Depressionen + Fernbeziehung

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Whirlwind
Beiträge: 3
Registriert: 12. Jun 2019, 20:17

Depressionen + Fernbeziehung

Beitrag von Whirlwind »

Hallo Zusammen,
Wahrscheinlich gibt es hier viele mit meinen Problemen aber ich weiß einfach nicht mehr weiter und egal wo und wie oft ich um Rat frage bekomme ich nur weniger hilfreiche Antworten. Meine Situation ist die folgende:
Ich bin seit einigen Monaten mit einer Frau zusammen die einfach wie für mich geschaffen ist. Allerdings ist sie (scheinbar aus biographischen Gründen und soweit ich das sagen kann ziemlich schwer) depressiv. Das beinhaltet unter anderem nicht aufstehen zu können, bei der Arbeit sehr regelmäßig aus Verzweiflung weinen, Selbstmordgedanken (aber soweit ich das irgendwie sehe keine Absichten), Missbrauch von nicht verschreibungspflichtigen Schmerzmitteln und vieles mehr.
Als wäre das nicht schlimm genug hat sie kein Aufenthaltsrecht in Deutschland, was zum zweiten und letzten mal dazu führt dass wir für einige Monate in einer Fernbeziehung leben. Dazu muss man sagen dass ihr Heimatland zur unangehmsten Sorte gehört. Hunger, Angst vor dem Staat, Mangel an akzeptabler medizinischer Versorgung gehören zur Lebenserfahrung der meisten. Außerdem herrscht eine für Deutsche Verhältnisse absurde Willkür von Seiten aller Vorgesetzen, Beamten und Verwaltungsangestellten. Verlässliche Familie oder Freunde sind nicht vorhanden. Dass ich sie dort besuche will sie nicht.

Ich liebe sie sehr und möchte ihr natürlich helfen. Ich schreibe, telefoniere und skype sehr viel mit ihr. Manchmal vielleicht zu viel, da sie sagt es fällt ihr oft schwer zu reden und erfordert große emotionale Anstrengung. Ich versuche ständig erreichbar zu sein und jederzeit zuzuhören. Ich gebe mein bestes mir die täglichen Angriffe gegen mich nicht zu Herzen zu nehmen und versuche alles nie böse zu reagieren. Aber was antwortet man denn auf "wenn du mich liebst hol mich sofort hier raus"? Ich weiß sie sind nicht gegen mich gerichtet aber es zehrt an mir. Ich versuche sie zu unterstützen, aber ich bin dabei wohl nicht besonders erfolgreich. Ich weiß überhaupt nicht was dieses sagenumwobene "unterstützen" praktisch für mich bedeutet. Zusätzlich neige ich zu allem möglichen schlechten Gewohnheiten aus einer anderen Beziehung. Z.B. kann ich oft nicht antworten und verzweifel in schwierigen Situationen daran nach den richtigen Worten zu suchen und schweige. Oder sage eben etwas furchtbar dummes was alles schlimmer macht.
Sie macht mir sehr viele Vorwürfe. Sie ist davon frustriert dass ich hier in "meinem schönen Leben" sitze und nichts für sie mache, während sie sich alleine hier her zurückkämpfen muss. Davon dass ich sie nicht unterstützen würde und nicht für sie da wäre. Davon dass ich ihr sage wie wunderbar sie ist, aber sie nicht versteht wieso ein wunderbarer Mensch so tief in der Sch***** sitzt.

Jetzt sitze ich hier und habe panische Angst dass die Beziehung oder sogar wir beide als Menschen an dieser Situation scheitern. Weiß irgendjemand was ich tun kann?

Viele Grüße,
Jonas
Candless
Beiträge: 190
Registriert: 7. Okt 2018, 22:10

Re: Depressionen + Fernbeziehung

Beitrag von Candless »

Lieber Jonas,

es scheint eine wenig aussichtsreiche Situation zu sein, die du schilderst. Wenn ich dich richtig verstehe, ist sie depressiv und verzweifelt, kommt aus ihrem Land nicht heraus, in dem die Lebensumstände sehr schlecht sind und hat dort auch kein soziales Netz.

Es scheint mir so, dass du in die Rolle des "Retters" gerätst, die du aber aufgrund der Umstände schon nicht ausfüllen kannst, so wie sie sich das wünscht, und du vielleicht auch.

Darüberhinaus scheint euer Miteinander auch von einigen Missstimmungen geprägt, sie macht dir Vorwürfe, du findest nicht die richtigen Worte. Besuchen darfst du sie nicht.

