Heim- und Fernweh

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Simone80
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Heim- und Fernweh

Beitrag von Simone80 »

Ich schlendere über den Fischmarkt, geniesse die herbstliche Sonne. Sie wärmt angenehm meinen Rücken, obwohl die Luft schon kalt ist. Das Meer spiegelt den blauen Himmel und die Boote die vor dem Steg leise glucksend in den kleinen Wellen schaukeln. In der Ferne ist die Sonne nur durch den Dunst zu erkennen, der über dem Meer steht. Ich geniesse die wunderschönen Farben der Waren an den Marktständen, die mir beim Gehen ins Auge springen. Das knallige Gelb der Pfifferlinge und das dunkle, glänzende Rot der Preiselbeeren erinnert an das Grüne im Wald, wo sie gesammelt wurden. Es ist noch früh und die Marktstände haben eben erst geöffnet. Es gehen nur wenige Menschen über den Markt, ältere Leute die sich die besten Waren ergattern wollen und danach noch bei Kaffee und Waffeln einen gemütlichen Schwatz halten. Und Reisende aus anderen Ländern, die sich dafür entschieden haben, den heutigen Tag mit dem Markt zu beginnen. Ich höre um mich Leute die Landessprache sprechen, die mittlerweile fast wie meine zweite Muttersprache ist. Ich höre Sprachen aus fernen Ländern, die ich nicht verstehe, deren Laute mir völlig fremd sind. Und ich höre sogar meine Muttersprache, was mir einen kleinen Stich versetzt. Während ich gehe versuche ich, meine Gedanken zu sortieren. Heute morgen ist meine Gedankenwelt ungewöhnlich lebhaft, etwas ist wohl in der Nacht in Gang gekommen. Ich begreife, dass dieser Moment, wie ich ihn erlebe und erfühle, ein Sinnbild meiner Depression ist. Ich geniesse das Dargebotene, die Umgebung, die Menschen mit den unterschiedlichen Sprachen. Ein Sinnbild für mein Leben welches trotz allem sehr vielseitig, reich und inspirierend ist, dank dieser Umgebung. Und ich darf mit meinen Liebsten in dieser Umgebung verweilen. Dennoch quält mich unglaubliches Fernweh, ich sehe so oft übers Meer, trauere den grossen Kreuzfahrtschiffen nach die wieder nur für eine oder zwei Nächte hier geblieben sind. Dann möchte ich mitfahren, mich weit wegbringen lassen, an Orte, die ich noch nie gesehen habe. Ich fühle mich, als sei ich ständig auf der Suche, aber das Ziel ist unbekannt. Doch dann spüre ich auch dieses Heimweh, zurück in mein altes zu Hause, dorthin wo ich einst herkam. Und dann erinnere ich mich daran, dass dieses alte zu Hause in dieser Form nicht mehr existiert, die Familie ist zerstritten und in alle Himmelsrichtungen verteilt. Insgeheim weiss ich, dass es die innere Heimat ist, die mir fehlt. Denn meine äussere Heimat habe ich schon gefunden, im Hier und Jetzt fühle ich mich zu Hause, auch wenn ich Probleme habe, meine Gedanken in diesem zu Hause zu halten. Meine Sehnsucht treibt mich immer wieder weg, meine Gedanken sind an anderen Orten, bei anderen Menschen. Dies ist mein tagtäglicher Kampf, diese Zerrissenheit zwischen Heim- und Fernweh. Wie kann man aufhören, diesen Kampf, ja diesen Krieg zu führen? Es wäre so schön, einfach nur die Waffen fallenzulassen und zu sagen, kämpft ruhig weiter, aber ohne mich, ich habe besseres zu tun.
Emma52
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Re: Heim- und Fernweh

Beitrag von Emma52 »

Liebste Simone,

so schön geschrieben. Das kenne ich auch so gut. Dann erinnere ich mich wieder, das egal wo ich bin, die Zerrissenheit ist in MIR. Und das beruhigt mich wieder, dass ich ruhig hier wo ich bin bleiben darf. Ja, wir haben besseres zu tun. Üben wir uns darin, die Waffen fallen zu lassen. Nicht immer leicht, aber ein Weg. Alles Gute, Emma
Sonne
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Re: Heim- und Fernweh

Beitrag von Sonne »

Liebe Simone

Du hast das sehr sehr schön geschrieben. Ich frage mich, ob dieses Fernweh ein Sinnbild für die Flucht vor dir selber ist?
Simone80
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Re: Heim- und Fernweh

Beitrag von Simone80 »

Vielen Dank für Eure Kommentare!

