verloren

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Annaanna
Beiträge: 8
Registriert: 17. Nov 2018, 18:15

verloren

Beitrag von Annaanna »

Hallo liebes Forum,

dies ist mein erster Beitrag.
Ich weiß nicht genau wie ich anfangen soll.
Irgendwie habe ich mich verloren.
Mit 18 habe ich eine 5 Jährige tiefenpsychologische Behandlung angetreten und abgeschlossen.
Im Alter von 13 wurde ich in der Schule, von meinen einst besten Freunden gemobbt, inklusive Gewalthandlungen. Mein Vater und meine zwei Brüder sind / waren Spielsüchtig.
Großgeworden bin ich zwischen Thresen und Biergarten, da meine Eltern Gastronomen waren.
Irgendwann nach dem Mobbing merkte ich, dass etwas mit mir nicht stimmt.
Die Flamme schien innerlich erloschen, als wäre ich selbst in mir gestorben.
Es folgte eine lange Zeit, begleitet von täglich harten Drogenkonsum..
Ich hörte damit jedoch von einem Tag auf den anderen auf und bin auch jetzt von derartigen Konsum, befreit.
Ich schloss meine Ausbildung ab, reiste nach Australien, lebte in Paris und Berlin und studiere nun in Frankfurt.

Ich fühle mich als wäre ich auf einer rastlosen Suche nach einem Sinn, einem Antrieb, einen Grund hier zu sein.
Ich habe nur einen Freund. Menschen nehmen mich als sehr offene, kommunikative und starke Persönlichkeit wahr, innerlich jedoch zerfalle ich in tausend Stücke.
Meine Liebesbeziehungen drückte ich weitestgehend von mir weg, weil meine höchste Priorität immer war mich selbst zu finden um darauf aufbauen zu können und nicht auf einem schwammigen Fundament eine Beziehung tragen zu müssen.
Mich selbst zu finden war immer definiert als das zu finden was mich antreibt, meinem Leben Sinn verleiht. Ich wollte das finden was in mir steckt, mein potenzial voll ausschöpfen und damit ein Stück weit durch meine Fähigkeiten die Welt bereichern. Genauso wie jeder einzelne Mensch, auch mich bereichern kann.

Seit Jahren fühlt es sich an als würde ich alles in meiner Macht stehende zu versuchen und seit Jahren fahre ich nach jedem Umzug, Reise, neu Beginn, Anstrengungen wieder in diese schwarze , kalte Wand und ich sehe zu wie meine Anstrengung, auf die Wand prallt und schon wieder stehe ich dort. So viel nachgedacht, so viel probiert.. und schon wieder hat es mich wieder.
Als würde dieses tief nur grinsend auf mich warten und ungläubig den Kopf schütteln, bevor es wieder sagt : " Hast du echt gedacht, du kannst vor mir entkommen?".
Langsam habe ich Angst, dass ich mich im Kreis drehe und niemals aus diesem wiederkehrenden dumpfen, verzweifelten Gefühl entkommen kann.
Ich habe Angst, dass ich nicht versuche mich zu finden, sondern vor mir weglaufe.
Vor meiner Depression ( auch wenn ich nie offiziell so diagnostiziert worden bin, meine Psychologin war Diplom Pädagogin / Jugendpsychologin ) vor diesem tiefen dunklen Loch.

Danke fürs lesen :) und danke für die Aufnahme ins Forum.

Edit:
Hier ein Text den ich über das verlorensein gestern fertiggestellt habe:

