Die Unfähigkeit zu trauern?

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Hutmacher
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Die Unfähigkeit zu trauern?

Beitrag von Hutmacher »

Hallo allerseits,

hier nenne ich mich selbst Hutmacher, im echten Leben bin ich ein junger Mann im Alter von 25 und werde mir hier wohl noch einiges von der Seele schreiben bzw. Rat suchen.
Da ich mich mit Anfängen meist schwer tue starte ich mit einer aktuellen, oder eher anhaltenden, Problematik.
Trauer zuzulassen und sich mal richtig "auszuheulen" verschafft der betroffenen Person im Nachhinein ja meist Erleichterung.
Mein Problem ist dass ich seit nunmehr fünf Jahren nicht mehr geweint habe, auch wenn es mir oft genug zu heulen zu Mute war. Trauer und Schmerz schlagen immer wieder in Panik bzw. Verzweiflung um. Zulassen kann ich die Trauer nicht egal wie sehr ich es möchte.
Vor etwa zwei Monaten war ich in einem Heilkundezentrum, dort wurde auch dieses Thema behandelt. Auch hier konnte ich keinerlei Trauer zulassen, nicht dass ich mich geniert hätte, es ging einfach nicht.

Kennt jemand hier dieses Gefühl oder vielmehr die Unfähigkeit Trauer auszudrücken?
Katerle
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Re: Die Unfähigkeit zu trauern?

Beitrag von Katerle »

Hallo Hutmacher,

Mir hatte das Weinen immer eher Erleichterung gebracht, aber nach dem plötzlichen Tod meiner Mutter konnte ich nicht mehr weinen. Hinzu kam auch, das Weinen nicht gern gesehen wurde in meiner Umgebung. Mir ging es körperlich und seelisch sehr schlecht und war sehr schwach. Ging dann in die Klinik und in eine stationäre Psychotherapie, in der ich dann später wieder fähig war, Tränen zuzulassen und über meine Trauer zu sprechen. Jedenfalls war bei mir einiges zusammengekommen und es brauchte seine Zeit, das alles aufzuarbeiten. War auch nicht mit nur einem KlinikAufenthalt abgetan und begab mich auch danach ambulant in Therapie.

Alles Gute
Katerle
Stizy
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Re: Die Unfähigkeit zu trauern?

Beitrag von Stizy »

Hey Hutmacher,

Mir gehts tatsächlich gerade ähnlich.. ich bin 22 und als kleiner Junge hab ich tatsächlich öfter mal geheult, war ein ziemliches sensibelchen. Jetzt ist es auch locker 4 Jahre bei mir her, dabei hatte und habe ich mehr als genug gute Gründe. Ich hab auch schon versucht mich dazu zu zwingen, aber es geht einfach nicht, ich bin nur deprimiert, habe seit neuestem Angstzustände und die ein oder andere Panikattacke..
Selbst als mit meiner Freundin damals Schluss war, habe ich nicht geheult, ich war einfach nur durchgehend wütend, bis ich es verarbeitet hab und hab mich an besonders beschissenen Abenden mit Alkohol betäubt..

Ich weiß nicht so recht warum ich es nicht mehr kann, ich habe auch das Gefühl, dass es Druck lösen würde, es fühlt sich bei mir gerade an wie ein Stau. Vielleicht kommts auch ausm Unterbewusstsein, wurdest du gehänselt, oder gar gemobbt, wenn du damals geweint hast? Ich hab nämlich erst gelernt es zu verstecken, anschließend zu unterdrücken und dann überspielt.. Mittlerweile würde ich gerne einfach mal "los lassen" und dem freien Lauf lassen..
Hutmacher
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Re: Die Unfähigkeit zu trauern?

