Seit 20 Jahren auf der Flucht vor mir und der Depression...

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zwei-leben
Beiträge: 7
Registriert: 1. Feb 2017, 22:15

Seit 20 Jahren auf der Flucht vor mir und der Depression...

Beitrag von zwei-leben »

Hallo,
ich bin neu hier im Forum und mich hat es im letzten Vierteljahr auf die Bretter geschickt.
Und ich habe das Gefühl, als wäre ich die letzten 20 Jahre vor der Depression davongelaufen bzw. hätte sie mit Aktivitäten klein gehalten und dabei mich selber verloren.
Mit Mitte 20 hatte ich schon einmal eine schwere Depression mit Suizidgedanken, ausgelöst durch einen totalen Abbruch bestehender Lebensverhältnisse (Job, Freundin, Wohnort) in einer Euphorie des Erfolgs - Anpassungstörungen. Habe das damals aber nicht erkannt und demzufolge auch nicht behandeln lassen. Seitdem halte ich es mit mir alleine nicht aus und habe deshalb immer ein hohes Aktivitätsniveau gesucht - früh auf - spät nieder. Ständig wechselnde Jobs parallel zum FH-Studium, dass ich wohl nur Alibihalber betrieben habe. Immer auf der Suche nach neuen Eindrücken und Abenteuern, unter dem Alibi des Geldverdienens.
Nach Familiengründung habe ich mich 2004 entschlossen dazu entschlossen, noch einmal zur Uni zu gehen, um aus dem Lotterberufsleben in feste Bahnen zu kommen und bin mittlerweile seit 2007 im Bildungssektor tätig. Und jetzt hats mich wieder auf die Bretter geschickt und ich habe das Gefühl, die letzten fast 20 Jahre außerhalb meiner Persönlichkeit verbracht zu haben. Habe mich in den letzten Jahren zwischen der Sorge um die wirtschaftliche Existenz der Familie, dem Job (ich war wohl etwas hyperengagiert in vielen Bereichen), exzessiven sportlichen und diversen anderen Aktivitäten aufgerieben. Ein Stellenwechsel hat mich jetzt in den Krankenstand geschickt. Seitdem komme ich mir vor, als hätte ich die ganzen Aktivitäten nur unternommen, um den schlafenden Hund im Zaum zu halten, der da in mir wohnt. Ich fühle mich identitätslos, schwach, angreifbar, verzweifelt und hänge genau so da wie mit Mitte 20.
Ich fühle mich, als hätte ich mich in den ganzen Jahren total für andere aufgerieben und von mir selber ist nichts übrig geblieben. Keine Identität - weder beruflich noch privat noch sonst irgendwas.
Seitdem keine Nacht mehr Schlaf, Schweißausbrüche, schlimme Gedanken, Zukunftsängste, Wut auf die Vergangenheit, auf jede getroffene Entscheidung, die mir fremdbestimmt vorkommt wie mein ganzes Leben. Es kommt mir so vor, als hätte ich mich immer nur in von anderen gesetzten Rahmen bewegt: Eltern - Freundinnen - Ehefrau. Und immer wieder von Süchten bestimmt - früher Nikotin, dann Sport.
Da ist irgend ein Tier in mir, das immer wieder ausbrechen will aus diesen Rahmen und klein gehalten werden muss.
Zwei Leben eben: die Außenwirkung als Ehemann, Lehrer, Sportler - was auch immer
Und innen: absolute Leere, Schwäche, Willenlosigkeit, Fremdbestimmtheit, so, als wäre ich mental nie erwachsen geworden
Und jetzt kann ich nicht mehr.
Wollte ich einfach mal loswerden.
Die Krankheit legt mich frei, sie formt mich neu und ich bin gespannt auf mich und mein Leben.
milzie
Beiträge: 9
Registriert: 31. Jan 2017, 18:38

Re: Seit 20 Jahren auf der Flucht vor mir und der Depression

Beitrag von milzie »

Hallo zwei-leben,

ich kann mit dir fühlen, mir ist jetzt auch passiert, es herrscht nur noch leere in dir und man überlegt nur noch, was man im leben alles falsch gemacht hat. Man ist nur noch Kraftlos und lebt jeden Tag so dahin, ohne das man Freude am leben hat.