@Emma
Es scheint mir, dass viele Menschen, die an Depressionen leiden, genauso eine Zerrissenheit spüren. Vielleicht ist das sowohl eine Ursache als auch eine Folge der Krankheit. Und du hast recht, man darf am selben Ort verweilen, auch wenn das Herz was anderes sagt. Das ist nur manchmal nicht so einfach durchzuführen.

@Cedarian
So ein Job wie Du hast, das war auch mal mein Traum. Mittlerweile weiss ich, dass es meine Lage nur verschlimmern würde. Ich bin damals aus Deutschland weg, um einer schwierigen Situation zu entrinnen. Hat auch erst geklappt, aber mich hat alles wieder eingeholt, sogar doppelt und dreifach erwischt. Vor zwei Jahren war es dann wieder mal soweit, ich wollte nur noch weg, wollte sogar meine Familie nicht mehr. Gottseidank war ich standhaft, und jetzt fühle ich mich ein wenig besser "angekommen". Kann ich mir gut vorstellen, dass bei Dir das viele Reisen die Einsamkeit noch verstärkt hat. Man gehört ja nirgends richtig hin. An schlechten Tagen denke ich auch, ich habe nirgends ein zu Hause, an guten Tagen weiss ich allerdings wieder, dass ich mittlerweile zwei Heimatländer habe. Ich finde ganz interessant, dass hier im Forum relativ häufig Menschen schreiben, die entweder wie Du beruflich viel Reisen oder, so wie ich, ausgewandert sind.

@Sonne
Du weisst gar nicht, wie recht Du hast. Ich laufe weg, vor mir selbst, vor schwierigen Situationen, so bin ich. Nur jetzt wo ich Kinder habe, kann ich nicht mehr weglaufen, deshalb bin ich wohl depressiv geworden. So habe ich mittlerweile besser gelernt, mich den Schwierigkeiten des Lebens zu stellen, anstatt sie zu verdrängen. Das ist schon komisch, vor der Depression dachte ich immer, ich hätte gut mit meiner Vergangenheit aufgeräumt. So kann man sich irren...

Einen schönen Abend noch Euch allen!
Bittchen
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Re: Heim- und Fernweh

Beitrag von Bittchen »

Liebe Simone,

es ist eine erwiesene Tatsache,"Egal wo du hin gehst,dich selber nimmst du immer mit."
Das ist auch der Rucksack der Vergangenheit.
Der muss aber nicht so schwer drücken,denn die Vergangenheit ist ja vorbei.
Das Gute sehen was du jetzt hast ist ganz wichtig, die Verantwortung für deine Kinder nicht als Last sehen, sondern als Geschenk.

Liebe Grüße
Bittchen
Jeder Tag ist ein neuer Anfang.
Peter1
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Re: Heim- und Fernweh

Beitrag von Peter1 »

Hallo Simone
Deine Beiträge lese ich immer wieder gerne.Es kommt mir manchmal vor, als wärst du eine Schriftstellerin, die hier nur unter ihrem Pseudonym schreibt.
Haben wir nicht Alle Wünsche und Träume ?
Wünschen wir uns nicht ausgerechnet immer das, was wir nicht bekommen können ?
Wollen wir wirklich, das diese Wünsche in Erfüllung gehen ?
Meine Betreuerin fragte mich bei unserem ersten Treffen, ob ich irgendwelche Wünsche hätte. Ich gab ihr zur Antwort, das ich gerne die Mater Dolorosa, die Pieta von Michelangelo im Petersdom sehen möchte. „Und warum fahren sie dann nicht einfach hin ?“ Ich überlegte etwas länger, und sagte dann,“Ich möchte gar nicht, das der Wunsch in Erfüllung geht“. Sie schaute mich ganz entgeistert an „warum“? „Weil ich mir dann einen anderen Wunsch suchen muss, und von dieser Qualität gibt es kein zweites Kunstwerk.“
Barbara möchte neuerdings gerne nach Rom fahren,seit ihr Lissy,die Betreuerin von dem Wunsch erzählt hat. Noch versuche ich ihr die Reise auszureden, aber gegen zwei Frauen, die zusammen halten, habe ich als schwacher Mann keine Chance.
Träume sind dazu da, um geträumt zu werden. Also träume ruhig weiter von deinem Fernweh, denn Träume lenken dich von deinen Depressionen ab,und was kann es Besseres geben ?

