Tagebuch lesen

Pflegemutter
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Tagebuch lesen

Beitrag von Pflegemutter »

Guten Tag,
meine 14 Jährige Pflegetochter ist seit 1.5 Jahren schwer depressiv. Sie zeigt häufig eine Mase, d.h. ist fröhlich, obwohl in ihr Suizidgedanken sind, Wut...
Selbstverletzungen macht sie auch seit 1 5 Jahren. Auslöser waren große Enttäuschungen durch die leibliche Mutter.
Sie musste vor 1 Jahr stationär in die Psychiatrie für 4 Monate. Sie begann mit Antidepressiva, danach ambulante Psychiaterin und Psychotherapeutin.
Vor 2 Wochen nahm sie mehrere Fluoxetin, die sie heimlich gesammelt hatte.
Ich sah letzte Woche in ihrem Zimmer einen Notizblock auf dem Fensterbrett. Beim Blättern sah ich Abschiedsbriefe, die sie am Tag der Tabletten einnahme geschrieben hatte. Nur wegen des Lesens dieser Briefe kam ich auf die Idee, sie auf ihre Stabilität anzusprechen. Erst dann berichtete sie von der Tabletten Einnahme, einige Tsge vorher.
Am nächsten hatte sie einen extremen Streit mit Mittschülerin und ließ sich von der Lehrerin nicht einbremsen. Die Schulleitung informierte mich im persönlichen Gespräch und auch, dass sie auch in der Schule immer wieder Andeutung von Selbstmord macht.
Natürlich haben wir mit der Therapeutin gesprochen und sind zum Krisengespräch in unsere Psychiatrie. Sie konnte wieder mit Heim gehen.
Die Therapeutin warf uns in einer Mail vor, dass wir das Vertrauen der Tochter verletzt haben, weil wir im Notizblock gelesen haben.
Wie sehen dass andere?
Wenn es um das Bewahren vor einem Selbstmord geht, darf ich nicht nach Hinweisen schauen?
Sie wendet sich nicht an uns oder Therapeut, Psychiater..., wenn es ihr schlecht geht oder womöglich Selbstmordabsichten hat.
Eine ratlose besorgte Pflegemutter
ßßßß

Re: Tagebuch lesen

Beitrag von ßßßß »

@pflegemutter

die Verwendung des Begriffes Selbstmord lässt tief blicken. Was da zum vorschein kommt ist nicht schön.
Der Begriff ist abwertend und verleumderisch. Den Rest der Tirade spare ich mir. Andere können das viel besser formulieren. zb in die Suchmaschine eingeben: Gian Domenico Borasio, Welt, Selbstmord


was nun der Kommentar der Psychotherapeutin angeht, ja es eine Verletzung. Ist so. Das kommt in engeren persönlichen Beziehungen ständig vor. Wie schwer die, ist hängt davon ab welche Erfahrungen die Kleine schon gemacht hat. Die Andeutung mit der Geburtsmutter lässt da nichts gutes erahnen.
Es geht wahrscheinlich um Beziehungen. Die von ihr als nicht verlässlich/vertrauensvoll erlebt wurde/werden.
Deine Aufgabe wäre es eigentlich ihr genau das zu ermöglichen. Ein sehr schwere bei den Umständen.
Hohl dir Hilfe. Es sollte eigentlich für so was Ansprechpartner beim Jugendamt geben. Der SPDi ist auch eine Möglichkeit. Im Zweifel nutze die Sprechstunde eines Psychotherapeuten, um Infos zu bekommen.


es gibt eine Partnerseite für Jugendliche fideeo.de. evtl was für sie.


"Wenn es um das Bewahren vor einem Selbstmord geht, darf ich nicht nach Hinweisen schauen?"
Meine persönliche Ansicht schauen ja suchen nein. Willst du sie tatsächlich die nächsten 4 Jahre pausenlos kontrollieren? Für sie ist es nicht hilfreich und dich wird es psychisch fertig machen.
Und selbst wenn was wird dann wenn sie 18 ist? Sie muss jetzt lernen damit umzugehen. Sie braucht Ansprechpartner denen sie vertraut.
Candless
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Re: Tagebuch lesen

Beitrag von Candless »

Liebe Pflegemutter,

ich kann mir vorstellen, dass du in Not und Angst bist! Es würde mir genauso gehen. Wenn ich wirklich begründete Angst hätte, dass sich ein geliebter Mensch etwas antut, würde ich durchaus nach Anzeichen dafür Ausschau halten, sammelt derjenige Tabletten, schreibt er oder sie Abschiedsbriefe? Ich denke, das gebietet die Verantwortung und man ist dazu verpflichtet, zu handeln, wenn es Anzeichen gibt. Du erst Recht, denn du bist ja auch gesetzlich in der Verantwortung.

Ich habe eine depressive Ex-Partnerin und habe es darüberhinaus erlebt, dass sich eine Freundin (mit der ich aber nicht zusammen war) das Leben genommen hat. Auch hier gab es Anzeichen, die aber übersehen wurden und erst im Nachhinein das Umfeld beschäftigten. Hier gibt es viel Reue und Selbstvorwürfe bei einer Reihe Leute, die heute sagen, sie hätten genauer hinschauen und handeln müssen. Deshalb geht für mich die Sicherheit immer vor. Ich finde es als Pflegemutter legitim und wichtig, dass du dir ein Bild machen kannst, ob sie in Gefahr ist. Dazu -das ist meine Überzeugung- hast du jedes Recht, dir alle Infos einzuholen, die du brauchst.

Ich würde versuchen, ganz direkt über Andeutungen und Abschiedsbriefe zu sprechen. Ich habe es bei meiner Ex-Partnerin so gehalten, dass ich wenn ich unsicher war, ganz direkt gefragt habe: "Hast du vor, dir das Leben zu nehmen". Und dann habe ich nach konkreten Plänen gefragt: "Wie wirst du es tun". Wenn sie dann konkrete Pläne gehabt hätte, hätte ich ohne zu Zögern sofort den Notarzt gerufen und ihr gesagt, dass sie in Gefahr ist und Hilfe benötigt.

Ich glaube, dass du Unterstützung für dich benötigst. Für mich liest sich dein Beitrag so, als seiest su selbst an der Grenze zur emotionalen Überforderung, auch etwas hilflos und in grosser Sorge, zu deuten, was mit ihr ist, aber auch, das richtige zu tun. Ich glaube, dass du so aufmerksam beobachtet hast und festgestellt hast, dass sie da etwas plant oder etwas passiert sein könnte, ist ein gutes Zeichen. Du scheinst doch zu sehen, wo du schauen und aufpassen musst.

Dass sie mit dir über die Tabletteneinnahme gesprochen hat, ist ebenfalls ein gutes Zeichen, denn das zeigt ja, dass sie Vertrauen zu dir hat und es vielleicht sogar ihre Absicht war, dass du liest, was sie geschrieben hat.

Die Frage ist, wie kannst du dir in dieser schwierigen Lage selbst Unterstützung holen? Vielleicht gibt es eine Selbsthilfegruppe oder eine Beratungsstelle? Leider kenne ich mich zu wenig aus, aber ich denke, hier würde ich mich um Unterstützung bemühen oder selbst eine Therapie beginnen.

Ich finde es wichtig, dass du dich nicht verunsichern lässt, sondern weiter so aufmerksam bleibst, damit sie geschützt wird. Ich meine, die Intuition kann hier schon ein guter Leitfaden sein, denn wir kennen ja unsere Angehörigen und wollen nicht, dass ihnen etwas geschieht, auch wenn wir vieles nicht gutheissen, was sie vielleicht für sich und andere entscheiden. Wir handeln nicht aus Eigennutz, sondern in Fürsorge für den anderen, und aus Liebe. Solange das die Leitlinie ist, kann das nicht falsch sein.

