Manchmal geht es doch wieder bergab...

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paradiddler
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Manchmal geht es doch wieder bergab...

Beitrag von paradiddler »

Hallo,
vor ein paar Tagen wollte ich eine durch und durch positive Mail schreiben, weil es mir nach drei Monaten Tagesklinik (Entlassung ist auch schon wieder drei Monate her) viel besser geht. Ist auch so. Die Klinik war das Beste, was ich seit meiner Depri erlebt habe, und hat mich weiter gebracht und zum Positiven verändert. Ich weiß jetzt viel besser, was ich vom Leben will und was ich nicht will, welches meine Ziele und Träume sind, und vor allem, warum ich mich die letzten 26 Jahre habe herumschleudern lassen. Aber...

...bei dem momentanen schönen Wetter kommen wieder diese ganzen es-ist-eh-zu-spät-du-bist-zu-alt-um-neu-anzufangen-vergiss-es-doch-einfach-du-hast-verloren-du-hast-es-versaut-Gedanken hoch, und ich bekomme richtige Panik, weil ich diese Gefühle - die ich so lange nicht mehr gespürt habe - nicht mehr haben will, weil ich Angst habe, wieder in mein altes Schema zu verfallen. Es ist wie eine Sucht, man fühlt sich bei diesen Gedanken irgendwie wohl, und dass ist auch das Gemeine an ihnen. In diesen Momenten fehlt die Kraft, weiter zu machen. In diesen Momenten vergleiche ich mich nur noch mit anderen, und krame meine alten Bewertungsmaßstäbe aus der Ecke und mache mich fertig und vergesse alles, was ich in der Klinik gelernt und geschafft habe. Und die Medikamente - die ich inzwischen abgesetzt habe - will ich nicht mehr.

Ich musste das hier mal loswerden.


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Der Kampf gegen den Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.
girasol
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Re: Manchmal geht es doch wieder bergab...

Beitrag von girasol »

Hallo Stefan,

ich kann dich gut verstehen, ich auch jetzt noch Ängste, aber ich habe irgendwann verstanden, dass dies zum Leben dazu gehört. Es ist nicht immer alles fröhlich und bunt, es gibt eben auch die anderen Seiten und ich habe gelernt, dies anzunehmen, auch wenn ich mir jeden Tag Kuchen wünsche, es ist nicht möglich. Ich hatte auch vor meinen Depris Momente, Stunden und Tage, wo ich mir Sorgen gemacht habe, wo ich schlecht geschlafen habe und und ... Das haben andere Menschen ohne Depris genauso, wenn sie mal ehrlich zu dir sind. Es gab und gibt immer Höhen und Tiefen im Leben, jetzt denkt man bloß immer gleich daran, dass die nächste Depri kommt. Versuche dich daran zu erinnern, wie es früher war, du hast es überstanden und das nächste Mal überstehst du bestimmt schon besser. Mit jedem Mal wird dein Selbstvertrauen wachsen, schau dir genau an, wie du es beim letzten Mal bewältigt hast. Es geht nicht immer nur bergauf, sondern ich bleibe auch stehen, um zurückzuschauen und zu vergleichen, meine Fortschritte zu erkennen, es lernen, sie zu erkennen und auch zu akzeptieren, wenn es nicht immer gleich weitergeht. Manchmal mußte ich auch einen oder zwei Schritte zurückgehen, um genauer hinschauen zu können. Du wirst weiter lernen, damit umzugehen, es zu ertragen und dann wirst du irgendwann ganz automatisch auf andere Strategien wie früher zurückgreifen. Es ist ein Prozess, der ein lebenlang dauert und ich habe begriffen, dass der Weg das Ziel, denn es gibt glaube ich kein Endziel, weil wir in einer dynamischen Welt leben, in der sich meine Wünsche und Träume und Ziele stetig verändern und vor allem entwickeln. Ich hoffe, ich habe dich nicht zugetextet und wünsche dir viel Spaß beim Lernen.

Ciao Girasol
kr
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Re: Manchmal geht es doch wieder bergab...

Beitrag von kr »

Hallo Stefan,

ja, es geht manchmal schnell, zu schnell und dann bin ich da, wo ich vor Zeiten angefangen habe – denke ich. Doch ich habe in der Zwischenzeit Erfahrungen gemacht und gesammelt, die sind in mir drin, die habe ich nicht vergessen und die können mir zu Hilfe kommen, wenn das "es-ist-eh-zu-spät-du-bist-zu-alt-um-neu-anzufangen-vergiss-es-doch-einfach...." wieder da ist. Darum gebe ich den Kampf nicht auf, weil ich schon eine Schlacht gewonnen habe und wenn ich die nächste verliere werden auch diese Wunden verheilen und ich habe dann wieder die Kraft einen neuen Kampf zu wagen.