Meiner Einschätzung nach ist eine Fernbeziehung unter diesen Umständen tatsächlich nicht ohne weiteres möglich. Sie möchtem dass du sie dort "herausholst", das scheint ihre Vorstellung einer Lösung zu sein, was ich verstehen kann.

Die Frage, die sich mir stellt ist, du schreibst, sie sei wie für dich geschaffen. Gibt es denn nicht die Möglichkeit, dass du sie dann heiratest und sie herkommen kann? Wenn nicht, warum nicht? Bist du doch noch nicht so weit, "ja" zu sagen, vielleicht auch wegen der ganzen Probleme? Wenn sie es auch so sieht, dass ihr füreinander bestimmt seid, warum darfst du sie nicht besuchen? Das wäre für mich ein Alarmsignal.

Kurzfristig scheint es meine ich nur möglich, unter diesen Umständen in einen besseren Kontakt und ein verbessertes Miteinander zu kommen, wenn sie anfängt, sich ein soziales Netz aufzubauen, dort wo sie ist, und eine zweitbeste Möglichkeit erarbeitet, die enthält, dass sie vielleicht nicht (bald) nach Deutschland kommen kann.

Ich meine auch, sie braucht ganz dringend eine Therapie und eine Behandlung. Gibt es das in ihrem Land?

Ganz liebe Grüsse!
Ich bin hier, weil ich mich mit anderen Angehörigen offen über alles austauschen möchte.
Whirlwind
Beiträge: 3
Registriert: 12. Jun 2019, 20:17

Re: Depressionen + Fernbeziehung

Beitrag von Whirlwind »

Hallo Candless und vielen Dank für die Antwort.
Sie wird einigen Wochen nach Deutschland kommen und auch bleiben. Jetzt gilt es die Zeit bis dahin zu überstehen ohne dass einer von uns beiden zerbricht.
Das mit der Heirat ist nicht so einfach. Ich hätte es längst getan aber das würde sehr lange dauern, länger als sie noch weg sein wird. Dass ich sie nicht besuchen soll, liegt zum Teil daran dass ich in ihrem Land wegen der Sprachbarriere aufgeschmissen wäre, also sie ich zusätzlich um mich kümmern müsste.

Meine aktuelle Verzweiflung ist zweierlei:
1) Ich weiß nicht wie ich ihr helfen kann.
Sie sagt immer dass sie sich wünscht dass ich für sie da wäre. Dass ich sie unterstütze. Ich weiß einfach nicht was das praktisch bedeutet. Was genau soll ich für sie tun? Ich bin praktisch immer erreichbar, jederzeit da zu telefonieren und zu reden. Ich gebe mir allergrößte Mühe auf Anfeindungen friedfertig zu reagieren. Ich sage ihr wie wichtig sie mir ist, dass ich für sie da bin und dass ich sie liebe. Aber das alles reicht ihr nicht. Also was bedeutet es praktisch für mich sie besser zu unterstützen?
2) Ich weiß nicht wie ich auf die Anfeindungen reagieren soll. Mir ist klar dass sie ein Symptom sind, aber das hilft mir nicht eine Antwort zu finden. Was antwortet man auf "Wenn du mich liebst, holst du mich sofort hier raus"? Wie soll ich mit den Vorwürfen umgehen dass sie unter psychischen Schmerzen alles macht damit wir wieder beieinander sein könne und ich hier auf meinem faulen Arsch sitze und nichts für uns oder für sie mache?

Es ist eigentlich nicht lange. Etwas über einen Monat. Aber jeder Tag ist ein Kampf der uns beide an den Rand unserer Kräfte bringt. Sie ist ständig, nun ja, eben schwer depressiv, hat Schwierigkeiten einzuschlafen, aufzuwachen, zu essen, das Haus zu verlassen, etc und bei mir hat sich Panik zur Grundstimmung entwickelt.

Viele Grüße,
Jonas
Candless
Beiträge: 190
Registriert: 7. Okt 2018, 22:10

Re: Depressionen + Fernbeziehung

Beitrag von Candless »

Lieber Jonas,

es hört sich ein wenig so an, als sei es nie genug, was du tust, sie dich als "Retter" anspricht und vermittelt, du hast sie immer noch nicht gerettet. Grundätzlich muss sie sich aus der Depression selbst nach und nach herauskämpfen. Es wird nicht so sein, dass die Depression sofort nachlässt oder gar verschwindet, wenn sie dann in Deutschland ist. Es könnte sein, dass dann nochmal ein Tief kommt, wenn sie das feststellt.