Ganz liebe Grüsse und viel Kraft!
Ich bin hier, weil ich mich mit anderen Angehörigen offen über alles austauschen möchte.
Candless
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Re: Tagebuch lesen

Beitrag von Candless »

ßßßß hat geschrieben: die Verwendung des Begriffes Selbstmord lässt tief blicken. Was da zum vorschein kommt ist nicht schön.
Der Begriff ist abwertend und verleumderisch. Den Rest der Tirade spare ich mir. Andere können das viel besser formulieren. zb in die Suchmaschine eingeben: Gian Domenico Borasio, Welt, Selbstmord
Hm, ich habe Verständnisschwierigkeiten, das hier in Verbindung zu bringen. Ich kenne ihn aus dem Fernsehen uind kann mich erinnern, dass er anprangerte, dass totkranke Menschen, die sich nach einem Ende des Schmerzes und der Ausweglosigkeit sehnen, dramatisierend als "Selbstmörder" bezeichnet werden. Das Ganze vor dem Hintergrund der schweizerischen Diskussion um Sterbehilfeorganisationen. Ist es im Fall einer 14-Jährigen, die von Suizifabsichten schreibt, nicht genau so, wie der Begriff Selbstmord es ausdrückt? Mir kommt genau das so brutal und selbstaggressiv vor, wie der Begriff es aussagt.

Das ist keine Abwertung und Verleumdung, sondern wir als Angehörige erleben die Brutalität unserer erkrankten Angehörigen, deren Selbstaggressivität bis zur totalen Selbstzerstörungsabsicht uns fertig macht. Da finde ich, darf man das auch genauso ausdrücken -zumindest in einem Angehörigenforum, wo denn sonst? Hier geht es doch um uns und unsere Gefühle.

Ganz liebe Grüsse!
Ich bin hier, weil ich mich mit anderen Angehörigen offen über alles austauschen möchte.
FrequentFlyer
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Re: Tagebuch lesen

Beitrag von FrequentFlyer »

Hi ihr Lieben!

In Ermangelung von Zeit, da ich gleich los muss, möchte ich mich sehr kurz fassen: Ich stimmte Candless zu, dass der Begriff Selbstmord hier nicht abwertend oder verleumderisch verwendet wurde. Und ganz ehrlich, ich möchte mich hier nicht um Begriffe und Ausdrucke austauschen. Den Sinn darin erkenne ich nicht und es ist so gar nicht zielführend. Schon gleich gar nicht in dem Zusammenhang dieses Posts von >Pflegemutter<, deren Verzweiflung sehr eindeutig herauslesbar ist.

Zu dem Thema Kontrolle von Jugendlichen schreib ich eventuell in ein paar Tagen etwas, wenn es nicht schon jemand vor mir macht.

LG
Gertrud Star
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Re: Tagebuch lesen

Beitrag von Gertrud Star »

Hallo,
für mich ist ein Notizblock kein Tagebuch. Dieses ist ja meist als solches erkennbar, oder verschlossen oder irgendwo versteckt, damit es Fremde nicht lesen können.
Von daher: Vielleicht war es etwas grenzwertig. Wenn ihr ein recht gutes Verhältnis habt, könnt ihr darüber reden. Du könntest ihr sagen, dass du das aus Sorge gelesen hast und für dich behältst, was konkret drin steht. Du wolltest ihr ja helfen und als Tagebuch war der Notizblock ja nicht eindeutig erkennbar.
Auf Suizidabsichten wurde ich 2mal im Leben angesprochen. Einmal von einem Arzt, der sehr seltsame Schlüsse draus zog. Ein andermal eine schwer Depressive. Ich erzählte, dass ich eine Brücke runter schaute. Ich schaute nur Züge und vertrieb Wartezeit auf den Bus. Nicht zu fragen wäre unter Umständen tödlich gewesen, so war es eine scheinbar überflüssige Frage, die schnell abgehakt wurde.
LG
ßßßß

Re: Tagebuch lesen

Beitrag von ßßßß »

@frequentflyer, candless

Mord ist ein Schwerverbrechen das nicht nur in dieser Kultur von Amtswegen mit der Höchststrafe geahndet wird. Es ist schlicht verboten jemanden als Mörder/in zu bezeichnen der/die nicht entsprechen verurteilt wurde.

Das es Öffentlich falsch verwendet wird ist keine Entschuldigung. Im Gegenteil es zeigt nur das Leute die deren Job darin besteht sich mit Begriffen auszukennen nicht wirklich wissen was sie da tun.
Begriffe bestimmen das Denken.
Wer Mörder denkt zeigt seine Ablehnung, Verurteilung, Hass gegenüber Betroffenen.
Das kann man tun. Und damit alle die sich mit dem Gedanken tragen auf eine Stufe mit dem Pfleger aus Oldenburg stellen. Dann könnt ihre euch auch gleich für die Wiedereinführung der Todesstrafe für Überlebende einsetzen wie sie bis 1963 in GB üblich war.
Was hier deutlich wird ist das fehlen von Empathie. Fast alle der 10.000/a alleine in Deutschland tun es aus hohem Leidensdruck. Ihnen vorzuwerfen da raus zu wollen, zeugt von einer grenzenlosen Egozentrik ohne Mitgefühl für das Gegenüber.

wenn Borasio nicht ausreicht Suchmaschine: arendt, studie, lmu, selbstmord

"Ist es im Fall einer 14-Jährigen, die von Suizifabsichten schreibt, nicht genau so, wie der Begriff Selbstmord es ausdrückt?"
nein eben nicht. keine niederen Absichten, keine Heimtücke, kein Grausamkeit. Letzteres kommt manchmal unbeabsichtigt zustande weil diese Gesellschaft ja Hilfe mit voller Absicht versagt.
"sondern wir als Angehörige erleben die Brutalität unserer erkrankten Angehörigen, deren Selbstaggressivität bis zur totalen Selbstzerstörungsabsicht uns fertig macht"
und? ist das wirklich schlimmer als so schwer zu leiden das man unbedingt raus muss? es ist also für dich schön, dass das Gegenüber leidet Wochen, Monate, Jahre, Jahrzehnte? nur damit es dir etwas besser geht?
DieNeue
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Registriert: 16. Mai 2016, 22:12

Re: Tagebuch lesen

Beitrag von DieNeue »

Hallo ßßßß,
ßßßß hat geschrieben: Was hier deutlich wird ist das fehlen von Empathie. [...] Ihnen vorzuwerfen da raus zu wollen, zeugt von einer grenzenlosen Egozentrik ohne Mitgefühl für das Gegenüber.
Die gleiche fehlende Empathie stelle ich hier bei dir auch fest.
Ich weiß, dass du auf den Begriff "Selbstmord" allergisch reagierst, aber dann mach bitte einen eigenen Thread auf, wo du das Thema diskutieren kannst. (Den Vorschlag meine ich ernst!)
Aber hier im Zusammenhang mit Pflegemutters Problem finde ich diese Kommentare absolut deplatziert.

Liebe Grüße,
DieNeue
Pflegemutter
Beiträge: 3
Registriert: 11. Jun 2019, 10:56

Re: Tagebuch lesen

Beitrag von Pflegemutter »