VlG Peter
Ich wollte nie erwachsen sein, hab immer mich zur Wehr gesetzt. Von außen wurd ich hart wie Stein, und doch hat man mich oft verletzt (Nessaja P. Maffay=
Katerle
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Re: Heim- und Fernweh

Beitrag von Katerle »

Hallo Simone,

fühle mich auch heute noch mit meinem Geburtsort sehr verbunden und möchte auch gerne mal wieder dort hinfahren.
Ansonsten ist meine Heimat, wenn wir als Familie zusammen sind.

Liebe Grüße
Katerle
Sonne
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Registriert: 15. Aug 2018, 08:03

Re: Heim- und Fernweh

Beitrag von Sonne »

Liebe Simone

Hast du schon mal versucht, dir einen sicheren Ort vorzustellen? Also einen realen oder Fantasieort, wo du dich sicher, geborgen und verbunden fühlst? Wenn dieses zerrissenes Gefühl wieder auftaucht, kannst du in deiner Fantasie dorthin gehen und etwas verweilen.
Peter1
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Re: Heim- und Fernweh

Beitrag von Peter1 »

Hallo Sonne
Du hast wie sonst auch die besten Vorschläge.

Peter
Ich wollte nie erwachsen sein, hab immer mich zur Wehr gesetzt. Von außen wurd ich hart wie Stein, und doch hat man mich oft verletzt (Nessaja P. Maffay=
Simone80
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Re: Heim- und Fernweh

Beitrag von Simone80 »

Hallo an alle,

danke für eure Antworten, ich hatte leider nicht sofort Zeit, euch zu antworten.

@Bittchen
Da hast Du sehr recht, und ich muss sagen, dass meine Krise auch etwas Gutes hatte. Ich habe das Gefühl, irgendwie aufgewacht zu sein und die Zeit mit meinen Kindern jetzt besser geniessen zu können. Ich bin mir mehr darüber bewusst, wie kurz diese Zeit ist, wenn die Kinder noch klein sind, und wie wichtig sie ist sowohl für mich als auch für die Kinder. Und ich bin unglaublich dankbar, dass alle gesund sind und wir finanziell über die Runden kommen. Das ist ja alles auch nicht selbstverständlich. Ich musste diese Lektion des Lebens einfach lernen. Dies ist wohl eine dieser Erfahrungen die man erst versteht, wenn man sie durchgemacht hat. Du kannst davon wahrscheinlich ein Lied singen...


@Peter
Danke für das Kompliment, ich habe früher immer davon geträumt, Schriftstellerin zu werden :D

Ja das mit dem Träumen ist so eine Sache. Es ist doch ein wenig Teil meines Problems, weil das Träumen mich manchmal zu viel vom eigentlichen Leben ablenkt. Andererseits hindert es mich auch daran, Wünsche von mir umzusetzen und im Nachhinein ärgert es mich dann, gewisse Dinge nicht getan zu haben. Ich habe zum Beispiel meinem Mann zuliebe auf eine richtige Hochzeitsfeier verzichtet, und jetzt bin ich todtraurig darüber, diese Gelegenheit vertan zu haben. Und Reiseziele habe ich unendlich viele. Ich habe übrigens die Pieta schon zweimal in meinem Leben gesehen und würde sie mir jederzeit nocheinmal ansehen :D Ich bin fest davon überzeugt, dass die Reise dorthin Dich inspirieren würde und du weitere Reiseziele ins Auge fassen würdest. Aber du hast recht, Träume sind auch dazu da, uns abzulenken, und vielleicht sollte ich wegen der Träumerei auch ein weniger schlechtes Gewissen haben. Es sind ja nur Träume, nichts weiter.


@Cedarian
Ich telefoniere auch viel mit meiner Familie in Deutschland, heutzutage ist es ja auch viel leichter über Skype u.Ä. Kontakt zu halten. Da fühlt man sich verbunden obwohl man so weit auseinander wohnt.


