, ob du therapeutische Begleitung hast oder ob du deine inneren Wandlungen alleine hervorgebracht hast? Vielleicht magst du dazu etwas sagen, musst du natürlich nicht!

Alles Liebe,
Clown
undansonsten
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Re: Erkenntnis: Depression als wohlmeinende Freundin annehme

Beitrag von undansonsten »

Liebe Selbsterkenntnis,

vielen Dank für deine offenen Worte. Sicher werde ich nicht von heute auf morgen gesund, aber es ist doch ein wichtiger Meilenstein gewesen jetzt. Zumal ich in den letzten Wochen gelernt habe, dass den ganz tiefen Tälern ein wundervoller Sonnenaufgang folgt. Und das ist einfach etwas, das mir sehr viel Hoffnung gibt, nach einem Jahr des Dauerstresses und der Schuldzuweisung an mich selbst. Nach einem Jahr Hoffnung- und Mutlosigkeit.

Interessant finde ich, dass du Schuldbewusstsein liest. Gerade die habe ich abgelegt und das erleichtert meinen Rucksack voller Glaubenssätze ungemein. Ich hab jetzt lange in meiner Kindheit gewühlt und nach Schuldigen gesucht... und bin doch am Ende immer nur wieder bei mir selbst gelandet. Das will ich nicht mehr. Selbstverantwortung ist genau das, was ich fühle. Auch Selbstwirksamkeit. Un dich werde diesem Weg jetzt weitergehen. Irgendwo in einem anderen Post hat jemand geschrieben, dass man dann auch irgendwann die Vergangenheit Vergangenheit sein lassen sollte. Ich glaube, in Bezug auf mich ist das richtig. Ich WEISS, woher die vielen Ängste kommen. Ich weiss, dass ich schwere Traumata erlitten habe als Kind und Jugendliche.

Im Rückblick weiss ich auch, dass mir die Depression verhüllt seit langem folgt. Ich kenne sie schon sehr gut und konnte eigentlich nicht schlecht mit ihr leben, trotzdem alles, was mir das Leben geschenkt hat, genießen. Erst im letzten Jahr hat sie sich über mich gestülpt und mir die Luft zum Atmen genommen. Das will ich nicht mehr. Aber das Kämpfen hat überhaupt nichts gebracht. Ich will auch nicht mehr kämpfen, das habe ich mein ganzes Leben gemacht. ich habe gut verzeihen können im letzten Jahr und mit dem Verzeihen ging auch meine Wut.

Jetzt ist es ja so, dass ich immer denselben Weg beschritten habe... alles wurde mit Wut bekämpft. Und nun, da die Wut nicht mehr da ist, stehe ich ratlos da und weiss nicht, wie ich den Herausforderungen, Ängsten und der Mutlosigkeit begegnen soll. Das hat mich die letzten zwei Monate beschäftigt. Ich wurde überrollt und hatte aber kein wichtiges Tool für mich. Das hat sich nach und nach gebessert und ich finde es phantastisch, dass ich über mich selbst sagen kann in vollkommener Überzeugung

1. Ich bin stolz auf mich.
2. Ich war und bin eine gute Mutter (natürlich mit Fehlern, ist ja klar).
3. ich bin nicht perfekt. Das ist okay.

In meinem ganzen Leben war noch nie jemand stolz auf mich. Und wie sollte ich das selber sein? Deshalb ist es ein so grosser Schritt für mich. Ein Schritt in ein neues Leben. Und da ich nun mein altes Leben und meine vielen Verletzungen loslassen kann, kann ich auch meinen Sohn loslassen. Wenn es hart auf hart kommt, werde ich da sein. Ansonsten wird er die Herausforderungen des Lebens schon meistern.

Ich habe auch verstanden, dass ich ihn nicht beschützen kann vor allem Bösen. Er muss lernen, auf seine Art damit umgehen zu lernen. Ich bin da wenn er mich braucht, seine Papa ist da, und auch die Therapeutin. Er hat ein Netz, das ihn auffangen wird.