Vielen Dank für Eure Antworten und Unterstützung.
Die Diskussion und sogar noch Vorwürfe zu meiner Ausdrucksweise sind komplett fehl am Platz. Ich halte es für fahrlässig, einer Person, die gerade in schlechter Verfassung und extrem belastet ist, derartige Vorwürfe zu machen.
Zum Glück kann ich mich davon abgrenzen.
Es trifft mich nicht. Aber mit allen Menschen in diesem Forum muss man besonders behutsam umgehen!!!
Ich suche immer wieder die Unterstützung von anderen und von Fachleuten. Aber meist ist so schnell keiner greifbar.
Inzwischen hatten wir einen Termin bei der Kinder-und Jugendpsychiaterin, die seit Monaten zuständig ist.Sie hatte das Medikament gewechselt. Die Ärztin hat uns im Schnellverfahren abgefertigt, trotz der Brisanz der Situation. Ob der Stimmungseinbruch vom Wechsel der Medikamente mitverursacht sein kann, sagte sie nicht.Nach 10 Monaten Fluoxitin sollte sie ohne Übergang auf Sertralin wechseln.
Mit der Pflegetochter sprach sie 5 Minuten allein und ließ sich versprechen, dass sie sich nichts antut bis zum nächsten Termin Anfang August.
Auf mein Unverständnis sagte sie, sie ist eben Kassenärztin und hat nicht mehr Zeit.
Wegen des Pflegesohnes hatte ich ein Gespräch bei einer Beratungsstelle. Diese Fachfrau, die lange in der Kinder-und Jugendpsychiatrie gearbeitet hatte, meinte auch, dass ich in so riskanter Situation auch Dinge der Pflegetochter lesen darf, vielleicht sogar die Verpflichtung habe. Sie verstand auch, wie groß die Belastung ist und dass die Tochter vielleicht auch woanders untergebracht werden muss.
Die Therapeutin setzt ihren ersten Vorwürfen uns gegenüber noch eins obendrauf. Beim letzten Termin mit unserer Tochter, der in einem Einkaufszentrum statt fand, also Therapeutin und Pflegetochter, sagte die Therapeutin zur Pflegetochter, dass wir in ihrem Notizbuch gelesen hatten.
Das erzählte mir die Pflegetochter am Tag nach dem Termin, bzw.sie warf es mir vor.
Also, die Pflegetochter vertraut uns nicht mehr.Wir vertrauen der Therapeutin nicht mehr. Und auch die Pflegetochter muss denken, wenn die Therapeutin ihr Sachen erzählt, die die Pflegeeltern ihr anvertraut haben, wird die Therapeutin die Dinge, die sie ihr anvertraut, den Pflegeeltern erzählen?
Die Pflegetochter wird ihre nächsten Abschiedsbriefe und Tablettensammlungen sehr gut verstecken...
Ich bin enttäuscht, wütend und noch ratloser.
Ich finde auch den Ort, der Pflegetochter diese Info zu geben total falsch. Was ist, wenn sie wütend davon rennt und eine Kurzschlussreaktion passiert??!!
Die Überlegung, vom höchsten Parkdeck des Einkaufszentrums zu springen, gab es bei unserer Pflegetochter schon früher.
Ich könnte noch viele Überlegungen, Sorgen los werden, aber für heute soll es gut sein.
Pflegemutter
Marlene57
Beiträge: 507
Registriert: 20. Mär 2018, 16:39

Re: Tagebuch lesen

Beitrag von Marlene57 »

Liebe Pflegemutter,
ich kann zwar fachlich nichts beitragen, aber ich möchte dir und deinem Mann gerne meine Bewunderung aussprechen. Ihr kümmert euch um eure Pflegetochter, was in dieser Situation nicht leicht ist. Die Vorwürfe der Psychologin finde ich völlig daneben. Ich wünsche euch viel Kraft.
Liebe Grüße
Marlene
mime
Beiträge: 1324
Registriert: 6. Sep 2013, 13:28

Re: Tagebuch lesen

Beitrag von mime »

Hallo liebe Pflegemutter,

puh, das ist ja echt starker Tobak, was du da geschrieben hast. Ich kann die Therapeutin da echt nicht verstehen - so wie du das schilderst - sie hat euch mal überhaupt gar keine Vorwürfe zu machen (so zumindest meiner Meinung nach). Ihr habt berechtigte Angst und Sorge um eure Pflegetochter und es geht darum, sie und ihr Leben (!) zu schützen; hättet ihr die Info nicht aus dem Notizbuch gehabt, wie hättet ihr sonst davon erfahren und wie hättet ihr sonst eingreifen können? Suizidgedanken sind grundsätzlich erst einmal ernst zu nehmen. Punkt. Und das habt ihr getan bzw. konntet ihr erst tun, nachdem ihr davon wusstet.

Ich kenne die Arbeit mit einer Therapeutin zwar nur aus der (erwachsenen) Patienten/Therapeuten-Beziehung und weiß nicht, inwiefern es da Unterschiede gibt bei Minderjährigen, aber ich halte es für äußerst ungünstig, dass sie eurer Pflegetochter von dem Notizbuchlesen erzählt hat. So unter dem Motto: alles muss offen auf den Tisch und dann sieh zu, wie du selbst klar kommst. Eure Tochter ist suizidal oder nicht? Wäre es da nicht dran gewesen, sie zu stabilisieren? Vollkommen unverständlich ist mir die ganze Situation.

Dass die Ärztin so wenig Zeit hatte, ist sehr schade. Es kann sein, dass es bei Medikamenten manchmal anfangs zur Verschlimmerung der Symptome (u. a. auch der Suizidgedanken) kommen KANN (nicht muss), deswegen wäre es günstig, wenn die Arzttermine etwas engmaschiger wären. Aber gut, die Ärztin wird da auch überlaufen sein (wie so viele). Was den übergangslosen Wechsel der Medikamente betrifft, kenne ich mich zu wenig aus - dazu kann ich nichts sagen. Bleibt zu hoffen, dass die Medikamentierung ihre antidepressive Wirkung bald entfaltet und die Suizidgedanken und alles, was damit zusammenhängt, sich wieder geben.

Ich weiß übrigens, dass es solche "Versprechen" den Behandlern gegenüber gibt (dass man sich nichts antut) - das ist gängige Praxis - und ich hoffe und wünsche, dass das Versprechen eure Pflegetochter auch trägt.

Für mehr bzw. weitere Überlegungen fehlt mir momentan leider die Konzentration, ich komme zum Schluss.

Gibt es in eurer Nähe evtl. eine psychiatrische Institutsambulanz (Kurzform: PIA)? Vielleicht gibt es da schneller einen Facharzt-Termin (das hängt aber wohl von PIA zu PIA ab, für welche Fälle sie zuständig ist) - anrufen oder sich erkundigen kostet ja nichts, vielleicht ist das noch eine Überlegung bzw. Möglichkeit für euch, die unterstützend wirken könnte, keine Ahnung.

Ich wünsche dir / euch, dass sich die Situation wieder für alle entspannt und vor allem, dass sich die Brenzlichkeit der aktuellen Situation wieder gibt.

Alles Gute und liebe Grüße
Mime
Wir müssen lernen,
die Menschen weniger auf das, was sie tun und unterlassen,
als auf das, was sie erleiden, anzusehen.

(Dietrich Bonhoeffer)
DieNeue
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Registriert: 16. Mai 2016, 22:12

Re: Tagebuch lesen

Beitrag von DieNeue »

Hallo Pflegemutter,

ich finde das Verhalten der Therapeutin unverantwortlich. Ich weiß nicht inwiefern Therapeuten bei Minderjährigen eine Schweigepflicht haben, aber selbst wenn sie keine hätten (was ich mir aber nicht vorstellen kann, denn dann kann man seine Probleme ja gleich ans Schwarze Brett hängen) finde ich es unverantwortlich deiner Pflegetochter zu sagen, dass ihr in ihrem Block gelesen habt. Oder ging sie davon aus, dass deine Pflegetochter das wusste?
Wenn die Therapeutin wusste, dass eure Pflegetochter das nicht weiß, ist sie katastrophal, denn dass diese Info bei ihr eine Krise auslöst und eurem Verhältnis schadet, das sollte man als Therapeutin auf jeden Fall überreissen können. Mit ihrem Verhalten hat sie stattdessen nur Öl ins Feuer gegossen.
Meiner Meinung hätte sie euch eher dazu raten müssen, das selbst anzusprechen, oder sie hätte darüber schweigen müssen.

Dass deine Pflegetochter jetzt kein Vertrauen mehr zu euch hat, ist vollkommen nachvollziehbar.
Habt ihr ihr denn gar nicht erzählt, dass ihr das gelesen habt und euch deswegen Sorgen macht? Wenn nein, wieso nicht?
In so einem Fall fände ich es am besten mit dem Betroffenen zu reden anstatt mit anderen über den Betroffenen. Ich weiß natürlich nicht, wie gut sie mit euch hätte reden können, wie viel Vertrauen sie zu euch hat und ob man sie überhaupt zu einem Gespräch bewegen kann.

Ich denke, du kannst die Situation nur verbessern, wenn du deiner Pflegetochter entgegenkommst und dich entschuldigst. Egal, ob du ihren Notizblock lesen hättest dürfen oder nicht, aber sie ist enttäuscht und verärgert. Das wolltest du nicht und dafür kannst du dich auch entschuldigen.

Vielleicht könntest du ihr einen Brief schreiben?
Ich würde ihr erklären, warum du in ihrem Notizblock gelesen hast (Sorgen oder manchmal ist man einfach gedankenlos, denkt sich nichts beim Aufräumen) und dass du dir Sorgen machst und Angst um sie hast.
Ihr erklären, warum du ihr das nicht gesagt hast (Angst vor ihrer Reaktion, Überforderung etc.) und sie um Verzeihung bitten.
Und eben ihr auch sagen, dass du das alles machst, weil du sie liebst (?)/magst/sie dir wichtig ist (weiß ja nicht, was ihr für ein Verhältnis habt).
Keine Vorwürfe machen. Und vielleicht erklären, was du alles nicht angeschaut hast als Beruhigung, dass ihr nicht noch mehr wisst.