Gruß

milzie
zwei-leben
Beiträge: 7
Registriert: 1. Feb 2017, 22:15

Re: Seit 20 Jahren auf der Flucht vor mir und der Depression

Beitrag von zwei-leben »

Ich habe auch gerade deinen Beitrag gelesen und mich fast gefühlt, als würde ich in einen Spiegel blicken.
Ich wäre in den letzten Jahren nie auf die Idee gekommen, dass ich Depressionen bekommen könnte oder schon hätte.
Ich hatte ein Aktivitätsniveau, das meine gesamte Umwelt in Angst und Schrecken versetzt hat. Letztlich weiß ich gar nicht, ob ich damit nicht schon immer die dunklen Wolken bekämpft habe. Immer, wenn eine am Horizont meines Inneren auftauchte, habe ich mir eine neue Aktion überlegt.
Oder ist es umgekehrt, durch die Rastlosigkeit und Getriebenheit kam es zu einem Burnout und damit zur Depression, ich verstehe die Kausalkette gerade nicht.
Die Krankheit legt mich frei, sie formt mich neu und ich bin gespannt auf mich und mein Leben.
gvman
Beiträge: 299
Registriert: 20. Okt 2015, 10:35

Re: Seit 20 Jahren auf der Flucht vor mir und der Depression

Beitrag von gvman »

Hallo..
Dieses Verhaltensmuster in eine fast manische Aktivität mit hohem Anspruch an sich kennen , glaube ich, viele Betroffene. Ich hatte z.T. ähnliche Erfahrungen. Ich flüchtete mich, nachdem ich aus Versagensangst und vielen anderen Symptomen und persönlichen Problemen jegliche berufliche Weiterbildung nicht in Anspruch nahm oder abbrach, in mein Hobby. Da dachte ich "hier bin ich meine eigener Herr".
Doch ich geißelte mich vor lauter Perfektion selber. Hinzu kamen Aufführungsängste etc..
Heute, nachdem ich vor 6 Jahren auch letzlich an einer "Anpassungs- und Schlafstörung" zusammenbrach, ist mir ganz klar, dass es lange eine Flucht vor mir selber war.
Aber , war das wirklich alles falsch, was ich gemacht habe?
Mein Beruf und Hobby diente überwiegend einer positiven Sache für mich und! für andere Menschen. Dann war es eben Kompensation. Das geschieht oft, ist nicht immer schlecht und geschieht auch bei gesunden Menschen.
Die Depression setzt auch die typische dunkle Brille auf und man stellt alles in Frage, was man gemacht hat, obwohl das eben gar nicht so schlecht war.
War das wirklich alles fremdbestimmt? Geh mal tief in Dich.
Ich glaube eher, du solltest ein wenig stolz auf das sein, was du geleistet hast.
Ich könnte jetzt behaupten, um das Ruder rumzureißen ist es nie zu spät,
nur wenn man einmal in dieser schrecklichen Krankheit gefangen ist, gelingt das aus Kraftlosigkeit kaum. Daher , lass Dich schnellst möglich behandeln!
LG Markus
zwei-leben
Beiträge: 7
Registriert: 1. Feb 2017, 22:15

Re: Seit 20 Jahren auf der Flucht vor mir und der Depression

Beitrag von zwei-leben »