Das möchte ich Dir mit auf Deinen Weg geben, einen Weg den ich für mich jeden neuen Tag wieder in Angriff nehmen muss und will.

Grüße vom Kleinen Raben
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IMPOSSIBLE IS NOTHING.
paradiddler
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Registriert: 19. Sep 2003, 08:21

Re: Manchmal geht es doch wieder bergab...

Beitrag von paradiddler »

Hallo ihr Lieben,

vielen, vielen Dank für eure netten Worte. Ach man, da habe ich schon so lange mit diesem Mist zu tun, und am Ende ist man doch hilflos, weil diese Gedanken so real erscheinen, und doch gerade sie die Depression sind. Und die Fortschritte sind eben manchmal nur mit großem Abstand zu erkennen. Darum habe ich mich echt sehr über die Zuschriften gefreut! Sie haben den Abstand ein bisschen vergrößert. Dabei hatte ich gar nicht mit Antworten gerechnet. So viele Threads, wie es hier gibt!

Nochmal vielen Dank.
Stefan


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paradiddler
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Re: Manchmal geht es doch wieder bergab...

Beitrag von paradiddler »

Ach Girasol,

zutexten kannst Du mich gar nicht! Da bin ich der König, hahaha...Mein Tagebuch quillt sowas von über! Also keine Sorge.

Tschö, und nochmal Dankeschön.

Stefan


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Karoshi
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Re: Manchmal geht es doch wieder bergab...

Beitrag von Karoshi »

Hallo Stefan.
Ich kann dich gut verstehen, ich mache das gleiche durch. Ich wurde aus der Tagesklinik entlassen und mir ging es fast gut. das ist aber auch schon 4 Monate her. Im Moment hab ich ein paar alte Schemata wieder, die ich garnicht wiederhaben wollte. Das mit dem Wetter kann ich verdammt gut nachvollziehen. Im Moment fühle ich mich nur noch mies und weiß nicht, was ich dagagen tun soll. man ist so hilflos...
paradiddler
Beiträge: 237
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Re: Manchmal geht es doch wieder bergab...

Beitrag von paradiddler »

Hallo Markus,

ja nicht wahr? Und das komische ist, dass es im Sommer irgendwie schlimmer ist als im Winter. Warscheinlich, weil alle anderen aufblühen, nur man selbst es nicht kann. Wir kämpfen weiter!

Gruß,

Stefan


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Nico Niedermeier
Moderator
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Re: Manchmal geht es doch wieder bergab...

Beitrag von Nico Niedermeier »

Paradiddler.....bedeutet das z.B.:

LRLL RLRR LRLL RLRR

oder

LLRL RRLR LLRL RRLR

????

Dr. Niedermeier
Joe3
Beiträge: 9
Registriert: 22. Feb 2004, 18:41

Re: Manchmal geht es doch wieder bergab...

Beitrag von Joe3 »

Hallo Stefan,

wie sieht denn die Behandlung in einer solchen Tagesklinik aus? Wieviel Einzel/Gruppentherapie? Oder geht auch/primär um Alltagsorganisation? Wielange ist man/warst Du in der Klinik und wieviel im Alltag/zu Hause?

Gruß und Danke

Joe
paradiddler
Beiträge: 237
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Re: Manchmal geht es doch wieder bergab...

Beitrag von paradiddler »

Lieber Dr. Niedermeier,

also nochmal als Übersicht...

RLRR LRLL
RLLR LRRL
RRLR LLRL
RLRL LRLR

oder Kombinationen davon...

RLRR LRRL
RLRL RRLR
RLLR LLRL
etc.

Ebenfalls immer wieder gerne...

FLFF LFLL
FLLF LFFL
FFLF LLFL
FLFL LFLF (auch mit R oder F(L))
etc.

Heute im Angebot:

RLRLRR LRLRLL
RLRLRL LRLRLR
etc.

und...ach, keinen Bock mehr!
Sie wissen ja sowieso wie's läuft!

Viele Grüße!


