Alles dreht sich immer schneller

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diedunkle76
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Alles dreht sich immer schneller

Beitrag von diedunkle76 »

Ich bin mit meinem Latein ziemlich am Ende und ich fürchte auch, dass das kein ganz kurzer Text werden wird.

Ich möchte mich zuerst kurz vorstellen, ich werde kommende Woche 41 und habe vier Kinder (19,16,8 (bald 9), und 5 Jahre alt) und mein Mann, Vater der Kinder, ist zur Zeit in einer stationären Reha. Er hatte vor ziemlich genau 5 Jahren einen schweren Unfall und musste mehrfach operiert werden, immer so im Abstand von 6 Monaten bis 18 Monaten, weil die vorangegangenen Operationen nicht erfolgreich verlaufen sind. Ziemlich direkt nach dem Unfall war er wegen PTBS in Behandlung und es hat sich ziemlich schnell und auch erfolgreich verbessert. Nach der letzten Operation 2015 ging es immer weiter abwärts, bis ich im Juni 2016 ihn vor die Konsequenz gestellt habe, bzw. damit gedroht habe, dass mir dass alles zu viel wird und er sich bitte Hilfe suchen soll. Er hat einen ersten Schritt dann unternommen und ich habe ihn immer voll unterstützt, was in einer Beziehung die mittlerweile jetzt schon über 20 Jahre geht für mich auch selbstverständlich ist. Neben den Kindern bleibt aber auch alles andere Haushalt, Organisatorisches, Behörden, Papierkram auch mit den Anwälten, gegnerischen Versicherung und Berufsgenossenschaft an mir hängen. Mein Mann konnte dann auch im Juni direkt mit einer Therapie beginnen und hat mich im Juli über die wirkliche Tragweite in Kenntnis gesetzt. PTBS und schwere Depressionen mit Selbstmordgedanken. Laut Therapeutin am besten via stationärer Reha zu behandeln. Kostenzusage haben wir relativ schnell erhalten und Reha konnte mein Mann jetzt auch am Mittwoch antreten. Bei mir hat das ziemlich gemischte Gefühle ausgelöst. Einerseits Erleichterung die Verantwortung abgeben zu können, aber auch ein Gefühl, nicht zu wissen was wird. Mein Mann sagt er liebt mich und die größte Katastrophe für ihn wäre, wenn ich mich trennen würde. Aber leider sagt sein Verhalten ganz andere Dinge. Viele werden jetzt vermutlich sagen, dass ist die Krankheit, aber ich denke man kann auch nicht alles damit rechtfertigen, oder bin ich da zu kritisch? Ich habe selber kein Gefühl mehr dafür. Ich übe keinerlei Druck aus, lass ihn kommen, wenn er von sich aus etwas schreiben möchte, oder wenn er telefonieren möchte. Nur hat sich nach dieser kurzen Zeit schon ein ziemlicher Bruch in dem was er schreibt und wie mit mir spricht eingestellt, was mich doch sehr zweifeln lässt. Heute morgen bekam ich die Zeilen, wenn ich an Dich denke oder mit Dir schreibe werde ich traurig, und dass will ich nicht. Und er hat mir auch am Telefon gesagt, er könne hier nicht über mich wirklich sprechen, weil das käme ihm wie Verrat an mir vor, aber wenn er nur von seiner Frau spreche, abstrakt sozusagen, wäre das für Ihn Okay. Ich habe mittlerweile auch Angst davor, was es mit mir macht. Ich ertappe mich immer mehr bei der Frage, will ich das überhaupt noch... Zu den vier Kindern noch einen Partner an meiner Seite, für den man alles machen muss, (vieles auch schon vor der Depression und dem Unfall). Der immer nur davon spricht, wie es ihm geht, was ihm gut tut, was er empfindet. Ohne jemals die Frage zu stellen: Wie geht es eigentlich Dir. Aber die Anforderung Du musst selber schauen, dass es Dir gut geht. Der eine Satz den ich weder von meinem Umfeld, noch von meinem Mann, noch von einem Therapeuten hören möchte. Ich solle auf mich achten. Ich empfinde dass mittlerweile schon einen verdammt zynischen Satz Angehörigen gegenüber. Wie gesagt, ich muss mich um vier Kinder kümmern, Arbeiten gehen, den Haushalt schmeißen, alles, aber wirklich alles Außen herum selber machen, die Schadenersatzansprüche, bzw. Schmerzensgeldforderungen für meinen Mann erledigen, den Clinch mit der Berufsgenossenschaft. Dazu hat meine Schwiegermutter am Donnerstag noch einen Kreislaufzusammenbruch erlitten und liegt im Krankenhaus, so dass ich mich auch um sie kümmern muss. Sie war eigentlich als Unterstützung geplant. Meinem Mann habe ich die Situation nicht mitgeteilt, da ich nicht wollte, dass es ihn gleich bei der Ankunft und in der Beginnphase der Reha trifft und die Eingewöhnung unmöglich macht. Da sich der Zustand seiner Mutter verschlechtert hat, hatte ich in der Klinik angerufen und mich dort mit der Ärztin verbinden lassen und gefragt ob wir ihn informieren sollen. Da kam ein Nein. Es fühlt sich für mich aber wie Verrat an. Und da kam auch die Frage, ob ich das alles schaffe und ich solle auch auf mich achten.... ??? Wie soll dass in dieser Situation gehen? Vielleicht noch am Rande bemerkt, dass Hauptproblem bei meinem Mann laut eigener Aussage ist, dass er das Gefühl hat, für alle nur eine Belastung zu sein, und vor allem mich würde er zu viel zu belasten und es ginge mir besser, wenn er nicht da wäre. Ich habe langsam das Gefühl, nicht mehr zu wissen wo oben und unten ist. Ich komme langsam an eine Grenze wo ich sage, ich kann nicht mehr weiter.. Aber was dann? Flucht nach Vorne? Resignation?
Zarra
Beiträge: 5734
Registriert: 12. Mär 2010, 15:16

