Bequemes Elend

Lerana
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Bequemes Elend

Beitrag von Lerana »

Huhu in die Runde,

in der letzten Zeit denke ich wieder vermehrt über das Konzept des bequemen Elends nach. Meine tolle Therapeutin, bei der ich damals war, hat ihn mal ins Spiel gebracht, als ich sehr vor meinen Depressionen kapituliert hatte.

Die Aussage hat mich damals arg getroffen, beschämt und dann zornig gemacht. Wie konnte sie mir unterstellen, ich hätte mich gemütlich eingerichtet in meinem Leid? Oder hatte sie recht? Hatte mein unfassbares Leid gar Vorteile? Dann schämte ich mich, fühlte mich wie ein schlechter Mensch....

Diese Konfrontation war heilsam, denn sie hat mich damals wie heute mobilisiert.
Auch Depressionen haben einen sekundären Krankheitsgewinn.
Ich erlebe das beim Arbeiten. Ich arbeite phasenweise in einem Erziehungsberatungssetting und da auch teilweise mit depressiven Müttern, bei denen ich eine Art Verantwortungsabgabe beobachte, die schlicht und ergreifend bequem ist.

Versteht mich bloß nicht falsch, ich weiß aus eigener schmerzhafter Erfahrung, dass man sich nicht einfach zusammenreißen kann. Es gibt aber auch dieses sich einkuscheln im, ich kann das eh nicht, ich bin eh zu sensibel, ich opfere mich eh immer auf, mich versteht eh keiner, ich bin zu doof...

Deshalb finde ich es auch gar nicht schlimm, wenn es in so einem Forum auch mal ein bisschen gewittert. Zu kuschelig ist ja vielleicht auch krankheitserhaltend, oder?

Was denkt ihr? Kennt ihr einen sekundären Krankheitsgewinn? Was wäre das? Wisst ihr, was ich mit bequemen Elend meine?

Herzliche Grüße
Lerana
Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann. (Francis Picabia)
Frauenzimmer
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Re: Bequemes Elend

Beitrag von Frauenzimmer »

Hallo Lerana,

huuuuh, das ist eine schwierige Kiste! Ich glaube, ich weiß, was du meinst. Dieses sich reinfallen lassen in die Krankheit nach dem Motto "Es ändert sich ja sowieso nichts, ich muss halt abwarten, bis es vorbeigeht - oder auch nicht."
Das stimmt nur nicht, es ändert sich doch was, wenn man zumindest versucht, die Augenblicke, in denen man gerade nicht gelähmt ist, irgendwie zu nutzen, um was zu verändern, zu verbessern. Nur ist das natürlich extrem anstrengend, kostet Kraft, tut oft auch richtig weh.
Sekundärer Krankheitsgewinn, na, ich weiß nicht. Das ist vielleicht von Mensch zu Mensch verschieden. Für mich ist es kein Gewinn, in der Situation zu verharren. Irgendwo gebe ich doch damit auch die Kontrolle ab, oder? Na ja, die Verantwortung irgendwie ja auch und das ist bequemer.
Wie gesagt, schwierige Kiste!
Ich will sehen, was passiert, wenn ich nicht aufgebe!
Katerle
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Re: Bequemes Elend

Beitrag von Katerle »

@ Lerana

Habe ich keinesfalls falsch verstanden. Sowas hatte mir allerdings noch kein Therapeut gesagt und ich bin auch der Ansicht, dass ich es mir in meiner Krankheit auch nicht gemütlich gemacht habe. Ganz im Gegenteil. Aber ich denke, es gibt auch Unterschiede darin, was zu verändern. Dem einen gelingt es vielleicht eher, eine Veränderung herbeizuführen und dem anderen später, was ja auch abhängig von der Art und Schwere der Erkrankung ist, meines Erachtens. Und schlimm finde ich es auch nicht, wenn es nicht nur kuschelig ist hier im Forum. Kritik darf auch mal sein, Hauptsache der Respekt untereinander geht dabei nicht verloren.

Liebe Grüße
Katerle
Zuletzt geändert von Katerle am 12. Mai 2019, 16:29, insgesamt 2-mal geändert.
Peter1
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Re: Bequemes Elend

Beitrag von Peter1 »

Hallo Lerana
Wenn ich dich richtig verstanden habe, ist meine Partnerin mein sekundärer Krankheitsgewinn. Wenn ich depressiv bin, nimmt sie den Müll mit runter, was eigentlich meine Aufgabe ist. Nur würde ich es nicht als Gewinn bezeichnen, denn wer hat schon gerne Depressionen ?

VlG Peter
Ich wollte nie erwachsen sein, hab immer mich zur Wehr gesetzt. Von außen wurd ich hart wie Stein, und doch hat man mich oft verletzt (Nessaja P. Maffay=
Aida1
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Re: Bequemes Elend

Beitrag von Aida1 »

.
Zuletzt geändert von Aida1 am 28. Aug 2019, 17:33, insgesamt 1-mal geändert.
Man muss sich selber lieben lernen - also lehre ich - , mit einer heilen und gesunden Liebe:
dass man es bei sich selber aushalte und nicht umherschweife. -Friedrich Nietzsche-
Lerana
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Re: Bequemes Elend

Beitrag von Lerana »

Huhu...