@Katerle
Finde ich schön, dass du dich mit deinem Geburtsort noch verbunden fühlst. Ich fahre auch gerne in meine Heimat, auch wenn mich manchmal negative Erinnerungen plagen. Manchmal habe ich Angst davor, wie es wohl mal sein wird, wenn meine Mutter, Tanten und Onkel nicht mehr leben, ob es dann zu schmerzhaft ist dorthin zu fahren. Wie ist das bei Dir?


@Sonne
Das mit dem sicheren Ort ist ein guter Gedanke. Schon als Teenager habe ich so eine Meditationsübung gemacht wo man sich an seinen sicheren Ort begibt. Das war bei mir immer ein kleines Häuschen an einer englischen Steilküste. Leider ist dieser Ort mittlerweile nicht mehr sicher, mich besucht dort immer wieder eine gewisse Person die einfach zu starke Gefühle (positive wie negative) in mir auslöst. Also habe ich Anfang diesen Jahres diesen sicheren Ort geändert, er liegt jetzt in Griechenland. Und ich bin dabei, mir das Haus genau auszumalen, es hat viele Zimmer und gemütliche Ecken mit Aussicht aufs Meer und den Himmel. Ich habe auch schon überlegt, ob ich das Haus malen oder zeichnen soll. Zwischendrin, wenn die Gefühle zu stark sind, vergesse ich diesen Ort leider. Ich müsste wohl täglich meditieren, damit er im Gedächtnis bleibt :) Hast Du damit auch Erfahrungen?


Viele Grüsse an alle aus dem Norden, hier hat es heute zum ersten mal geschneit!
Peter1
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Re: Heim- und Fernweh

Beitrag von Peter1 »

Hallo Simone
So lange du beim Träumen nicht deine Familie vernachlässigst, sind dir die Auszeiten gegönnt. Das schlechte Gewissen redet dir nur die Depression ein. Wie oft sitze ich an meinem Schreibtisch, und träume vor mich hin, sehe die Pieta, oder das Taj Mahal vor meinen Augen, und bin ein glücklicher Mensch. Die Psychologin in der Klinik hat mir das Träumen nahe gelegt, wenn wieder miese Stimmung im Anmarsch ist, denn ich habe eine rege Phantasie, und lasse mich durch Tagträume sehr leicht ablenken. Meist gehe ich in meinen Träumen mit Barbara über eine Blumengeschmückte Hochgebirgswiese. Ich bsehe Hasen, Steinböcke, und auch die am Sonnigen Himmel kreisenden Adler vergesse ich nie. Wenn ich wach werde, bin ich immer ausgeglichen und ruhig,als könne mir nichts was anhaben.
Deine Hochzeit kannst du immer noch nachholen. Es ist nie zu spät, um sich einen Wunsch zu erfüllen.

VlG Peter
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Simone80
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Re: Heim- und Fernweh

Beitrag von Simone80 »

Hallo Peter,

da hast Du wohl recht. Ich glaube auch, dass meine Tagträume mich oft davor gerettet haben, in ein tiefes Loch zu fallen. Ich habe auch eine sehr rege Fantasie, was wohl auch wirklich oft von Vorteil sein kann. Mein Problem ist wohl einfach nur, dass ich vor zwei Jahren die falsche Person in meine Träume eingeladen habe, und diese Person hat danach alle Träume beherrscht. Jetzt Gott sei Dank nicht mehr, ich habe neue Themen gefunden, die mich sehr inspirieren. Ist eigentlich schon praktisch, wenn man sein eigenes kleines Kino immer mit dabei hat :D

LG Simone
Peter1
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Re: Heim- und Fernweh

Beitrag von Peter1 »