Ich würde euch nicht mehr vertrauen können und wollen, wenn in so einer Situation von euch nichts in die Richtung käme.

Warum trifft sich die Therapeutin mit deiner Pflegetochter eigentlich in einem Einkaufscenter? Bei einer Sozialarbeiterin, die einem im Alltag hilft, würde ich das ja verstehen, aber ein Therapiegespräch sollte eigentlich in einem Rahmen stattfinden, wo nicht hundert Leute was mitkriegen. Das finde ich echt etwas befremdlich.

Liebe Grüße,
DieNeue

P.S.
Meine Mutter hat auch mal zufällig Seiten aus meinem Tagebuch gelesen. Ich schreib das am PC und habe es bei meinen Eltern ausgedruckt. Und dann im Wohnzimmer auf dem Tisch vergessen. Beim Aufräumen wollte meine Mutter nur schauen, wem das Zeug gehört und hat deshalb Teile davon gelesen.
Mein Vater hat mir dann das Zeug gegeben und gesagt, dass die es gelesen hätten. Ich wäre am liebsten in Grund und Boden versunken. Hatte auch keine Ahnung, was sie genau davon gelesen haben. Hab ich bis heute nicht gefragt und will es lieber nicht wissen.
Meine Mutter hat mir dann auch nen Brief geschrieben mit ähnlichem Inhalt wie oben beschrieben. Sie war richtig geschockt, dass es mir sooo schlecht geht und hat sich Vorwürfe gemacht, weil sie das nicht früher gecheckt hat. Und hat mir auch ihre Hilfe angeboten.
Candless
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Re: Tagebuch lesen

Beitrag von Candless »

Hm, ich würde genau davon mehr als abraten, sich zu entschuldigen, einen erklärenden Brief zu schreiben und stark in das Thema einzusteigen. Meine Erfahrung ist, dass klärende Gespräche, gleich welchen wohlwollenden, entschuldigenden o.ä. Inhalts sie sind, in einer depressiven Krise nichts als Druck auslösen. Ich meine, alles Klärende müsste auf später verschoben werden, wenn es ihr besser geht und es auch in Gesprächen um die Beziehungspflege gehen kann. Dann sind Handlungsmotive, Gründe, Gefühle und all das auch besprech- und vermittelbar. Aber in einer depressiven Krise hat all das eigentlich keinen Platz, deshalb werden wir als Angehörige ja so stark weggestossen. Ich würde also alles sein lassen, was in diese Richtung geht.

Es gibt in meiner Sicht daher nichts zu entschuldigen, wenn man aus dieser Situation heraus nach Anhaltspunkten sucht -um das Schlimmste zu verhindern. Das kann man im Nachhinein auch vermitteln.

So gibt es für mich zwei Gründe, sich keinesfalls zu entschuldigen und zu erklären: Einmal sagen wir damit, dass wir einen Vertrauensbruch begehen, was nicht stimmt. Wir handeln so, um unsere Angehörigen vor sich selbst zu schützen, aus Liebe. Nach Hinweisen für einen möglichen Suizidplan zu suchen, ist das Gegenteil von einem Vertrauensbruch. Und der andere Punkt ist, dass emotionale Botschaften und eine Reflexion der Beziehung in dieser Phase Druck auslösen und daher die Distanz aller Wahrscheinlichkeit nach vergrössern.

Wenn ich in der Situation wäre und angesprochen würde auf das Lesen dieser Zettel, würde ich lediglich sagen: Ich mache mir Sorgen um deine Sicherheit, ich liebe dich und kann deshalb nicht anders handeln. Alles weitere können wir später besprechen, wenn es dir besser geht.

Meine Erfahrung ist, dass ich damit in depressiven Krisen immer am besten gefahren bin.

Ganz liebe Grüsse!
Ich bin hier, weil ich mich mit anderen Angehörigen offen über alles austauschen möchte.
DieNeue
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Re: Tagebuch lesen

Beitrag von DieNeue »

Hallo Candless,

ich glaube, du hast mich etwas missverstanden oder wir reden aneinander vorbei... Und ich muss auch ehrlich sagen, ich könnte mich grade aufregen. Ich weiß, dass du Depressive nicht für dumm hältst, aber so kommt es bei mir gerade etwas rüber...

Mir geht es nicht um ein riesen Gespräch oder darum, die Beziehung zu klären, sondern nur darum, die Situation gerade zu verbessern.
Candless hat geschrieben:Hm, ich würde genau davon mehr als abraten, sich zu entschuldigen, einen erklärenden Brief zu schreiben
Ich finde schon, dass man sich auch bei einem depressiven Menschen entschuldigen kann, wenn man diesen verletzt hat. Alles auf irgendwann zu verschieben, nur weil man denkt, der Betroffene kapiert das gerade nicht, macht manchmal auch keinen Sinn. Wir Betroffenen sind doch nicht doof!  
Candless hat geschrieben: Es gibt in meiner Sicht daher nichts zu entschuldigen, wenn man aus dieser Situation heraus nach Anhaltspunkten sucht -um das Schlimmste zu verhindern. Das kann man im Nachhinein auch vermitteln.
Wann ist denn dann im Nachhinein? In vier Wochen, wenn sich durch das Ereignis noch mehr Unmut aufgebaut hat? Oder die Person einen gar nicht mehr an sich ranlässt? Oder in drei Jahren? Wenn sie dann endlich wieder klar denken kann? 
Candless hat geschrieben: So gibt es für mich zwei Gründe, sich keinesfalls zu entschuldigen und zu erklären: Einmal sagen wir damit, dass wir einen Vertrauensbruch begehen, was nicht stimmt. Wir handeln so, um unsere Angehörigen vor sich selbst zu schützen, aus Liebe. Nach Hinweisen für einen möglichen Suizidplan zu suchen, ist das Gegenteil von einem Vertrauensbruch.
Und genau um das geht es mir nicht! Man muss sich nicht dafür entschuldigen, dass man es gelesen hat, wenn man es selber nicht für einen Vertrauensbruch und für richtig hält. Das wäre auch geheuchelt.

ABER: Man hat der Tochter damit wehgetan, sie ist jetzt wütend und sieht es auch als Vertrauensbruch.

Das Problem ist, das die Tochter es jetzt (!) als Vertrauensbruch empfindet (!), egal ob das Verhalten der Eltern für sie im Nachhinein so in Ordnung sein wird oder nicht. Dass sie das so empfindet, war aber ja nicht der Plan der Eltern. Und da finde ich, kann man schon sagen, dass es einem leid tut (wenn es das auch wirklich tut), dass sie das so EMPFINDET. 

Es bringt nichts, ständig dagegen zu reden, das wäre kein Vertrauensbruch gewesen, wenn sie es so empfindet. Richtig drüber reden kann man, wie du sagst, nicht unbedingt, aber man kann ihre Gefühle ernst nehmen und sich entschuldigen, wenn man diese verletzt hat. Ich finde, das zeigt auch Respekt. Und genau das fände ich wichtig, vor allem wenn man ihre Privatsphäre gerade eh schon nicht so ganz respektiert hat.
Candless hat geschrieben: Und der andere Punkt ist, dass emotionale Botschaften und eine Reflexion der Beziehung in dieser Phase Druck auslösen und daher die Distanz aller Wahrscheinlichkeit nach vergrössern.
Candless hat geschrieben: Ich mache mir Sorgen um deine Sicherheit, ich liebe dich und kann deshalb nicht anders handeln. Alles weitere können wir später besprechen, wenn es dir besser geht.
Der erste Satz (2. Zitat) ist nicht viel anders als mein Vorschlag, finde ich.
Den letzten Satz würde ich aber überhaupt nicht schreiben. Denn gerade den empfinde ich als Druck. Wenn das meine Eltern geschrieben hätten, hätte ich immer das Gefühl gehabt, sie warten immer drauf, dass ich irgendwann anfange mit ihnen drüber zu reden und ihnen am besten noch meine intimsten Geheimnisse preisgebe. Aber das geht sie nichts an. 
Bei Suizidgedanken ist das vielleicht anders, aber da würde ich eher allgemeiner drüber reden und nicht das Thema "Wir haben deine Sachen gelesen" aufbauschen. 