Was du vielleicht als Schuldbewusstsein empfindest, ist der Abschnitt mit der Despotie. Ja, so war ich. Und es hatte auch gute Seiten, denn ich war das sichere Rückgrat der Familie. Erst als ich jetzt weggebrochen bin, konnten die anderen Familienmitglieder unter Beweis stellen, dass sie auf ihre Art "übernehmen". Das hat ihnen auch Selbstbewusstsein gegeben, aber auch Schuldbewusstsein, denn sie dachten, dass sie selbst daran schuld sind, dass es mir so schlecht geht.

ich habe viel verstanden in der Therapie. Leider habe ich aufgrund meiner Kindheit überhaupt kein Urvertrauen und das ist bedauerlicherweise mein größtes Manko und wirkt sich direkt auf meine Familie aus. Früher habe ich das mit größter Willenskraft und totaler Kontrolle versucht, in Schach zu halten. Jetzt halte ich die Angst aus, die es mir macht, Dinge und Menschen loslassen zu müssen. Es geht voran, mit kleinen Schritten. Und ich halte es aus. Denn ich MUSS es nicht nach einem bestimmten Plan machen sondern in der Zeit, in der es für mich gut ist.

Ich freue mich sehr über mich selbst.
undansonsten
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Re: Erkenntnis: Depression als wohlmeinende Freundin annehme

Beitrag von undansonsten »

Lieber Clown,

ich komme selber aus dem therapeutischen Bereich und habe eine Ausbildung als systemischer Coach. Meine Therapeutin sagt: "Sie haben schon erste Heilungsversuche durch die Ausbildung unternommen!"

In der Ausbildung durchläuft man auch viele Stunden der Supervision, in denen ich viel über mich selbst gelernt habe. Aber es betraf immer nur mich. Im letzten Jahr dann kamen alle schlimmen Themen meiner Kindheit auf einen Schlag in Person meines Sohnes, der in die Pubertät kam und ohne Rücksicht auf Verluste durchzog. (Das ist normal, oder wie meine Therapeutin sagt: "Ihr Kind ist nicht dafür zuständig, dass Sie glücklich sind!")

Das war für mich ein SCHLAG ins Gesicht, Selbstmordandrohung des Sohnes, dann Rauchen, dann Kiffen, dann betrunken heim kommen. Ich bin einfach komplett aus den Latschen gekippt. denn meine Mutter war eine valiumsüchtige Alkoholikerin, die kettenrauchte und die ich als Kind mit aufgeschnittenen Pulsadern im Bad fand.

Mein Kind hat also, alles auf den Kopf gestellt mit seinen Aktionen: War ICH doch mein ganzes Leben dafür zuständig gewesen, dass meine Mutter glücklich ist. Irgendwie war meine Erwartung, dass ER das jetzt übernimmt für mich. Und soll ich dir was sagen:Er hat das einfach nicht getan. Aber er hat mir die Hand gereicht und mir Kompromisse angeboten. (Das Problem war: Meine Mutter war nicht glücklich. An keinem Tag ihres Lebens! Und das war MEINE SCHULD (gefühlt).)

Ich habe nach dem Nervenzusammenbruch im Winter, als ich herausgefunden habe, dass mein Kind gekifft hat, sofort verschiedene Therapeuten angeschrieben und dann nach 4 Monaten auch eine gute Therapeutin gefunden. Dieser Schritt war so schwer für mich, da ich ja selber aus diesem Bereich komme und auch wenig Vertrauen in Therapeuten habe und Angst vor Manipulation. Aber ich hatte, wie so oft im Leben, einfach Glück, eine distanzierte, professionelle und mitfühlende Therapeutin zu finden. Sie hört gut zu und stellt in den 50 Minuten meist nur wenige Fragen, aber die haben es in sich. Die wirken dann die ganze Woche nach und rumoren in mir.