Hallo Markus,
vielen Dank für die ausführliche Reaktion auf meinen Beitrag. Es tut gut, immer wieder Input und Denkanstöße zu erhalten. In der Vergangenheit habe ich Probleme immer viel zu sehr mit mir alleine ausgetragen und gelöst.
ImNachhinein sehe ich das mittlerweile auch so, dass meine Verhaltensmuster typische Symptome der sich anbahnenden Katastrophe gewesen sind.
Auch wühle ich richtig tief in mir herum und räume auf - in mir und um mich herum. Da sind auch noch diverse Kaufhandlungen mit aufgetreten in den letzten Jahren...
Behandlung gehe ich aktiv an, war ja bislang immer als problemlöser bekannt. Ich habe eine Therapeutin und gehe in Kürze in eine Klinik.
Auch zu einer Selbsthilfegruppe habe ich Kontakt aufgenommen, heute Abend ist eine Infoveranstaltung.
Zum Glück fängt mich meine Familie auf, eine Familie, die ich in den letzten Jahren auch zum Teil übersehen haben. Ja, ich weiß, schon wieder die schwarze Brille. So schlimm war es wohl nicht, zumindest sagen mir das meine Kinder, meine Frau ist da durchaus geteilter Meinung.
Was ich anderen sagen möchte, es steckt auch eine Chance in solch einer Krise, eine Chance zum Erkennen des eigenen Ichs, zur Reflexion, zur Veränderung. Und niemand ist mit sich alleine auf der Welt, und sei es "nur" ein Internetforum, in welchem man auf nette Menschen trifft.

LG

zwei-leben
Die Krankheit legt mich frei, sie formt mich neu und ich bin gespannt auf mich und mein Leben.
anna54
Beiträge: 3713
Registriert: 14. Sep 2010, 15:08

Re: Seit 20 Jahren auf der Flucht vor mir und der Depression

Beitrag von anna54 »

Hallo zwei-leben
ich kann auch nicht glauben,dass du zwanzig Jahre deines Lebens nur auf der Flucht vor dir selbst gewesen bist.
Kompensation ist auch eher ein Verhalten,dass dem näher kommen könnte.
Dass da ein schlafender Hund in dir wohnt,dass du ihm aus dem Weg gegangen bist,dass du vor ihm davon gelaufen bist---ein Bild,dass du dir auch in dem Buch: Der schwarze Hund ansehen kannst.
Manie und Depression sind verwandt,sie haben einen frühen Ursprung und begleiten in Schüben oft das ganze Leben.
Eine sichere Diagnose,oder Einschätzung könnte dir helfen,einfach verstehen was dich treibt,was sich als Depression breit macht.
Immer sind dazu Fachleute notwendig,manchmal hilft eine Klinik,oder auch eine Tagesklinik.

Was sich so falsch anfühlt,was eine riesige Leere sein könnte,was dich angetrieben,getrieben hat---kannst du dir vorstellen,sich das aus der Sicht eines Arztes oder auch Therapeuten anzusehen.
Wie du dann weiter mit deinem Leben und evt. auch diagnostizierten Krankheit umgehst,das kann der zweite Schritt sein.
Verstehen ist immer besser als vermuten.
Mach diesen Schritt früh genug,wenn du noch gestalten und auswählen kannst,eine Depression kann dich auch so sehr lähmen,dass es nur noch schwerer wird.
Wenn du es bisher mit so viel Energie geschafft hast,dann könnte ein anderer Weg sein,endlich ein Leben zu führen,in dem du deine Kräfte spüren und gut gewählt einsetzt für die Dinge,die dir wirklich wichtig sind.
Unendlich traurig wäre eine Bilanz,in der du immer auf der Flucht gewesen bist,schau hin,lass dir helfen,auch einen schlafenden Hund kann man wecken und wenn er sich zu dramatisch zeigt,kann man ihn in Schach halten und er kann sogar eine wertvoller Lebensbegleiter sein.

Genau diese Erfahrung kannst du hier im Forum immer wieder lesen und du bist hier mitten im Leben.
Gutes Gelingen und herzlich willkommen hier!
anna54
zwei-leben
Beiträge: 7
Registriert: 1. Feb 2017, 22:15

Re: Seit 20 Jahren auf der Flucht vor mir und der Depression

Beitrag von zwei-leben »

Danke, Anna54.
Eine Therapeutin habe ich mir direkt nach dem Zusammenbruch gesucht, ich warte auch auf Anruf der Klinik wegen des Aufnahmetermins. Alles also schon in die Wege geleitet. Ich will da ja wieder raus!
LG
zwei-leben
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anna54
Beiträge: 3713
Registriert: 14. Sep 2010, 15:08

Re: Seit 20 Jahren auf der Flucht vor mir und der Depression

Beitrag von anna54 »

Hallo zwei-leben
dann wünsche ich dir ganz viel Erfolg!
anna54
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