Ich denke, wenn sie in vier Wochen kommt, könntest du schon einmal recherchieren, wo sie evtL; einen Theraieplatz und einen Arzt findet, der sie wegen ihrer Depression behandeln kann. Den Schritt muss dann letztlich aber sie machen.

Ich meine, das einzige, dass du nun darüberhinaus tun kannst, ist, für dich zu sorgen. Ich glaube, dass du dich dringend schützen musst. Es ist kein guter Weg, wenn du mittlerweile Panik entwickelt hast. Dagegen denke ich, musst du vorgehen.

Ich meine, in gewissem Mass braucht man bei schwer depressiven Angehörigen eine Art Schutzmauer, bei der du letztlich entscheidest, welche Kritik du annimmst und welche nicht und dass, was sie sagt, unter dem Vorzeichen ihres derzeitigen Zustands und ihrer Lebenssituation interpretierst. Damit meine ich, nicht alles, was sie sagt, ist eine Beziehungsaussage, auch wenn es so formuliert wird. Sie sagt hinter den Vorwürfen in erster Linie, wie sie sich fühlt und in welcher misslichen Lage sie ist. Du kannst nichts dafür und kannst sie auch nicht "retten". Hier würde ich versuchen, auszuloten, inwieweit du dich selbst mehr schützen kannst.

Ganz wichtig scheint mir, dass du dir auf die erste Frage, wie du ihr helfen kannst, die Antwort erlaubst, dass du ihr gar nicht helfen, sondern nur an ihrer Seite bleiben kannst. Das würde ich ihr auch vermitteln. Daraus ergibt sich, dass du auf die zweite Frage die Antwort geben könntest, dass du mit ihr Regeln des Miteinanders besprichst, die für dich die Voraussetzung für die Zukunft sein sollen. Die müssen und können sicher nicht sofort umgesetzt werden, aber es ist wichtig, dass du dich nicht aufgibst, das wäre auch für sie nicht gut, denn dann kannst du ihr keinen Halt geben und gehst mit in die depressive Spirale.

Ganz zentral scheint mir, dass sie eine ärztliche Behandlung und Therapie hat, wenn sie dann herkommt. Dann würde ich beginnen, mich innerlich abzugrenzen, damit du dich und deine Gesundheit schützen kannst.

Ganz liebe Grüsse!
Ich bin hier, weil ich mich mit anderen Angehörigen offen über alles austauschen möchte.
Whirlwind
Beiträge: 3
Registriert: 12. Jun 2019, 20:17

Re: Depressionen + Fernbeziehung

Beitrag von Whirlwind »

Hallo Candless,
Zunächst vielen vielen Dank für den Rat und dass du dir die Zeit nimmst.

Dass es nicht sofort verschwinden wird ist mir klar. Vorkehrungen sind getroffen, ein Arzttermin habe ich bereits vereinbart.

Ich weiß dass ich sie nicht retten kann, aber ich würde wenigstens gerne mehr als nichts tun. Unter anderem auch weil ich denke dass würde jhr Vertrauen in mich und die Beziehung stärken. Irgendwelche Vorschläge?

Es kann sein dass es ihr nie genug ist, aber ich glaube nicht dass ich das sagen sollte. Ich habe Angst dass sie dann gar nicht mehr nach Hilfe fragt.

Hast du konkrete Vorschläge was ich gegen die Panik machen kann? Beratungsstellen etc hab ich schon angefragt und ich werde mich auch selbst bald in professionelle Hände begeben. Allerdings ist das ja dafür bekannt dass es eine Weile dauern kann....

Und das andere sind eben die Anfeindungen. Ich weiß ich sollte soe nicht an mich hin lassen, aber das gelingt mir im Moment einfach nicht. Und was entgegnet man auf diese Angriffe? Im Internet finde ich die immer gleichen dreineinhalb Tipps, aber das wird da einfach nicht besprochen.

Ich weiß einfach nicht mehr weiter. Wie soll ich damit umgehen ständig Nachrichten wie "Ich will dieses ganze Leben nicht", "Mir ist nach sterben zumute", "ich bin dir völlig egal" und eben "wenn du mich liebst hol mich sofort hier raus" bekomme? Ich kann nicht mehr...

Viele Grüße,
Jonas
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