Mir war es lieber, meine Eltern sprechen mich nicht mehr drauf an. Ich wollte auch gar nicht wissen, was sie alles genau gelesen hatten. Ich glaube, ich hab mich irgendwann für den Brief bedankt und das war's. Seitdem haben wir nicht mehr drüber gesprochen und das ist für mich auch gut so. 
Wenn gar nichts mehr gekommen wäre, hätte ich es komisch gefunden. Ich hätte nicht gewusst, was sie über mich denken, was sie über mich reden usw. und hätte mich wahrscheinlich noch mehr distanziert. 
Ein "wir lieben dich trotzdem" sollte meiner Meinung nach auf jeden Fall kommen. Ich war damals schwer depressiv und selbst meine Eltern haben nicht überrissen, wie schlecht es mir geht. Aber der Brief kam durchaus bei mir an. Der Vorteil von nem Brief ist halt auch, dass man ihn auch wann anders nochmal lesen kann. Und ich denke, dann kann sie ihn auch mal lesen, wenn sie mal einen guten Moment hat, aber kein Bock oder Nerv für ein klärendes Gespräch. Denn auf dauerhaft gute Zeiten kann man ja bei Depressionen oft lange warten. 

Was man aber vielleicht schreiben könnte, wäre, dass sie mit einem drüber reden kann, wenn sie mag (!). Dass die Tür zu einem Gespräch immer offen steht, man aber nicht erwartet, dass sie irgendwann drüber redet. (Auch wenn man sich das vielleicht wünscht.)

Ich finde, es ist in manchen Situationen wichtig zu unterscheiden zwischen dem, was man gemacht hat und wie man selbst drüber denkt, und dem, was es beim anderen auslöst. 

Da kann man vielleicht manche Situationen eher klären, als wenn man nichts sagt und ewig wartet, bis der Andere "endlich soweit ist", oder man ihm immer wieder die Richtigkeit seiner Sichtweise abspricht. 

Liebe Grüße,
DieNeue
Candless
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Re: Tagebuch lesen

Beitrag von Candless »

Ich glaube, dass wir hier von zwei verschiedenen Standpunkten aus argumentieren. Für mich leben wir als Angehörige in der ständigen Situation des Vertrauensbruchs durch unsere erkrankten Lieben, die uns bei allem aussen vor halten, uns emotional verletzen bis hintergehen, uns "entsorgen" und brutal mit uns, unseren Gefühlen umgehen und Wünsche nach einem erträglichen Miteinander häufig mit Füssen treten. Mit Suizid zu drohen oder auch ihn hinterrücks zu planen, empfinde ich auch als extrem (passiv) aggressives und das Miteinander zerstörendes Handeln. Auch wenn ich weiss, dass es krankheitsbedingt ist, ist es sehr belastend und die Möglichkeiten zu reagieren, bleiben eine Gratwanderung.

Ich persönlich empfinde die Regeln des Miteinanders, die mir eigentlich wichtig sind, als ausser Kraft gesetzt. Daher kann ich mich auch selbst nicht mehr an diese Regeln halten, da dann Gefahren nicht in mein Blickfeld kommen. Deshalb würde ich mich für einen "Vertrauensbruch", der darin besteht, dass ich nach Anzeichen für eine mögliche Suizidgefahr suchen muss, weil sie mich über ihren Zustand belügt, nie entschuldigen. Und es würde mir auch tatsächlich niemals leid tun. Eher tut mir leid, dass das Miteinander, das ich mir eigentlich wünsche, unter diesen Umständen nicht mehr greifen kann.

Das als Hintergrundinfo. Mein Fokus ist die Vertrauenskrise, die wir tagtäglich erleben, kann man vielleicht sagen.

Ganz liebe Grüsse!
Ich bin hier, weil ich mich mit anderen Angehörigen offen über alles austauschen möchte.
DieNeue
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Re: Tagebuch lesen

Beitrag von DieNeue »

Hallo Candless,

danke für deine Antwort.
Kann man dann sagen, dass du einfach aus der Sicht von Angehörigen argumentierst und ich aus der Sicht von Betroffenen oder ist das zu einfach gegriffen?

Ich frage mich gerade auch, ob man deine Sicht auch auf eine Beziehung zwischen einer 14-Jährigen und ihrer (Pflege-)Mutter beziehen kann. Als Paar steht man ja eigentlich auf einer Ebene, aber bei einem Teenager kommt dann ja noch die ganze Pubertät dazu, das Abnabeln, aber auch dass man immer noch die Pflicht hat, sein Kind zu erziehen.
Candless hat geschrieben:Eher tut mir leid, dass das Miteinander, das ich mir eigentlich wünsche, unter diesen Umständen nicht mehr greifen kann.
Das versteh ich nicht ganz. Wie meinst du das?

Mal abgesehen davon, dass ich in der Situation wahrscheinlich mindestens genauso verzweifelt wäre wie ihr und am liebsten das ganze Zimmer auf den Kopf stellen würde, denke ich mir halt, dass es
mich damals mehr von meinen Eltern weggetrieben hätte, wenn meine Mutter mir nicht den Brief geschrieben hätte. Und das ist ja eigentlich nicht das, was man will.

Liebe Grüße,
DieNeue
cool
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Re: Tagebuch lesen

Beitrag von cool »

Liebe Pflegemutter,

es tut mir sehr leid, dass hier so wenig hilfreiches geschrieben wird.

Es geht doch jetzt darum, wie es weitergehen kann.

Vielleicht seid Ihr im Schwesterforum Fideo für Jugendliche und deren Angehörige besser aufgehoben.
https://www.fideo.de/fuer-mich/forum-fideo/" onclick="window.open(this.href);return false;

Zu den Abschiedsbriefen : Wer Notizblöcke mit Abschiedsbriefen offen rumliegen lässt, möchte vielleicht das sie gelesen werden. Ein Hilferuf !!! Ich möchte aber ausdrücklich nicht über die Notizen diskutieren. Das ist jetzt nun mal so und es ist viel sinnvoller nach vorne zu schauen.

Viele Grüße Cool
Bittchen
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Re: Tagebuch lesen

Beitrag von Bittchen »

Liebe Pflegemutter,

ich sehe das wie Cool.
Es handelt sich um ein 14 jähriges Mädchen,das Suizidgedanken hat.
Da kann es auch Absicht sein,dass ist es möglich für dich war einen offen liegende Block zu lesen.
Da hätte ich nicht anders gehandelt wie du!!!
Es geht um das Leben eines Kindes.
Der "Vertrauensbruch" passiert ja nicht aus Kontrolle oder aus Neugier, sondern aus großer Sorge.
Die Vorgeschichte des Mädchens spricht da ja für sich selbst.

Wenn die Therapeutin keine anderen Sorgen als deinen "Vertrauensbruch" zu kritisieren, dann weiß ich nicht ob du da gut beraten bist.
Du hast eine Fürsorgepflicht und da kannst du solche Äußerungen , ob schriftlich oder mündlich, nicht ignorieren.
Egal was die Therapeutin da sagt.
Das Kind hat Tabletten gesammelt,was braucht es noch um zu erkennen wie schlecht es ihr geht?
Die These ,dass wenn mit Suizid gedroht wird ,der dann sowieso nicht passiert,ist ja schon lange widerlegt.
Liebe Pflegemutter, ich wünsche dir und deiner Pflegetochter alles erdenklich Gute.
Auch habe ich den größten Respekt über die Aufgabe die du bewältigen willst.
Dass du dies im besten Sinne für das Kind schaffen willst,sehe ich schon an der Tatsache ,dass du dich an dieses Forum gewand hast.
Den Hinweis von cool auf das Forum für junge Menschen finde ich gut,allerdings ist es jetzt wichtig nach meiner Meinung, weitere Maßnahmen im realen Leben zu ergreifen.
Da würde ich mir eine therapeutische zweite Meinung einholen.
Das ist ja auch nicht einfach ,wenn man weiß ,wie überlastet Akutpsychiatrien teilweise sind.