Beitrag von Hutmacher »

Hallo Stizy,
die besonders beschissenen Abende kenne ich zur Genüge und meistens enden sie am nächsten Morgen mit einem totalen Filmriss + Hangover, ich bin der Überzeugung dass diese Situationen immer dann eintreten wenn "Es" sich innerlich wieder so aufgestaut hat dass das einzige Ventil so ein destruktiver Weg wie der übermäßige Konsum ist.
Selbes Beispiel auch beim Thema Beziehung. Als sich die Wege zwischen mir und meiner letzten Partnerin trennten gab es außer Wut, Gleichgültigkeit und jeder Menge kleiner Helfer auch keinerlei Regung. In meinem früheren bzw. immer wiederkehrenden Umfeld/Freundeskreis ist Weinen/Trauer ein Zeichen von Schwäche, genauso auch in der Familie. Allerdings sollte man dann doch in den eigenen vier Wänden in der Lage sein diese Gefühle zuzulassen, oder bei seinen echten Vertrauenspersonen?

Hallo Katerle,
tatsächlich befand ich mich vor ca. vier Jahren auch in stationärer Behandlung, nach mehreren privaten Schicksalsschlägen schaltete mein Kopf in den "dann puste ich mir eben die Birne weg, bringt ja sowieso alles nichts Modus". Meine Gefühlswelt und die Fähigkeit diese auszudrücken funktionierten zu dieser Zeit allerdings noch. Danach folgte dann die mehr oder weniger regelmäßige ambulante Therapie, die mir bei der Verarbeitung der Vergangenheit auch sehr geholfen hat.
Wie gesagt war ich vor einiger zeit für vier Wochen zu Besuch in einem Heilkundezentrum, mit der Prämisse Gefühle zuzulassen und auch auszudrücken. Die Gesprächstherapien haben auch hier sehr geholfen allerdings nur temporär. Während andere Teilnehmer, in Gruppensitzungen und dahingehenden Übungen, sich die Seele aus dem Leib geheult haben folgte bei mir der Blackout, wortwörtlich. Kurz bevor die Trauer "ausbrechen" konnte wurde mir Schwarz vor Augen und ich wachte meist erst nach der Übung wieder auf.
Übrigens ging es dabei um das "verbundene Atmen".
Die Therapeuten meinten stets: " Herr Hutmacher Sie sind während der Übung ja immer kräftig dabei", selbst wenn ich davon überhaupt nicht mitbekam.
Katerle
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Re: Die Unfähigkeit zu trauern?

Beitrag von Katerle »

Hallo Hutmacher,

na ist doch gut, dass dir die Gesprächstherapien was gebracht haben. Das war bei mir auch so.

Leider können solche gravierenden körperlichen Auswirkungen auftreten, wenn die Trauer nicht zugelassen werden kann. Ich hatte auch so ein Gefühl, dass ich gleich umkippen werde, mir war total schwindlig und ich hatte einen Hörsturz und hatte dann nichts mehr gehört. Jetzt höre ich rechts nur wenig und links . Aber habe ja Hörgeräte und das geht soweit.

Weiterhin alles Gute,
Katerle
Stizy
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Re: Die Unfähigkeit zu trauern?

Beitrag von Stizy »

Wirklich Blackout und warst trotzdem anwesend? Krass, da kann ich leider gar nichts zu sagen..
Wie viel schläfst du die Nacht? Ich geh mal davon aus, dass du Schlafstörungen hast, wenn ja, wie lange?
Frag das mal genau so deine Therapeutin, mit dem Blackout nach dem Versuch Gefühle los zu lassen, da kann glaub ich keiner im Forum ne seriöse Antwort drauf geben
Katerle
Beiträge: 11309
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Re: Die Unfähigkeit zu trauern?

Beitrag von Katerle »

Genau manu,

In meiner Umgebung galt weinen auch eher als ein Zeichen von Schwäche, obwohl ich mich danach immer erleichtert fühlte, als Kind. Sehe es auch als ein Zeichen von Stärke, zu weinen. Ja und Mut braucht es ebenfalls, wie du bereits beschrieben. LG
Neti84
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Re: Die Unfähigkeit zu trauern?