Tausend Dank für eure Gedanken. Es ist in der Tat eine schwierige Kiste. Das finde ich auch. Und es ist erstmal und wertfrei in der Bilanzierung auf der Gewinnseite, wenn der Partner/die Partnerin den Müll runter bringt. Genauso, wenn mein Mann mir Hühnersuppe kocht, wenn ich Grippe habe. Ob das reicht um die komplette Bilanz in den positiven Bereich zu rücken, wage ich allerdings zu bezweifeln.

Ich habe mir auch schon mal die Grippe gewünscht, um mich krank schreiben zu lassen, um im Bett bleiben zu dürfen... um endlich eine Pause zu haben.

Ich habe mich zum Beispiel lange wie eine Märtyrerin im Dienste anderer gefühlt. Ich konnte mich auf der moralischen Überheblichkeit ausruhen, ich konnte mich als misachtetes Opfer fühlen, völlig verstrickt in einem Helfersyndrom.Bis ich lernte, das ist nicht altruistisch, sondern egoistisch, bis ich lernte, meine Grenzen zu wahren, Unmut anderer auszuhalten, ungekränkt (das fällt mir immer noch schwer!). Das tat weh, aber es hat mich weitergracht. Das alte Muster war aber erstmal bequemer.

Depressionen will niemand und sind natürlich nicht bequem, aber kann man sich in ihnen einrichten, oder in Teilen und wann tue ich das, oder bin ich mal wieder zu streng mit mir und brauche einfach Pause ;-)

Das sind die Gedanken, dir ihr jetzt in mir angeregt habt. Danke dafür!

Herzliche Grüße
Lerana

Edit:
Aida, gute Umformulierung der Frage:
Welche Verhaltensweisen nähren die Depression? Welches Futter gebe ich ihr?
Danke!
Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann. (Francis Picabia)
Camille
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Re: Bequemes Elend

Beitrag von Camille »

Liebe Lerana,

Danke für diesen Thread und deine Gedanken dazu.
Ich habe mich zum Beispiel lange wie eine Märtyrerin im Dienste anderer gefühlt. Ich konnte mich auf der moralischen Überheblichkeit ausruhen, ich konnte mich als misachtetes Opfer fühlen, völlig verstrickt in einem Helfersyndrom.Bis ich lernte, das ist nicht altruistisch, sondern egoistisch, bis ich lernte, meine Grenzen zu wahren, Unmut anderer auszuhalten, ungekränkt (das fällt mir immer noch schwer!).
Was du hier beschreibst, gehört auch zu meinen Mustern. Diese zu überwinden ist enorm schwer - vor allem die eigenen Schuldgefühle auszuhalten, die entstehen.

Vielleicht liegt auch darin ein Stück "Krankheitsgewinn" - die "Krankheit" hilft mir dabei, mich gegenüber meinen eigenen "Schuldgefühlen" besser rechtfertigen zu können, wenn ich versuche meine "Verhaltensmuster" zu verändern - idem ich z.B. lerne meine Grenzen besser zu wahren.

Kann also auch hilfreich sein, etwas zu verändern.

Sicherlich ein schmaler Grad zwischen unterstützende Hilfe beim Verändern von Verhaltensmustern und möglichen Ausnützen als pauschale Ausrede.

Jeder von uns wird auch unterschiedliche (Belastungs-)grenzen haben - das wird nur jeder für sich selbst herausfinden können. Vielleicht auch immer wieder neu überdenken müssen und neu ausloten müssen.

Schwierige Kiste - sehe ich auch so
Bin mal auf weitere Antworten gespannt

Liebe Grüße

Camille
ßßßß

Re: Bequemes Elend

Beitrag von ßßßß »

@lerana

deine erste Intuition war richtig der Begriff des Krankheitsgewinns ist Blödsinn.
Und auch der 'nährende Aspekt' den Aida1 ins Spiel gebracht hat ist hochproblematisch.

Im Fall des angeblichen Krankheitsgewinns reden Leute über etwas was sie nicht verstanden haben.
Ertrag
- Aufwand
= Gewinn
Wenn der Bergriff richtig wäre, müsste man aus einer Krankheit mehr Ertrag raus holen als sie einen kostet. Das mag bei Simulanten, Hypochondern, MSBP u.ä teilweise sein. Aber für alle anderen sind die Kosten immer höher als der Ertrag.
Was dein Beispiel mit den Müttern angeht machen die doch keinen Gewinn die begrenzen ihre Verluste. Wenn sie tatsächlich Verantwortung abgeben, entlasten sie sich. Das ist für eine Genesung bzw der Verringerung der Verschlechterung sehr nützlich. Damit werden nämlich die (verringerten) Ressourcen besser nutzbar.


