Wie mit Gefühllosigkeit umgehen?

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Akna
Beiträge: 4
Registriert: 12. Aug 2018, 23:00

Wie mit Gefühllosigkeit umgehen?

Beitrag von Akna »

Hallo miteinander,

ich bin neu hier und muss wahrscheinlich erstmal ein wenig von meiner Geschichte erzählen.

Mein Freund und ich haben seit 5 1/2Jahren eine Beziehung. 4 1/2Jahre davon haben wir in einer Wochenendbeziehung gelebt und seit einem Jahr wohnen wir nun zusammen.
Die Depression meines Freundes hat sich in den Jahren langsam angeschlichen und ist in den letzten 1 1/2-2 Jahren immer schlimmer geworden. Ganz abgesehen von schlimmen emotionalen Zusammenbrüchen, Schlafstörungen, Antriebslosigkeit und immerwährenden trüben Gedanken, wird er von Selbsthass zerfetzt.
Nun hat er vor elf Wochen endlich den Schritt in eine stationäre Therapie gewagt (vorher hatte er nie eine Therapie).
Am Anfang war zwischen uns noch alles gut. Wir waren uns sicher den Weg gemeinsam zu gehen. Gemeinsam auch diesen Abschnitt zu meistern. Abgesehen von den schlechten Phasen hatten wir immer eine sehr schöne und harmonische Beziehung.
Nach ca. 5 Wochen in der Klinik hat sich etwas verändert. Er hat sich immer mehr zurückgezogen, irgendwann offen Zweifel an seinen Gefühlen zu mir formuliert und zwei Tage vor seiner Entlassung wollte er mich verlassen.
In einem sehr langen Gespräch kam nach einem weiteren schlimmen emotionalen Zusammenbruch heraus, dass er das gar nicht wirklich möchte. Dass er nur seit einem Dreivierteljahr das Gefühl der Liebe nicht mehr spürt. Er ist meines Erachtens nach fast noch tiefer in der Depression, als vor den 10 Wochen Therapie.
Nun schubst er alles um sich herum weg. Und hasst sich im nächsten Moment selbst dafür.
Wir sind so verblieben, dass wir zusammen kämpfen wollen. Dass er nicht einfach aufgibt. Dass wir uns Zeit geben. Er den Abstand haben kann, den er gerade von mir sucht, aber wir irgendwann in naher Zukunft auch eine Paartherapie brauchen, um gemeinsam an den Dingen zu arbeiten.

Jetzt endlich zu meinen Fragen an euch:

- Wenn in unserer Beziehung alles gut lief, wir so viele schöne Dinge und Momente im Alltag miteinander hatten und den Weg bisher so sehr gemeinsam gegangen sind, kann die Depression dann dafür sorgen, dass er das alles im Nachhinein nicht mehr sieht und die Abwesenheit des Gefühls der Liebe ihn nun zu diesem Schritt der Trennung bringen?

- Wie viel Zeit/Freiraum/Geduld muss man aufbringen? Was kann man ggf. an gemeinsam verbrachter Zeit auch einfordern?

- Mein Freund bekommt momentan kein Antidepressivum. Können Gefühle ohne Hilfe eines solchen überhaupt wiederkommen?

Mir haben die letzten Wochen die Schuhe ausgezogen. Ich bin gerade am Ende meiner Kraft. Ich habe mir Hilfe gesucht und weiß, dass ich besser auf mich achten muss. Aber ich bin mir so sicher, dass er mich liebt und dass wir den Weg gemeinsam gehen und gegen die Depression gewinnen können.

Ich freue mich auf ehrliche Antworten.
Sybilix
Beiträge: 79
Registriert: 11. Mär 2018, 23:58

Re: Wie mit Gefühllosigkeit umgehen?

Beitrag von Sybilix »

Hallo Akna,

gut dass Du den ersten Schritt hierher gemacht hast - auch Dich mitzuteilen. Allein das, war in meinem Fall, ein Teil des Puzzles wieder auf die Füße zu kommen.

Du hast um ehrliche Antworten gebeten, bittesehr:
Mach Dir bitte keine falschen Hoffnungen.
Es gibt kein Richtig und kein Falsch.
Jeder Fall ist anders, jeder Leidensweg und Krankheitsverlauf ist anders - auch wenn man viele Parallelen erkennt.
Es ist und bleibt eine (emotionale) Achterbahn - für euch Beide.
Viele Geschichten hier zeigen immer wieder Hoffnung, im nächsten Moment folgt ein Loch. Nichts davon muss ein Indikator für einen langfristigen Ausgang sein.

Es bleibt anstrengend. Es dauert Lange. Du brauchst Kraft, Geduld, Einsicht und auch Ignoranz.

Kümmere Dich darum, dass es Dir gut geht. Tust Du das nicht, folgst Du deinem Partner in die Krankheit und kannst ihm u.U. nicht helfen.