Hallo Simone
Ich habe die Erfahrung gemacht, das meine Tagträume, an die in den Nächten kann ich mich nie erinnern, immer auch meine geheimsten Wünsche wiedergeben, manchmal auch die aus meinem Unterbewusstsein, die mir vorher gar nicht so klar waren. Meist sind es kleine, leicht zu erfüllende Träume, Wünsche, wie ein bestimmtes Gericht zu essen, oder ein Besuch im Zoo, bei meiner Verwandtschaft. Manchmal aber auch Wünsche, die sich im Moment nicht erfüllen lassen, so z.B.
meine Partnerin und mich selbst richtig glücklich zu machen, was im Moment durch die Ads leider verhindert wird. Ich glaube aber, auch das wird die Zeit regeln. :(
Jch stand vor zwei Wochen vor einem Juwelier Geschäft und schaute mir die Auslagen im Schaufenster an. Mit einem mal hatte ich ein Bild vor Augen, Barbara und ich vor dem Weihnachtsbaum, und ich stecke ihr einen Ring an die Hand. Ein für mich, und vermutlich auch für sie, wunderbarer Gedanke, den ich vor habe, in die Tat umzusetzen. Auf diese Art können Träume Menschen glücklich machen. Mir hilft es auf jeden Fall, die Angst vor einer neuen Episode zu vertreiben.
Ich denke in diesem Jahr ganz anders an Weihnachten als sonst. In den vergangenen Jahren habe ich immer an den Verlust lieber Menschen gedacht. Dieses Jahr herrscht eher der Gedanke an den Zugewinn an Glück mit Barbara und Fidelio. Daran, wie sich mein Leben durch die Beiden zum Positiven verändert hat. Ich bin viel ruhiger und vor allen Dingen geduldiger, einfach weiser geworden. Wem soll ich dafür danken? :D :D

VlG Peter
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Simone80
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Re: Heim- und Fernweh

Beitrag von Simone80 »

Hallo Peter,

Das ist ja spannend, genau diese Einsicht über meine Tagträume hatte ich auch vor einer Weile. Dass sie eigentlich meine Bedürfnisse widerspiegeln, teilweise wohl aus dem Unterbewussten heraus. Ich habe verstanden, dass ich die Tagträume nicht immer lenken kann, sie kommen einfach, ich sollte sie kommen lassen. Und viele sind auch zu erfüllende Wünsche, und da habe ich eine Änderung vollzogen, dass ich mir diese Wünsche auch wirklich erfülle. Zu oft habe ich von vielen Dingen geträumt, sie aber nicht in die Tat umgesetzt und war hinterher traurig darüber. Oder ich habe darauf gewartet, dass mir vielleicht jemand anders diese Wünsche von den Lippen abliest. Ich lerne gerade, mich selbst gut zu behandeln, mich zu belohnen und zu verwöhnen. Ich habe da so ein Defizit in der Richtung aus meiner Kindheit, aber leider auch teilweise aus meiner derzeitigen Partnerschaft. Und manche Träume lassen sich nun mal nicht mit meiner derzeitigen Lebenssituation vereinbaren, diese verursachen auch die Schuldgefühle. Aber ich habe auch gelernt, diese richtig zu interpretieren, sie zeigen mir auch an, was mir fehlt, an was ich arbeiten muss. Und es sind ja letztendlich nur Träume, sie tun niemandem weh. Ich bin dabei, mir einen Wunsch zu erfüllen, nächsten Herbst möchte ich an einem Halbmarathon teilnehmen. Davon habe ich schon vor 10 Jahren geträumt, damals konnte ich mich aber noch nicht mal zu 4 km aufraffen, jetzt klappen 10 km ohne Probleme. Plötzlich habe ich die Motivation für solche Sachen, aus Leid ist Energie geworden. Manchmal wundere ich mich schon über das Leben :)

Ich freue mich ganz furchtbar für Dich, das mit dem Heiratsantrag vor dem Weihnachtsbaum ist eine wunderbare Idee! Und Du hast Dir das wirklich verdient, nach all den Jahren des Leidens. Ich glaube, Deine Geschichte macht vielen Hoffnung, weil Du ja Dein Leid schon ziemlich lange mit Dir herumgetragen hast. Ich drücke Dir ganz fest die Daumen! :)

LG Simone
Gertrud Star
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Re: Heim- und Fernweh

Beitrag von Gertrud Star »

Hallo ihr,
ich habe es auch so allgemein mit dem Heim- und dem Fernweh, bin ja auch von "daheim" weit weg.
Was mir oft hilft, ist an eine junge Verwandte zu denken und ihr gutes zu wünschen.
Bilder von unserem Kindheitsort habe ich bekommen und mich tierisch gefreut (wohnen alle schon lange nicht mehr dort).
Bezüglich der Träume fällt mir ein: Man kann sie ja als Art Wunschbox sehen, wo man sich ab und zu bedient, je nachdem was realisierbar ist und was nur als Traum bleibt.
Simone, wie ist es denn im November in Skandinavien? Ich hörte mal, weniger matschig und dafür schon Schnee, also insgesamt dann etwas heller als in Mitteleuropa mit Matsch und Nebel?
LG Gertrud
Simone80
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Re: Heim- und Fernweh