@frauenzimmer

"Das stimmt nur nicht, es ändert sich doch was, wenn man zumindest versucht, die Augenblicke, in denen man gerade nicht gelähmt ist, irgendwie zu nutzen, um was zu verändern, zu verbessern. "
NEIN
Das geht nach dem Motte 'jeder ist seines Glückes Schmied' und ist nicht nur Blödsinn sondern auch hochgefährlich.
Schon mal geschmiedet? Das ist gar nicht so einfach. Die Menschheit hat nicht um sonst Jahrtausende benötigt um das halbwegs zu perfektionieren. Was man so alles benötigt: Schmiedematerial mit einer entsprechende Güte, einen Feuerstelle mit entsprechend hoher Energie, diverse Werkzeuge, einen Amboss, eine konkrete Vorstellung was zu schmiede ist, die entsprechenden Fertigkeiten, die Zeit, eine entsprechende Bearbeitungskraft und nicht zuletzt muss was man schaffen will sich auch schmieden lassen. Keramik ist da ganz blöde. Und bestimmte formen sind schlicht nicht schmiedbar.
Das ist eine ganze Menge, dafür das man ja nur versuchen braucht.
Wenn nur eines fehlt, funktioniert das gar nicht.
" Irgendwo gebe ich doch damit auch die Kontrolle ab, oder?
gewinnst die Kontrolle zurück.
"Na ja, die Verantwortung irgendwie ja auch und das ist bequemer. "
das sprich mal mit jemanden der in Betreuung ist. Da ist nichts bequemer.

@aida1

zu dem problematischen Begriff.
Es war in diesem Land mal üblich Leute durch Erschöpfung zu töten. Klar hat die Arbeite ihnen Nahrung eingebracht, aber sie hat sie auch sehr viel mehr Ressourcen gekostet.
Es läuft wieder auf eine Gewinn-Verlustrechung hinaus. Und die ist bei einer Erkrankung immer negativ.
Eine Erkrankung kann ein Anlass sein etwas zu lernen, aber dazu ist sie nicht notwendig. Das lernen kann auch so erfolgen. Wenn man nach der Erkrankung über einen langen Zeitraum mit dem gelernten besser fährt, ist das folge des Lernens nicht der Krankheit und schon gar nicht des Leides.
fatrate
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Re: Bequemes Elend

Beitrag von fatrate »

:arrow:
Zuletzt geändert von fatrate am 8. Aug 2019, 06:11, insgesamt 1-mal geändert.
juli74sara
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Re: Bequemes Elend

Beitrag von juli74sara »

hello lerana,
super thread, da ich aktuell auch so eine erfahrung in der richtung gemacht habe. aufgrund des gewitters in einem anderen thread ;) im nachhinein hat mir das einen richtigen schub gegeben! ich reagierte erst im alten muster: verletzt, gekränkt, rückzug. ich ärgerte mich über mich selbst am nächsten tag und daß es mir überhaupt so wichtig ist. aber: daß ich so reagierte, obwohl es mich eigentlich nicht direkt persönlich betraf, half mir zu wichtigen erkenntnissen:

1) es ist nicht meine aufgabe, mich stellvertretend für andere zu wehren
2) jeder hat das recht, so zu sein, wie er ist - auch wenn ich ganz anders bin
3) erwartungshaltungen hat jeder, was sind eigentlich meine?

ich hatte ähnliche gedanken: ich will die komfortzone verlassen, sprich, mir nicht von der krankheit "depression" mein komplettes leben diktieren lassen. auch ich neige dazu, verantwortung für andere zu übernehmen, um von mir selbst abzulenken, also auch egoistisch.
die erwartungshaltung, salopp ausgedrückt "ich mach mir meine welt, wie sie mir gefällt" (und alle haben darin ihre von mir verteilten rollen zu spielen), hat sich womöglich auch in mein unterbewusstsein geschlichen.
ich denke, weil es mir zur zeit relativ gut geht, kann ich mich mit dem thema auseinandersetzen. wenn ich jedoch in einem loch bin, habe ich nicht einmal die energie, zu kommunizieren, nicht einmal online. von daher halte ich nichts von "heilsamen schocks" oder solchen "a....htritt- methoden".
depression bleibt nach wie vor eine komplizierte krankheit. wenn man ein gebrochenes bein hat und der knochen noch nicht zusammengewachsen ist, erwartet auch niemand, daß ich auf dem trampolin hüpfe. ist der knochen schon ausgeheilt, aber ich habe angst, ihn zu belasten und meide das trampolin...ja dann kann man von vermeidung sprechen. wann dieser zeitpunkt ist, an dem man sich traut, sollte jedem selbst überlassen werden.

ich würde auf diese direkt art, die deine therapeutin angewandt hat, 100% mit rückzug reagieren. anderen helfen zu wollen ist immer ein bißchen "sich über den anderen stellen" und das hat niemand gern. leider habe ich und viele andere hier schon die erfahrung gemacht, daß von außen dieses: "stell dich nicht so an" kam, ob direkt oder indirekt. das bewirkt nur schuldgefühle und schwächt noch mehr.

wenn ich im loch bin und blei in den adern habe, dann ist das so. punkt. es ist ein kampf, wieder bei null anzufangen, auf dem niveau "toll, ich habe meine haare gewaschen". bis man sich wieder rausgekämpft hat, zu "toll, ich freue mich wieder und will noch viel mehr".

ich kannte tatsächlich menschen, die es sich kuschelig in ihrer depression gemacht haben und sich weigerten, ihre komfortzone zu verlassen. da musste ich mich lösen. deshalb ist es mir persönlich immer sehr wichtig, zu unterscheiden, bin ich gerade "normal" traurig oder ängstlich...oder ist es außerhalb meiner kontrolle.
"die vergangenheit kannst du nicht ändern, aber das heute so gestalten, daß du morgen eine andere zukunft hast"
Bittchen
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Re: Bequemes Elend

Beitrag von Bittchen »

Liebe Lerana,

ich habe erst nachdenken müssen ,ob ich darauf antworten will.