Liebe Grüße
Bittchen
Zuletzt geändert von Bittchen am 17. Jun 2019, 10:00, insgesamt 1-mal geändert.
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Candless
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Re: Tagebuch lesen

Beitrag von Candless »

DieNeue hat geschrieben: Ich frage mich gerade auch, ob man deine Sicht auch auf eine Beziehung zwischen einer 14-Jährigen und ihrer (Pflege-)Mutter beziehen kann. Als Paar steht man ja eigentlich auf einer Ebene, aber bei einem Teenager kommt dann ja noch die ganze Pubertät dazu, das Abnabeln, aber auch dass man immer noch die Pflicht hat, sein Kind zu erziehen.
Ja eben, genau davon spreche ich! Dass hier die Verantwortung hinzukommt, dass unbedingt auf Sicherheit geachtet werden und alles dafür getan werden muss. Das meinte ich ja, dass es kein Vertrauensbruch ist, wenn man unter diesen Umständen einer schweren depressiven Krise eines 14-jährigen Kindes sich alle Infos einholt, die man braucht -weil man sie sonst nicht bekommt!

Es ging mir darum, dass wohl niemand von uns in herumliegenden Zetteln lesen würde, wenn da "normale", gesunde Umstände wären. Im Tagebuch einer gesunden 14-Jährigen zu lesen wäre ein grosser Vertrauensbruch, im Tagebuch einer möglicherweise suizidalen 14-Jährigen kann jedoch lebensrettend sein und ist unter gewissen Umständen sogar eine Pflicht.

Die "normalen Regeln" des Miteinanders gelten hier nicht mehr, denn wer depressiv ist, macht vieles mit sich aus und plant auch möglicherweise seinen Suizid, ohne dass er darüber spricht. Wir als Angehörige können von einem offenen und vertrauensvollen Miteinander nicht mehr ausgehen und müssen deshalb auch unsere eigenen Grenzen überschreiten, um Infos zu bekommen, die im Miteinander vorenthalten werden. Damit der andere überlebt.

Mein Plädoyer war daher, davon auszugehen, dass hier kein Vertrauensbruch vorliegt, sondern das Ausschöpfen der vorhandenen Möglichkeiten, sich Infos zu beschaffen, die im Miteinander vorenthalten werden.

Das Miteinander, das wir uns wünschen, wäre sicher, dass niemand hinter unserem Rücken seinen Suizid plant und wir als Angehörige hingegen als Ansprechpartner wahrgenommen würden. Leider schenken uns viele depressive Angehörige ja keinerlei Vertrauen und deshalb kann man auch in dieser Situation keinen Vertrauensmissbrauch begehen, wenn man denjenigen vor sich selbst schützen will oder muss, wie es bei Kindern der Fall ist. Weil unsere Angehörigen uns nicht mehr ins Vertrauen ziehen, passieren ja solche Dinge. Das ist eine ganz grosse Not. Und deshalb war das Lesen der Notizen das einzig Richtige.

Ganz liebe Grüsse!
Ich bin hier, weil ich mich mit anderen Angehörigen offen über alles austauschen möchte.
DieNeue
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Re: Tagebuch lesen

Beitrag von DieNeue »

@ Candless: Okay, dann haben wir anscheinend aneinander vorbeigeredet.
ßßßß

Re: Tagebuch lesen

Beitrag von ßßßß »

@die neue

"Die gleiche fehlende Empathie stelle ich hier bei dir auch fest. "
ich denke wir beide hatten das schon. Ich bin im Gegenteil ein hochgradiger Empath. Wenn auch nur für den negativen Teil. Nicht nur deswegen kann ich mir leider sehr gut mitfühlen, was passiert wenn man von seiner nächsten Umgebung in die Nähe schwerster Kapitalverbrechen gerückt wird.

"Aber hier im Zusammenhang mit Pflegemutters Problem finde ich diese Kommentare absolut deplatziert. "
Auch hier im Gegenteil man muss so was immer entgegentreten wo immer es sich findet. Und gerade weil es um ein Kind geht.


@dieplegemutter

"sogar noch Vorwürfe zu meiner Ausdrucksweise sind komplett fehl am Platz."
Da gilt das selbe wie bei die neue. Was so schwer wiegt muss angegangen werden wenn immer es auftritt.
"Ich halte es für fahrlässig, einer Person, die gerade in schlechter Verfassung und extrem belastet ist, derartige Vorwürfe zu machen."
Deine Pflegetochter ist die Hauptperson. Sie ist in erster Linie zu schützen. Bspw vor fehlerhaften negativen Zuschreibungen.

@all

so einiges hier finde ich sehr befremdlich und vor allem übergriffig und um es positiv zu formulieren wenig hilfreich für die Kleine. ausdrücklich ausgenommen der von dieneue Verfasst: 16. Jun 2019, 18:49
Jeder ist anders aber wer hier auch mit 14 schwer depressiv und Selbsttötungsgefährdet war kann ja mal die Hand heben.
:hello:
DieNeue
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Re: Tagebuch lesen

Beitrag von DieNeue »

Hallo ßßßß, hallo alle,

ja, wir hatten zu dem Thema schon mal geschrieben. Ich versuche gerade auch deine Sichtweise besser zu verstehen. Du hast geschrieben, dass du in dem Alter auch suizidgefährdet warst.
Hat man dir denn damals genau diese Dinge unterstellt, die du mit dem Wort „Mörder“ assoziierst? Also dass man dich deswegen abgelehnt hat, dich verurteilt hat, dich mit dem schlimmsten auf eine Stufe gestellt hat, was ein Mensch je machen kann? Anstatt dich in deiner Verzweiflung zu sehen und zu versuchen dich zu verstehen. Ich weiß jetzt nicht, wie alt du bist, aber war das in der Generation deiner Eltern/Umgebung damals noch die vorherrschende Meinung?

Es kann sein, dass ich das das letzte Mal schon geschrieben habe, aber ich (!) assoziiere mit einem „Selbstmörder“ nicht ansatzweise das gleiche wie mit einem Mörder.
Und von daher assoziiere ich auch mit dir als ehemals suizidgefährdetem Betroffenen nichts von dem, was du damit assoziierst.
Ich verurteile dich nicht dafür, dass du Suizidgedanken hattest. Und verurteile auch niemand anderes dafür. Wie könnte ich? Ich hasse dich nicht deswegen, ich lehne dich deswegen nicht ab, ich steck dich nicht in die gleiche Kiste wie einen Mörder.
Ein Mord ist schlimm für die anderen Leute, (für den Mörder vielleicht auch irgendwann), Suizid ist auch sehr schlimm für andere Leute, aber Suizidgedanken und die Verzweiflung sind auch richtig schlimm für den Betroffenen.

Es kommt halt immer ziemlich empathielos rüber, wenn du das so schreibst. Aber wenn du schreibst, du warst selbst mal betroffen und hast eher Empathie mit den Betroffenen, klingt das schon wieder etwas anders. Deshalb würde es mich wirklich interessieren, ob du das so erlebt hast. Dann könnte ich deine Reaktion nämlich sehr gut nachvollziehen!

Ich würde mich über eine Antwort freuen :)

Liebe Grüße,
DieNeue

PS.: Du kannst auch gerne per pn antworten, falls es dir zu persönlich ist.

PS.: @ alle: Ich hatte eigentlich nicht vor, hier nochmal zu den Begrifflichkeit von „Mord/Selbstmord“ zu schreiben, aber ich fand es wichtig, hier nochmal nachzufragen, um die Meinung zu verstehen.
DieNeue
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Re: Tagebuch lesen

Beitrag von DieNeue »

Hallo Candless, hallo alle,

ich habe mir deine Antworten nochmal durchgelesen und ich finde sie etwas problematisch. Ich finde, du argumentierst sehr aus Sicht des Angehörigen (ist natürlich logisch für dich), aber ich als Betroffene fände es auch sehr wichtig, das Ganze mal mehr aus der Sicht der Betroffenen zu betrachten, denn um diese geht es ja. Natürlich auch um die Pflegemutter, die nicht weiß, wie sie damit umgehen soll, aber wenn man sich die Situation auch von der Seite der Betroffenen ansieht, kommt man vielleicht eher drauf, was die depressive Person brauchen könnte.