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paradiddler
Beiträge: 237
Registriert: 19. Sep 2003, 08:21

Re: Manchmal geht es doch wieder bergab...

Beitrag von paradiddler »

Hallo Joe,

ich versuche mal, die Tagesklinik systematisch zu beschreiben:

Alltagsorganisation ist ein wichtiger Bestandteil, und spielt eine wesentliche Rolle im Gesamtkonzept. Dass kam mir selbst am ersten Tag komisch vor, ich dachte nur, wie soll ich die Zeit hier bloß rumkriegen, was tue ich hier, usw.. Aber mit der Zeit merkt man, dass man diese Zeit braucht - erstens um die Dinge aus den Therapien (Einzel/Gruppen/Gestaltung/Beschäftigung) zu verarbeiten, zweitens um zu lernen, erst mal "runter zu kommen", also Ruhe zulassen zu können.

Jetzt zu Einzelheiten (die sich natürlich von anderen Kliniken unterscheiden können):

Jeden Tag von 8h bis ca. 16h Klinik
ausser Donnerstag - bis 12h

In der Woche eine Stunde Einzel(-gesprächs)therapie - kommt Dir vielleicht wie wenig vor, ist es aber nicht, weil die anderen Therapien auch sehr anstrengend sind. Ausserdem war es nie ein Problem, ohne feste Absprache zwischendurch ein Gespräch zu bekommen.
Zwei Mal in der Woche Gruppentherapie (je zwei Stunden inkl. Pause) - war sehr wichtig, und hat mich (denke ich) am meisten gefordert und "berührt". Unter der Leitung von zwei Therapeuten.
Ein Mal in der Woche Gestaltungstherapie (drei Stunden)- d.H. Malen (Kreide/Stifte/etc., wie man will. Anschließendes Besprechen (natürlich nur mir eigenem Einverständnis!) Dass war sehr wichtig für mich. Ich weiß noch ganz genau, beim ersten Mal hab ich kaum was aufs Papier bekommen, in der Zeit danach habe ich in jeder freien Minute gemalt, so dass ich jetzt eine Riesensammlung an Bildern zu Hause habe, die alle meinen Weg wider spiegeln! Ich kann nur empfehlen, sich zu beteiligen.
Beschäftigungstherapie zwei Mal je drei Stunden - habe ich gehasst, denn dies bedeutete meist Seidenmalerei. Andere sind eben darin aufgegangen - da muss man seine Vorlieben entdecken.

Zwei Mal in der Woche Sport - Freitags Badminton, Mittwochs nach Wahl. Für Depressive oft schwer, sich dazu auf zu raffen, ich habe es meist geschafft.
Montagnachmittag war ein von den Patienten frei zu verplanender Nachmittag - geplant wurde am Mittwoch auf der Vollversammlung.
Einmal im Monat ein Ganztagesausflug - ebenfalls nach Absprache in der Vollversammlung.

Das Essen war meist extrem lecker - ich habe auch ziemlich zu genommen...
Das Therapeutenteam war unglaublich gut - vor allem mein Bezugstherapeut, die Leiterin der anderen Therapieformen, und die Klinikleiterin! Ich habe noch nie so tolle Therapeuten erlebt, und so schnell und so viel Vertrauen gefasst.
Ingesamt war der Alltag mit den Mitpatienten auch sehr wichtig. Wir waren eine echt lustige Clique. Ich muss heute noch oft lachen, wenn ich an die Zeit zurück denke. Wir haben den Laden in Schwung gebracht...!

Ich war drei Monate in der Klinik. Anfangs unvorstellbar für mich, doch dann ging die Zeit vorbei wie im Flug, auch wenn ich am Schluss selbst den Drang hatte, zu gehen. Allerdings mit einem tränenden Auge. Momentan bin ich noch einmal im Monat ambulant in der Klinik (ist keine Selbstverständlichkeit).

Die Zeit war für mich sehr wichtig. Ich kann dich nur ermutigen, den Schritt zu wagen, falls Du mit dem Gedanken spielst. Auch an den Mitpatienten konnte man die Wirkung einer solchen Intensivtherapie gut erkennen.

So Joe,
ich werde langsam müde! Wenn mir noch was einfällt, schreibe ich Dir nochmal. Oder, Du kannst auch noch Fragen stellen, ich schau die Tage nochmal rein.
Entschuldige bitte meinen abgehackten Stil, aber dass ist so viel, da muss ich einfach systematisch bleiben!

Bis denne,
Stefan


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