Ich hoffe ich verstehe ich dich nicht ganz falsch, aber mir fällt Folgendes dazu ein.

Würdest du die Frage auch in einem Forum stellen wo sich Menschen, die eine körperliche schwere Krankheit haben austauschen ?
Die dabei auch mit einer ständigen erneuter Verschlechterung ihrer Gesundheit kämpfen ?
Ist es wirklich bequem wie ein Häufchen Elend in der Ecke zu sitzen und nicht zu wissen wie der Tag überstanden werden soll ?
Trotzdem aber jeden Tag weiter machen und ihr Bestes geben,ist das bequem?
Das trifft ja gleichermaßen bei physischen und wie psychischen Krankheiten zu.

Auf die depressive Störung bezogen stell ich mir noch andere Fragen.
Vielleicht ist aber auch so schwierig wieder gut zu funktionieren, weil ich so lange keine Rücksicht auf mich genommen habe ?
Meine eigenen Bedürfnisse nicht genügend berücksichtigt habe?
Aber auch Verluste und den seelischen Schmerz verdrängt und runter gespült habe,weil ich das nicht ertragen konnte oder wollte.
Das war nicht bequem !!!
Trotzdem habe ich es geschafft, als berufstätige Mutter, 3 Kinder groß zu ziehen.
Das war auch nicht bequem !!!

Die Komfortzone habe ich in jeder Episode verlassen,wie oft,da habe ich aufgehört zu zählen.
Mittlerweile habe ich gelernt Prioritäten zu setzen und mich nicht immer wieder zu überfordern.
Kleine Schritte immer wieder,das braucht Geduld ,aber es funktioniert.
Klar auch mein wirklich toller Therapeut(kognitive Verhaltenstherapie) hat mich damals 5 Jahre begleitet,aber derartige Sprüche hat der nicht los gelassen.
Dafür bin ich auch dankbar,obwohl es auch nicht nur bequem mit ihm war.
Ansonsten spielt ja auch der Lebensweg jedes Menschen eine große Rolle.
Der ist immer sehr individuell.
Da will ich mir kein Urteil erlauben,denn ich kenne nur meinen eigenen Schmerz.

Liebe Grüße
Bittchen
Jeder Tag ist ein neuer Anfang.
Aida1
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Re: Bequemes Elend

Beitrag von Aida1 »

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Zuletzt geändert von Aida1 am 28. Aug 2019, 17:31, insgesamt 1-mal geändert.
Man muss sich selber lieben lernen - also lehre ich - , mit einer heilen und gesunden Liebe:
dass man es bei sich selber aushalte und nicht umherschweife. -Friedrich Nietzsche-
BunteTupfen
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Re: Bequemes Elend

Beitrag von BunteTupfen »

Sekundärer Krankheitsgewinn - auf einen solchen Begriff muss man erst einmal kommen!

Es mag Menschen geben, die Ihre Krankheit wie ein Schild vor sich hertragen (dauerhaft oder temporär). Es mag auch solche geben, die sich in Ihrer Krankheit einrichten. Ob das allerdings zu einem "sekundären Krankheitsgewinn" führt, oder ein solcher ist, würde ich sehr in Frage stellen.

Bezogen auf die Depression:
Wer stark und dauerhaft von Depressionen betroffen ist, wünscht sich sicher nur eines: Voll im Leben zu stehen, belastbar zu sein, so etwas wie eine "Komfortzone" überhaupt zu kennen.

Ich würde dieses Thema gerne im Detail diskutieren, im Moment fehlt mir aber die Konzentration und die Engerie dafür.

Wer von "bequemem Elend" in Bezug auf Depressionen spricht, ist entweder über diese Krankheit nicht im Bilde, verhöhnt (bewusst oder unbewusst) Betroffene, oder meint eine vorübergehende depressive Verstimmung.
Lerana
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Re: Bequemes Elend

Beitrag von Lerana »

Huhu in die Runde,

kurz vorweg. Ich schreibe mit den Handy mit Baby auf dem Bauch und gleich muss mein Großer ins Bett. Ich kann das mit dem Handy mit der Zitierfunktion nicht und ich sehe beim Schreiben auch eure Texte nicht und ich habe wenig Zeit. Also bitte, bitte seht es mir nach, dass ich nicht allen einzeln antworten kann. Ich habe aber alles mehrfach gelesen und danke euch.

Hier mal zur Begriffklärung von Krankheitsgewinn, den ich mir nicht ausgedacht habe.
http://de.wikipedia.org/wiki/Krankheits ... prov=sfla1" onclick="window.open(this.href);return false;" onclick="window.open(this.href);return false;

Und dann möchte ich nochmal klarstellen, dass ich weiß, dass Depressionen ein furchtbares Leid sind und ich niemandem wünsche in einem solchen Loch zu stecken. Und niemand ist daran Schuld, wenn es ihn erwischt.