Beitrag von Simone80 »

Hallo Gertrud,

ich wohne an der Küste, deshalb haben wir nicht so viel Schnee. Es ist momentan nasskalt, November und Dezember sind meistens ungemütliche Jahreszeiten und die Tage sind recht kurz. Allerdings kommt meistens im Januar Schnee und die Tage werden schnell wieder länger. Ich habe vorher in der Mitte des Landes gewohnt, wo manchmal schon Ende Oktober Schnee lag und so die Dunkelheit tatsächlich nicht so schlimm war. Aber auch hier spielt die Klimaerwärmung mit hinein, wir hatten auch einen rekordverdächtigen Sommer was die Temperaturen anbelangt und der Herbst war auch ungewöhnlich warm. Heute allerdings war ein furchtbar grauer Tag, was mir auch ziemlich aufs Gemüt geschlagen hat. Ständiges Grübeln über meine Situation. Nicht sehr hilfreich.

Das mit der Wunschbox der Träume ist an sich ein guter Gedanke. Ich bin aber einerseits auch ein sehr ungeduldiger Typ, ich will immer alles sofort. Und andererseits hadere ich mit mir, warum ich so viele Dinge nicht früher gemacht habe. Aber das hängt wohl auch mit der Erkrankung zusammen, dass man zu viel grübelt über das "was wäre wenn". Und ich bin manchmal schon auch stolz auf mich, dass ich viele Dinge einfach mache und auch früher gemacht habe. Das sollte auch weiterhin mein Motto sein, mehr handeln und weniger denken :)

Einen schönen Abend wünsche ich allen Mitlesern

Simone
Gertrud Star
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Re: Heim- und Fernweh

Beitrag von Gertrud Star »

Hallo Simone,

das ist ja schade, dass bei euch nicht nur der November, sondern auch der Dezember so dunkel und schneelos sind. Welche Bräuche gibt es denn vor Ort, wie machen es die Einheimischen?
(Das mit dem vielen Schnee hörte ich mal im Radio, aber die Interviewten lebten tatsächlich in Mittelskandinavien, fast am Polarkreis)
Dass es bis nach Nordfinnland sehr warm war, konnte man hier auch lesen, ebenso von den Waldbränden in Schweden. Es soll eine lange Badeperiode gegeben haben. Das erste mal, als ich im Sprachkurs an der VHS hörte, dass die Elche Schwierigkeiten bekamen wegen des Klimawandels, das ist jetzt schon über 10 Jahre her.
Hier lief ich vor nicht einmal einem Monat abends zum Sonnenuntergang noch kurzärmelig draußen herum, auch völlig untypisch. 7 Monate Sommer war es, davon lange Zeiten wirklich heiß.

Das mit dem vielen Grübeln und wenigem Machen kommt mir sehr bekannt vor. Da ist bei mir noch viel Verbesserungspotenzial.
Auch und vor allem gerade im Winter.

Ich bin viele Jahre gependelt. Vielleicht kommt das Fernweh/Heimweh auch daher, dass an Weihnachten ganz viele Leute heim zu ihren Familien fahren.
Ich werde jetzt schon dauernd gefragt, ob ich denn wieder heimkomme (nicht nur an Weihnachten, sondern ganz). Für dieses Jahr habe ich noch keine Meinung. Manchmal fahre ich einfach überhaupt nicht gerne (bin viele Jahre gependelt), und dieses Jahr habe ich so einige Baustellen und mit einigen körperlichen Geschichten zu tun.
Ehrlich gesagt würde ich mal lieber im Sommer fahren, wenn alles grün dort ist. Dann wäre ich auch nicht so angebunden und könnte etwas rum fahren, zumindest außerhalb der Ferien, denn da gibt es dann ÖPNV dort.

Hast du Bilder von früher, wo du aufgewachsen bist?
Deine Kinder kommen sicher bald in das Alter, wo sie viel fragen, und auch mal das eine oder andere Bild gerne angucken.