Beitrag von Neti84 »

Hallo Hutmacher,

ich denke, du bist bestimmt noch fähig, zu trauern und zu weinen. Vielleicht im Moment nicht. Aber dies nicht zu können ist auch ein Symptom der Krankheit.
Ich denke, sobald es zum Weinen kommt, verliert man die Kontrolle. Dies meine ich nicht grundsätzlich negativ. Gerade bei echter Trauer ist es ein zwingender Verlauf. Und der entspannende Effekt tut gut. Ich kenne das sehr gut auch an mir. Ich denke, es ist eine Form, um sich zu entlasten.
Aber bei mir war es während der Depression eben nicht nur positiv. Es hat mich vielleicht kurzfristig entspannt, aber so richtig weitergebracht hat es mich auch nicht. Auch stelle ich es mir so vor, als ob man während der Depression eine Scheintrauer durchlebt. Ich bin dann jeweils dominiert von übertriebenen, negativen, unrealistischen Gedanken, beginne mich zu bemitleiden und beginne aufgrund dieser abstrusen Gebilde zu verzweifeln und trauern.
Darum begann ich zu versuchen, dass ich nicht mehr bis an den Moment des Weinens gelangte, indem ich so früh als möglich Massnahmen ergriff wie z.B. gute Ernährung; regelmässige Körperpflege; beibehalten meines Alltags; Gespräche mit nahestehenden Personen über mein Befinden; Versuch, negative Gedanken zu entkräften und realistisch zu formulieren; Aktivitäten zu haben, die mir gut tun; Gesprächstherapie; Medikamente; Lichttherapie;
Nicht trauern zu können ist bestimmt nicht normal und langfristig sollte jeder Mensch dazu fähig sein. Aber gerade während einer depressiven Episode ist wohl dieser Zustand Teil des Krankheitbildes. Und bei Männern noch mehr, da diese die Tendenz haben, die Depression mit Aggressivität und/oder Wut zu zeigen. Nach der Heilung der Depression sollten diese Fähigkeit auch wieder zurückkommen.
Gertrud Star
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Re: Die Unfähigkeit zu trauern?

Beitrag von Gertrud Star »

Hallo Neti,

ich finde, das kann man nicht verallgemeinern.
Es gibt Lebensläufe, da spielt die Unmöglichkeit zu trauern eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung und Aufrechterhaltung der Depression. Meiner bescheidenen Meinung ist eine Heilung dann ohne Trauern nicht möglich, das kann alles nur noch schlimmer machen.

Es gibt immer den Zeitpunkt, wo man es versuchen kann, portioniert anzugehen.
Man sollte sich zeitnah wieder dem Heute zuwenden können, soweit es möglich ist.

Für manche Menschen mag auch das keine Lösung sein.
Aber prinzipiell erst nach Heilung zu trauern, ist für mich nicht machbar. Da müsste ich (Alter Anfang 50 und die Depression fast schon halb so lange bestehend) mit der Trauer warten, bis ich schon doppelt so lange tot bin ;)

Gruß Gertrud
Neti84
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Re: Die Unfähigkeit zu trauern?

Beitrag von Neti84 »

Liebe Gertrud,

ich will nicht verallgemeinern; ich versuche lediglich, meine Sicht der Dinger darzulegen.

Selbstverständlich kann auch das Trauern Teil des Heilungsprozesses sein.
Ich denke es, gibt wohl verschiedene Formen des Trauerns. Während der Depression, bei mir, gibt es ein Trauern, das aufgrund von unrealistischen, negativen Gedanken und Szenarien entsteht. Oder dann das Trauern z.B. aufgrund vom Tod nahestehender Personen. Und womöglich auch noch weitere Formen.
Katerle
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Re: Die Unfähigkeit zu trauern?

Beitrag von Katerle »

Ja manu, so empfinde ich das auch.

Aber ich kenne auch Situationen aus meiner frühen Kindheit, das ich manchmal schlecht aufhören konnte mit weinen, was auch seine Gründe hatte...

Jedenfalls wurde Weinen prinzipiell als Schwäche bezeichnet und wohl auch deshalb, weil das so fortgesetzt wurde von Generation an. LG
Gertrud Star
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Re: Die Unfähigkeit zu trauern?

Beitrag von Gertrud Star »

Hallo Neti,
da habe ich in der Tat mit irgendeiner gefärbten Brille gelesen.
Sorry.
Vielleicht bin ich es ja, die über deine Worte nochmal nachdenken sollte.
Vielleicht ist es ja auch einfach nur eine Gratwanderung mit der Trauer und der Depression zusammen.
Gruß
Ziege04
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Re: Die Unfähigkeit zu trauern?