Krankheiten haben m.E. nicht immer eine negative Bilanz. Es gibt Phasen in meinen Leben, die sind sei stressig, dass die Hühnersuppe meines Mannes, die Krankschreibung, die ans Bett gebrachte Schokolade, das Liegenbleiben dürfen, etc. die Bilanz trotz Grippe, Fieber, Glieder- und Kopfschmerzen überwiegt. Es geht mir dann elendig, aber es ist besser als Arbeiten, Baby versorgen, Kind versorgen, Haushalt.... mir kommt die Grippe da gelegen. Ich bin kein Simulant, ich lass mich nicht krankschreiben, wenn ich nicht krank bin, allerdings wünschte ich mir manchmal ich wäre krank, denn dann könnte ich Pause machen.

Eine positive Krankheitsbilanz gibt es nicht, ist welches Gesetz?

Und natürlich kann man sich auch mit körperlichen Erkrankungen einrichten und wenn ich das Gefühl hätte, das könnte der Fall sein und hindere mich evtl. daran zu gesunden, lohnt es dich doch das zu hinterfragen.

Das gebrochene Bein:
Da braucht man Entlastung, einen Gips, Hilfe beim Einkaufen und Kochen und wenn der Gips dann ab ist, muss ich meine Muskeln trainieren, um wieder fit zu werden. Tue ich das nicht, weil, das tut ja weh, brauche ich länger Hilfe, länger Unterstützung. Nicht umsonst wird man im KH nach OPs möglichst schnell wieder mobilisiert, trotz Schmerzen. Und zu viel Schonung schadet. Hilflosigkeit kann man auch erlernen.

Die Frage ist vielmehr, wo hört die Krankheit auf und wo fängt die Vermeidung an. Ohne Exposition kein Fortschritt. Die Dosis macht das Gift.

Mein jetziger Therapeut sprach immer von der Vogel Strauß Taktik...Kopf in den Sand. Zahlt sich nicht so aus.

Und ganz klar, wenn ein Gewitter dazu führt, dass Leute gehen, dann war es nicht klärend sondern kränkend und hat das Ziel verfehlt. Gewaltfreie Kommunikation ist der Schlüssel.

@ßßß Postings von anderen oder verwendete Begriffe als Blödsinn zu bezeichnen ist m.E. übrigens kein guter Stil. Da fühle ich mich abgewertet, der wer will schon diejenige sein, die Blödsinn schreibt.
Schade, denn dein Beitrag hat mich nachdenklich gemacht und das begrüße ich. Wegen des sehr forschen Tons hat es mich auch verärgert. Vielleicht war das beabsichtigt, wo ich mir doch ein Gewitter gewünscht hatte, dann touchè!

Jetzt muss ich weiter im Familientext!

Ich danke euch allen für den spannenden Austausch!

Herzliche Grüße
Lerana
Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann. (Francis Picabia)
Lerana
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Re: Bequemes Elend

Beitrag von Lerana »

Huhu Bunte Tupfen,

dein Beitrag kam zwischendrin.
Eins sei dir versichert, ganz sicher möchte ich niemanden verhöhnen.

Und ich würde mich freuen, du glaubest mir, dass ich als Betroffene mittelschwere bis schwere Episoden und Ängste kenne und als Angehörige Dysthymie und Double Depression. Ich habe allerdings keine Klinikerfahrung.

Herzliche Grüße
Lerana
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Monchen12345
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Re: Bequemes Elend

Beitrag von Monchen12345 »

Hallo zusammen,
Ich hab diesen Thread nur kurz quergelesen, da hier sehr über die Begrifflichkeiten und den Gewinn diskutiert wird, wollte ich auch kurz was dazu schreiben. Sekundärer Krankheitsgewinn ist tatsächlich ein fester Begriff in der Medizin . Es gibt auch den primären, tertiären oder quartären Krankheitsgewinn.
Den sekundären Krankheitsgewinn möchte ich mal an einem Beispiel erklären. Wenn ich als Kind das Bett hüten musste, bekam ich neue Hörspiel-Kassetten. Hörspiel an war eine einfache und wirkungsvoll Maßnahme um mich im Bett zu behalten, ich musste nicht zur Schule aber der kleinere Bruder schon, ich wurde von Mutti umsorgt und hatte sie den Vormittag für mich alleine und ich durfte mir das Essen wünschen. Mehr Fernsehn als sonst war auch erlaubt. Kranksein, Medizin schlucken und zum Arzt gehen war doof, aber die anderen aufgezählten Dinge waren halt toll.
Fernsehn, Hörspiele, Sonderwünsche beim Essen, Extra-aufmerksamkeit von Mutti, keine Schule sind der sekundäre Krankheitsgewinn von Mumps ( oder was auch immer).
Klar gibt es den auch bei Depressionen. Der Partner, Freunde, Arbeitskollegen nehmen mehe Rücksicht. Alle haben Verständnis wenn man mehr an sich denken muss usw.
Ein Teil der Rücksicht ist sicher sinnvoll und notwendig, ob man es ausnutzt oder nicht ist sicher auch eine persönliche Sache.
Für mich selbst ist die Krankheit keine Entschuldigung. Meine Krankheit ist auch vor allem mein Problem. Als ich mich „geoutet“ habe, bekamen Freunde und Familie auch die klare Ansage mich weiterhin so zu behandeln wie ohne Erkrankung . Für mich ist das echt ein wichtiges Stück Normalität das ich nicht missen möchte. Da hatte ich heute erst ne kleine Diskussion zu.
Mit Depressionen sind alle erstmal darauf bedacht, dass man sich schont, dass man sich nicht überfordert, nur kleine Schritte macht, langsam und mit viel Achtsamkeit vorgeht. Man wird schon auch etwas in Watte gepackt , weil es ja auch mal böse in eine schlimme Richtung gehen kann. Mir wurde die ganze Zeit hindurch keine wirkliche Herausforderungen abverlangt . Das sorgt sicher auch dafür das Depressive sich mehr auf ihre Erkrankung berufen und schonen. Anfangs ist das auch richtig, nur irgendwann gibt es auch einen Punkt da muss man auch mal wieder gefordert werden, sonst kommt man aus diesem „ich bin krank ich muss mich schonen „ nicht mehr heraus. So zumindest mein Erleben.
Camille
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Re: Bequemes Elend