Re: Alles dreht sich immer schneller

Beitrag von Zarra »

Hallo "diedunkle76",

ich bin Betroffene, doch vermutlich ist das auch wurscht.

Mein erster und vermutlich nicht falscher Eindruck: Es ist einfach SEHR SCHWER für Euch ALLE - Dein Mann kann nicht funktionieren und Du hast zuviel an der Backe (und und und). Niemandes Schuld, und doch ist es so. Ich kann Deine Ungeduld, ggf. Gereiztheit etc. gut versehen - es hilft aber leider niemandem weiter, nicht einmal Dir.
Dein Mann ist in einer hoffentlich guten Klinik - und damit ist er mit sich selbst und dem DOrtigen genug beschäftigt (und oft ist das auch gut so; in manchen guten Kliniken gibt es sogar anfängliche zweiwöchtige Kontaktsperrren - zum besseren Eingewöhnen u.a.).
Bleibt also tatsächlich die Frage, was Du für Dich tun kannst. Ja, ich verstehe Deinen Aufschrei!! Denn Deine Aufzählung stimmt ja. Nur: Es wird Dir kaum einer eine Alternative nennen. Machen, was geht, möglichst gut geht. Schauen, was es an Entlastung FÜR DICH geben kann. (Ich kenne mich da wenig aus. Aber auch z.B.: Was können die größeren Kinder übernehmen, z.B. im Haushalt o.ä.?)
und Reha konnte mein Mann jetzt auch am Mittwoch antreten.
Mein Mann sagt er liebt mich und die größte Katastrophe für ihn wäre, wenn ich mich trennen würde.
Warum kannst Du diesen Satz nicht glauben, ihn stehenlassen, und warten, bis die stationäre Therapie zu Ende ist?!? Innerhalb einer Woche kann sich noch gar nichts geändert haben.
dass Hauptproblem bei meinem Mann laut eigener Aussage ist, dass er das Gefühl hat, für alle nur eine Belastung zu sein, und vor allem mich würde er zu viel zu belasten und es ginge mir besser, wenn er nicht da wäre.
Das ist nun wirklich typisch depressiv. ... unabhängig davon, daß das manchmal sogar zu stimmen scheint. (Wenn Dein Mann "aus dem Fenster spränge", ginge es Dir ziemlich sicher noch schlechter.)