Beitrag von Ziege04 »

hallo @All

Ein Gedanke kommt mir dazu:
Enttäuschung.

Wenn man mal eine Trennung als Enttäuschung zu sich erlebt/wahrgenommen hat, kann das, mit gesellschaflichen Normen und Mobbing zu einem extrem anti- emotionalen Verhalten führen..

Gruß Ziege04
Ziege04
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Re: Die Unfähigkeit zu trauern?

Beitrag von Ziege04 »

hallo @All

Ein Gedanke kommt mir dazu:
Enttäuschung.

Wenn man mal eine Trennung als Enttäuschung zu sich erlebt/wahrgenommen hat, kann das, mit gesellschaflichen Normen und Mobbing zu einem extrem anti- emotionalen Verhalten führen..

Gruß Ziege04
Gertrud Star
Beiträge: 3441
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Re: Die Unfähigkeit zu trauern?

Beitrag von Gertrud Star »

Hallo Ziege,
das sehe ich auch so.

Was auch dazu führen kann:
zu viele zu große Verluste in einem recht kurzen Zeitraum,
mangelnde Unterstützung,
über einen längeren Zeitraum ein "falsches" und dazu sehr zeitintensives Leben führen müssen,
dazu große Existenzängste,
zu schnelles Funktionieren müssen nach einem großen Verlust,
Druck von allen Seiten, dazu realer finanzieller Existenzdruck,
wenn man als Kind und bis dahin nicht gelernt hat, über Gefühle, Motive, die Befindlichkeit zu reden,
wenn man damit aufgewachsen ist, sobald man nicht funktioniert eine Last zu sein,
Lieblosigkeit in der Herkunftsfamilie (Trauma Typ 3),
wenn einen die Menschen nicht adäquat spiegeln können (auch Profis über viele Jahre),
wenn am Ende Armut und Perspektivlosigkeit das Leben prägt, mit vielen realen Sorgen (Armut als schlimmste Art von Gewalt, sagte Gandhi mal).

Das kann am Ende zu ganz tiefen Enttäuschungsgefühlen führen (enttäuscht von der ganzen Menschheit, nicht mehr zu richten), sowie zu sehr großem Schmerz (niemals auszuhalten). Dies geht bei mir mit der Trauer einher.

Bei mir ist es hauptsächlich die Trauer um einen geliebten Menschen, seit vielen Jahren. Trauer um die nicht lebbaren Dinge als Kind/Jugendliche. Trauer um ein nicht gelebtes Leben, nie erreichbare Dinge, verloren gegangene Chancen, Ressourcen, Gesundheit.

Ein Schamane würde wohl sagen, man musste sehr viele Seelenanteile zurück lassen. Doch es kommt meistens der Zeitpunkt, wo man merkt, dass es an der Zeit ist, diese wieder willkommen heißen zu dürfen. Das ist oft eine Frage der jetzigen Lebensbedingungen, und auch Ergebnis von bisherigen Auseinandersetzungen.

LG Gertrud
Ziege04
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Re: Die Unfähigkeit zu trauern?

Beitrag von Ziege04 »

hallo @Gertrud/@Hutmacher/@all

Es ist schwer, heute einen Weg für sich zu finden. Die Akzeptanz von psych. Erkrankungen macht es nicht leichter; und von den jungen Menschen wird viel erwartet;

Es ist für mich daher eine Aufgabe der Menschen, das Leben zu gestalten, damit es läuft; denn jeder ist ein Teil davon...

LG Ziege04
Gertrud Star
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Registriert: 30. Jun 2014, 19:09

Re: Die Unfähigkeit zu trauern?

Beitrag von Gertrud Star »

Hallo Ziege,
lese ich aus deinen Zeilen die Sehnsucht nach einer besseren, humaneren, gerechteren Welt heraus?
In der Tat, das würde vieles leichter machen, manchmal extrem viel leichter. Und man hätte mehr Chancen.
Wenn ich es schaffen sollte, sehe ich mir heute abend den Film über das Grundeinkommen im Kino an.
LG Gertrud
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