Beitrag von Camille »

Liebe Monchen,

du hast anschaulich erklärt, was man unter dem Begriff "sekundärer Krankheitsgewinn" versteht.

Jetzt kann jeder sein eigenes subjektives Erleben oder seine Gedanken dazu schreiben - der es möchte.

Das kann sehr unterschiedlich sein

Im eigenen Erleben
Im Umgang mit der "Krankheit"
Mit den Reaktionen aus dem Umfeld

Oder nocht viel tiefer "verstrickt" - wie Lerana es für sich geklärt hat. Das hat mir wie schon geschrieben auch eigene Impulse zum Nachdenken gegeben.

Nach der klassischen Definition sehe ich in meiner eigenen "Geschichte" kein Krankheitsgewinn. Es weiß so gut wie niemand von meiner "Krankheit" - was auch mit daran liegt, dass ich Probleme habe mich selbst als "krank" wahrzunehmen.
Da bin ich vielleicht in der anderen Richtung extrem - ob das gut und langfristig hilfreich ist, wage ich zu bezweifeln.
Ich habe bisher nicht einen Tag auf der Arbeit gefehlt - obwohl man mich für "arbeitsunfähig" hielt. Habe den mehrfachen Rat mich weiter stationär behandeln zu lassen, bisher immer abgelehnt. Konnte es mir selbst nicht zugestehen mich zu "schonen" - auch aus der Angst, nicht mehr ins "reale Leben zurückzufinden". Dabei musste und muss ich mir immer wieder schmerzlich eingestehen, dass sich mein Umfeld - vor allem mein Mann und meine KInder - durch mich einschränken müssen, weil ich mich mit so vielem schwer tue - nicht so "kann."
Das zu mir.

Ich finde es schwierig - eine schmale Gradwanderung

Ich habe für mich die Balance noch nicht gefunden - immerhin konnte ich mir heute einen "Ruhetag" gönnen, die entstandenen Versagensgefühle und Schuldgefühle sind erträglich


Mal sehen, wie es anderen geht

Camille
Lerana
Beiträge: 2088
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Re: Bequemes Elend

Beitrag von Lerana »

Danke Mohnchen für deine Erklärung und Ausführungen!

@Camile,
ja, ja, ja...ich auch! So war ich auch! Trotz Rat nie stationär, bis auf einmal vier Wochen, da ging gar nichts mehr, nie krank geschrieben, immer lächelnd, immer tapfer, immer weiter. Und doch gab es auch für mich das bequeme Elend. Dazu morgen mehr!

Heute kann ich nicht mehr, muss schlafen.
Aber das hier musste noch raus.

Herzliche Grüße!
Lerana
Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann. (Francis Picabia)
Katerle
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Re: Bequemes Elend

Beitrag von Katerle »

@ Monchen
@ Camille
@ Lerana

Finde ich auch sehr treffend formuliert wegen dem sekundären Krankheitsgewinn.
In Watte gepackt fühlte ich mich nie in Zeiten von Krankheit. Zwar musste ich erst lernen, mich auch mal zu schonen, weil das vor meiner Erkrankung schlecht möglich war und ich das auch überhaupt nicht kannte, auch weil ich mich gerne um andere gekümmert hatte.

Als Krankheitsgewinn sehe ich bei mir, dass ich für alles mehr Zeit hatte. Zum Beispiel, für meine Kinder, für mich, für meine Hobbys, für Freunde, für die Familie. Es war für mich z. B. eine große Herausforderung, trotz Krankheit für meine Kinder da zu sein und sie zu liebenswerten und selbständigen Menschen zu erziehen. Meine S. brauchte mich auch, als sie schwerkrank wurde und ich kümmerte mich, was mir allerdings auch eines Tages erneut über meine Kräfte ging. Unsere Katze war auch noch da. Oder meine freie Zeit auch in meinem gesundheitlichen Interesse zu nutzen. Dazu gehörten Spaziergänge, Entspannungsübungen und auch Sport, kreativ sein.