Informiere Dich über Depression, was Sie ist und was Sie nicht ist.
Informiere Dich was man dagegen tun kann, das wirkt auch präventiv im Vorfeld.
Gib die Hoffnung nicht auf - solange DU möchtest. Die Depression kommt unverhofft. Du/Ihr habt Sie nicht verdient, ihr wurdet nicht ereilt, es ist einfach passiert. Suche nicht nach dem Schuldigen - dass ist sinnlos und führt zu keiner Besserung.

Akzeptiere was es ist, arrangiere dein Leben so gut es geht damit und treffe Entscheidungen bewusst für Dich.

Alles andere wird die Zeit zeigen.

Alles Gute und Kopf hoch, egal wie schrecklich es zu Beginn bzw. aktuell aussehen mag.

Grüße,
Sybilix
Akna
Beiträge: 4
Registriert: 12. Aug 2018, 23:00

Re: Wie mit Gefühllosigkeit umgehen?

Beitrag von Akna »

Hallo Sybilix,

vielen Dank für die schnelle und ehrliche Antwort.

Ich habe, so wie du es empfiehlst, schon sehr viel über die Krankheit und ihre vielfältigen Gesichter gelesen. Ich versuche wirklich das alles irgendwie zu verstehen.
Nur kann ich nicht verstehen, wie unser Alltag (vor allem im letzten Jahr) zwar teilweise wirklich schwierig und von der Krankheit geprägt, aber doch so schön und irgendwie "normal" sein konnte und nun auf einmal alles in Frage gestellt ist. Laut Aussage meines Freundes war ich der Hauptgrund für den Schritt in die Therapie, er wollte das tun für unser gemeinsames Leben. Er wollte eine Familie mit mir gründen. Er hat mir immer wieder gesagt, dass ich die Liebe seines Lebens bin. Das ist alles nur ein paar Wochen her. Und jetzt? Jetzt sagt er mir, dass er seit Monaten nichts fühlt. Dass es für ihn zunehmend schöner war, wenn ich nicht zu Hause war.
Wenn ich das alles logisch betrachte, denke ich, dass ich im letzten Jahr (und auch länger) seine größte Stütze war, aber auch eben die anstrengendste Person in seinem Leben. Er hat sich niemandem außer mir anvertraut. Überall seine Maske aufgesetzt und auch mir verboten mit Freunden über seine/unsere Situation zu sprechen. Ich war die einzige Person, die ihm immer wieder aufgezeigt hat wie schlecht es ihm geht, dass er krank ist und Hilfe braucht. Ich kann mir vorstellen, dass er dann manchmal auch einfach froh war, wenn ich nicht da war. Da war die Gefahr nicht da, dass ich sehe wie es ihm geht und es anspreche. Da war die Gefahr nicht da, dass es wieder zu einem seiner "Ausbrüche/Zusammenbrüche" kommt, da es die immer nur mit mir gab, weil er sich nicht vor mir verstecken kann.
Aber wenn ich die Logik ausschalte...dann tut es einfach weh. Dass er all die schönen Dinge, die wir haben, nicht mehr sieht. Dass er mir jetzt ankreidet, dass ich ihm immer wieder seinen Zustand aufgezeigt habe und dadurch unangenehm war. Es ist einfach so gemein, dass ich auf einmal Projektionsfläche für Negatives geworden bin.
Ist das irgendwie verständlich? Es soll in keinem Fall selbstgefällig klingen. Ich erwarte keinen Dank oder Ähnliches. Und egal, ob unsere Beziehung das übersteht oder nicht, würde ich immer wieder genau so entscheiden. Ich möchte nur, dass er gesund werden kann.
Sybilix
Beiträge: 79
Registriert: 11. Mär 2018, 23:58

Re: Wie mit Gefühllosigkeit umgehen?

Beitrag von Sybilix »

Hallo Akna,

Du versuchst es immer noch zu verstehen... daran wird man Scheitern. Akzeptieren oder daran aufreiben, aber verstehen ist kaum möglich.

Die Angehörigen sind Fluch und Segen zugleich. Im einen Moment Stütze, im nächsten Moment größte Belastung. Im Grunde könnte man seinen Zustand mit dem Wetter vergleichen:
An einem Tag regnet es, am anderen strahlender Sonnenschein. Weder das eine noch das andere bedingt den Gegenspieler noch ist es eine Garantie was am nächsten Tag folgt...

Mir hat so mancher Spruch sehr geholfen für mich einen Hoffnungsschimmer zu erhalten:
" Liebe mich dann, wenn ich es am wenigsten verdient habe, denn dann brauche ich es am meisten."
Oder "Was Du liebst lass frei, kommt es zurück - gehört es für immer Dir."

Die Zeit hat in meinem Fall Klarheit gebracht. Gleiches was auch Betroffenen empfohlen wird: Einen Schritt nach dem anderen. Und manches ist klar:
Die etablierten Modelle funktionieren nicht mehr
Nichts wird wieder wie zuvor... es muss nicht schlecht bleiben, aber es wird garantiert anders.