Du rennst, weit weg.
So weit, dass ich dich aus den Augen verloren habe.
Du flüchtest vor Angst bestraft zu werden, für das, was du bist.
Ich schreie nach dir, doch nichts rührt sich.
Ich suche nach dir, renne so schnell ich kann, scheue keinen Weg, erklimme jeden noch so hohen Berg, doch du bist nicht in Sicht.
Vergangen sind die Jahre und die rastlose Suche nach dir, hat Spuren hinterlassen.
Meine Erinnerung an dich verschwommen, müsste ich deine Konturen nachzeichnen, ich könnte es nicht.
Die ganze Welt habe ich bereist und tausende Menschen sind nun zeugen meiner Suche geworden.
Verzweifelt bat ich sie, mir zu helfen dich zu finden.
Tausende Fragen richtete ich an sie, über dich.
Tausende boten mir ihre Hilfe an, doch der Schmerz, dich verloren zu haben war so groß, dass er genügte, auch sie zu verletzen.
Das einzige was ich mit mir trug, war dieses, in tausend Stücke zerteilte Foto von dir, welches in meinen Händen weilte.
Tausende versuchten es gemeinsam mit mir wieder zusammenzusetzen, um dich wenigstens wiedererkennen zu können, im Augenblick unserer Begegnung.
Doch auch wenn mein Bewusstsein mir sagt, dass die Erinnerung an dich nur blass und verschwommen existiert, trug ich dich in meinem Herzen, in tausendfacher Klarheit.
Du warst mein Antrieb für jeden Atemzug, der meine Lunge durchstoß und der Schmerz, der an meine Tür klopfte, um mich vom Aufgeben zu überzeugen.
Auch wenn unsere Verbundenheit nur noch bruchstückartig in mir lebte und ich vergaß, wie dein Anblick sich anfühlt, konnte ich eines nicht vergessen.
Dein Name, so simpel und doch von so existenzieller Bedeutung.
Seine Zusammensetzung könnte einfacher nicht sein, diese drei Buchstaben, die nicht weniger, als alles, bedeuten.
Umgeben von tiefster Dunkelheit, erkannte ich im Jungel des Lebens einen Schatten.
Mit letzter Kraft schrie ich so laut, wie ich nur konnte.
Eine Gestalt blieb stehen.
Als ich mich näherte und du dich zu mir wandtest, stockte ich für den Moment.
Der Schmerz in deinen Augen spiegelte den Trieb wieder, der deine Flucht beflügelte.
Ich öffnete meinen Mund und mit dem flüstern der Bäume verließ die Frage meine Lippen:
„Ich?“.
Bittchen
Beiträge: 5430
Registriert: 2. Feb 2013, 18:02

Re: verloren

Beitrag von Bittchen »

Liebe Annaanna,

herzlich willkommen hier.
Ich wünsche dir einen guten Austausch.
Da ich gerade selbst einen langen Text geschrieben habe,kann ich mich jetzt auf deinen nicht mehr so gut konzentrieren.
Aber ich bin sicher andere Betroffene werde dir noch ausführlicher antworten.

Liebe Grüße
Bittchen
Jeder Tag ist ein neuer Anfang.
anna54
Beiträge: 3713
Registriert: 14. Sep 2010, 15:08

Re: verloren

Beitrag von anna54 »

Liebe Annaanna
willkommen im Forum!
Ich finde deinen Text wunderbar gelungen,auch wenn er so viel Schmerz ausdrückt.
Eine Depression fühlt sich immer wieder anders an,die Beschreibung: als wäre ich in mir selbst gestorben----das ist trifft sehr genau das Wesen der Depression.
Da nicht zu versinken in den ungeheuren Schmerz und die Verlust,wie soll es gelingen?
Zur Depression gehört auch die Erkenntnis über das,was meinen Leidensdruck befeuert.
Sie ist Verschiebung meiner Wahrnehmung,sie lügt mich an unf kann in die Irre führen.

Dass sie vergeht,sich erschöpft und eine Wende eintreten wird,genau das versagt sich unserer Wahrnehmung.
Die endlose Suche nach dem scheinbar verlorem Ich,wie soll das gelingen?
Das Ich scheint nur "verloren",es verliert sich nicht,es ist nur auf der anderen Seite des Weges, unsichtbar.
Ich kenne Mitpatienten,die wie "neugeboren" wieder zu sich fanden,andere,wie ich auch, suchten und suchen fast ein Leben lang.

Ich kämpfe gegen die Schleier der Depression,gegen das Gelumpe der falschen Gefühle,gegen den Schmerz und die Trostlosigkeit.
Die Macht dieser Empfindungen sind stärker,sie trotzen jeder Therapie und vergehen erst,wenn sie sich scheinbar "ausgetobt" haben und mir ein weiteres Trümmerfeld hinterlassen.

Als ich das endlich erkannt hatte befreite ich mich von dem Anspruch,andere könnten mir helfen,sie können den Weg mitgehen,sie empfinden den Schmerz nicht,er ist nicht mitteilungsfähig,er ist einzigartig und übermächtig.
Trotzdem vergeht er,unendliche Kraftanstrengung,dann wieder auf die Füße zu kommen,den Moment der ersten positiven Signale nicht zu verpassen,denn das ist der Umschwung,den gilt es nicht zu verpassen.
Positive Verstärker finde ich in der Natur,sie lebt das Trotzdem,der Frühling ist das Trotzdem.
Jeder warme Windhauch ist ein Neubeginn,wer kennt nicht diesen ersten Frühlingshauch.
Ich weiß nur noch,dass es ihn gibt,fühlen ist verloren,dennoch glaube ich an seine Kraft.

Wenn die Depression die Starre ist,das eingefroren sein,der innere Tod,dann ist das Ende einer depressiven Phase eine kleine Wiederauferstehung.
Der innere Tod,die scheinbar leblose Hülle,sie kommen in eine Wandlung.
Dazu sind Wegbegleiter notwendig,weil der Glaube an sich und das Leben verloren gehen kann.
Auszeiten sind notwendig,Schutz ist notwenig,Erholung ist notwendig.
Mein Gesicht zeigt mir noch Monate später die tiefste Erschöpfung,gut wenn andere das auch erkennen,anerkennen,was ich geleistet habe.