Mir wurde damals, nach meinem Zusammenbruch (hatte keine Kraft mehr und es ging mir sehr schlecht insgesamt) als ich krank wurde ärztlich empfohlen, in die Klinik zu gehen. Aber ich sah auch die Notwendigkeit, und ließ mich drauf ein. Später ging ich dann noch in eine stationäre Psychotherapie und danach zur Reha. Später nochmal Tagesklinik. Die Rehas hatten mir sehr gutgetan.

Und heute bin ich auch manchmal auf meiner neuen Arbeit, was mir auch Spaß macht.

Gute Nacht euch allen,
Katerle
Lerana
Beiträge: 2088
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Re: Bequemes Elend

Beitrag von Lerana »

Ihr Lieben und Bösen ;-)

Ich habe heute sehr viel über diesen Thread nachgedacht und ich möchte nochmal versuchen, etwas davon mitzuteilen.

Vielleicht sollte ich besser von destruktiven Mustern reden und dass ich glaube, dass sie oft einen Nutzen hatten oder haben. Ich bleibe bei dem Beispiel meines früheren Helfersyndroms. Ich weiß, wieso es entstanden ist und auch warum ich es kultiviert habe. Es hat mich, mich gebraucht fühlen lassen, weniger einsam, selbstlos....
Es hat mich auch krank gemacht, an den Rand des Zusammenbruchs. Ich war immer nett auch zu denen, die nicht nett zu mir waren. Ich habe mal zu meiner Therapeutin gesagt, Ich bin die Summe aller Ansprüche, die andere an mich haben, und, Wenn ich nicht mehr nett bin, bleibt nichts übrig.
Der Nutzen dieser Haltung liegt darin, dass man nicht enttäuscht werden kann, dass man Anerkennung bekommt, dass man sich eben gebraucht fühlt.

Der Preis ist, dass man keine Kontakte auf Augenhöhe hat, dass man ausgenutzt wird, dass man überheblich ist, dass man ausbrennt etc.

Das Loch, in das ich fiel, war unendlich tief und ich war im Dienste anderer gestürzt, für andere verbrannt...heilig.
Erst als ich begriff, ich bin egoistisch, genau, das was für mich Höchsstrafe war, wollte ich doch das genaue Gegenteil und ich richte mich ein in diesem heiligen Leid, konnte ich mich befreien. Aber erst kam die Scham. Unendliche mich auffressende Scham.

Ich stelle mir Depressionen vor als würde man als klitzekleiner, winziger Mensch in einem riesigen Fass Sahne schwimmen. Man erteicht den Rand nicht, egal wie man sich auch bemüht. Man verdurstet und verhungert auch nicht, ist schließlich Sahne und oft dümpelt man, dem Ertrinken nahe vor sich hin. Und man strampelt und strampelt und wenn man unendlich gestrampelt hat, ist die Sahne vielleicht zu Butter geworden. Der Boden wird fest und man erreicht irgendwie den Rand des Fasses. Man darf nie aufhören zu strampeln. Manchmal muss man Pause machen und sich treiben lassen und vielleicht braucht man Hilfe...ein Päckchen Sahnesteif, aber man darf nicht aufhören zu strampeln.
Hat so ähnlich mal jemand hier im Forum geschrieben. Ich habe es für mich ausgeschmückt.

Die Gefahr ist strampelt man zu viel, geht einem die Kraft aus bevor alles zur Butter wurde und man ertrinkt, strampelt man zu wenig und schlürft die Sahne wird man träge, der Sahnespiegel sinkt und der Rand des Fasses ist in noch weitere Ferne gerückt.

Vielleicht versteht jemand, was ich mit diesem zugegeben etwas schrägen:-) Gleichnis sagen will und warum ich wirklich niemandem Leid in Abrede stellen möchte, der an Depressionen leidet.

Herzliche Grüße
Lerana
Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann. (Francis Picabia)
juli74sara
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Re: Bequemes Elend

Beitrag von juli74sara »

ich finde deine metapher toll!!! ich finde auch deine geschichte, also dein weg zur erkenntnis, sehr inspirierend. das hat definitiv viel in mir bewegt. deine ehrlichkeit und den mut bewundere ich. es tat gerade richtig gut, deinen beitrag zu lesen. danke hierfür.
"die vergangenheit kannst du nicht ändern, aber das heute so gestalten, daß du morgen eine andere zukunft hast"
Camille
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Re: Bequemes Elend

Beitrag von Camille »

Liebe Lerana,

Genau in diesem destruktiven Muster stecke ich fest. Der darin verborgene Egoismus ist mir auch schon seit langem bewusst.

Und trotzdem - ich komme keinen Schritt weiter. Stecke da komplett fest - ich kann die entstehenden Scham- und Schuldgefühle nicht aushalten. Wie machst du das? In kürzester Zeit staut sich soviel Hass und Zorn in mir auf - alles gegen mich selbst gerichtet. Wohin damit?

Vielleicht fehlt mir auch der Mut - weil ich auch das Gefühl habe, dann bleibt nichts mehr von mir übrig? Ich suche nach diesem ersten Stückchen - und finde es nicht. Ich spüre mich nicht. Ich fühle mich nicht.

Das kann mir hier auch niemand beantworten, das ist mir bewusst.