Ewig viel geschrieben, entschuldige. Ich glaube, es ist

1. Unterstützung durch die Therapeutin
2. Die richtigen Fragen in der Therapie
3. Mein Hintergrundwissen über das innere Kind
4. Meine Ausbildung als systemischer Coach und die vielen Stunden Supervision
Katerle
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Re: Erkenntnis: Depression als wohlmeinende Freundin annehme

Beitrag von Katerle »

Hallo unandsonsten,

finde es auch interessant, was du geschrieben hast...

LG Katerle
Clown
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Registriert: 8. Nov 2004, 18:22
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Re: Erkenntnis: Depression als wohlmeinende Freundin annehme

Beitrag von Clown »

Danke für deine ausführliche Antwort, liebe Undansonsten!

Ich finde es sehr hilfreich, von solchen Entwicklungsprozessen zu lesen - auch für mich, obwohl ich kaum noch mit dem Thema Depression zu tun habe, aber immer mit dem Thema Weiterentwicklung!

Bei mir kommt deutlich an, wie gut, sprich stark, du dich auf deinem Weg inzwischen fühlst, weiterhin alles Gute dafür!

Liebe Grüße,
die Clown ;)
Lavendel64
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Re: Erkenntnis: Depression als wohlmeinende Freundin annehme

Beitrag von Lavendel64 »

Hallo Selbsterkenntnis,
nein, die Depression ist nie vorbei. Ich betrachte sie als inneres Warnsystem. Nicht immer ist psychische Belastung an äußere Ereignisse gebunden und sichtbar. Der Satz "Depressionen sind gut behandelbar" hat mir in der Anfangszeit, in der schwersten Krise geholfen ... bis ich merkte, dass behandelbar nicht gleichzusetzen ist mit heilbar.

Dennoch bin ich dankbar für diese Zeit, denn ich bin hektisch und kopflos durch das Leben gerannt, ohne rechts und links zu schauen. Das wurde mir gezeigt und so ist es gut. Ja, man erwartet von der Umwelt Rücksicht - aber ich glaube, das ist etwas, das "andere" für sich wie selbstverständlich einfordern. Wenn wir einmal sagen "stop!, Hier beginnt mein Bereich, jetzt ist ICH-Zeit" kommt sofort das schlechte Gewissen, weil man sich eben nicht aufopfert.

Dieses Gleichgewicht zu finden, ist schwierig. Gerade innerhalb der Familie. Aber es ist mein persönliches gutes Recht, nein zu sagen. Ich bin nicht der Diener der Familie, sondern ich trage meinen Teil dazu bei. Und der Teil ist so groß, wie ich ihn zu geben bereit bin. Das ist mal mehr, mal weniger - das tariere ich immer wieder neu aus.

LG Lavendel
***Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen ***
Bittchen
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Registriert: 2. Feb 2013, 18:02

Re: Erkenntnis: Depression als wohlmeinende Freundin annehme

Beitrag von Bittchen »