... und zwar völlig unabhängig davon, ob Du ihn gerne verlassen würdest, um weniger Belastungen zu haben. (Die Frage nach Liebe und was Euch sonst so verbindet, würde ich aber vor einem endgültigeren Schritt schon nochmals stellen ... ;-) :-)) ... auch wenn viele mich vielleicht schlagen: Ich finde das eine sehr legitime Überlegung. Schließlich hat jeder Belastungsgrenzen. Außerdem habe ich bei mir festgestellt, daß oft die gedankliche Freiheit reicht, zumindest Erleichterung verschafft, nämlich die totale Einengung, die sich immer mehr zudreht, auszuhebeln.
er könne hier nicht über mich wirklich sprechen, weil das käme ihm wie Verrat an mir vor
Vorläufig ist das sein Problem; weniger Deins.

Paargespräche könnten aber vielleicht durchaus von Vorteil sein (*), ... eben damit er vielleicht auch mal fragt: "... und wie geht es Dir damit?" und damit Ihr vielleicht-hoffentlich zu einem konstruktiveren Umgang mit der schwierigen Situation finden könntet.

(*) Ich kenne es so, daß wenn das in Kliniken angeboten wird, das eher gegen Ende der Therapie angeboten wird. Je nach Fall und Klinik kann da aber vielleicht auch anderes möglich sein.

LG, Zarra
diedunkle76
Beiträge: 14
Registriert: 23. Jan 2017, 12:14

Re: Alles dreht sich immer schneller

Beitrag von diedunkle76 »

Liebe Zara,

erst einmal vielen Dank für Deine Antworten.

Ja Du hast recht, es ist egal ob Angehöriger oder Betroffener, ich glaube ich habe mal einen Blick von außen auf die ganze Situation gebraucht.

Ich versuche auch Deine Antworten mal für mich zu fassen.

Dein Mann ist in einer hoffentlich guten Klinik - und damit ist er mit sich selbst und dem DOrtigen genug beschäftigt (und oft ist das auch gut so; in manchen guten Kliniken gibt es sogar anfängliche zweiwöchtige Kontaktsperrren - zum besseren Eingewöhnen u.a.).

Er fühlt sich sehr wohl und auch gut angekommen. Mein Problem ist einfach ich weiß wie sehr an seiner Mutter hängt und dass er auf alle Fälle Bescheid wissen wollen würde, wenn sie im Krankenhaus ist. Mir kommt es einfach vom Bauchgefühl her falsch vor, und ich habe das Gefühl seit sie im Krankenhaus in zu belügen. Sehe aber auch als wichtig an, dass er diese Reha so gut wie möglich starten sollte und deshalb habe ich ja auch nichts gesagt und den Kontakt mit der Klinik gesucht. Trotzdem muss man sich mit der Situation nicht wohl fühlen. Und schließlich weiß ich auch nicht, ob ich nicht falsch handle.


Mein Mann sagt er liebt mich und die größte Katastrophe für ihn wäre, wenn ich mich trennen würde.
Warum kannst Du diesen Satz nicht glauben, ihn stehenlassen, und warten, bis die stationäre Therapie zu Ende ist?!? Innerhalb einer Woche kann sich noch gar nichts geändert haben.

Mein Problem ist, dass ich es vorher schon nicht mehr wirklich glauben konnte. Ich möchte hier niemanden zu nahe treten, aber ich war in den letzten Monaten häufig die Person die von ihm viel abbekommen hat. Da kamen einfach sehr viele "Spitzen" und ich habe in der Zeit viel geschluckt und gesagt, okay das ist die Krankheit. Aber irgendwann kam ich an den Punkt wo ich sozusagen meine Stimme verloren habe. Ich war die letzten Wochen kaum noch in der Lage irgendetwas zu sagen. Ich war nur noch auf Funktionierendem Modus. Seine Krankheit so ausgleichen, dass er sich wohl fühlt. Sehr wenige Momente der Nähe, aber sehr viel Kälte und häufig Momente wo mir die Luft wegblieb bei bestimmten Aussprüchen. Ich weiß, dass das alles auch, bzw. sehr wahrscheinlich Symptome sind, aber sie zermürben trotzdem und irgendwann glaubt man sich sein Lächeln selbst nicht mehr in diesen Situationen. Das soll heißen, ich schaue mehr darauf, was jemand tut, wie sich jemand verhält, als dass was er sagt. Vermutlich sollte ich hier meine Einstellung überdenken.