Wichtig ist schonmal, dass Du Dich wieder so entscheiden würdest. Ein großer Schritt in die richtige Richtung. Du musst Frieden mit Dir finden und erhalten. Das ist viel wert.

Sybilix
Akna
Beiträge: 4
Registriert: 12. Aug 2018, 23:00

Re: Wie mit Gefühllosigkeit umgehen?

Beitrag von Akna »

Hallo Sybilix,

wahrscheinlich hast du Recht. Verstehen kann man diese Krankheit einfach nicht.

Ich habe mittlerweile erkannt, dass ich viel zu lange nicht gut genug auf mich aufgepasst habe. Dass ich es gar nicht schaffen konnte das alles alleine "aufzufangen".
Das muss ich lernen. Auf mich zu achten. Meine Grenzen zu ziehen. Meine Bedürfnisse auch zu artikulieren.
Ich habe glücklicherweise innerhalb von 1 1/2 Wochen nun einen Therapieplatz gefunden. Am Freitag kann ich dort zum ersten Mal hin.
Und ich habe das Schweigen gebrochen. Ich binde nun unsere Freunde ein. Versuche ein Netz aus Unterstützern für uns beide aufzubauen.
Und auch wenn es oft wirklich sehr schwer ist, habe ich so ein tiefes Vertrauen in mir, dass wir es zusammen schaffen können. Dass da irgendwo in ihm die Liebe noch ist. Dass sie irgendwann wieder fühlbar für ihn wird.
Jetzt muss ich nur noch lernen geduldig zu sein.

Danke für den Austausch hier. Das tut gut! Ich bin für meinen Partner aus meiner Heimat weggezogen...aufs Dorf. Hier gibt es leider keine Angebote für Angehörige und auch in der Klinik meines Freundes wurde ich leider komplett außen vor gelassen...

Akna
Sybilix
Beiträge: 79
Registriert: 11. Mär 2018, 23:58

Re: Wie mit Gefühllosigkeit umgehen?

Beitrag von Sybilix »

Hallo Akna,

das mit der Klinik ist (leider) fast üblich... auch ich und viele Andere wurden nicht einbezogen.
In wenigen Fällen ist das der Fall. Es hängt aber nicht nur davon ab ob es der Therapeut vorschlägt, sondern auch ob der/die Betroffene dazu in der Lage ist. Wenn die Person nicht offen ist, sich darauf einzulassen, kann eine Einbindung des bisherigen Partners gar kontraproduktiv sein. Klingt hart, scheint aber leider eine häufige Annahme zu sein (mangels Widerlegung gibt es keine anderslautende Beweise).

Eine Bitte: Versuche die Erwartung an deine eigene Therapie herunterzuschrauben. Ich selbst habe auch "vorgesprochen", mir war aber nich zu helfen. Entweder war mein Problem nicht groß genug oder nicht greifbar oder ich hing zu dieser Zeit in einer emotionalen Schleife, in der mir nicht zu helfen war. Es war alles, nur nicht dass was ich erwartet hatte...

Entscheidend ist "Gutes" für Dich zu tun. Tue Dinge die Du für richtig hälst, Dinge die Dir gut tun. Das Beste was Du tun kannst.

Viel Erfolg und alles Gute,
Sybilix
Akna
Beiträge: 4
Registriert: 12. Aug 2018, 23:00

Re: Wie mit Gefühllosigkeit umgehen?

Beitrag von Akna »

Hallo Sybilix,

danke für deine offenen Worte!

Ich versuche die Dinge irgendwie auf mich zukommen zu lassen. So schwer das auch sein mag. Erwartungen abzubauen. Pläne zu vermeiden. Die erfüllen sich ja doch nicht.
Ich denke es ist ein Lernprozess. Und eine absolute Ausnahmesituation im Leben. Alles steht Kopf.
Aber irgendwie wird es einen Weg geben. Wo auch immer der hinführen mag.
Wichtig ist nur Kraft zu behalten oder neu zu gewinnen. Das versuche ich gerade.

Nochmals lieben Dank!
Akna
Waldmann
Beiträge: 8
Registriert: 9. Aug 2018, 14:35

Re: Wie mit Gefühllosigkeit umgehen?

Beitrag von Waldmann »

Hey Akna wir sitzen im selben Boot, ich verstehe was du ausdrücken willst noch bevor ich den Satz zuende gelesen habe...
Habe die letzten Jahre auch dauernd Rücksicht genommen und zurück gesteckt und muss nun erstmal lernen was ich überhaupt will, was mir guttut und mich ganz klar auch mal abzugrenzen denn ich merke dass meine Kraft langsam schwindet.
Nun muss ich mich total auf mich konzentrieren um voll für unseren Sohn dasein zu können.

Lass uns gerne mal austauschen.

Liebe Grüße
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