Ich sehe die Sache so:
Es gibt in der Situation nicht nur eine Realität, sondern es gibt die Sichtweise der Angehörigen und die des Betroffenen. Und die sieht natürlich anders aus.
Ich versuche es mal an einem Bild zu verdeutlichen:
Es gibt ja diese Glasscheiben, wo man auf der einen Seite durchsehen kann, aber von der anderen Seite nicht. Die kenn ich z.B. aus Fernsehkrimis, wo dann die Zeugen einen Täter identifizieren sollen und sich dann durch so eine Scheibe den möglichen Täter ansehen, ohne selbst von diesem gesehen zu werden. Stell dir vor, genau so eine Wand ist zwischen der Tochter und den Eltern. Die Eltern stehen auf der Seite, von der aus sie die Tochter sehen können. Die Tochter sieht nur ihren Raum, aber nicht die Eltern und deren Raum, sondern nur eine schwarze Wand.
Als Eltern oder Angehörige habt ihr den ganzen Rahmen der Situation im Blick, nämlich dass da eine Person ist, die suizidgefährdet ist, bei der es wichtig ist, die möglichen Hinweise zu erkennen, um ihr Leben zu retten, dass du die Person liebst und dass du eine sehr große Verantwortung trägst. Und die jetzt in dieser Situation blöderweise auch noch rumzickt und ein riesen Tamtam macht, weil man den Zettel gelesen hat. Wo das ja aus eurer Sicht wichtig und richtig war.
Als die Pflegetochter hast du nur deinen eigenen Rahmen im Blick. Du siehst deine eigene Verzweiflung, du siehst vielleicht gar nicht, dass es für die anderen schlimm wäre, wenn es dich nicht mehr gäbe, oder vielleicht siehst du das sogar, aber deine Realität empfindest du schlimmer als zu sterben.
Du siehst keinen Grund, aus dem man dich retten müsste vor dem, was du als einzige Lösung siehst. Denn alles andere wäre schlimmer. (Du wünscht es dir vielleicht aber insgeheim, dass du den anderen so wichtig bist, dass sie sich kümmern.)
Zu dem kommt noch dazu, dass man als 14-Jährige sowieso noch nicht den Weitblick hat wie als Erwachsener. Man soll und will sich von den Eltern ablösen, ist aber alleine irgendwie überfordert. Man sieht nicht, dass die Eltern eine große Verantwortung haben. Man sieht vielleicht auch gar nicht, dass die Eltern einen lieben, weil ja eh gerade alles scheiße ist. Man sieht in dem Fall nur, dass die Eltern in den eigenen Sachen „geschnüffelt“ haben, was man scheiße und unfair findet und jetzt Probleme hat, ihnen überhaupt noch zu vertrauen. Man ist enttäuscht, denn man dachte, man könnte ihnen vertrauen, dass sie die eigene Privatsphäre respektieren. Und dann kommen die Eltern auch noch und sagen (mal ganz platt ausgedrückt): „Ne, das stimmt nicht, das war überhaupt kein Vertrauensbruch, stell dich nicht so an, das musst du doch verstehen.“
Dann sagst du als Tochter wieder, dass du das schon als Vertrauensbruch ansiehst und dass du ihnen nicht mehr vertrauen kannst, wenn sie sich so verhalten.
Und dann kommt wieder: „Aber wir müssen das machen! Das ist wichtig! Deshalb ist es kein Vertrauensbruch. Und wir wünschen uns, dass du uns vertraust. Du hast ja auch keinen Grund, uns jetzt nicht mehr zu vertrauen, denn wir haben ja nichts Falsches gemacht und wir lieben dich doch.“
Diese Haltung kommt aber von eurer Seite, von hinter der Scheibe, die die Tochter nicht sehen kann.
Deshalb ist sie für die Tochter wahrscheinlich auch nicht nachvollziehbar. Die Tochter sieht nur diese eine Situation und von dieser macht sie abhängig, ob sie den Eltern vertraut oder nicht. Und deshalb ist es meiner Meinung nach so wichtig, diese EINE Situation zu klären. Auch wenn der Rahmen, den ihr seht, viel weiter gefasst ist. Für sie ist er es nicht.

Ich hatte mit meiner Betreuerin mal eine Situation, die ähnlich war. Ich hatte die letzten drei Jahre eine Betreuerin vom Ambulant betreuten Wohnen, die mir sehr ans Herz gewachsen ist, mit der ich mich super evrstanden habe, die aber leider Anfang des Jahres gekündigt hat. Da war ich richtig fertig und habe gemeint, dass die Zeit so kurz war, in der sie da war. Ich habe das allgemein auch, dass ich die Zeit immer als kürzer empfinde, als sie eigentlich war, weil ich so lange brauche, um Sachen zu verarbeiten und dann immer noch an Sachen hänge, wo andere Leute schon längst zehn neue Sachen gemacht haben.
Sie hat dann gemeint „Es war aber eine lange Zeit.“
Und ich so „Ne, es war so eine kurze Zeit.“
Und sie wieder „Es WAR aber lange“.
Und ich wieder: „Aber für mich ist das überhaupt nicht lange…“
und sie nochmal „Frau DieNeue, es WAR aber eine lange Zeit.“
Ich war dann schon leicht genervt, weil sie mir ständig widersprochen hat, und hab dann gesagt: „Sie reden ständig dagegen!“ – Sie so „Neeein!“ – Und ich so: „Doch! Jetzt gerade schon wieder!“ :lol:
Das Ende vom Lied war dann, dass wir drauf gekommen sind, dass ich zwar schon iiiirgendwie eeetwas nachvollziehen konnte, dass es für andere eine andere Zeitdauer war als für mich, aber dass ich ein Problem mit ihrer Kündigung hatte, weil es für mich so schnell vorbei war, und ihr Dagegen-Reden mein Problem schlimmer gemacht hat, weil ich das Gefühl hatte, ich komme mit meiner Sichtweise nicht durch, ich kann mich überhaupt nicht verständlich machen. Das hatte ich bei manchen Therapeuten vorher auch schon, von daher war das für mich echt schlimm. Ich habe mich von den Therapeuten immer etwas bevormundet gefühlt, nicht ernst genommen, unverstanden, manchmal auch wie ein kleines Kind behandelt.
Wir sind dann drauf gekommen, dass eigentlich nur dieser eine Satz gefehlt hat: „Ich weiß, dass es für Sie nicht so ist wie für mich“.
Für mich sind die letzten drei Jahre immer noch eine kurze Zeit, aber ich habe mich durch ihr Verständnis mehr gesehen und ernst genommen gefühlt. Dadurch war ich dann auch nicht mehr so genervt von ihr und am Ende des Gesprächs war dann auch wieder alles gut. Und unser Verhältnis hat auch nicht darunter gelitten. Im Gegenteil.
Ich denke, genau DAS ist auch der wichtigste Punkt bei der Situation mit der Pflegetochter: Dass man ihre Sichtweise ANERKENNT, dass man ihr sagt „Ja, es ist für DICH schlimm gewesen, dass ich deinen Notizblock gelesen habe. Ja, es IST für dich ein Vertrauensbruch. Ich kann verstehen, dass du jetzt sauer bist deswegen und das akzeptiere ich auch.“

Es bringt nichts, ihr gegenüber immer und immer wieder zu wiederholen, dass das kein Vertrauensbruch war (genauso wenig wie mir ständig nur zu sagen, dass drei Jahre eine lange Zeit sind). Denn aus ihrer Sicht WAR es einer. Wenn ihr ihr helfen wollt und einen Zugang zu der Person finden wollt, ist es meiner Meinung nach nötig, sich in die Lage des Betroffenen hineinzuversetzen und seine Realität genauso anzuerkennen wie die eigene. Es ist nicht immer nur die Sichtweise von Angehörigen richtig. ;) Beide Sichtweisen können auch gleichzeitig bestehen und haben beide ihre Berechtigung.

Wie man das dann konkret regelt, ob man in Zukunft nach Hinweisen schauen, suchen oder sonstwas darf, ist wieder eine andere Sache. Ich kenne mich mit der Erziehung von Teenagern nicht aus, keine Ahnung, ob man in so einer brisanten Situation irgendwelche Abmachungen treffen sollte oder nicht. Ich denke, da kann man sich auch beraten lassen, was Pflegemutter teilweise schon gemacht hat. Und FrequentFlyer wollte eventuell ja noch was dazu schreiben.
Ich habe ja schon geschrieben, dass es mir in der Situation als Angehörige auch so gehen würde und ich würde genauso nach Hinweisen schauen. Und vielleicht auch panisch danach suchen.
Aber ganz egal, wie man das in Zukunft am besten regelt, finde ich es absolut wichtig, dass man ihr JETZT zu verstehen gibt, dass man ihre Sicht in dieser einen Situation versteht und respektiert. Und sich notfalls auch entschuldigt dafür, dass man sie verletzt hat. Auch wenn man ihr vielleicht auch noch sagt, dass es wichtig ist, dass man von ihren Absichten weiß, und dass man Angst um sie hat, weil man sie liebt.