LG Gertrud
Katerle
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Re: Heim- und Fernweh

Beitrag von Katerle »

Liebe Simone,

meine Eltern leben nicht mehr, aber ich habe noch ein paar Verwandte in meinem Geburtsort und Geschwister habe ich in meiner Nähe. Jedenfalls ist es für mich nicht schmerzhaft, dorthin zu fahren und das werde ich gerne bald mal wieder in Angriff nehmen. LG
Simone80
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Re: Heim- und Fernweh

Beitrag von Simone80 »

Laufen

Schon beim Zuschnüren der Laufschuhe stellt sich bei mir eine gewisse Ruhe, aber auch Vorfreude ein. Ich laufe los, spüre die kühle Luft, wie sie durch meine Atemwege strömt. Ich geniesse die regelmässige Bewegung meines Körpers, ich fühle mich energetisch und frei. Langsam kommen die Gedanken zur Ruhe, fliessen stetig dahin wie in einem Strom, sie kommen und gehen langsam. Viele Gedanken erzeugen kleine Wellen und Strudel aus Gefühlen, die sich aber wieder in der stetigen Bewegung des Stroms auflösen. Ich selbst bin der Strom, in der gleichmässigen und ruhigen Bewegung meines Körpers. Hier bin ich nur für mich, mit mir alleine im Zwiegespräch. Viele Unsicherheiten und Ängste fallen ab, mein Körper beweist mir in seiner Bewegung meine Stärke, meine Schönheit und Eleganz und meine Ausdauer. All die Dinge, die ich im Alltag oft vergebens an mir suche. Wenn mir andere Jogger entgegenkommen habe ich das Gefühl, sie lächeln mich an, teilen das gute Gefühl mit mir, wie Mitwisser bei einer Verschwörung. Ganz anders als im Alltag, gehetzt durch die Stadt eilend, habe ich oft das Gefühl, ich werde angestarrt, wütend oder feindselig. Jetzt fühle ich mich akzeptiert, bewundert, angenommen so wie ich bin. Der Atem strömt ein und aus, macht mich stärker, reiner, leichter. In diesen Momenten kann ich mir endlich selbst Liebe und Respekt entgegenbringen. Ich bin nicht davon abhängig, wie andere von mir denken, ob ich in den Augen der Anderen schön oder hässlich, attraktiv oder plump, intelligent oder dumm aussehe. Ich bin ich, mit allen Stärken und Schwächen, innerlich und äusserlich schön, liebenswert, so wie jeder Mensch. Der Mensch, von dessen Urteil ich einst alles abhängig gemacht habe, ist plötzlich zur Randfigur geworden. Für einen Moment hebe ich meinen Kopf hoch aus meinem Gedankenstrom uns blicke mich um. Ein richtiger Fluss fliesst neben mir, am Rand wächst Schilf, in der Mitte schwimmen ganz gemächlich Enten. Die Bäume sind schon ganz kahl und heben sich kohlschwarz vor dem Himmel ab, der wie ein Aquarellgemälde aus grau, weiss, blau und violet erscheint. Diese Momentaufnahme ist so schön, ich möchte sie auf ewig in meinem Gedächtnis behalten. Ich freue mich schon darauf, wie diese Momente sich mit den Jahreszeiten ändern, bald kommt der Schnee, dann wird die Luft so schön kalt dass ich sie besser beim atmen spüre. Die Luft wird dann so rein und klar sein, die Sonne wird sich im Weiss spiegeln und die Schneekristalle wie kleine Diamanten funkeln lassen. Beim Laufen wird mir bewusst, dass ich ein Teil der mich umgebenden Natur bin, ein Teil des grossen Ganzen, von oben betrachtet ganz klein und unscheinbar, so vergänglich. Dieses Bewusstsein ängstigt mich nicht, es gibt mir Kraft, Sicherheit, ein Gefühl der Zugehörigkeit. Auch wenn ich mich manchmal einsam fühle, so bin ich es nicht. Jeder Schritt den ich beim Laufen mache, kann etwas in meiner Umgebung verursachen. Jedes Lächeln, das ich einem anderen Menschen schenke, kann dessen Leben positiv beeinflussen. Jedes Lächeln, das ich selbst empfange, kann meinen Tag retten. Meine Schritte werden immer leichter, so wie mein Gemüt. Ich könnte immer weiter laufen, ans andere Ende der Welt. Allerdings suche ich nicht nach einem Ziel, ich bin bereits angekommen, bei mir selbst.
Bittchen
Beiträge: 5430
Registriert: 2. Feb 2013, 18:02

Re: Heim- und Fernweh

Beitrag von Bittchen »

Liebe Simone80,

eine sehr schöne Beschreibung deiner Gefühle.
Wenn du so beim Laufen empfinden kannst und das so gerne ausübst,mache das weiter und regelmäßig.
Denn dann ist das für dich die beste Therapie.