Wer trotzdem seine eigenen Erfahrungen dazu schreiben will - bitte! Ich wäre sehr dankbar.

Camille
Besenbärin
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Re: Bequemes Elend

Beitrag von Besenbärin »

Guten Abend

ich bin nur halbneu hier - für meinen früheren Login, holladiewaldfee, habe ich es hinbekommen, sowohl Passwort als auch E-Mail-Adresse zu verschmeissen, nun also auf ein Neues als Besenbärin :wink wink:

Mein Gedanke dazu: das komische ist ja, dass man sehr an etwas hängen kann - etwas bequem finden - das durchaus unangenehm ist. Weil es vertraut ist. Weil man Angst vor der anderen Variante hat. Das wäre weniger ein richtiger Gewinn wie nicht zur Schule/Arbeit gehen und heisse Milch mit Honig ans Bett gebracht bekommen :-) mehr so eine Schonhaltung, die nicht weiter hilft....

Wobei ich denken würde dass es weniger die Depression ist, sondern eben bestimmte Arten zu denken, zu handeln, zu fühlen - die die Depression herbeiführen, verstärken, aufrecht erhalten können. und je tiefer man im Sumpf ist, desto schwieriger ist es auch, diese Gewohnheiten wieder zu ändern.

Konkret habe ich das so erlebt: Vor etwa zehn Jahren einmal geschafft, so eine bequeme/gewohnte, aber kaputtmachende Gewohnheitshaltung zu verlassen; das ging damals um Einstellungen zu mir - zu Leistung - - und dann auch zu Männern, Beziehungen. Ich bin das erst angegangen, als ich total "unten" war, und ich hatte so Angst. Und hab mich so geschämt, dass mein "alter Weg" nicht funktioniert hatte und ich nun wie ein Anfänger da stand... Und es hat so viel Zeit und Energie erfordert. Aber es war auch wie Frühling :-)

Zur zeit sind es eher kleinere Dinge. ZB bin ich sehr cholerisch - das ist mühsam, dagegen zu arbeiten und manchmal ist es "einfacher", einfach die Sau rauszulassen und dann eben "die Böse" zu sein. Und ich bin grässlich introvertiert - da ist es "einfacher", sich ins Schneckenhäuschen zurückzuziehen und niemanden anzurufen und nicht ans Telefon zu gehen...

Aber es gäbe auch grössere Themen, die ich vielleicht zur Zeit nicht angehe, weil ich halbwegs ja funktioniere...

Ein sehr spannendes Thema auf jeden Fall.

LG
BB
Aida1
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Re: Bequemes Elend

Beitrag von Aida1 »

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Zuletzt geändert von Aida1 am 28. Aug 2019, 17:22, insgesamt 1-mal geändert.
Man muss sich selber lieben lernen - also lehre ich - , mit einer heilen und gesunden Liebe:
dass man es bei sich selber aushalte und nicht umherschweife. -Friedrich Nietzsche-
Besenbärin
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Re: Bequemes Elend

Beitrag von Besenbärin »

Ich schon wieder :-)

Es berührt mich grade das zu lesen... wie ihr diesen Schmerz der Einsicht beschreibt und dies Gefühl von Scham und die Schuld. Wollte ich nur sagen.

Im Grunde ist das alles gar nicht nötig, und ihr könnt stolz darauf sein, dass ihr nach Wegen sucht - und so viel schon versteht! Und ich finde es schön, Lerana, dass du unten ja das Motto vom runden Kopf und dem Denken das die Richtung ändern kann stehen hast. so ist es ja - nur das zu fühlen ist schwierig. Aber mit viel Übung auch erreichbar, nicht jeden tag, aber immer häufiger...

Wie - das ist die Frage. Gibt es denn etwas, das euch schon einmal geholfen hat, früher, in ähnlichen Phasen?

Ist es die Zeit für "kleine" Schritte im Alltag oder eher für eine grössere Intervention her (Therapie, stationär....?)

Ich versuche es derzeit mit kleinen Schritten - sie sind ein bisschen zu klein, fürchte ich - ich priorisiere noch nicht genug. Mit den Kindern ist es auch naheliegend - bequem- mich um deren Angelegenheiten zu kümmern: Kopfrechnen üben, Sport- und Musikstunden, Auswahl pädagogisch wertvoller Bücher zu entwicklungsangemessenen Themen, Kochen ausgewogener Mahlzeiten, Bepflanzung des Balkons mit Gurken und Tomaten, damit die Stadtkinder die Natur kennenlernen ... Supermami statt schmerzhafte, kleine innere Schritte, die niemand sieht und anerkennt...


LG und schönen Abend, danke für die Impulse!!!
BB

ps: Das mit dem Balkon haben wir heuer sehr reduziert - keine eigene Aufzucht aus Samen sondern fertige Kräuterpötte, und diese Woche noch ein paar Gurkensetzlinge. Ich bin stolz darauf - nein, schäme mich dafür - HERRJE, warum muss man sich eigentlich überhaupt schämen oder stolz sein für so was banales? 8-) ;) :oops: :mrgreen:


EDIT: Simplifikation? Das klingt interessant, was meinst du genau damit?
Im Grunde ist in der Tat das, was ich heir denke und schreibe, viel zu verkopft und viel zu kompliziert...
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