Hallo undansonsten,

die depressive Störung wird nie meine Freundin werden.
Auf diese A....lochkrankheit hätte ich verzichten können!!!
Akzeptieren lernen und damit umzugehen,dafür habe ich lange gebraucht.
Genau wie das bei einer schweren körperlichen Krankheit auch der Fall sein kann.
Da kommt es ja auch sehr auf die momentane Beeinträchtigung an.
Fachleute haben mich sehr lange begleitet ,nicht immer nur richtig und hilfreich, aber das ist wieder ein anderes Thema.
Mich und meine Gedanken habe ich verändert,ich mache überwiegend das was mir gut tut.
Setze Grenzen und sage auch nein, das war und ist immer noch ein großes Lernfeld für mich.
Wenn das Leben mir Knüppel zwischen die Beine wirft,rappel ich mich wieder auf,aber ich lasse mir dafür Zeit und versuche mir vermehrt Gutes zu tun.
Denn vor Verlusten und Sorgen,egal welcher Art,ist Niemand sicher.
Die Zukunft lässt sich nur sehr begrenzt planen.
Was ich verinnerlicht habe ist,"Ich bin nicht Schuld".
Ändern kann ich die Vergangenheit nicht,sie ist vorbei,ich habe gelernt damit umzugehen!!!
Selbstanklagen sind ein Symptom der Depression.
Das wirst du durch deine Ausbildung aber auch selbst wissen.
Die Ursachen bei mir kenne ich mittlerweile,die Trigger auch und doch kann ich es nicht immer vermeiden wieder ein Tal zu durchschreiten.
Wenn ich zurück denke,da habe ich immer mein Bestes gegeben,ob es Familie oder Beruf betrifft.
Oft auch zuviel,über meine Kräfte hinaus,denn ich wollte nicht anecken und immer beliebt sein.
Das funktioniert nicht und ist mir auch sehr auf die Füsse gefallen.
Was in meiner Jugend passiert ist und mich aus der Bahn geworfen hat,waren schlimme und traurige Ereignisse.
Verluste,Verletzungen ,nicht zugelassene Trauer.
Sehr viel habe ich lange erfolgreich verdrängt ,auch mit falschen Tröstern.
Es tat zu weh.

Heute würden Therapeuten von einem Trauma sprechen,über das was mir passiert ist.
Das ändert aber auch nichts mehr an dem Rucksack, den ich überall mit hin geschleift habe.
In kognitiver Verhaltenstherapien habe ich auch später über Verluste und Verletzungen gesprochen.
Da hatte ich nach sehr vielen Jahren das Glück einen guten Therapeuten zu finden.
Es ist jetzt meist ein festes Pflaster auf den Verletzungen aus der Vergangenheit.
Doch bei erneuten schwierigen Ereignissen,wird es auch wieder durchlässig und löst bei mir Ängst und eine erneute Krise aus.
Bums, bin ich wieder im Jammertal,aber ich bin vorbereitet.
Die Depression hat viele Fassetten ,ich kann nur davon schreiben ,was ich selbst erlebt habe und was mir geholfen hat.
Aber auch was in den vielen Jahren falsch gelaufen ist,auch mit Behandlern, gebe ich hier weiter.
Daran gebe ich mir auch keine Schuld,denn ich habe es nicht besser gewusst,es war eine andere Zeit.
Heute gibt es sehr viel mehr Möglichkeiten sich über die depressive Störung schlau zu machen.
Der Austausch hier im Forum ist Eine davon.
Diesen Thread finde ich sehr bereichernd,weil über verschiedene Sichtweisen der depressiven Störung geschrieben wird.
Denn jeder Weg ist anders und wenn was weiter hilft uns besser zu fühlen, ist es immer richtig.

Dir wünsche ich von Herzen alles Gute.
Liebe Grüße
Bittchen
Jeder Tag ist ein neuer Anfang.
undansonsten
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Registriert: 23. Jun 2019, 19:14

Re: Erkenntnis: Depression als wohlmeinende Freundin annehme

Beitrag von undansonsten »

Liebe Bittchen,

danke für deine Worte. Vielleicht meine ich (fast) dasselbe, wenn ich die Depression als "Freundin" bezeichne. Das Annehmen der Depression als Tatsache. Ich versuche halt nicht mehr, dagegen zu kämpfen, sondern mich mit der Tatsache zu versöhnen, dass es mich jetzt getroffen hat.

Es gibt viele Gründe, eine Depression zu bekommen. Bei mir ist es die Kombination aus genetischer Komponente, erlittenen Traumata und Verdrängung.

Ich habe Tage, an denen verfluche ich alles, meine Kindheit, meine Mutter, meinen Sohn, meinen Mann, mich selbst zu allererst. Aber es gibt immer mehr Tage, an denen ich merke, dass diese Arbeit, die ich gerade verrichte innerlich, mich so große Schritte hin zu mir selbst führt... ich sagte schon oft zu meinem Sohn: "werde der, der du bist!" und jetzt bin ich auf dem Weg zu mir selbst.