Die Erkenntnis,was die Depression meinem Leben abfordert,damit sie nicht ewig auf meiner Türschwelle lauert,das sind dann die nächsten Schritte,aber erst,wenn es gehen kann,wenn genug Lebensenergie vorhanden ist.
Nichts geht verloren.
Leben hat eine ungeheure Sehnsucht nach Lebendigkeit.
anna54
Peter1
Beiträge: 3399
Registriert: 15. Apr 2018, 12:06

Re: verloren

Beitrag von Peter1 »

Hallo Annaanna
Warst du schon mal bei einem Psychiater ?
Auch dein Hausarzt kann dir helfen, in dem er organische Beeinträchtigungen (Schilddrüse usw.) ausschließt. Der Psychiater kann dich auch über eine mögliche Behandlung deiner Depressionen aufklären.
Ich habe den Gang zum Psychiater viel zu lange aufgeschoben, weil es in meiner Umgebung, Eltern, Geschwister, stigmatisiert war, und immer noch ist. Manche Leute werden eben nie schlauer. Mach du bitte nicht den selben Fehler.

VlG Peter
Ich wollte nie erwachsen sein, hab immer mich zur Wehr gesetzt. Von außen wurd ich hart wie Stein, und doch hat man mich oft verletzt (Nessaja P. Maffay=
Annaanna
Beiträge: 8
Registriert: 17. Nov 2018, 18:15

Re: verloren

Beitrag von Annaanna »

anna54 hat geschrieben:Liebe Annaanna
willkommen im Forum!


Leben hat eine ungeheure Sehnsucht nach Lebendigkeit.
...
anna54
Liebe Anna54,

deine Antwort hat mich stark berührt.
Danke für deine Anteilnahme und danke auch für die Offenlegung, so vieler Dinge, die ich nachvollziehen kann.
Gerade zu denken, andere müssten diesen Weg mitgehen, ist ein Thema welches bei mir Präsent ist.
Am Ende ist man alleine. Wobei nicht ganz alleine, alleine mit dem Freund, den man nicht haben will, der aber keinen Zentimeter abweicht, so sehr man ihn auch bittet zu gehen.

Man erkennt, dass es einen Unterschied gibt zwischen dem Gesunden Geist und den meinen. Von anderen zu verlangen etwas nachvollziehen zu können, was man selbst nichtmal komplett greifen kann, ist unzumutbar.

Besonders schmerzt, wenn ein Mensch, der dich liebt, dich verlässt, weil er das Gefühl hat das Leiden nicht mehr mittragen zu können. Ich fühle mich dann so als wäre ich schwarze Farbe, die abfärbt und das schöne Bild dieses Menschen versaut.

Manchmal bin ich sogar neidisch auf gesunde Menschen und dann hasse ich mich dafür.
Dein Letzter Satz ist ein wunderschöner Schlusspunkt und gleichzeitig Anfang.

Lg Annaanna
Annaanna
Beiträge: 8
Registriert: 17. Nov 2018, 18:15

Re: verloren

Beitrag von Annaanna »

Peter1 hat geschrieben:Hallo Annaanna
...
Ich habe den Gang zum Psychiater viel zu lange aufgeschoben, weil es in meiner Umgebung, Eltern, Geschwister, stigmatisiert war, und immer noch ist. Manche Leute werden eben nie schlauer. Mach du bitte nicht den selben Fehler.

VlG Peter
Hallo Peter,

nein, war ich noch nicht.
Habe eine Überweisung meines Hausarztes hier liegen und genau wie du befürchtest, schiebe ich das vll. notwendige vor mich hin.
Aber danke, dass du das ansprichst !
Ich fühle mich jetzt schon ein wenig aufgenommen durch euch.
Danke dafür.
Annaanna
Beiträge: 8
Registriert: 17. Nov 2018, 18:15

Re: verloren

Beitrag von Annaanna »

Bittchen hat geschrieben:Liebe Annaanna,

herzlich willkommen hier.


Liebe Grüße
Bittchen
Danke, Bittchen :)
Emma52
Beiträge: 331
Registriert: 4. Nov 2016, 00:01

Re: verloren

Beitrag von Emma52 »

Liebe Annaanna, liebe Anna54,

Ihr habt mich zutiefst berührt. Ihr habt mich erkannt. Ich könnte es nie so ausdrücken. Euer Text gibt meinem Schmerz wieder seine Berechtigung. Damit ich Ihn annehmen und liebevoll mit mir umgehen kann.Es ist so schwer.

Tausend Dank Euch talentierten Menschen und auch vielen anderen talentierten Schreiberlein hier im Forum.

Herzlichste Grüße, Emma
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