Was mir der stationäre Aufenthalt gebracht hat :-)

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Lena21

Was mir der stationäre Aufenthalt gebracht hat :-)

Beitrag von Lena21 »

Hallo,

wie ich in meinem anderen Beitrag schon erzählt habe, stand ich dem Klinikaufenthalt ziemlich lange eher skeptisch gegenüber. Aber ich bin sehr sehr froh und dankbar, dass ich diesen Schritt gewagt habe. Ich hab mal eine Liste gemacht,

was mir der stationäre Aufenthalt gebracht hat:

1.) Pause: Der Klinikaufenthalt hat mich aus dem Teufelskreis einfach rausgeholt. Rausgeholt aus dem Alltag, der mich völlig überfordert hat. Es war wie eine Rettungsinsel in stürmischer See. Ich musste keine Hausaufgaben mehr machen, nicht mehr funktionieren, nicht mehr so tun, als wäre alles okay... Ich durfte einfach Luft holen.
2.) Erleichterung: Ich musste mich um nichts mehr kümmern. Nicht mehr ums Studium. Nicht ums Einkaufen. Nicht ums kochen. Nicht um meine Familie. Ich konnte mich voll und ganz aufs (Über-)Leben konzentrieren.
3.) Wärme: Ich hab auf Station zum ersten Mal Wärme und Geborgenheit gespürt. Weil es so gut tat, einfach mal ich sein zu dürfen. Nichts leisten zu müssen, sondern einfach okay zu sein. Weil es so gut tat, dass sich andere mal um mich gekümmert haben. Andere haben meinen Tagesablauf organisiert. Andere haben gekocht und geputzt. Andere haben mir zugehört und mich getröstet.
4.) Sicherheit: Ich hatte jahrelang mit heftigen Suizidgedanken zu kämpfen und war schon in einem richtigen Vermeidungsding gefangen: Nicht mehr mit spitzen Messern kochen (könnte ja sein, dass "ausversehen" was daneben geht), nicht mehr in Räume mit geöffneten Fenstern, nicht mehr über Brücken. In der Klinik war das alles egal. Sämtliche Messer waren stumpf, Brücken gab es nicht und die Fenster ließen sich nur Kippen. Und irgendwann ist dann endlich auch die destruktive Stimme in meinem Kopf leiser geworden.
5.) Freundschaft: In der Klinik habe ich viele Menschen kennen gelernt, denen es ähnlich ging, wie mir. Ich habe mich (obwohl ich mich mit anderen Menschen sonst sehr schwer tue) mit vielen sehr gut verstanden. Einige Kontakte halten bis heute. :D Ein toller Nebeneffekt war auch, dass sich gezeigt hat, dass ich in der Welt außerhalb der Klinik doch auch Menschen habe, die mich bedingungslos unterstützen und auf die ich mich verlassen kann. Menschen, die mich besucht haben. Die einfach für mich da waren, obwohl ich gerade am anfang so kaputt war, dass sie meist nur irgendwie hilflos neben mir sitzen konnten. Ich glaube, ich habe in der Klinik endlich gelernt, zu vertrauen. Anderen und mir selbst. :)
6.) Abstand: Die Zeit in der Klinik hat mir geholfen, Abstand zu finden. Abstand zum Alltag mit all seinen Problemen, Abstand zu den Dämonen meiner Vergangenheit, Abstand zu meiner Familie und zu meinem Berg an to-do-Listen. Durch diese Distanz war es viel leichter, zu verstehen, was alles schiefgelaufen ist und zu erkennen, was anders werden muss, um gut werden zu können. Insgesamt war der Klinikaufenthalt der Cut, den ich gebraucht habe, um neu anfangen zu können. Denn jetzt gibt es ein Leben vor der Psychiatrie und ein Leben danach. Und das danach gefällt mir eindeutig besser. :-)
7.) Zeit: Mit 12-13 Jahren habe ich angefangen, meine Probleme durch Hyperaktivität zu verdrängen. Ich war ständig am rödeln. Hauptsache nicht nachdenken, hauptsache nicht fühlen. Auf Station habe ich endlich Zeit gehabt, zur Ruhe zu kommen. Langsamer zu werden. Und ich hatte gleichzeitig ein sicheres Umfeld, in dem die ganzen negativen Gefühle hochkommen konnten, ohne mich völlig kaputt zu machen. Ich habe mich zum ersten Mal seit Ewigkeiten wieder ein bisschen unbeschwert und frei fühlen können. Und erkannt, dass ich jahrelang vor Dingen davongelaufen bin, die längst vorbei sind.
8.) Ende des Versteckspiels: Das war vielleicht das härteste. Aber auch das Beste. Dadurch, dass ich in der Klinik war, konnte ich nicht mehr tun, als wäre alles okay. Ich habe meinen Eltern endlich mitgeteilt was los war und auch meinen Freunden und Leuten von der Hochschule. Das war ein Schritt, vor dem ich sehr viel Angst hatte. Aber es tat gut, sich nicht mehr verstecken zu müssen. Und die meisten Leute aus meinem Umfeld (abgesehen von meiner Familie), haben darauf wirklich ziemlich gut reagiert. Obwohl viele auch überrascht und geschockt waren. Meine Mittbewohnerin z.B. hatte zwar von anderen erfahen, dass ich in der Klinik war, war aber trotzdem geschockt, als ich ihr erzählte warum. Und sie meinte dann: "Ich dachte, du hättest da gearbeitet!" ;)
Viele Leute waren überrascht, weil sie nur mein Pokerface kannten, weil sie dachten, ich wäre nur die junge, erfolgreiche Studentin. Aber es haben mir plötzlich auch viele Leute von ihren eigenen Schwierigkeiten erzählt, fast, als ob sie froh wären, das jemand endlich mal das Schweigen bricht.
9.) Anker für die Zukunft: Ich weiß jetzt, wo ich zuflucht finden kann, sollte es mir noch mal so schlecht gehen. Das ist auch ein extrem beruhigendes Gefühl.