Ich habe all die Jahre gependelt zwischen der Erwartung anderer (eigentlich nur der Erwartung meiner Mutter) und meiner eigenen. Das gab oft grosse Ausschläge in jedwede Richtung. Nun aber ZWINGT mich die Depression, dadurch, dass sie mich komplett ausknockt, mich mit mir auf eine ganz andere Art und Weise zu beschäftigen. Ich lerne, dass Liebe nichts ist, um das man kämpfen kann. Dass es Dinge gibt, auf die ich warten muss, die Geduld erfordern. Dass es Dinge gibt, die ich niemals bekommen werde, auch wenn ich sie mir so sehr wünsche.

Ich habe gelernt, meine Mutter loszulassen und ihr zu verzeihen. Und nun arbeite ich den ganzen Rucksack Stück für Stück ab.

Warum meine Depression meine "Freundin" ist? Sie schützt mein Kind davor, dass mein Kind mein Schicksal erleidet, denn ich war auf dem direkten Weg dahin, ihm meine Erwartungshaltungen in den Rucksack zu packen. Nein, er hatte sie schon drin, hat sich aber einfach jetzt geweigert, den Rucksack zu tragen und mir auf vielfältige Weise gezeigt, was ich gerade für einen Mist mache. Genau das hat mich in diese tiefe Krise geführt. Zuletzt vor drei Wochen, nachdem er sich geritzt hatte, hat er zu mir gesagt: "Ich mag nicht mehr nach Hause kommen, weil da all deine Erwartungen auf mich warten!" Es hat mich getroffen wie ein Hammer auf den Kopf und endlich habe ich es verstanden.

Ich habe selber all die Jahre als Vogel in einem (selbst errichteten) goldenen Käfig gelebt und gedacht, dass das die beste Form von Leben sein kann, so degeneriert war ich schon. Nein, denn der Käfig gab mir die Sicherheit, die ich als Kind nie hatte, ich hab mich wohl gefühlt, alles war an seinem Platz. Erst mein Kind hat mir gezeigt, dass ein Vogel in die Freiheit gehört, denn er ist frei und geliebt aufgewachsen. Nun sitze ich da am offenen Türchen des Käfigs und trau mich noch nicht richtig ins Freie. Aber mein Kind - das fliegt fröhlich draußen herum. Und wisst ihr was: Von Zeit zu Zeit kommt er zurück. Das ist wunderbar.

Deshalb bezeichne ich die Depression als meine Freundin. Denn echte Freunde sind ehrlich zu einem, auch wenn es weh tut.
undansonsten
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Re: Erkenntnis: Depression als wohlmeinende Freundin annehme

Beitrag von undansonsten »

ah, und noch etwas: Die Depression hat mir geholfen, die Wut loszulassen und die Trauer zuzulassen. Ich habe mir mit 8 oder so geschworen, nie mehr zu weinen und jemandem die Genugtuung zu geben, mich weinen zu sehen. Mein Stiefvater hat alles gegeben, damit ich dieses mir selbst gegebene Versprechen breche, aber er hat es nicht geschafft.

Nun kann ich weinen. Seit einem Jahr weine und weine und weine ich. Bei jeder Gelegenheit, allein und in Gesellschaft, ich kann mich einfach nicht mehr beherrschen. All die Trauer, die in mir gebunkert war, darf gehen mit jeder Träne, die ich weine. Ich empfinde das als heilsam, wenngleich es für die anderen nicht so schön ist. Aber das kann und will ich nicht ändern, müssen sie weggehen, wenn es sie zu sehr belastet. Ich glaub, da hab ich jetzt auch meine schlimmste Zeit hinter mir, es gab Tage, an denen ich 8 Stunden am Stück geweint und 3 Klorollen Papier zum Schnäuzen verbraucht habe. ;-)
undansonsten
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Re: Erkenntnis: Depression als wohlmeinende Freundin annehme