Paargespräche könnten aber vielleicht durchaus von Vorteil sein (*), ... eben damit er vielleicht auch mal fragt: "... und wie geht es Dir damit?" und damit Ihr vielleicht-hoffentlich zu einem konstruktiveren Umgang mit der schwierigen Situation finden könntet.

Vielleicht habe ich auch von Anfang an viel zu viel "Rücksicht" genommen, in dem ich den Schein gewahrt habe und gesagt habe, es ist sein Entscheidung wenn er über seine Erkrankung informiert. So hat er sich zwar nach einem gewissen Fortschreiten der Therapie auch zum Teil seinem Umfeld geöffnet. Dem gemeinsamen Umfeld eher nicht und so habe ich mich, war blöd von mir wahrscheinlich, von vielem zurückgezogen. So hatte er außer mir auch Ansprechpartner außerhalb und habe versucht und versuche eigentlich noch immer alles mit mir allein aus zu machen. Seit dem Unfall dreht sich auch in unserem Umfeld eigentlich alles irgendwie immer um die Gesundheit meines Mannes. Man verliert sich irgendwann in dieser Situation.

Aber ich werde entgegen meiner eigentlich Natur versuchen weiter geduldig mit der Gesamtsituation zu sein.
Zarra
Beiträge: 5734
Registriert: 12. Mär 2010, 15:16

Re: Alles dreht sich immer schneller

Beitrag von Zarra »

Hallo "diedunkle76",

Ihr habt wohl beide ein Problem mit dem "Euch "Belügen", "Hintergehen"". Kann ich teils verstehen, teils - keine Ahnung.

Deine Bedenken hinsichtlich dessen, daß Du ihm nicht sagst, daß seine Mutter im Krankenhaus ist, kann ich verstehen. Allerdings: Du hast ja im Krankenhaus angerufen und Dich zumindest grob abgesichert. Dann: Ich weiß ja nicht, wie es Deiner Schwiegermutter inzwischen geht, doch eigentlich müßte sie selbst ja auch entscheiden können, ob man das ihrem Sohn JETZT sagt oder nicht. Oder kann sie das nicht mehr? - Die nächste Frage ist eine ganz praktische: Je nachdem, ob Dein Mann in einer wohnortnahen oder wohnortfernen Klinik ist.
Und nein, Wohlfühlen würde sich mit dieser Situation niemand - und man "muß" es auch nicht. Es gibt einfach schwierige und schwere Lebenssituationen, die genau so und nichts anderes sind.
Mein Problem ist, dass ich es vorher schon nicht mehr wirklich glauben konnte.
... kann ich verstehen. - Jede Krankheit ist belastend für eine Partnerschaft, Depression vielleicht noch besonders, weil sie so viele Bereiche betrifft, eben auch die "Beziehungsbereiche".
Das soll heißen, ich schaue mehr darauf, was jemand tut, wie sich jemand verhält, als dass was er sagt. Vermutlich sollte ich hier meine Einstellung überdenken.
Du hast ja schon reflektiert. Und das ja vermutlich schon auch die ganze Zeit über. - Ich finde es schon logisch, daß man irgendwann auch wieder fühlen und "sehen" will, was der andere meint, daß es nicht nur hohle Worte sind. Eine gewisse Zeitlang ist "Vertrösten" wohl okay, doch ich finde es sehr verständlich, daß irgendwann der Vorrat aufgebraucht ist, man Konkreteres braucht.
habe versucht und versuche eigentlich noch immer alles mit mir allein aus zu machen. Seit dem Unfall dreht sich auch in unserem Umfeld eigentlich alles irgendwie immer um die Gesundheit meines Mannes.
Es gibt aber eben auch DICH!! (Und die Kinder zudem auch noch.) ... sorry, doch Du willst doch nicht die Nächste sein, die sich in ein paar Monaten in die Reihe der Depressiven eingliedert?!! Ja, es müssen meist ein paar Dinge zusammenkommen; doch zuviel mit sich allein auszumachen und zu wenig auf eigene Bedürfnisse zu schauen, könnten zwei kleine Teile in dem Puzzle durchaus sein; zumindest ist es gesünder, davon wegzukommen.

Ich wünsch' Dir ...

LG, Zarra
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