Alles Gute und liebe Grüße

Bittchen
Jeder Tag ist ein neuer Anfang.
Camille
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Registriert: 3. Nov 2018, 21:35

Re: Heim- und Fernweh

Beitrag von Camille »

Hallo Simone,

Das hast du wunderbar in Worte gefasst. Tatsächlich gehe ich auch regelmäßig laufen.

Auch ich habe den Eindruck, dass ich beim Laufen unmerklich loslkomme von unnützen Gedankenschleifen und dannach meiner Umwelt wieder offener und gelassener begegnen kann.

Ich jogge immer die gleiche Runde. Manchmal nehme ich meine Umgebung kaum wahr. Manchmal berührt mich die Farbe eines Blattes, ein Lichtstrahl oder ein kalter Windhauch irgendwo ganz tief im Inneren. Staune über das Große und Wunderbare der Natur. Ehrfürchtig. Im Bewusstsein meiner eigen Nichtigkeit und Begrenzheit. Und in dem Wissen der in ihr ruhenden Gesetzmäßigkeiten - und ich ein kleiner Teil davon.


DAnke für deinen Beitrag

Camille
Simone80
Beiträge: 121
Registriert: 1. Apr 2018, 20:54

Re: Heim- und Fernweh

Beitrag von Simone80 »

Liebe Bittchen, liebe Camille

danke für eure Rückmeldung. Ich merke, dass mir auch das Schreiben sehr viel bringt und werde damit vielleicht einfach weitermachen :)

LG
Gertrud Star
Beiträge: 3441
Registriert: 30. Jun 2014, 19:09

Re: Heim- und Fernweh

Beitrag von Gertrud Star »

Hallo Simone,
dein Text hat auf mich sehr beruhigend gewirkt.
LG Gertrud
Peter1
Beiträge: 3399
Registriert: 15. Apr 2018, 12:06

Re: Heim- und Fernweh

Beitrag von Peter1 »

Hallo
@Simone
Gertrud hat vollkommen recht, dein Text hat auch auf mich beruhigend gewirkt. Laufen und schreiben scheinen dir zu liegen. Ich habe selten Menschen kennen gelernt, die ihre Gefühle so gut beschreiben können, und dann auch noch so poetisch. Einfach wunderschön.
@Camille
Begrenzt sind wir Menschen alle. Wenn Du der Natur Ehrfurcht entgegen bringst, wie kannst Du Dich dann als Nichtigkeit sehen ? Spiel dieser besch.... Krankheit einen Streich, und sehe einfach die Dinge, die Du schon erreicht hast. Einen wunderbaren Beruf, Ehemann, Kinder, Wohnung usw.
Suche nicht nach den Dingen, die Dir „fehlen“. Ein Depressiver kann manchmal nicht rational denken, und sieht die Dinge dadurch anders, als sie wirklich sind.
@Bittchen
Ich glaube, ich brauche Dir nicht mehr schreiben, wie sehr ich Deine Kraft bewundere. Bei den ganzen Problemen, die Dich schon Jahre lang belasten, immer noch zu funktionieren, löst bei mir ein Gefühl von Hochachtung aus. Mach weiter so!!!!

VlG Peter
Ich wollte nie erwachsen sein, hab immer mich zur Wehr gesetzt. Von außen wurd ich hart wie Stein, und doch hat man mich oft verletzt (Nessaja P. Maffay=
Simone80
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Re: Heim- und Fernweh

Beitrag von Simone80 »

Hallo Gertrud und Peter,

danke für euer positives Feedback. Früher habe ich immer nur für mich geschrieben, aber ist schon schöner, wenn man die Texte mit jemandem teilen kann.

Simone
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