Zu dem ganzen kommt natürlich dazu, dass so ein Abschiedsbrief in einem Notizblock vielleicht auch absichtlich liegengelassen wurde, dass ihn jemand findet. Auch wenn die Person das bestreitet und sich drüber aufregt, dass man in ihren privaten Sachen gelesen hat.
Dazu kommt noch die Pubertät, wo sowieso alles drunter und drüber geht.
Im Betroffenen-Forum gibt es gerade auch einen Thread um eine 16-jährige depressive Tochter (https://www.diskussionsforum-depression ... 0&start=75" onclick="window.open(this.href);return false; ), da hat Salvatore einen guten Beitrag geschrieben, wie sie sich als Teenager verhalten hat und dass man als Teenager oft genau das Gegenteil sagt von dem, was man eigentlich will. Auf der einen Seite will man unabhängig sein von den Eltern, auf der anderen Seite ist man auf ihre Hilfe angewiesen. Da als Teenager das richtige Maß zu finden, ist natürlich nicht einfach (für die Eltern auch nicht) und deshalb kommt es manchmal zu widersprüchlichem Verhalten. Vielleicht hilft euch der Beitrag auch, sie etwas besser einzuschätzen.

Nochmal zu der Therapeutin: Ja, ich finde, sie hat Recht bei dem, dass sie sagt, es wäre ein Vertrauensbruch gewesen (aus der Sicht eurer Tochter, denn aus der spricht sie als ihre Therapeutin ja).
Allerdings muss man das deswegen den Eltern nicht vorwerfen, sondern man könnte sie auch einfach darauf hinweisen, dass ihre Tochter das so empfindet.
Was ich jetzt so im Internet gelesen habe (nur mal schnell gegoogelt), darf der Therapeut die Inhalte der Gespräche mit den Eltern scheinbar auch nicht einfach so an die Tochter weitergeben. Genauso auch andersrum. Von daher war sowohl der Vorwurf an die Eltern als auch das Weitererzählen, dass in dem Block gelesen wurde, meines Erachtens nicht in Ordnung.

Über das, wie ihr euch als Angehörige in so einer Situation fühlt, könnt und sollt ihr euch als Angehörige natürlich hier austauschen! Da kann ich auch nicht mitreden, denn die Erfahrung habe ich Gott sei Dank nicht gemacht.
Die Ausgangsfrage war jedoch, ob man in Tagebüchern lesen darf oder nicht, und ich habe es so verstanden, dass auch die Frage ist, wie geht man in der Situation damit um, wenn sie einem vorwirft, das Vertrauen missbraucht zu haben und sie einem deshalb nicht mehr vertraut.
Dass sie einem nicht mehr vertraut, ist das Blödste, was hier passieren kann, denn dann kommt man irgendwann gar nicht mehr an sie ran. Und um zu wissen, wie man mit einer Situation umgehen soll, muss man erstmal wissen, was da abgelaufen ist - auf BEIDEN Seiten.

Gerade wenn sie auch schlechte Erfahrungen mit ihrer leiblichen Mutter gemacht hat, ist es umso wichtiger, dass sie wenigstens von ihren Pflegeeltern das Verständnis bekommt und man ihr nicht ihre Sicht der Realität abspricht. Als psychisch Kranke habe ich manchmal eh den Eindruck (oder zumindest die Angst), dass man nicht ganz so ernst genommen wird, weil man ja „alles falsch“ wahrnimmt. Da macht es wirklich einen Unterschied, ob jemand sagt, dass er meine Sichtweise nachvollziehen kann und sie respektiert oder nicht.

Ich würde da vorschlagen, vielleicht mal nochmal mit der Therapeutin zu reden und klar zu regeln, was wem erzählt werden darf und was nicht, oder gegebenenfalls einen Therapeutenwechsel in Betracht zu ziehen.

Ich hoffe, ihr könnt mit dieser Sichtweise etwas anfangen.

Liebe Grüße,
DieNeue

P.S. Ich habe gestern mal nachgeschaut und ich habe den Brief von meiner Mutter immer noch.
ßßßß

Re: Tagebuch lesen

Beitrag von ßßßß »

@dieneue

wenn ich mich hier schon einmische muss ich auch liefern.

Meine Depression ist nicht erkannt worden. Das musste ich selber machen und habe dafür etwas gebraucht.
Was die Selbsttötungsgefährdung angeht ist die Ablehnung und Stigamtisierung heute noch genauso wie sie damals war. Die Verwendung des Begriffes Selbstmord zeigt das nur allzu deutlich. Der Hinweis auf Arndt einem Kommunikationswissenschaftler der LMU war nicht zufällig.
Die Diskussion um Sterbehilfe zeigt auch das allzu deutlich.

Der Begriff Selbstmord stammt aus dem Kirchenrecht. Das es in Wien einen großen Friedhof für die Toten der Donau gibt geht darauf zurück, das der Mord und Suizid des Thronfolgers in Österreich-Ungarn vertuscht wurde übrigens auch.
Die Gesetzgebung in diesem Land stellt das zwar nicht mehr unter Strafe aber gibt die Möglichkeit zur völligen Entrechtung.
Womit wir wieder bei dem Tenor wäre der hier herrscht.
Die Kleine genauso wie jeder andere Betroffene hat grundsätzliche Rechte. Dies mal ebenso mit den Füßen zu treten weil man es ja gut meint, kann gut gehen. Wahrscheinlicher aber ist das es katastrophal wird, weil sie das Vertrauen, die Bindung an Menschen endgültig verliert. Und das gilt es mit allen Mittel zu verhindern.
Die ursprünglichen Fragen von 'Pflegemutter' hatte ich ja schon im ersten Post beantwortet. Und obwohl sich die Fälle durchaus unterscheiden sollte man den die das aus persönlicher Erfahrung kennen besser zuhören.
Candless
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Registriert: 7. Okt 2018, 22:10

Re: Tagebuch lesen

Beitrag von Candless »

Pflegemutter hat geschrieben: Die Therapeutin warf uns in einer Mail vor, dass wir das Vertrauen der Tochter verletzt haben, weil wir im Notizblock gelesen haben.
Wie sehen dass andere?
Wenn es um das Bewahren vor einem Selbstmord geht, darf ich nicht nach Hinweisen schauen?
Sie wendet sich nicht an uns oder Therapeut, Psychiater..., wenn es ihr schlecht geht oder womöglich Selbstmordabsichten hat.
Liebe DieNeue,
ich glaube, wir reden hier immer noch ein wenig aneinander vorbei. Ich habe deshalb die Ausgangsfrage noch einmal hier herein kopiert.

Es steht dort nichts, dass ein Gespräch mit der Pflegetochter über einen möglichen Vertrauensbruch stattfindet, sondern dass diese Frage im Raum steht im Kontakt mit der Therapeutin. Meine Antwort bezog sich nur auf den Fall, dass eben mit einer dritten Person gesprochen wird, die diesen Vorwurf macht.

Wenn jemand aus dem Behandlungsteam Vorwürfe macht und die Situation ist so, wie oben geschildert, darf man durchaus bei seiner Sicht bleiben, finde ich.

Ich habe keineswegs gemeint, die Dinge, die ich der Therapeutin sagen würde, einer depressiven Tochter zu sagen. Das ist ein völlig anderer Fall, der hier aber nicht zur Diskussion stand.

Dem Behandlungsteam gegenüber darf man aber durchaus seine Sicht als Angehöriger vermitteln. Nur darum ging es hier bei dem, was nun etwas einseitig rüberkommt. Wie ein solches Gespräch mit einem betroffenen Angehörigen aussehen würde, wäre eine ganz andere Frage und würde auch zu ganz anderen Antworten führen.

Ganz liebe Grüsse!
Ich bin hier, weil ich mich mit anderen Angehörigen offen über alles austauschen möchte.
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