Alles, was ich damit sagen will: An den Horrorvorstellungen, die in manchen Spielfilmen zum Thema Psychiatrie herumgeistern, ist nichts dran! Ein stationärer Aufenthalt kann ziemlich gut tun, auch wenn es vielleicht erst mal Überwindung kostet. :)

LG und euch alles Gute, Lena
Danny68
Beiträge: 17
Registriert: 30. Dez 2018, 13:56

Re: Was mir der stationäre Aufenthalt gebracht hat :-)

Beitrag von Danny68 »

Hallo Lena 21 ich bin Danny 68 habe gerade deinen Beitrag gelesen und viele Übereinstimmungen gfunden. Ich habe auch lange gebraucht zu akzeptieren das einmal die Woche bei meiner Therapeutin nicht mehr reicht und ich stationär besser aufgehoben bin. Das schönste war es gab plötzlich Menschen die mich verstanden haben, die das gleiche durchmachten wie ich. Man war nur für sich alleine zuständig das war eine ganz neue Erfahrung für mich. Als ich entlassen wurde fühlte ich mich stark und das Leben konnte kommem. Das hat nach 3 Jahren wieder nachgelassen ich muss wieder kämpfen aber ich habe viele Sachen aus der Klinik die helfen und die ich auch immer wieder anwende. Ich wünsche dir von Herzen alles Gute LG Danny
Peter1
Beiträge: 3399
Registriert: 15. Apr 2018, 12:06

Re: Was mir der stationäre Aufenthalt gebracht hat :-)

Beitrag von Peter1 »

Hallo Lena
Ich bin Peter 64 Jahre alt. Depressionen habe ich, seit dem ich denken kann. Letztes Jahr im Juli hat meine Betreuerin mich vor die Wahl gestellt, freiwillig oder per Gerichts Beschluss in die Klinik zu gehen. Meine Suizid Gedanken haben ihr Angst gemacht. Mir konnte nichts besseres passieren. Die Ärzte und Therapeuten, vor allem aber die Psychologin haben aus mir einen ganz anderen Menschen gemacht. Dafür haben sie zwar drei Monate gebraucht, aber die Zeit habe ich gerne investiert. Der Psychiater sagte immer, das der wichtigste Teil der Therapie draußen statt findet, wo sich die Patienten miteinander unterhalten.
Auch ich würde sofort wieder in die Klinik gehen, falls es erforderlich wäre, aber im Moment geht es mir gut.

VlG Peter
Ich wollte nie erwachsen sein, hab immer mich zur Wehr gesetzt. Von außen wurd ich hart wie Stein, und doch hat man mich oft verletzt (Nessaja P. Maffay=
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