Beitrag von undansonsten »

Guten Morgen,

... mir geht es seit Tagen immer noch gut. Das Johanniskraut hilft einfach unglaublich, ich habe kein inneres Flattern mehr und keine Unruhezustände. Habe auch mein Gedankenkarussell viel besser im Griff.

bin sehr happy!
Bittchen
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Re: Erkenntnis: Depression als wohlmeinende Freundin annehme

Beitrag von Bittchen »

Liebe undansonsten,

es freut mich sehr dass Johanniskraut bei dir Wirkung zeigt.
Genieße jeden Tag und einen schönen Urlaub.

Liebe Grüße
Bittchen
Jeder Tag ist ein neuer Anfang.
Aida1
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Re: Erkenntnis: Depression als wohlmeinende Freundin annehme

Beitrag von Aida1 »

.
Zuletzt geändert von Aida1 am 28. Aug 2019, 12:39, insgesamt 1-mal geändert.
Man muss sich selber lieben lernen - also lehre ich - , mit einer heilen und gesunden Liebe:
dass man es bei sich selber aushalte und nicht umherschweife. -Friedrich Nietzsche-
undansonsten
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Re: Erkenntnis: Depression als wohlmeinende Freundin annehme

Beitrag von undansonsten »

Ich nehme es jetzt 2 Wochen. Die erste Woche 450 g, also eine halbe Tablette pro Tag und nach 6 Tagen dann die 900 g Tablette.

Meine Therapeutin sagte, dass es ca. 2-3 Wochen dauert, bis es wirkt.
DieNeue
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Re: Erkenntnis: Depression als wohlmeinende Freundin annehme

Beitrag von DieNeue »

@ undansonsten:
undansonsten hat geschrieben:Ich nehme es jetzt 2 Wochen. Die erste Woche 450 g, also eine halbe Tablette pro Tag und nach 6 Tagen dann die 900 g Tablette.
Du meinst mg oder? ;) Hab mir im ersten Moment schon gedacht... muss man da gleich fast ein halbes Kilo Johanniskraut in sich reinschaufeln :lol:
Aida1
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Re: Erkenntnis: Depression als wohlmeinende Freundin annehme

Beitrag von Aida1 »

.
Zuletzt geändert von Aida1 am 28. Aug 2019, 12:37, insgesamt 1-mal geändert.
Man muss sich selber lieben lernen - also lehre ich - , mit einer heilen und gesunden Liebe:
dass man es bei sich selber aushalte und nicht umherschweife. -Friedrich Nietzsche-
undansonsten
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Re: Erkenntnis: Depression als wohlmeinende Freundin annehme

Beitrag von undansonsten »

Ja, ich hab top Leberwerte
undansonsten
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Re: Erkenntnis: Depression als wohlmeinende Freundin annehme

Beitrag von undansonsten »

DieNeue hat geschrieben:@ undansonsten:
undansonsten hat geschrieben:Ich nehme es jetzt 2 Wochen. Die erste Woche 450 g, also eine halbe Tablette pro Tag und nach 6 Tagen dann die 900 g Tablette.
Du meinst mg oder? ;) Hab mir im ersten Moment schon gedacht... muss man da gleich fast ein halbes Kilo Johanniskraut in sich reinschaufeln :lol:

hahaha! natürlich.
undansonsten
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Re: Erkenntnis: Depression als wohlmeinende Freundin annehme

Beitrag von undansonsten »

Aida1 hat geschrieben:Das ist schön so eine Erfolgsstory zu lesen.
Ich habe auch mal gute Erfahrung mit JK gemacht,hatte aber dann NW.
Sicher achtest du darauf und auch dein Arzt auf die Leberwerte?!
LG

Was ist NW?
Aurelia Belinda
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Wohnort: Mittelfranken

Re: Erkenntnis: Depression als wohlmeinende Freundin annehme

Beitrag von Aurelia Belinda »

NW sind Nebenwirkungen
Alle eure Dinge lasset in Liebe geschehen
undansonsten
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Re: Erkenntnis: Depression als wohlmeinende Freundin annehme

Beitrag von undansonsten »

Ja, ich habe schon gemerkt, aber ich bin eh ein Sonnenverweigerer, daher macht mir das nichts.
Unhappy38

Re: Erkenntnis: Depression als wohlmeinende Freundin annehme

Beitrag von Unhappy38 »

Liebe Undansonsten,
Liebe Bittchen,
Liebe Lavendel,

Ihr seid alle 3 eine große Hilfe und Inspiration für mich, wie ich mit der Krankheit umgehen könnte. Man merkt, dass ihr euch schon seit
Unhappy38

Re: Erkenntnis: Depression als wohlmeinende Freundin annehme

Beitrag von Unhappy38 »

... Jahren damit auseinandersetzt und schon sehr viel über euch und euer Leben reflektiert habt. Ich stehe noch ganz am Anfang und fühle mich oft verwirrt und weiß nicht was ich denken soll. Ich lese mittlerweile fast täglich hier im Forum und finde die Texte oft sehr tröstlich. Es zeigt mir zwar, dass es wahrscheinlich ein langer Weg ist und vielleicht niemals weggeht aber ich habe auch das Gefühl, dass viele hier gelernt haben damit umzugehen, weiterzuleben und trotzdem die schönen Dinge geniessen können. Danke dass ihr euch immer die Zeit nehmt hier so positiv zu schreiben und anderen Mut zu machen!

Ich wünsche euch einen schönen Abend, unhappy
undansonsten
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Re: Erkenntnis: Depression als wohlmeinende Freundin annehme

Beitrag von undansonsten »

Das ist ja lieb! Danke unhappy

Ich will mich einfach nicht unterkriegen lassen. Ich hab nur dieses eine Leben und das will ich in vollen Zügen geniessen. Geht gerade nicht so richtig, aber ich habe auch ein Recht auf ein gutes Leben, auch wenn ich einen beschissenen Start hatte und Eltern, die einfach lieblos und brutal waren.

Ich persönlich glaube, dass meine Depression vorbeigehen wird und dann auch nicht wiederkommt. Ich muss die Dinge bearbeiten, die bearbeiten werden wollen. Und wenngleich es mir unglaublich schreckliche Seelenqualen bereitet, ich tue es trotzdem. Ich werde nicht aufgeben und einen Weg finden, damit zurechtzukommen, denn ich will wieder glücklich sein.

Dazu muss ich noch vieles lernen: Kontrolle abgeben, das Verlassenwerden von meinem Kind akzeptieren, die Traumata meiner Kindheit verarbeiten, meinem inneren Kind eine gute Erwachsene werden.

Ich sehe gute Chancen. Und lasse mich nicht unterkriegen. Tu du es bitte auch nicht und geh den Weg, der gegangen werden muss.

von Zeit zu Zeit öffne ich meiner Depression höflich die Tür und bitte sie, zu gehen. Aber sie hockt weiterhin fett und bräsig auf meinem Sofa und manches Mal auf meiner Brust und nimmt mir den Atem. Die Panikattacken schicke ich mit harschen Worten weg "verpiss dich!", denn sie verstehen nur Asozialensprache. Das klappt erstaunlich gut, muss ich sagen. Ich mache es nicht mehr so wie früher und renne weg, denn ich weiss, dass sie den längeren Atem hat und mich immer einholt. Deswegen trete ich ihr entgegen und sage ihr, dass sie mich nicht bekommt.

Ich weiss, dass das alles nur in meinem Kopf stattfindet aber es hilft mir und ist nützlich. Eben mein Weg.

ich wünsche dir Mut und Hoffnung und Freude an kleinen Dingen und dass du den für dich richtig guten Weg findest!
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